Zeichen gegen das Vergessen
Eine Ausstellung in Affaltrach erinnerte an osteuropäische Landjuden
Maja WASSERMANN
Es war die bisher umfangreichste volkskundliche
Ausstellung im westlichen Europa, die zum Thema Zeugen aus dem ostjüdischen
Alltag. Eine Dokumentation in Objekten und Bildern vom 9. September zum 9.
November 2005 in der ehemaligen Synagoge Affaltrach (bei Heilbronn /
Baden-Württemberg) gezeigt wurde.
Die Veranstalter dieses
kulturwissenschaftlichen Ereignisses ein Novum der besonderen Art, denn bisher
wurde noch niemals eine solche Vielfalt von dinglichen und bildlichen Einsichten
in die Lebenswelt östlicher Landjuden vermittelt waren der Freundeskreis
Ehemalige Synagoge Affaltrach e.V. (Vorsitzender Pf. Helmut Krause, Willsbach)
und die Kommission für Ostjüdische Volkskunde in der DGV e.V. (Vorsitzender Dr.
Claus Stephani, München, von dem auch Konzeption und Aufbau der Ausstellung
erarbeitet wurden). Angeregt wurde die Initiative durch die Willsbacher
Pädagogin Judith Incze, Mitglied im Vorstand des Freundeskreises.
In Affaltrach, Eschenau, Lehren, wie in vielen anderen umliegenden schwäbischen
Dörfern, lebte einst auch eine zahlreiche bäuerlich-jüdische Bevölkerung,
sogenannte Landjuden. Sie waren bestrebt, dem Vaterland in restloser
Pflichttreue und höchster Opferwilligkeit zu dienen und suchten so, die
Anerkennung als loyale Staatsbürger zu erreichen, wie Martin Ritter in seinem
Buch Die Synagoge in Affaltrach schreibt. So kämpften im Ersten Weltkrieg im
deutschen Heer über 100.000 jüdische Soldaten, und 12.000 von ihnen starben den
Heldentod. Darunter auch Söhne der damals ortansässigen Familien Kaufmann,
Hirscheimer, Henle, Rothschild und Levi.
Doch dieses große Opfer schützte die jüdische Landbevölkerung nicht vor der
Vernichtung, die in Affaltrach weithin sichtbar am 9. November 1938 begann, als
SA-Leute und HJ-ler aus Heilbronn und anderen Ortschaften die Dorfsynagogen
verwüsteten, in Brand steckten, jüdische Menschen misshandelten oder töteten und
ihre Geschäfte und Wohnhäuser plünderten. Die Affaltracher Synagoge ein
imposanter Backsteinbau aus dem Jahr 1851 überstand die Reichspogromnacht nur,
weil sie an die Scheune eines Nichtjuden grenzte. Die Nazis befürchteten
nämlich, das Feuer könnte so auf das ganze Dorf übergreifen. Heute weiß man: Von
den einst 60 dörflichen, blühenden jüdischen Gemeinden im Landkreis Heilbronn
hat bald danach keine einzige die Schoa überlebt.
Die ehemalige Dorfsynagoge in Affaltrach,
erbaut 1851
Genau 50 Jahre später, am 9. November 1988, fand,
im feierlichen Rahmen und im Beisein des Landesrabbiners Joel Berger, die
Wiedereröffnung der originalgetreu restaurierten Affaltracher Synagoge statt
doch nun nicht mehr als Versammlungsort gläubiger Juden sondern als museale
Begegnungsstätte und zur Pflege jüdischer Kultur. Zu den prominenten Gästen, die
inzwischen hier im Rahmen von Konzerten und anderen Veranstaltungen auftraten,
gehört auch der weltbekannte amerikanische Klarinettist Giora Feidman, König
der Klesmorim.
Um an die verschwundene Welt jüdischer Bauern, Handwerker, Fuhrleute, Hirten und
Schafzüchter zu erinnern, wurde hier vor kurzem eine Ausstellung gezeigt, die 72
dingliche Exponate umfaßte dazu Texttafeln mit Erklärungen in Jiddisch und
Deutsch sowie über zwanzig großformatige Fotos und Landkarten zur Geschichte des
östlichen Judentums. Die meisten ausgestellten Objekte stammten aus dem großen
multiethnischen Reich der ehemaligen k.k. Monarchie, Österreich-Ungarn, d.h. aus
den historischen Siedlungs-gebieten Transsylvanien, Marmatien, Sathmarland,
Bukowina, Transkarpatien, Galizien, Podolien, Lodomerien u.a. Hier hatte
Jahrhunderte hindurch, trotz Pogromen und Verfolgungen, die traditionsgeprägte
und farbige Kultur des Ostjudentums in zahlreichen Schtetls weitergelebt.
In dieser verschwundenen, vergessenen Welt am Rande der Karpaten liegen auch die
Herkunftsorte der seltenen Objekte, meist Unikate aus einer Privatsammlung
darunter eine alte Menojre aus Beregszász/Beregovo (Messing, 18. Jh.,
Ukraine), ein kunstvoller Jorzajt-lajchter aus Sathmar/Satu Mare (Messing, 19.
Jh., Rumänien) bis zu tönernen, buntbemalten Pessachtellern, die für jüdische
Bauern im Sathmarland und Marmatien vom letzten Töpfermeister, Josef Frei (Vama),
hergestellt wurden. Daneben konnte man auch Kidduschbecher, Besamimbüchsen,
Sabbatleuchter, Mesusot aus Silber, alte Gebetbücher, Stickereien, Torawimpel
(aus Warschau, Lemberg, Czernowitz, Sigeth, Sathmar, Jassy) sowie zahlreiche
typische Gegenstände aus dem jüdisch-bäuerlichen Haus- und Wirtschaftsbereich
bewundern.
Blick in den Ausstellungsraum, dem ehemaligen Hauptsaal, im Hintergrund der Toraschrein (Aron Hakodesch)
So vermittelten diese Objekte auf symbolische
Weise einerseits etwas Sichtbares wie z.B. einen kunstvoll geschnitzten
Schöpfer, einen Loschke, andererseits wurde auch etwas Unsichtbares
verdeutlicht, nämlich ein geistiger Hintergrund, eine verschwundene Lebenswelt.
Denn Objekte dieser Art haben immer ein doppeltes Bedeutungsprofil; sie sind
Beispiele, Geräte, materielle Zeugen aus dem Alltag ostjüdischer Landbewohner,
und sie sind auch Symbole jener Alltagskultur. Durch sie aber werden auch ihre
einstigen Besitzer und Benutzer zu Symbolfiguren einer verschwundenen Welt.
Wie wichtig es ist, heute immer wieder an jene Menschen und an ihre Kultur und
Lebensräume zu erinnern, zeigte der Ethnologe Dr. Claus Stephani in seinem
einleitenden Eröffnungsvortrag. Er berichtete von Feldforschungen und
Sammelaktionen in Ostmarmatien (Rumänien), im Sommer 1971. In einem ehemaligen
Schtetl am Rande der rumänischen Waldkarpaten, Mosesdorf (jidd. Mojschin, ung.
Mózsesfalva, rum. Moiseiu), meinte damals der rumänische-kommunistische
Bürgermeister, daß dort niemals jüdische Einwohner gelebt hätten. Dabei gab es
noch die alten jüdischen Holzhäuser in denen nun Rumänen und Ruthenen wohnten
, die Synagoge war noch da wenn auch zu einem Schuppen umfunktioniert , und
auf dem alten jüdischen Friedhof erinnerten immer noch die vielen Grabsteine an
jene, die man nun vergessen hatte.
Gegen dieses Vergessen aber wollte die Dokumentarausstellung in der Synagoge ein
sichtbares Zeichen setzen. Daß die Absicht erfolgreich war, zeigen die
zahlreichen Eintragungen im Gästebuch darunter Namen von Besuchern aus zwölf
verschiedenen Ländern.
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