GEH UND LEBE:
Va, vis et deviens
Frankreich, Israel 2005
Regie: Radu Mihaileanu
Darsteller: Yaël Abecassis, Roschdy Zem, Moshe Agazai, Moshe Abebe
ab 1.12.05 im Burg Kino exklusiv
Zahlreiche Preise, unter anderem: Der Friedensfilmpreis der Ökumenischen Jury
Berlin 2005
Panorama
Spezial
Frankreich / Israel 2004, Regie: Radu Mihaileanu
Ein großartiger Film. Mitte der 80er Jahre wurden viele Menschen, vorwiegend
Juden, in Äthiopien wegen eines Bürgerkriegs aus dem Land vertrieben und in
einem Lager in Sudan untergebracht. Viele von ihnen starben dort an Krankheit,
Hunger und Durst. 8000 von ihnen wurden von Israel mit einer Aktion gerettet und
ins Heilige Land gebracht.
Eine christliche Mutter schickt ihren Sohn mit den Juden mit, indem sie ihn
einer jüdischen Frau, die ihren eigenen Sohn durch Krankheit verloren hat,
anvertraut. Das Kind soll vorgeben, Jude zu sein und Salomon zu heißen, um
gerettet zu werden. Der Film zeigt die Schwierigkeiten des Jungen, sich in
Israel richtig zu integrieren, weil er schwarz ist, weil er immer noch als ein
Fremder betrachtet wird. Hinzu kommt, dass seine äthiopische Stiefmutter
stirbt und er von einer jüdisch-französischen Familie adoptiert wird.
Die Größe des Films besteht darin, dass er die Situation in allen ihren
Schattierungen und Vielfältigkeiten schildert: die verschiedenen Meinungen und
Positionen im Land Israel, die schwierigen zwischenmenschlichen Beziehungen, die
Vorurteile und die Ausgrenzung der schwarzen Falashas, die nicht als
wirkliche Juden anerkannt werden. Besonders hart ist die Szene, in der ein
theologischer Disput über die Farbe des Adam ausgetragen wird: er sei weiß
gewesen zu Gottes Ebenbild und so sei auch Gott ein Weißer.
Film erweckt Gefühle hat Dieter Kosslick zur Eröffnung der 55. Berlinale
gesagt. Dieser Film erzählt die Geschichte auch durch die Darstellung der
Gefühle. Als das Kind zum Beispiel hebräisch lernt, liest es die Thora nicht auf
Grund der strengen Disziplin der Erziehung, sondern erst als es die Liebe der
zweiten Stiefmutter spürt. Selten wurde auf der Leinwand das Schicksal eines
Einzelnen (mit seiner Sehnsucht nach der verlorenen Mutter, mit seinen Ängsten,
mit seinen Leidenschaften) mit der Geschichte einer Gemeinschaft und darüber
hinaus mit der allgemeinen Menschheitsgeschichte so gelungen verknüpft. Der
Film berührt das Hauptproblem unserer Zeit: die Ausgrenzung von Fremden
aufgrund ihrer Hautfarbe oder Religion. Er zeigt aber auch, dass eine bessere
Welt, trotz aller Schwierigkeiten und Konflikte, möglich ist, wenn Menschen
miteinander abgesehen von Rasse und Religion umgehen und sich sogar lieben
können. Die zweite, weiße, Stiefmutter liebt das schwarze Kind über die Jahre
hinweg; die Tochter eines orthodoxen und konservativen Mannes verliebt sich in
den Äthiopier und heiratet ihn am Ende und sie bleibt mit ihm zusammen auch als
sie erfährt, dass er kein Jude ist.
Spannend, tragisch, ironisch weist Va, vis et deviens an manchen Stellen auf
die besten Leistungen des Neorealismus hin, indem die starken Gefühle immer auch
mit einem sozialen Hintergrund, und mit einer historischen Perspektive,
verknüpft werden. Der äthiopische Rabbi sagt dem Protagonisten in einer
entscheidenden Szene des Films: Du musst die Thora nicht papageiartig
wiederholen, du musst sie interpretieren. Es geht nicht darum, die Wirklichkeit
darzustellen, sondern sie zu verändern. Das könnte als Motto dieses sehr schönen
Films gelten.
Mauro Ponzi, Jury Friedensfilmpreis
Foto: © Berlinale 2005
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