Die Anerkennung Israels und seines Existenzrechts und die
Sicherheit und der Wohlstand seiner Menschen müssen dabei natürlich außer Streit
stehen. Das sind unverrückbare Konstanten der europäischen Außenpolitik. Wer
diese Grundkoordinaten nicht teilt, nimmt sich selbst aus dem politischen Spiel.
Gleichzeitig ist die Schaffung eines freien, demokratischen
und lebensfähigen Palästinenserstaates ein Kernziel der internationalen Politik.
Diese Zwei-Staaten-Lösung steht im Zentrum der „Wegskizze zum Frieden", die vom
Nahostquartett (EU, USA, Russland und UN) vorgezeichnet wurde.
Im Sinne dieser ausgewogenen Friedenspolitik hat die
Europäische Union stets Gewaltakte seitens aller palästinensischen Kräfte aufs
Schärfste verurteilt und Israels Recht, seine Bürger innerhalb der Grenzen des
Völkerrechts zu schützen, respektiert. Terrorismus und feige Anschläge sind
durch nichts zu rechtfertigen. Dazu kommt, dass die palästinensischen Behörden
entscheidende Fortschritte bei wirtschaftlichen und politischen Reformen machen
müssen.
Zum anderen vertritt die EU die Auffassung, dass auch Israel
weitere Schritte unternehmen muss. So muss es seine völkerrechtswidrigen
Siedlungsaktivitäten in den besetzten Gebieten stoppen, vor allem da diese die
Zwei-Staaten-Lösung physisch unmöglich machen können. Gleiches gilt für jenen
Teil der von Israel unilateral errichteten „Sicherheitsbarriere", der sich
jenseits der so genannten „Green Line" befindet. Umgekehrt war der israelische
Abzug aus Gaza 2005 ein wichtiger Schritt im Hinblick auf eine Wiederbelebung
des Friedensprozesses, dem weitere Schritte folgen sollen. In der Folge hat die
EU mit der Zustimmung aller betroffenen Parteien die Überwachung des
Grenzüberganges Rafah zwischen Gaza und Ägypten übernommen – ein Beitrag zu
Sicherheit ebenso wie zur Freizügigkeit in der Region.
Der Wahlsieg der Hamas im Jänner 2006 hat die internationale
Gemeinschaft mit einer neuen, sehr komplexen Situation konfrontiert. Die
Europäische Union hat diesen Urnengang mit einer Beobachtungsmission von 240
Experten überwacht, um eine im wahrsten Sinne „freie Wahl" zu ermöglichen. Das
ist ein Beitrag zum Aufbau der Infrastruktur eines demokratischen
Palästinenserstaates. Gerade in einer Region, in der das weitgehende Fehlen von
politischer Mitbestimmung und wirtschaftlichen Entwicklungschancen einen
Nährboden für Radikalismus geschaffen hat, der auch vor Europa nicht Halt macht,
ist diese praktische Demokratisierung besonders wichtig.
Das Resultat dieser freien und friedlichen Wahlen ist als
Ergebnis eines demokratischen Prozesses zu akzeptieren. Die Kernfrage ist aber
eine andere: Wie sollen wir mit einer Regierung umgehen, die von Mitgliedern
einer Organisation geführt wird, welche von allen EU-Staaten als „terroristisch"
eingestuft wird? Wie können wir mit Behörden arbeiten, die jüngst grausame
Anschläge in Israel zu rechtfertigen versuchten?
Im Lichte dieser Entwicklungen haben der EU-Ministerrat und
das internationale Nahostquartett schon im Jänner die Prinzipien für eine
fortgesetzte Kooperation mit der Autonomiebehörde unterstrichen. Diese Kriterien
sind nicht neu, sondern stehen seit Jahren an der Basis unserer Zusammenarbeit
mit palästinensischen Vertretern: Die Abschwörung jedweder Gewalt, die
Anerkennung des Existenzrechts Israels und die Einhaltung bestehender Abkommen,
darunter das Oslo-Abkommen sowie die genannte „Wegskizze". Diese Prinzipien sind
nicht verhandelbar. Mit der neuen Regierung gab und gibt es also keineswegs „business
as usual". Wir können nur mit Partnern kooperieren, die mit friedlichen Mitteln
eine friedliche Lösung wollen.
Es ist bedauerlich, dass sich die Hamas-Regierung bisher bei
keiner dieser internationalen Bedingungen bewegt hat. Der EU-Ministerrat hat
daher im April die Entscheidung der EU-Kommission, mit mir als federführender
Kommissarin, unterstützt, jene budgetären Hilfszahlungen und technische Hilfe
bis auf weiteres einzufrieren, die direkt an oder durch die palästinensische
Regierung oder deren Ministerien erfolgen. Das ist eine Vorsorgemaßnahme, um zu
verhindern, dass EU-Gelder von der Hamas-Bewegung genützt werden. Es ist aber
keine definitive politische Entscheidung, da wir nach wie vor auf eine graduelle
Entwicklung in der Position der Hamas hoffen.
Das heißt aber nicht, dass wir unsere gesamte Hilfe
einfrieren, wie manche Kritiker meinen. Wir haben die EU-Hilfe zur Deckung der
Grundbedürfnisse der palästinensischen Bevölkerung selbst nicht suspendiert. Ein
schon im Februar von mir vorgelegtes humanitäres Hilfspaket von 120 Millionen
Euro deckt weiterhin die Grundversorgung der Bevölkerung ab. Diese Hilfe, auch
in den Bereichen Gesundheit und Bildung, fortzuführen, ohne dass die von der
Hamas geführte Regierung darauf Einfluss nehmen kann, ist wichtig. Es ist auch
im israelischen Interesse. Denn eine weitere Verschärfung der wirtschaftlichen
und sozialen Krise in den palästinensischen Territorien wäre wohl für alle
Seiten problematisch.
Europa handelt also konsequent, wenn es auf der Einhaltung
unabdingbarer Friedensprinzipien besteht, gleichzeitig aber die elementaren
Bedürfnisse der Menschen im Auge behält. Wir müssen aber auch die Grenzen der
internationalen Hilfsmöglichkeiten sehen. Weder die EU noch andere
internationale Geber können alleine die humanitäre Situation in den
palästinensischen Gebieten dauerhaft verbessern. Zwar ist Europas Hilfe sehr
wichtig, doch unsere Unterstützung für das palästinensische Budget betrug stets
weniger als 10% der Verwaltungsausgaben.
Alle Beteiligten müssen daher ihrer Verantwortung gerecht
bleiben. Nicht zuletzt Israel selbst ist aufgerufen, hier einen Beitrag zu
leisten. Die Tatsache, dass Israel legitime palästinensische Steuer- und
Zolleinkünfte einbehält, ist problematisch. Denn dadurch kann die
Grundversorgung in den palästinensischen Gebieten nicht gewährleistet werden.
Diese Einnahmen, die Israel in der Vergangenheit regelmäßig ausbezahlt hat,
stehen der Autonomiebehörde zu. Dazu kommen die Einschränkungen der
Bewegungsfreiheit der Palästinenser durch Israel. In beiden Bereichen
brauchen wir eine rasche Lösung seitens Israels. Das ist wichtiger als jedwede
Hilfe, die die Europäische Union leisten könnte.
Bei der Gestaltung alternativer Kanäle für die internationale
Hilfe spielt Präsident Abbas eine Schlüsselrolle, ohne dass wir aber
Parallelstrukturen in der Autonomiebehörde errichten wollen. Unsere oberste
Priorität ist die Kontrolle von Hilfsgeldern. Daher arbeiten wir an einem
internationalen Überwachungsmechanismus. Das Treffen des Nahostquartetts am 9.
Mai hat diese Idee sehr positiv unterstützt.
Kurzum: Die Europäische Union arbeitet hart daran, dass die
palästinensische Regierung ihren inakzeptablen Haltungen abschwört - aber nicht
am Zusammenbruch der Regierung. Der Ball liegt nun auf der Seite des von der
Hamas geführten Kabinetts. Nur eine von allen internationalen Akteuren getragene
Mischung aus politischem und wirtschaftlichem Einwirken, bei gleichzeitiger
Hilfe an die Bevölkerung, kann jenen Erfolg haben, den wir uns alle wünschen:
Eine Verhandlungslösung des israelisch-palästinensischen Konflikts, und somit
dauerhafte Sicherheit und Wohlstand für unsere israelischen Freunde. Dafür setze
ich mich als EU-Außenkommissarin massiv ein.
Diese konstruktive, faire Rolle der EU im Nahen Osten
spiegelt das wachsende außenpolitische Gewicht Europas wider. Doch der Einsatz
für Frieden, Freiheit und Sicherheit in dieser Schlüsselregion ist nicht nur
eine Frage des aufgeklärten Eigeninteresses. Es ist auch Teil jener
Verantwortung, die uns aus den dunkelsten Kapiteln unserer europäischen
Geschichte erwächst.