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„Damals als sie die Juden abholten…"
Sind die irakischen Juden im neuen Irak willkommen?

Thomas SCHMIDINGER

„Hier wo wir jetzt stehen war der jüdische Friedhof." erklärt mit Ahmed mit einer ausladenden Handbewegung die auf ein trockenes Stück Land mit faustgroßen Steinen verweist, das auf einer leichten Anhöhe neben der Altstadt liegt. „Du wirst hier aber nichts mehr finden. Wir haben zwar noch die Erinnerung an den Friedhof bewahrt, aber niemand hat sich um die Grabsteine gekümmert."

Kifri, eine alte Handelsstadt im Nordirak, hatte einst eine große jüdische Gemeinde. Neben der kurdischen und turkmenischen Bevölkerung bildeten die Juden mit rund einem Viertel der Bevölkerung die dritte Bevölkerungsgruppe der Stadt. Die Juden von Kifri fühlten sich als gleichberechtigte Bürger ihrer Stadt und pflegten freundschaftliche Beziehungen zu Kurden und Turkmenen. Sie sprachen Kurdisch, Arabisch und Turkmenisch, wie die Kurden und Turkmenen der Stadt auch. Kifri ist eine tolerante Stadt. An der Kreuzung alter Karawanenwege zwischen Iran, Kurdistan und Bagdad gelegen, war die Bevölkerung immer mit neuen Ideen und Entwicklungen konfrontiert. Zwar wusste jeder zu welcher Bevölkerungsgruppe er gehört, konnte aber jeweils auch die Sprache des anderen. Das ist auch heute noch so. In Kifri ist bis heute nicht – wie etwa in Kirkuk - der Wettbewerb ethno-nationalistischer Gruppen ausgebrochen. Man kennt und respektiert sich in der Kleinstadt. Zwar wird unter sich geheiratet, aber man trifft sich im Suq oder in der Bar auf ein Bier.

Auch in den Fünfzigerjahren war Kifri eine tolerante Stadt. Juden und Muslime lebten gemeinsam in den alten Mauern der Stadt, die umgeben von Dattelpalmen in einer Talmulde liegt. Die Familie des lokalen Mullah, dessen Sohn später lokaler Parteichef der Kommunistischen Partei wurde, lebte mit einem jüdischen Ehepaar unter einem Dach. Der Arabische Nationalismus erreichte die Stadt ebenso wenig, wie die Farhud, der Pogrom an den irakischen Juden in Bagdad, den prodeutsche arabische Nationalisten 1941 vom Zaum brachen. Die Juden von Kifri hörten 1948 zwar von der Gründung Israels, dachten jedoch keinen Augenblick daran dort hinzugehen. Israel war für sie ebenso weit, wie der Zionismus oder der arabische Nationalismus.

Doch dann kamen an einem Tag des Jahres 1951 LKWs der irakischen Armee vorgefahren. Ahmed kann sich noch genau an den Tag erinnern: „Ich war damals noch ein Kind, aber ich kann mich noch genau daran erinnern, wie sie plötzlich die Juden zusammengetrieben und auf die LKWs verladen haben. Es wurde ihnen nicht einmal eine Stunde Zeit gelassen ihre Sachen zu packen." Ein kleiner jüdischer Junge, der gerade außerhalb der Stadt die Ziegen hütete, kam am Abend zurück in die Stadt und musste feststellen, dass seine ganze Familie und all sine Verwandten deportiert worden waren. „Dieser Junge" erzählt Ahmed, „hat nie wieder etwas von seinen Eltern gehört. Er wurde dann von einer islamischen Familie aufgenommen und nahm einen islamischen Namen an. Er fragt sich heute noch, was aus seiner Familie geworden ist."

Insgesamt wurden 1950/51 130.000 irakische Jüdinnen und Juden im Rahmen der Operation Ali Baba über Zypern nach Israel ausgeflogen. Während nach der Farhud und den antisemitischen Angriffen nach der Gründung Israels viele Juden aus Bagdad dies als Befreiung empfanden, kam die Ausweisung für andere Jüdinnen und Juden in den irakischen Kleinstädten aus heiterem Himmel.

Damit hatten zwar die meisten, jedoch nicht alle irakischen Juden das Land verlassen. In den Synagogen Bagdads, Basras und Mossuls wurden auch nach dem Putsch Abd al-Karim Qasims 1958 Gottesdienste abgehalten und jüdische Feiertage begangen.

Die Konflikte zwischen der irakischen Linken einerseits und den arabischen NationalistInnen andererseits und die daraus resultierende Abfolge von Revolten, Straßenkämpfen, militärischen Umstürzen und Ausschreitungen der Baathisten und anderer Nationalisten gegen die Linke führten jedoch auch unter der jüdischen Bevölkerung zu wachsender Unsicherheit und beschleunigten deren Auswanderung. Zu einer weitern Auswanderungswelle tausender verbliebener Jüdinnen und Juden sollte es jedoch erst nach der arabischen Niederlage im Sechstagekrieg und der endgültigen Machtergreifung der Baath-Partei 1968 kommen.

Die Arabische Sozialistische Baath-Partei hatte nie ein Hehl aus ihrer antisemitischen Gesinnung gemacht und begann neben der blutigen Bekämpfung der kommunistischen und kurdischen Opposition mit einer Kampagne gegen vermeintliche „zionistische Agenten", die bereits ein halbes Jahr nach ihrer Machtergreifung, im Januar 1969 mit einem im Fernsehen übertragenen Schauprozess gegen 14 Personen, darunter neun Juden wegen „Spionage für Israel" und der folgenden öffentlichen Hinrichtung der Beschuldigten ihren ersten Höhepunkt erfuhr. Mit der gezielten Repression gegen die kleinste und wehrloseste Minderheit des Irak begann ein Regime, das das Land schrittweise in eine „Republik der Angst" (Kanan Makiya) verwandelte. Weitere Schauprozesse und eine verschärfte antisemitische Propaganda führten zu einer Massenflucht des Großteils der verbliebenen jüdischen Bevölkerung. Es verblieb nur eine kleine jüdische Gemeinde in Bagdad mit einer noch funktionierenden Synagoge, der 1942 errichteten Meir Taweig-Synagoge. Die verbliebenen Juden Bagdads versteckten nach außen oft ihre religiöse Zugehörigkeit und versuchten, sich ihrer muslimischen Umgebung anzupassen.

Während die Jungen oft auf abenteuerlichen Wegen versuchten, das Land zu verlassen, blieb eine Handvoll alter Leute zurück. Der letzte Rabbiner Bagdads verstarb Mitte der 90er Jahre. Nachdem der Baathismus fast alle irakischen Jüdinnen und Juden vertrieben und ermordet hatte, stellte er die Überlebenden unter seinen Schutz. Die Regierung förderte den Erhalt der Synagoge und führte die Existenz einer jüdischen Gemeinde immer wieder als Beweis für ihre Toleranz gegenüber „guten", das heißt antizionistischen Juden an. Die eingeschüchterten Reste des irakischen Judentums wurden nicht zuletzt internationalen Journalisten vorgeführt um den Vorwurf des Antisemitismus zu entkräften und die „Toleranz" des Regimes unter Beweis zu stellen. Rüdiger Göbel von der antiimperialistischen Tageszeitung „Junge Welt" interviewte etwa noch im April 2002, also ein Jahr vor dem Sturz Saddam Husseins, den damals fast Siebzigjährigen Leiter der jüdischen Gemeinde in Bagdad Naji Gabriel Jacob, der vor dem deutschen Journalisten beteuern durfte, dass es „keinen Unterschied zwischen den Religionen. Juden, Christen, Schiiten, Sunniten" gebe und sie ihre „religiösen Freiheiten im Irak" hätten.

Trotz dieses Schutzes kam es am 4. Oktober 1998 noch zu einem weiteren Anschlag eines agyptische Terroristen palästinensischer Herkunft auf die letzte Synagoge Bagdads, bei dem zwei Juden und zwei Muslime starben.

Die verbliebenen 30 bis 40 Jüdinnen und Juden Bagdads waren nach dem Sturz Saddam Husseins im April 2003 alle über 60, die meisten über 80 Jahre alt. Einige der ältesten pflegebedürftigen Gemeindemitglieder wurden bereits 2003 zu ihren Verwandten nach Israel ausgeflogen. Hoffnungen irakischer Juden in Israel oder den USA bald zumindest als Touristen wieder in den Irak zurückkehren zu können, erwiesen sich jedoch als verfrüht. Wenige Monate nach dem Ende des Regimes begannen alte Anhänger Saddam Husseins gemeinsam mit radikalislamistischen Terroristen, die teilweise Beziehungen zu al-Qaida unterhalten, das Land erneut mit Terror zu überziehen. Neben dem Sunnitischen Dreieck zwischen Bagdad, Mossul und der syrischen Grenze wurde die Hauptstadt selbst, in der die verbliebenen irakischen Jüdinnen und Juden leben, zum Zentrum des neuen Terrors. Die verbliebenen alten Leute wagen es seither kaum mehr das Synagogengelände zu verlassen und werden dort von muslimischen Wächtern vor Terroranschlägen bewacht. An eine Wiederaufnahme der Beziehungen irakischer Jüdinnen und Juden zu ihrer alten Heimat, ist damit vorerst nicht mehr zu denken.

Unter dem Druck der Islamisten verstärkten sich zudem auch die antiisraelischen Positionen der neuen irakischen Regierung. Während manch irakischer Politiker – selbst aus gemäßigt-schiitisch-islamistischen Parteien unter vier Augen über eine Normalisierung des Verhältnisses zu Israel nachdenkt, wagt heute kaum mehr ein irakischer Politiker dies auch öffentlich zu sagen. Nachdem Mithal al-Alusi, der Parteichef der Nationaldemokratischen Partei des Irak 2004 Israel besucht hatte, wurde nicht nur seine Partei aus dem Irakischen Nationalkongress Ahmed Chalabis geworfen. Terroristen ermordeten im Februar 2005 seine beiden Söhne.

Für viele in Israel lebende Irakis, die oft immer noch starke emotionale Bindungen an ihre alte Heimat haben, war somit auch die neue irakische Verfassung ein Schlag ins Gesicht. Doppelstaatsbürgerschaften von Exilirakerinnen und Exilirakern werden darin ausdrücklich zugelassen, allerdings mit einer Ausnahme: Israel.

In Kifri pflegen einige ältere Leute trotzdem noch die Erinnerung an ihre einstigen jüdischen Mitbürger. „Wir würden uns freuen, wenn wir eines Tages wieder von ihnen hören würden." sagt Ahmed. Ein Freund fügt hinzu: „Damals als sie die Juden abholten, haben einige wenige Muslime gelacht und sich über die Juden lustig gemacht. Ich habe ihnen damals gesagt, dass dies erst der Anfang ist und sie eines Tages nicht mehr über die Juden lachen werden. So ist es dann auch gekommen. Unter den Baathisten wurden schließlich auch wir, die Kurden, verfolgt. Heute lacht hier niemand mehr über die Leiden der Juden, denn wir haben nun mit eigener Haut erlebt was es heißt verfolgt zu werden."

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