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Der Nahe Osten am Wendepunkt:
Europas Politik im Friedensprozess

Benita FERRERO-WALDNER

Der Nahe Osten ist in einer entscheidenden Phase. Nach den Wahlen zu Israels Knesset im März und dem Sieg der Hamas bei den palästinensischen Parlamentswahlen im Jänner dieses Jahres müssen die internationale Staatengemeinschaft und insbesondere die Europäische Union einen klaren Kurs halten.

Aufgrund unserer wichtigen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen und nicht zuletzt unserer engen Freundschaft mit dem Staat Israel hat der Nahe Osten eine zentrale strategische Bedeutung für die Europäische Union. Insbesondere die Fortführung des Friedensprozesses ist der EU und ihren Mitgliedsstaaten ein besonderes Anliegen. Denn nur eine friedliche, endgültige und umfassende Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes kann dauerhaft Stabilität in der Region schaffen. Daher engagiert sich die Europäische Union als politische Vermittlerin, als Handelspartnerin und nicht zuletzt als größte Geberin von humanitärer und wirtschaftlicher Hilfe in der Region.

Premierminister Ehud Olmert und Dr. Benita Ferrero Waldner, EU-Kommissarin für Außenbeziehungen und Europäische Nachbarschaftspolitik

Die Anerkennung Israels und seines Existenzrechts und die Sicherheit und der Wohlstand seiner Menschen müssen dabei natürlich außer Streit stehen. Das sind unverrückbare Konstanten der europäischen Außenpolitik. Wer diese Grundkoordinaten nicht teilt, nimmt sich selbst aus dem politischen Spiel.

Gleichzeitig ist die Schaffung eines freien, demokratischen und lebensfähigen Palästinenserstaates ein Kernziel der internationalen Politik. Diese Zwei-Staaten-Lösung steht im Zentrum der „Wegskizze zum Frieden", die vom Nahostquartett (EU, USA, Russland und UN) vorgezeichnet wurde.

Im Sinne dieser ausgewogenen Friedenspolitik hat die Europäische Union stets Gewaltakte seitens aller palästinensischen Kräfte aufs Schärfste verurteilt und Israels Recht, seine Bürger innerhalb der Grenzen des Völkerrechts zu schützen, respektiert. Terrorismus und feige Anschläge sind durch nichts zu rechtfertigen. Dazu kommt, dass die palästinensischen Behörden entscheidende Fortschritte bei wirtschaftlichen und politischen Reformen machen müssen.

Zum anderen vertritt die EU die Auffassung, dass auch Israel weitere Schritte unternehmen muss. So muss es seine völkerrechtswidrigen Siedlungsaktivitäten in den besetzten Gebieten stoppen, vor allem da diese die Zwei-Staaten-Lösung physisch unmöglich machen können. Gleiches gilt für jenen Teil der von Israel unilateral errichteten „Sicherheitsbarriere", der sich jenseits der so genannten „Green Line" befindet. Umgekehrt war der israelische Abzug aus Gaza 2005 ein wichtiger Schritt im Hinblick auf eine Wiederbelebung des Friedensprozesses, dem weitere Schritte folgen sollen. In der Folge hat die EU mit der Zustimmung aller betroffenen Parteien die Überwachung des Grenzüberganges Rafah zwischen Gaza und Ägypten übernommen – ein Beitrag zu Sicherheit ebenso wie zur Freizügigkeit in der Region.

Der Wahlsieg der Hamas im Jänner 2006 hat die internationale Gemeinschaft mit einer neuen, sehr komplexen Situation konfrontiert. Die Europäische Union hat diesen Urnengang mit einer Beobachtungsmission von 240 Experten überwacht, um eine im wahrsten Sinne „freie Wahl" zu ermöglichen. Das ist ein Beitrag zum Aufbau der Infrastruktur eines demokratischen Palästinenserstaates. Gerade in einer Region, in der das weitgehende Fehlen von politischer Mitbestimmung und wirtschaftlichen Entwicklungschancen einen Nährboden für Radikalismus geschaffen hat, der auch vor Europa nicht Halt macht, ist diese praktische Demokratisierung besonders wichtig.

Das Resultat dieser freien und friedlichen Wahlen ist als Ergebnis eines demokratischen Prozesses zu akzeptieren. Die Kernfrage ist aber eine andere: Wie sollen wir mit einer Regierung umgehen, die von Mitgliedern einer Organisation geführt wird, welche von allen EU-Staaten als „terroristisch" eingestuft wird? Wie können wir mit Behörden arbeiten, die jüngst grausame Anschläge in Israel zu rechtfertigen versuchten?

Im Lichte dieser Entwicklungen haben der EU-Ministerrat und das internationale Nahostquartett schon im Jänner die Prinzipien für eine fortgesetzte Kooperation mit der Autonomiebehörde unterstrichen. Diese Kriterien sind nicht neu, sondern stehen seit Jahren an der Basis unserer Zusammenarbeit mit palästinensischen Vertretern: Die Abschwörung jedweder Gewalt, die Anerkennung des Existenzrechts Israels und die Einhaltung bestehender Abkommen, darunter das Oslo-Abkommen sowie die genannte „Wegskizze". Diese Prinzipien sind nicht verhandelbar. Mit der neuen Regierung gab und gibt es also keineswegs „business as usual". Wir können nur mit Partnern kooperieren, die mit friedlichen Mitteln eine friedliche Lösung wollen.

Es ist bedauerlich, dass sich die Hamas-Regierung bisher bei keiner dieser internationalen Bedingungen bewegt hat. Der EU-Ministerrat hat daher im April die Entscheidung der EU-Kommission, mit mir als federführender Kommissarin, unterstützt, jene budgetären Hilfszahlungen und technische Hilfe bis auf weiteres einzufrieren, die direkt an oder durch die palästinensische Regierung oder deren Ministerien erfolgen. Das ist eine Vorsorgemaßnahme, um zu verhindern, dass EU-Gelder von der Hamas-Bewegung genützt werden. Es ist aber keine definitive politische Entscheidung, da wir nach wie vor auf eine graduelle Entwicklung in der Position der Hamas hoffen.

Das heißt aber nicht, dass wir unsere gesamte Hilfe einfrieren, wie manche Kritiker meinen. Wir haben die EU-Hilfe zur Deckung der Grundbedürfnisse der palästinensischen Bevölkerung selbst nicht suspendiert. Ein schon im Februar von mir vorgelegtes humanitäres Hilfspaket von 120 Millionen Euro deckt weiterhin die Grundversorgung der Bevölkerung ab. Diese Hilfe, auch in den Bereichen Gesundheit und Bildung, fortzuführen, ohne dass die von der Hamas geführte Regierung darauf Einfluss nehmen kann, ist wichtig. Es ist auch im israelischen Interesse. Denn eine weitere Verschärfung der wirtschaftlichen und sozialen Krise in den palästinensischen Territorien wäre wohl für alle Seiten problematisch.

Europa handelt also konsequent, wenn es auf der Einhaltung unabdingbarer Friedensprinzipien besteht, gleichzeitig aber die elementaren Bedürfnisse der Menschen im Auge behält. Wir müssen aber auch die Grenzen der internationalen Hilfsmöglichkeiten sehen. Weder die EU noch andere internationale Geber können alleine die humanitäre Situation in den palästinensischen Gebieten dauerhaft verbessern. Zwar ist Europas Hilfe sehr wichtig, doch unsere Unterstützung für das palästinensische Budget betrug stets weniger als 10% der Verwaltungsausgaben.

Alle Beteiligten müssen daher ihrer Verantwortung gerecht bleiben. Nicht zuletzt Israel selbst ist aufgerufen, hier einen Beitrag zu leisten. Die Tatsache, dass Israel legitime palästinensische Steuer- und Zolleinkünfte einbehält, ist problematisch. Denn dadurch kann die Grundversorgung in den palästinensischen Gebieten nicht gewährleistet werden. Diese Einnahmen, die Israel in der Vergangenheit regelmäßig ausbezahlt hat, stehen der Autonomiebehörde zu. Dazu kommen die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit der Palästinenser durch Israel. In beiden Bereichen brauchen wir eine rasche Lösung seitens Israels. Das ist wichtiger als jedwede Hilfe, die die Europäische Union leisten könnte.

Bei der Gestaltung alternativer Kanäle für die internationale Hilfe spielt Präsident Abbas eine Schlüsselrolle, ohne dass wir aber Parallelstrukturen in der Autonomiebehörde errichten wollen. Unsere oberste Priorität ist die Kontrolle von Hilfsgeldern. Daher arbeiten wir an einem internationalen Überwachungsmechanismus. Das Treffen des Nahostquartetts am 9. Mai hat diese Idee sehr positiv unterstützt.

Kurzum: Die Europäische Union arbeitet hart daran, dass die palästinensische Regierung ihren inakzeptablen Haltungen abschwört - aber nicht am Zusammenbruch der Regierung. Der Ball liegt nun auf der Seite des von der Hamas geführten Kabinetts. Nur eine von allen internationalen Akteuren getragene Mischung aus politischem und wirtschaftlichem Einwirken, bei gleichzeitiger Hilfe an die Bevölkerung, kann jenen Erfolg haben, den wir uns alle wünschen: Eine Verhandlungslösung des israelisch-palästinensischen Konflikts, und somit dauerhafte Sicherheit und Wohlstand für unsere israelischen Freunde. Dafür setze ich mich als EU-Außenkommissarin massiv ein.

Diese konstruktive, faire Rolle der EU im Nahen Osten spiegelt das wachsende außenpolitische Gewicht Europas wider. Doch der Einsatz für Frieden, Freiheit und Sicherheit in dieser Schlüsselregion ist nicht nur eine Frage des aufgeklärten Eigeninteresses. Es ist auch Teil jener Verantwortung, die uns aus den dunkelsten Kapiteln unserer europäischen Geschichte erwächst.

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