Gekürzte Fassung eines
Beitrags aus dem soeben erschienen Band Stephan Grigat (Hg.):
Feindaufklärung und Reeducation. Kritische Theorie gegen Postnazismus und
Islamismus. Freiburg: ça ira-Verlag 2006
Während einige Studenten Ende der sechziger Jahre in den
Nachfolgestaaten des Nationalsozialismus nach einem kurzen Erschrecken über ihre
Eltern meinten, es sei eine gute Idee, dem Volke zu dienen" oder sich von den
palästinensischen Fedayin ausbilden zu lassen, ahnten die aus dem
US-amerikanischen Exil nach Frankfurt zurückgekehrten Sozialwissenschaftler Max
Horkheimer und Theodor W. Adorno schon früh, wohin dieser deutsche Aufbruch
führen würde und setzten dagegen die Solidarität mit den prospektiven Opfern.
Diese Solidarität führte zwar nicht dazu, die Bedeutung des Zionismus in vollem
Ausmaß zu erfassen, aber sie implizierte ganz selbstverständlich die Solidarität
mit Israel als Zufluchtstätte für alle vom Antisemitismus Bedrohten.
Max Horkheimer war sich bereits im Klaren darüber, daß der
Antizionismus als Platzhalter für den Antisemitismus dienen mußte und sah die
diesbezüglichen Überschneidungen zwischen staatssozialistischer und
nationalsozialistischer Propaganda. 1969 schrieb er in einem Brief: In der
Nationalzeitung wird das Wort `Juden`, wie in den Zeitungen des Ostblocks,
durch `Zionisten` (
) ersetzt." Wie man in einer Notiz aus dem Jahre 1970
nachlesen kann, registrierte Horkheimer, auch wenn das in der öffentlichen
Auseinandersetzung mit der Studentenbewegung kaum eine Rolle spielte, die
Verbrüderung der deutschen Linken mit der damals noch viel unumwundener auf
Vernichtung setzenden palästinensischen Nationalbewegung.
In seinen Notizen zur Situation nach dem israelischen
Sinai-Feldzug stellte er heraus, wie das Anlegen gleicher Maßstäbe in der
Staatenkonkurrenz auf Grund der ungleichen Ausgangsbedingungen zum Angriff auf
Israel gerät. Er registrierte das Desinteresse für die Aggressionen der
arabischen Regierungen und strich heraus, daß sich ein Staat wie Israel anders
gegen seine Feinde zur Wehr setzen muß als eine Weltmacht: zeitweise präventiv
und aggressiv.
Von Adorno weiß man zwar aus seiner Korrespondenz, daß er es
mitunter ablehnte, bei proisraelischen Veranstaltungen als öffentlicher Redner
aufzutreten. Am 20. Juni 1967 schrieb er beispielsweise an Horkheimer: Ich
sollte bei einer pro-israelischen Veranstaltung (
) als einer der Hauptredner
(
) auftreten. Ich habe das aber abgesagt, aus mehr als einem Grund. Auch in
dieser Absage weiß ich mich mit Dir einig." Was die genauen Gründe dafür waren,
erfährt man nicht. Doch aus anderen Schriften darf man folgern, daß solche
Absagen keineswegs aus mangelnder Sympathie für den Staat der Shoahüberlebenden
zustande kamen. Am 5. Juni 1967, dem Tag des Ausbruchs des Sechs-Tage-Krieges,
schrieb Adorno an seine Wiener Freundin Lotte Tobisch: Wir machen uns
schreckliche Sorgen wegen Israel. (
) In einem Eck meines Bewußtseins habe ich
mir immer vorgestellt, daß das auf die Dauer nicht gut gehen wird, aber daß sich
das so rasch aktualisiert, hat mich doch völlig überrascht. Man kann nur hoffen,
daß die Israelis einstweilen immer noch militärisch den Arabern soweit überlegen
sind, daß sie die Situation halten können." Einen Tag später sprach er
öffentlich, als er sich zu der Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg in Berlin
äußerte, auch von dem Furchtbaren, das Israel, der Heimstätte zahlloser vor dem
Grauen geflüchteter Juden, droht." Zwei Jahre später war Adorno vom
Niederbrüllen des israelischen Botschafters in Frankfurt durch deutsche linke
und arabisch-nationalistische Studenten dermaßen entsetzt, daß er in einem Brief
an Herbert Marcuse gar von der Gefahr eines Umschlagens der Studentenbewegung in
Faschismus sprach.
Marcuse, der für die regressiven Tendenzen in der
Studentenbewegung sehr viel weniger sensibilisiert war als Adorno und Horkheimer,
erklärte sich mit dem Grundmotiv der zionistischen Bewegung solidarisch: Ich
kann nicht vergessen, daß die Juden jahrhundertelang zu den Verfolgten und
Unterdrückten gehörten, daß sechs Millionen von ihnen vor nicht allzu langer
Zeit vernichtet worden sind. Das ist eine Tatsache. Wenn endlich für diese
Menschen ein Bereich geschaffen wird, in dem sie vor Verfolgung und
Unterdrückung keine Angst mehr zu haben brauchen, so ist das ein Ziel, mit dem
ich mich identisch erklären muß." In der Jerusalem Post, wo er 1972 seine
Eindrücke von einer zweiwöchigen Israelreise zusammenfaßte, schrieb er: Ich
glaube, daß der historische Zweck der Gründung des Staates Israel darin bestand,
eine Wiederholung von Konzentrationslagern, Pogromen und anderen Formen der
Verfolgung und Diskriminierung zu verhindern. Diesen Zweck (...) unterstütze ich
voll." Er war sich auch bewußt darüber, daß dieser Zweck nicht in Form eines
UN-Reservats für Juden und Jüdinnen oder durch andere paternalistische Maßnahmen
jener Weltgemeinschaft erreicht werden kann, die sich von der Shoah kaum
beeindruckt gezeigt hat: Unter den gegenwärtigen internationalen Bedingungen
setzt die Verfolgung dieses Zwecks die Existenz eines souveränen Staates voraus,
der verfolgte oder von Verfolgung bedrohte Juden aufnehmen und schützen kann."
Gleichzeitig äußerte Marcuse scharfe Kritik an der Art der
israelischen Kriegsführung, an Folterungen und an Diskriminierungen der
arabischen Bevölkerung in Israel. Die Empörung über Derartiges trieb ihn soweit,
daß er in einem Interview mit einer linken us-amerikanischen Zeitung 1970
meinte, jenen zustimmen zu müssen, die grundsätzlich kritisch gegenüber Israel
eingestellt sind." Zugleich wies er aber die antizionistische Propaganda solcher
grundsätzlichen" Kritiker in die Schranken, wandte sich gegen die Mär von
Israel als us-amerikanischem Brückenkopf und wies gegen die Vorstellung von der
besonderen Perfidie des israelischen Staates auf das Wesen von Staatlichkeit im
allgemeinen hin: In all diesen Aspekten unterscheidet sich die Gründung des
jüdischen Staates nicht wesentlich von den Ursprüngen praktisch aller Staaten in
der Geschichte: der Gründung durch Eroberung, Besetzung und Diskriminierung."
Marcuse brachte eine Reihe von realpolitischen Vorschlägen
zur Beendigung des permanenten Kriegszustands im Nahen Osten zu Papier, die
stark von seinen optimistischen Vorstellungen hinsichtlich der zukünftigen
Entwicklungen jener Potentiale geprägt waren, die auf die allgemeine
Emanzipation zielen. Allerdings formulierte Marcuse auch eine entscheidende
Einschränkung für seine Versöhnungsvorschläge. Im Vorwort für die hebräische
Ausgabe von Der eindimensionale Mensch nennt er eine Bedingung für eine
friedliche Koexistenz von Juden und Arabern im Nahen Osten, die bis heute nicht
erfüllt ist: Nur eine freie arabische Welt kann neben einem freien Israel
bestehen."
Als Staat, dessen vorrangige Aufgabe die Verhinderung der
Vernichtung ist, und der den Überlebenden des nazistischen Mordprogramms ein
Refugium gab, galt Israel bei aller Kritik im einzelnen die Solidarität der
Kritischen Theorie von Adorno, Horkheimer und Marcuse. Horkheimer, der sich in
seinen Notizen und später auch öffentlich geradezu polternd über den
Eichmann-Prozeß echauffierte, dabei den israelischen Politikern allerdings
zugestand, daß sie den neuen Staat in der rasch sich bewegenden Welt zu lenken
haben" und sich schon daher kaum den Luxus leisten könnten, den Bedenken eines
kritischen Theoretikers nachzuhängen", sah in der Gründung Israels allerdings
auch ein Moment der Resignation. Während im jüdischen Messianismus das Moment
der Hoffnung auf den versöhnten Zustand aufbewahrt sei und die jüdische Diaspora
auf Grund der Erfahrung der Verfolgung das Negative des Bestehenden"
verkörpere, sei das jüdische Volk in der Realisierung des zionistischen Traums,
wie es in der Notiz Staat Israel Anfang der 60er Jahre heißt, selber
positiv geworden. Nation unter Nationen, Soldaten, Führer, money-raiseres
für sich selbst. Wie einst das Christentum in der katholischen Kirche, nur
weniger aussichtsreich, soll im Staat Israel das Judentum zunächst das Ziel
erblicken; wie hat es doch im Triumph seines zeitlichen Erfolges im Grunde
resigniert!"
In einer merkwürdigen Analogie sah er in der Notiz
Ausgeträumt in der jüdischen Diaspora und im messianischen Vertrauen", das
sich in der politischen Realität antizionistisch artikuliert, Verbündete der
trotz aller Aussichtslosigkeit an der allgemeinen Befreiung festhaltenden
Kritischen Theorie. Der israelische Staat hingegen erscheint an solchen Stellen
in seiner zwangsläufigen Positivität als eine Art sozialdemokratisches
Arrangement mit der schlechten Realität. Wie aber kann man es dem Zionismus zum
Vorwurf machen, positiv" geworden zu sein, wo der Materialismus mit all seinem
im besten Sinne negativen Potential doch eine einzige Geschichte des Scheiterns
geschrieben hat, wo er nicht in der Lage war, die gesellschaftlichen Gründe für
den Antisemitismus aus der Welt zu schaffen? Was nützt die im jüdischen
Messianismus antizipierte und aufbewahrte Erinnerung an die Versöhnung sowie die
in der Kritischen Theorie festgehaltene Hoffnung auf die allgemeine Emanzipation
und die Möglichkeit zur befreiten Gesellschaft, wenn die Juden tot sind?
Antiimperialismus als Feind der Emanzipation
Es ist nicht allein das Bewußtsein über die Gefahren, denen
die israelische Gesellschaft ausgesetzt ist, welches die Kritische Theorie
spätestens ab Mitte 1967, nach der propalästinensischen Wende der
deutschsprachigen Linken, auch in diesem Punkt in einen Gegensatz zum linken
Mainstream brachte, und das sie so unangenehm aktuell macht. Insbesondere von
Horkheimer gibt es zahlreiche hellsichtige Äußerungen zum Antiimperialismus.
Bereits 1960 schrieb er in einem Brief: Die Souveränitat eines Landes ist etwas
anderes als die Freiheit derer, die in ihm leben." Insbesondere in Horkheimers
Notizen finden sich immer wieder weitsichtige Ausführungen zu einem möglichen
Bündnis zwischen Deutsch-Europa und den auf die Vernichtung Israels abzielenden
arabischen Staaten. Besonders deutlich formulierte er seine Befürchtungen in
einer längeren Notiz aus dem Jahr 1960, die den Titel Vom Sinn des
Neonazismus trägt: Um die Jahreswende 1959/60 sind in sehr vielen
westlichen oder zum Westen haltenden Ländern Synagogen und andere Gebäude mit
pronationalistischen, antisemitischen Losungen und Symbolen bedeckt worden. (
)
Ich habe eine Vorstellung vom Sinn der Aktion. Sie geht von Nasser und seinen
nazistischen Beratern aus, hinter denen mutmaßlich auch manche Gruppen in
Deutschland stehen. Trotz Wirtschaftswunder und Aufrüstung ist die
Bundesrepublik allein zu schwach, um den Traum vom Dritten Machtfaktor oder
wenigstens des Züngleins an der Waage zu verwirklichen. Nicht wenige mächtige
Männer mögen deshalb einen Sinn, ja ein Interesse an Nassers Ideen haben, das
Feldgeschrei gegen Israel, das die arabischen Völker einigen sollte, auch auf
weitere Nationen auszudehnen. (
) Der Plan ist die starke, Rußland wie Amerika
gegenüber machtvolle, dritte Gewalt darzustellen, einen faschistischen Block,
der Staaten der alten Welt mit den sogenannten unterentwickelten Völkern
zusammenfaßt."
Ähnliche Befürchtungen formulierte auch Adorno. In Was
bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, ein Aufsatz, der in der
universitären Linken der 60er und 70er Jahre stark rezipiert wurde, ohne daß die
Warnungen vor einem regressiven Antiimperialismus zu breiteren Diskussionen
geführt hätten, schreibt er: Das faschistische Wunschbild heute verschmilzt
ohne Frage mit dem Nationalismus der sogenannten unterentwickelten Länder (...).
Einverständnis mit denen, die in der imperialistischen Konkurrenz sich zu kurz
gekommen fühlten, und selber an den Tisch wollen, drückte schon während des
Krieges in den slogans von den westlichen Plutokratien und den proletarischen
Nationen sich aus."
Bei Horkheimer heißt es 1960 in einem Brief hinsichtlich der
Zunahme offen nazistischer Manifestationen in der BRD: Entscheidend ist, daß
die Angelegenheit nicht auf Deutschland beschränkt ist, vielmehr in ihr eine
Mächtekonstellation sich ankündigt, deren Modell Herr Nasser und die alten Nazis
in Kairo bilden. Wenn der anti-israelische Slogan bei der Einigung der Araber
seine Dienste tut, so soll (
) der antijüdische ein Bündnis der
unterentwickelten Orientalen mit anderen Teilen der Welt, die von den
Angelsachsen, wie den Kommunisten, sich emanzipieren wollen, vorbereiten. In
zukünftigen Krisen, die denen vom Ende der zwanziger Jahre gar nicht so
unähnlich zu sein brauchten, könnte es geboren werden."
Hier liegt die Aktualität Kritischer Theorie leider deutlich
auf der Hand. Horkheimer hat das unmenschliche Wesen des Antiimperialismus früh
erkannt. Deutschland hat mit seiner spezifischen Variante eines antiwestlichen
Antiimperialismus als Form nachholender Entwicklung ein attraktives Modell für
den Dritte-Welt-Antiimperialismus geliefert, mit dessen arabischen Ausprägungen
schon das nationalsozialistische Deutschland das Bündnis gesucht und gefunden
hatte.
Es ist kein Zufall, daß gerade jene Intellektuelle, die sich
so entscheidend vom gängigen Marxismus und der real-existierenden Linken
abgrenzten, sich mit Israel solidarisch zeigten. Wenn Praxis, die auf allgemeine
Emanzipation zielt, abgeschnitten ist, stellt sich die Frage, was man überhaupt
noch tun kann. Die Einsicht, daß man zumindest die Rudimente der bürgerlichen
Freiheit verteidigen muß, ist durchaus eine naheliegende Antwort. Es ist dies
eine Freiheit, die in Israel seit der Staatsgründung gegen die
vernichtungswütigen Nachbarn und was aber etwas völlig anderes ist gegen
einige Kräfte im Innern der Gesellschaft behauptet werden muß. Wenn es einem
heute angesichts der fast weltweit um sich greifenden regressiven Tendenzen
zumindest noch um die Aufrechterhaltung der Möglichkeiten der kritischen
Reflexion zu tun ist, so kann man ohne weiteres einer Feststellung von Max
Horkheimer aus dem Jahr 1967 zustimmen als er in einer Notiz über Die
Pseudoradikalen meinte: Heute kommt es (
) darauf an, zu retten, was von
der persönlichen Freiheit noch übrig ist. Radikal sein heißt heute konservativ
sein."
Auch wenn Autoren wie Moshe Zuckermann, der auf
antizionistischen Kongressen gerne gesehenen Leiter des Instituts für deutsche
Geschichte an der Universität Tel Aviv, meinen, Zionismus und Kritische Theorie
seien schlicht unvereinbar, ist der kritische Pessimismus eines Adorno dem
Zionismus in mancher Hinsicht durchaus verwandt. Der Mainstream-Marxismus hat
sich bekanntlich auch von der Shoah nicht von seinem optimistischen
Geschichtsverständnis abbringen lassen. Für Zionismus und Kritische Theorie
hingegen markiert der Nationalsozialismus den welthistorischen Bruch. Der
Zionismus zog die praktischen Konsequenzen aus dem Scheitern sowohl aller
Assimilierungsversuche als auch der bürgerlichen und sozialistischen
Gleichheitsversprechen und mißtraut seit dem jedem Versöhnungsangebot. Die
Kritische Theorie zog die theoretischen Konsequenzen aus der Katastrophe für die
materialistische Gesellschaftskritik, mißtraut jedem begriffslosen Praktizismus,
jedem linken Heilsversprechen und konfrontiert die emanzipative Kritik mit dem
kategorischen Imperativ, alles Handeln so einzurichten, daß Auschwitz sich nicht
wiederhole.
Stephan Grigat ist Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft
in Wien und Forschungsstipendiat in Tel Aviv.