Bereits in den Ausgaben 50, 52 und 60 erschienen Berichte
über virtuelle Synagogen-Rekonstruktionen. In diesem Heft wird eine weitere,
baulich ebenfalls nicht mehr existente Synagoge in Wien von Jakob Gartner
(1861-1921) vorgestellt. Die Synagogen an den Standorten Braunhubergasse und
Kluckygasse [1] wurden nahezu gleichzeitig ausgeführt (1898/99). Gartner hatte
wenige Jahre früher den bereits vorgestellten Synagogenbau am Humboldtplatz [2]
realisiert. In der Wiener Siebenbrunnengasse sollte 1908 eine weitere Synagoge
errichtet werden (David Nr. 52); überdies zeichnete Jakob Gartner für mehrere
Bauten dieses Typs in den umgebenden Kronländern der Monarchie verantwortlich
(z.B. Debrecen, Olmütz und Prerov). Aufgrund der guten Auftragslage war Gartner
wohl nicht darauf angewiesen, seine Arbeiten umfassend zu publizieren; auch in
zeitgenössischen Nachschlagewerken wird er höchstens am Rande erwähnt.
Synagoge in Wien-Simmering, Braunhubergasse 7, nach einem
Aquarell von Franz Zach
Die Rekonstruktion der Synagoge Braunhubergasse wurde von
Martin Kukacka im Rahmen einer Diplomarbeit [3] durchgeführt. Sie stellt
eine Fortschreibung der Vorgangsweise anderer, bereits abgeschlossener Diplom-
und Studienarbeiten dar. Das bedeutet u.a. die Beachtung von
Modellierungsstandards, da im dreidimensionalen Modell eine hohe
Detailgenauigkeit anzustreben ist. Es versteht sich von selbst, dass jede
Rekonstruktion auf gediegener Recherche basiert. Dennoch können zu einem
späteren Zeitpunkt weiterführende Erkenntnisse zur Verfügung stehen. Diese
sollten in die ursprüngliche Rekonstruktion ohne Schwierigkeiten einzuarbeiten
sein.
In diesem Fall waren vollständige Einreichpläne vorhanden.
Darüber hinaus wurde der Außenraum mittels Aquarell und einige wenige
Schwarz-weiss-Fotografien (von mäßiger Qualität) dokumentiert. Ebenso wie bei
anderen Gartner-Synagogen fehlen jegliche Innenraumaufnahmen. Es kann dennoch
nicht ausgeschlossen werden, dass im privaten Besitz sehr wohl Aufnahmen
erhalten geblieben sind. Um eine breitere Öffentlichkeit auf die Thematik der
zerstörten Synagogen aufmerksam zu machen und etwaige virtuelle
Rekonstruktionsergebnisse zu vermitteln, wurde im Jahre 2003 die bis dahin auf
Deutschland beschränkte Internetplattform
http://synagogen.info um Österreich
erweitert. Es sollte auf diesem Wege ein gesteigerter Informationsaustausch
unterstützt werden. In diesem Internetarchiv werden Eckdaten (Bestand),
Bildmaterialien, Kommentare (Zeitzeugenberichte) etc. gesammelt. Es bleibt daher
zu hoffen, dass individuelle Nutzer ihre Gartner-Fundstücke" verfügbar machen.
Rekonstruktion der Synagoge in Wien-Simmering mit Blick auf
den Thoraschrein (Innenraumperspektive)
Die zweigeschoßige Synagoge in der Braunhubergasse nutzt ein
Eckgrundstück. Damit unterscheidet sie sich von anderen Synagogen: Meistens fügt
sich ein Synagogenbau in die Straßenfront ein, ohne diese zu dominieren. Die
Eingliederung des mittels Vorgärtchen zurückversetzten Baues zeigt, dass man
trotz Ecklage um Unauffälligkeit bemüht war. Hinzu kommen zwei ebenso wenig
spektakuläre Zubauten: der Wintertempel zur Hugogasse und die
Tempeldienerwohnung zur Braunhubergasse. Erschlossen wurde die Synagoge in der
Braunhubergasse durch drei Portale, welche zu den Vorräumen der Vorhalle
führten. Von diesen Vorräumen aus gelangte der Besucher zu den Stiegenaufgängen
(Verbindung zu den Emporen) und dem Vestibül. Über dieses Vestibül wurde in
weiterer Folge der dreischiffige Tempelraum erschlossen.
Rekonstruktion mit Blick auf den Westeingang
(Innenraumperspektive)
Martin Kukacka geht in seiner Diplomarbeit Fragen zur
Orientierung und Ornamentik eingehend nach. Er meint dazu: Der Haupteingang der
Synagoge zeigte mit einer leichten Abweichung nach Norden und führte auf die
Braunhubergasse. Der Thoraschrein war nach Süden orientiert. Möglicherweise
wurde die Fassade der Hugogasse, welche nach Osten weist, wegen dieser
ungeeigneteren Ausrichtung des Grundstückes so reich dekoriert ausgestattet.
Üblicherweise befindet sich nur über dem Haupteingang eine Rosette. In diesem
Fall befand sich jedoch auch über dem Nebeneingang eine Rosette, obwohl die
Hugogasse eine Sackgasse war."
Die vorliegende Rekonstruktion ermöglicht dem Betrachter
vordergründig einen Eindruck vom wiedergewonnenen" Innenraum in seinen drei
Dimensionen. Sie stellt somit einen weiteren Baustein in der
Sichtbarmachung dessen was einmal gewesen ist, dar. Insbesondere die
vergleichende Auseinandersetzung mit den bereits virtuell rekonstruierten
Synagogen verdient großes Interesse, sind doch bedeutsame parallele Auffassungen
ablesbar.