http://david.juden.at  
 
 

unterstützt von:


 

Die Renaissance und das Judentum

Klaus Samuel DAVIDOWICZ

Tradition und Assimilation – eines der klassischen Themen der jüdischen Geschichte ist bereits so alt wie das Judentum selbst. Es zieht sich von den biblischen „Fleischtöpfen Ägyptens" über die Probleme von „Deutschtum und Judentum" der vorletzten Jahrhundertwende bis zur Gegenwart. Weniger bekannt ist, dass es diese Auseinandersetzungen auch im italienischen Judentum der Renaissance gegeben hatte. Wie reagierte das italienische Judentum auf die aufblühende Kultur der Renaissance? Überhaupt nicht? Stellt sie die eigene Tradition bis hin zur völligen Assimilierung in Frage oder kommt es zu einer fruchtbaren Entwicklung wie im islamischen Spanien?

Das italienische Judentum ist uralt, es gibt Spuren bereits seit der Römerzeit. Es gab immer wieder jüdische Ansiedlungen – allerdings stets kleine. Ab dem 13. und 14. Jahrhundert sollte das anders werden. Wie bekannt, hatte die Kirche zu jener Zeit begonnen, Christen die Geldwirtschaft zu verbieten. Juden war der Zutritt zu Handwerkszünften verwehrt und man überließ ihnen den leidigen Geldverleih. So kam es, dass einzelne italienische Stadtstaaten einzelne jüdische Geldverleiher einluden. Diese bekamen eine bestimmte Aufenthaltsgenehmigung (condotta) und zogen andere Juden, teils aus familiären Gründen, nach. So entstanden in Ancona, Urbino, Perugia, Padua, Bologna oder Milano kleine jüdische Gemeinden, die von der Machtposition der Geldverleiher am Hof abhingen. Diese Geldverleiher waren oft nicht nur Finanzmenschen, sondern auch Gelehrte, Ärzte, Astrologen, Astronomen, Philosophen oder Kabbalisten. Waren sie es nicht, wurden sie manchmal zu Mäzenen, die Gelehrte finanziell unterstützten.

Die condotta war ein regelrechter Vertrag, durch den sich der Geldverleiher zu gewissen Vorschriften verpflichtete, doch auch wichtige Sonderrechte bekam, beispielsweise das Bürgerrecht, einen Wohnsitz und Zollfreiheit. Dieselbe Condotta wurde zwar maximal für eine bis zwei Personen erstellt, die als Inhaber der banchi fungierten, doch die Begünstigungen erstreckten sich auch auf deren Familienmitglieder, Mitarbeiter und sonstige mit dem jeweiligen banco und dessen Aktivität in Verbindung stehenden Personen.

Viele waren es, die sich dem medizinischen Studium mit großem Erfolg widmeten. Die Kenntnisse einiger der jüdischen Ärzte erstreckten sich weit über die Medizin hinaus in Bereiche wie die Philosophie, die Dichtung, die Literatur und die Sprachen. Sie könnten bereits als Vorreiter des für die Renaissance so typischen "universalen Menschen" bezeichnet werden.

Ab dem 15. Jahrhundert begannen die Gemeinden trotz kirchlicher antijüdischer Propaganda und Verfolgungen dennoch zu wachsen. Dies hing natürlich auch mit der Vertreibung der Juden in Spanien zusammen. Aber die Blüte des jüdisch-spanischen Mittelalters endete nicht mit der Vertreibung. Ihre Erben waren die Vertreter der Kultur der italienischen Juden zur Zeit der Renaissance, die sozusagen den Epilog dieser Epoche bildet. Was war die Renaissance des 15. Jahrhunderts? Es war eine Wiedergeburt der Ideale der Antike. Das Christentum schüttelte die Ketten der mittelalterlichen Askese und Scholastik ab. Es befreite sich von der kirchlichen Überwachung, von den Idealen der Sündlosigkeit und Heiligkeit, und schaute zurück auf die Kultur der Griechen und Römer. Diese vorchristliche Welt sollte das Modell der Renaissance sein. Der Renaissance-Mensch beginnt sein „ich" zu entdecken, seine Freiheit und Unabhängigkeit, seine Individualität, sein Selbstbewusstsein und seinen freien Willen. Der Humanismus schaute auf den Menschen, nicht auf seine Herkunft, seine Klasse. So hatten die Juden oft viel größere Freiheiten als anderswo. In den italienischen Universitäten studierten Juden Naturwissenschaften, Astronomie und Medizin. Unter Leo X. (Giovanni de Medici) als Papst, lebten die Juden Roms so friedlich, dass sie nach Jerusalem schrieben, ob es schon Zeichen dafür gegeben hätte, dass die messianische Ära bereits begonnen habe. Natürlich waren die Bedingungen, unter denen Juden lebten, von Stadt zu Stadt verschieden. In der Renaissance wurden die pantheistischen Ideale der Antike, die Vielzahl der Götter und die Kraft und Schönheit der Körper wieder entdeckt. Wie wirkte wohl die Sixtinische Kapelle des Michelangelo, wo Gott dargestellt ist, der Adam schafft auf Juden? Attilio Milano spricht in seinem Buch Storia degli ebrei in Italia vom "ebreo italiano del Rinascimento" (S.160-61) und meint damit einen bestimmten italienischen Judentypus, dessen charakteristische Züge vor allem die des Renaissance-Menschen waren.

Frühe Erforschungen der Juden in der Renaissance (wie Cecil Roth) sind trotz ihres durchaus lesenswerten Stils als überholt zu betrachten - neuere Erforschungen haben Robert Bonfil oder David Ruderman vorgelegt. Roth sah in der jüdischen Renaissancekultur eine Imitation der christlichen Umwelt. Juden schufen natürlich in Genren, die typisch für die Renaissance waren: Geschichte, Rhetorik, Biographie und Poetik, und bisher im Judentum vorherrschende literarische Gattungen, wie Auslegung, Predigt, Grammatik und Poetik wurden humanistisch modifiziert. Roth schrieb, „Wi es kristelt sich, azoi yidelt sich"- so wie es der Nichtjude macht, so macht es der Jude nach. Das riecht ein wenig nach frömmelnder Überheblichkeit. Die jüdische Kultur der Renaissance war ein fruchtbares Aufnehmen von ganz bestimmten Werten unter einer bestimmten Auswahl. Die Juden übernahmen nicht das humanistische Weisheitsideal der Griechen und Römer. Ihnen wurde bewusst, als sie in ihre eigene Vergangenheit schauten, dass sie selbst eine Weisheit, eine Sprache und Literatur besaßen, die älter als die der Griechen und Römer war. Um gerade zu vermeiden, die fremden Völker nachzuahmen, versuchten sie zu beweisen, dass in ihren Quellen bereist die humanistischen Ideale und Weisheiten existierten und diese die Griechen und Römer beeinflusst hatten. Sie schrieben Werke zu Grammatik, Rhetorik, Poetik, Geschichte und politischer Philosophie auf hebräisch oder italienisch, indem sie biblische Modelle anstatt der griechisch-römischen heranzogen. Es entstand eine Öffnung zu einer Welt, die sich im Aufbruch befand - keine Assimilation. Es war vielmehr eine Teilnahme an der Renaissance mit ihrer Betonung der freien Forschung.

Der Arzt Mose di Rieti (1388-1460) schrieb eine Art hebräische „Divina Comedia" und Jehuda ben Issak Arbabanel (Leone ebreo, 1460-1523) schuf mit den „Dialoghi di amore" ein wichtiges Stück Renaissance-Philosophie. Es geht um die Liebe. Das Wichtigste ist nicht der Besitz, sondern der Genuss des Schönen und Guten, was durch den Geliebten verkörpert wird.

Yehuda Messer Leon (1420-1490), ein Arzt und Lehrer, der in Padua, Mantua und Neapel lebte, hatte Rhetorik studiert und versuchte diese in der Bibel zu entdecken. Er kam zum Schluss, dass alle Lehren der Rhetorik dort zu finden sind, ja, dass diese die Quelle der Rhetorik sei. Früher hatte man im Judentum das Studium der Geschichte als Zeitverschwendung betrachtet. Gleich ob man Talmudist, Philosoph oder Kabbalist war - alle lehnten Geschichte ab. Nun wurden allein im 16. Jahrhundert rund ein Dutzend historischer Arbeiten verfasst. Dies zeigt eine bedeutende Veränderung an, die auf humanistisches Gedankengut zurückgeht. Man sollte in die Geschichte zurückgehen, um auszuwählen und zu studieren, um daraus für die Gegenwart zu lernen, wie es der erste jüdische Historiker seit Flavius Josephus, Azariah de Rossi (1511-1578), unternahm. Rossis „Meor Enajim" (Erleuchtung der Augen) von 1573 handelt von vielerlei Themen, wie von Philo oder der Septuaginta. „Imrei Binah" (Worte der Vernunft) war ein revolutionäres Werk, in der er u.a. die Bibel und die jüdische Chronologie untersuchte. Er bewies, dass der „antike" Jossipon ein Werk des Mittelalters war. Auch zeigte er, dass die Zeitrechnung „seit Erschaffung der Welt" erst im Mittelalter eingeführt wurde und dass weder in Bibel noch im Talmud ein Kalender „seit Erschaffung der Welt" erwähnt wird. Rossi arbeitete als historisch-kritischer Denker und verglich rabbinische Traditionen mit profaner Literatur als Kontrollinstanz. Sein Werk wurde natürlich heftig bekämpft, Josef Karo erließ sogar ein Dekret, dass man das Buch verbrennen müsse – Karo starb jedoch vorher. So wurde beschlossen, dass man es erst ab 25 lesen durfte. Die Haskala entdeckte es zum Glück wieder und ließ es 1794 neu drucken.

Erst die Renaissance, die den Menschen ins Zentrum rückte, machte eine literarische Gattung wie die Biographie möglich. Leone (Jehuda Arie) Modena (1571-1648) aus Venedig war Dichter, Prediger, Musiker, Astrologe, Alchemist und Spieler. Zu seinen Lebzeiten sank der Zenit der Renaissance und der jüdischen Kultur in Italien und die Zeit des Ghettos begann (bis 1800). Während der Gegenreformation wird die völlige Trennung der Christen von anderen „schädlichen" religiösen Einflüssen gefordert. 1516 wird das Ghetto von Venedig errichtet.

Sein „Chajje Jehuda" (Das Leben Jehudas) ist eine offene Autobiographie über gescheiterte Liebe und gescheiterte Berufe, Spielleidenschaft etc. Er sagte darin von sich, „dass er nicht zu den Gefärbten und Zweideutigen gehörte, und dass er nie anders dachte, als er sprach."

1593 begann seine berühmte Karriere als Prediger in der „Deutschen Schul" des Ghettos. Sein charismatischer Stil und seine Redegewandtheit bewirkten, dass auch venezianische Adlige, Botschafter, Priester und Mönche kamen, um ihn zu hören. Auf der einen Seite machte er eine geachtete Karriere und wurde Leiter der Jeschiwa - auf der anderen Seite verfiel er zunehmend der Spielsucht. Den Fehler suchte er aber nicht nur bei sich, sondern auch in den Planetenkonstellationen bei seiner Geburt. Sein Sohn Marco (Mordechai) hatte zusammen mit seinem Vater 1615 ein alchemistisches Laboratorium eingerichtet, in dem sie versuchten, aus neun Unzen Blei und einer Unze Silber, zehn Unzen Silber herzustellen. Bedingt durch den ungeschickten Umgang mit Arsen und anderen Materialien, erkrankte Marco und starb zwei Jahre später mit 26. Sein anderer Sohn Marino (Sebulon) wurde das Opfer seines etwas zwielichtigen Umgangs. Widersacher lockten ihn 1622 in einen Hinterhalt und ermordeten ihn. Modenas Frau starb 1641 im Wahnsinn. Er nannte die Ehe einen Mühlstein, der dem Menschen um den Hals gehängt wird, um ihn nieder zu reißen. Was ist der Sinn des Lebens nach Modena? Um dem Schöpfer Scherz und Kurzweil zu bescheren. Modena verfiel übrigens nicht der damals sehr in Mode gekommenen Kabbala, wie seine Schrift „Ari Nohem" (Brüllen des Löwen) zeigt. Es ist eine anti-kabbalistische Schrift, in der er zeigt, dass der „Sohar" aus dem 13. Jahrhundert stammt. Noch vor der modernen Kabbalaerforschung war Modena der Erste, der das bereits bewiesen hatte. Auch schrieb er in „Ben David" gegen die Seelenwanderung. Daneben war Modena ständig in Spielschulden verstrickt. Während der triumphale Prediger Modena die Zuhörer bewegte und abends am Spieltisch saß, hatte die jüdische Gemeinde 1629 eine Bannschrift gegen das Spielen entworfen. Modena war sichtlich getroffen. Er stellte in Frage, dass 71 Ratsmitglieder das Recht hätten, 2000 Menschen mit dem Bann zu bedrohen. Mit dieser Polemik gegen den Bann wird er zum Vorläufer Moses Mendelssohns. Modena verfasste auch eine Sammlung von jüdischen Riten und Gebräuchen auf Wunsch des englischen Botschafters Sir Heny Wotton. Diese „Historia de‘ Riti Hebraici" (1617) wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Als der talentierte Gelehrte schwer erkrankte, verfasste er nicht nur seinen letzten Willen, sondern auch gleich einen schlichten Vers für seinen eigenen Grabstein. Er starb im März 1648. Eine Liste seiner Besitztümer überlebte die Jahrhunderte und wurde veröffentlicht. Sie zeigt die Vielseitigkeit Modenas, unter dessen Büchern wir zahlreiche rabbinische und kabbalistische Texte finden, aber auch Boccaccio’s Decameron. Erst 150 Jahre später, im Berlin der Haskala, sollte es eine ähnlich fruchtbare Verbindung zwischen Aufklärung und Tradition wieder geben.

Zurück

 
webmaster@david.juden.at

Unterstützt von haGalil.com
haGalil onLine