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„Friedensmacht Europa"
Eine Nachbetrachtung zum europäischen Antiamerikanismus der letzten Jahre

Stephan GRIGAT

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 findet in Kernländern der Europäischen Union verstärkt eine Abgrenzung gegenüber den USA statt. Europa versucht sich die Identität einer Friedensmacht zu geben, entwirft ein Bild von den USA als Anti-Europa und kaschiert so in klassisch ideologischer Manier das eigene Bestreben nach Herrschaft, Ausbeutung und Einflußnahme. Dieses Bild von den USA hat mit dem Agieren US-amerikanischer Politik nur sehr vermittelt etwas zu tun. So wie sich Antisemitismus, dessen Verwandtschaft mit dem Antiamerikanismus in letzter Zeit mehrfach herausgearbeitet wurde, nicht aus dem Verhalten von Juden und Jüdinnen oder des jüdischen Staates erklären läßt, so läßt sich auch der Antiamerikanismus nicht aus der realen Politik der Vereinigten Staaten erklären. So wie eine Kritik des Antisemitismus sich mit den Antisemiten auseinandersetzen muß, nicht mit den Juden, so muß sich eine Kritik des europäischen Antiamerikanismus über die Motive der Antiamerikaner klar werden, anstatt sich auf die Suche nach Gründen für einen Antiamerikanismus zu begeben, die im Handeln der Objekte dieser Ideologie liegen würden. Bei beiden Ideologien handelt es sich nicht einfach um eine etwas verzerrte Wahrnehmung der Realität, sondern um Wahn. In dem, was real passiert, findet dieser Wahn immer nur neues Material zu seiner eigenen Bebilderung. Der Grund für diesen Wahn liegt in den psychischen und politischen Bedürfnissen der Amerika-, Israel- oder Judenhasser. Mit einer Kritik an der Rolle der USA im Prozeß von ökonomischer Ausbeutung und politischer Herrschaft haben die antiamerikanischen Ressentiments nichts zu schaffen.

Der Hamburger Sänger Mellow Mark war mit seinem Lied „Weltweit" im Frühjahr 2003 sowohl in Österreich als auch in Deutschland außerordentlich erfolgreich. Die Gesellschaftskritik dieses Liedes ist in der Textzeile zusammengefasst „Die Reichen werden reicher, die Armen werden ärmer." Es ist dies eine Feststellung, der nicht zu widersprechen ist. Doch woran liegt das? Folgt man Mellow Mark, ist der Grund darin zu suchen, daß es eine weltweite US-amerikanische Dominanz gibt, nämlich „weltweit US-amerikanisches fast food, weltweit US-amerikanisches Gedankengut, US-amerikanische Sprachflut", „US-amerikanisches Fernsehen, US-amerikanische Armee" und – besonders hervorzuheben – „US-amerikanische Dekadenz". Nicht das weltweit durchgesetzte Kapitalverhältnis samt seinen staatlichen Organisatoren ist demnach für die Zustände auf dem Planeten verantwortlich, sondern der offensichtlich als illegitim empfundene Konkurrenzvorsprung der führenden Industrienation. Es wird das Elend in der Welt zitiert und auf ökologische Probleme hingewiesen („die Armen werden ärmer und die Welt wird wärmer"), aber der Texter kommt nicht einmal auf die Idee, daß diese kritisierten Mißstände von der eigenen, in Europa beheimateten Regierung mit verursacht sein könnten. Wenn aber die USA als alleiniger Verantwortlicher für globale gesellschaftliche Miß- und Zustände ausgemacht werden, so ist das keine Kritik, sondern die Artikulation eines antiamerikanischen Ressentiments, in dem sich ein nonkonformistisch auftretendes Einverständnis mit Herrschaft und Ausbeutung artikuliert.

In seiner Grundstruktur ist dieses Ressentiment keineswegs neu, sondern existiert bereits seit der Gründung der USA. Auch wäre es falsch anzunehmen, daß erst durch das forsche Auftreten der gegenwärtigen Bush-Administration eine vorurteilsbehaftete Amerikakritik eingesetzt hätte, mit der ein idealisiertes Bild Europas transportiert wird. Lange vor der Präsidentschaft von George W. Bush haben europäische Spitzenpolitiker ein „nichtamerikanisches Europa" gegen die oft als „Hypermacht" wahrgenommenen USA in Anschlag gebracht.

Der Sänger Mellow Mark steht exemplarisch für Entwicklungen in der deutschsprachigen Kulturszene. Vertreter der Hochkultur wie Peter Zadek oder Claus Peymann bekennen sich ebenso offenherzig zu ihrer Amerika-Feindschaft wie Vertreter der Populärkultur. Die Band die ärzte zeigt im Video zu ihrem Song „Die klügsten Männer der Welt" amerikanische Panzer, die das Brandenburger Tor in Berlin niederwalzen, einen dumpfen Cowboy und eine Bush-Regierung, welche die ganze Welt in Flammen setzt. Die Gruppe Ramstein weiß in ihrem Lied „America" davon zu berichten, wie die USA die kulturelle Vielfalt in der Welt zerstören. Und selbst Punks zollen in Deutschland „ihrem" Bundeskanzler mittlerweile Anerkennung, wenn es um die Auseinandersetzung mit den USA geht.

Die pop- wie hochkulturelle Aversion gegen die ehemalige Siegermacht im Zweiten Weltkrieg wurde und wird durch politische Attacken komplettiert. Die positive Bezugnahme aller europäischen Linksparteien auf die Anti-Kriegsdemonstrationen 2003 wurde in dem Text „Nach dem Krieg: Die Wiedergeburt Europas", den Jacques Derrida und Jürgen Habermas am 31. Mai 2003 unter anderem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung publiziert haben, aufgegriffen. Sie feiern die Massenaufmärsche vom 15. Februar 2003 als „Signal für die Geburt einer europäischen Öffentlichkeit." Um sich zu vergegenwärtigen, um was für eine Art von „Europa" es hier geht, muß man sich den Charakter der „Antikriegsdemonstrationen" vor Augen führen.

In Österreich und Deutschland, wo die Bevölkerung erst durch das Eingreifen der Alliierten vom Judenmord und vom Vernichtungskrieg gegen die halbe Welt abgehalten werden konnte, verkündeten Kriegsgegner von links bis rechts, Krieg habe noch nie ein Problem gelöst oder eine Verbesserung der Lage gebracht. Was in allen europäischen Staaten ein Ausdruck von Geschichtsvergessenheit darstellte, war in den Nachfolgegesellschaften des Nationalsozialismus ein Ausdruck von Geschichtsrevisionismus. Es war dies, ob beabsichtigt oder nicht, die nachträgliche Delegitimation der Befreiung von Auschwitz. Gerade die Friedensbewegung, die sich für den Krieg der irakischen Baathisten gegen ihre eigene Bevölkerung und für Saddam Husseins Unterstützung für den Terror gegen Israel nicht interessiert hat, hat mit ihren Ressentiments gegen Amerika einen wesentlichen Beitrag zur Konstruktion Europas gegen die USA geleistet .

Die von Derrida und Habermas begrüßte „europäische Öffentlichkeit" soll sich positiv auf Demonstrationen beziehen, die nicht unwesentlich von Islamisten von der Hamas und der Hisbollah sowie ihren Verbündeten in der europäischen Linken geprägt waren. Implizit, nicht selten aber auch ganz explizit wird so in der Konstruktion Europas die islamistische Propaganda von den USA und Israel als „großer und kleiner Satan" übernommen.

Um ein schlagkräftiges Bündnis gegen die USA zustande zu bringen, fordert Egon Bahr als europäisch-sozialdemokratischer Vordenker eine „Entspannungspolitik gegenüber den islamischen Staaten. [...] Europa sollte eine erkennbare Alternative in seinem Gesellschaftsmodell [...] entwickeln, damit die islamische Welt nicht nur die eine geschlossene westliche Welt wahrnimmt." In diesen Äußerungen Bahrs, die weniger eine Empfehlung als eine Beschreibung der realen Politik Kerneuropas gegenüber den arabischen und islamischen Staaten darstellen, wird eine kerneuropäische Bündnispolitik sichtbar, die sich den Anschein des Pazifismus gibt.

Dieses Programm eines kriegslüsternen Pazifismus wird insbesondere von der europäischen Linken betrieben. Wie sehr diese Konzeption eines sich auch in sozialpolitischer Hinsicht gegenüber den USA abgrenzenden Europas von Erfahrungen geprägt ist, welche im Faschismus und Nationalsozialismus gemacht wurden, während diese speziellen Formen des Autoritarismus sich in den USA auch in Zeiten ökonomischer und politischer Krisen nie durchsetzen konnten, muß daher verschwiegen werden.

Während die europäische Linke Faschismus und Nationalsozialismus als Geburtshelfer einer gegen die USA gerichteten europäischen Identität hinsichtlich der gesellschaftlichen Organisation des Klassenkonfliktes vergessen machen möchte, beziehen sich jene rechtsradikalen Kräfte, welche die Herausbildung einer eigenständigen europäischen Identität begrüßen, ganz offen auf die Europakonzeptionen des Nationalsozialismus. Wie eng verwandt Antisemitismus und der Antiamerikanismus sind, braucht bei diesen Vertretern europäischer Identität nicht mehr mittels Ideologiekritik herausgearbeitet zu werden. Der Wiener FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache meint etwa in der Zeitschrift Zur Zeit, daß „wir unsere Energie darauf konzentrieren sollten, eine gemeinsame Außenpolitik zu betreiben, welche nur die europäischen Interessen und nicht die der Wall Street vertritt." Der freiheitliche Abgeordnete im europäischen Parlament Andreas Mölzer lobt das „Friedensprojekt" Europa dafür, daß es frei sei vom „krassen Materialismus" und anders als in den USA, wo „mächtige Lobbys im Hintergrund die wahre Macht ausüben", nicht „nur zwei von undurchsichtigen Mächten kontrollierte Parteien" zur Auswahl stünden.

Seit dem Angriff auf das World Trade Center probt die deutsch-europäische Außenpolitik den Aufstand gegen die USA vor dem Hintergrund einer globalen Mobilmachung gegen den ‚Dollarimperialismus’ und seinen ‚zionistischen Schützling’. Der „neunte September" wirkte offensichtlich wie ein Treibsatz für das europäische Selbstbewußtsein. Im Nahen Osten wird sich die Positionierung Europas als „Friedensmacht" auch unter der neuen deutschen Bundesregierung als außerordentlich hilfreich erweisen. Gerade das Auftreten als fremde Kulturen respektierender, ehrlicher Makler befördert die Einflußnahme des deutsch dominierten Europas im arabischen Raum und im Iran. Die Verteufelung der angeblichen US-amerikanischen Arroganz gegenüber den Arabern entpuppt sich vor diesem Hintergrund als ein Appeasement gegenüber dem Islamismus und der panarabisch-nationalistischen Mobilmachung, die sich ganz offen auf nationalsozialistische und faschistische Traditionen bezieht. Im Gefolge dieser Appeasementpolitik wird versucht, die ökonomische Zusammenarbeit in der Region auf Kosten der USA auszubauen und zugleich jenem Furor teutonicus zu frönen, der jenseits aller rationalen Interessen weiterbesteht und die vergleichsweise zwecksrationale Form US-amerikanischer Kriegseinsätze schon aus Prinzip ablehnt. „Friedensmacht Europa" ist der moralische Titel, unter dem die Konkurrenz mit den USA betrieben wird. Die Konstruktion einer europäischen Identität als „Friedensmacht" entpuppt sich als ideologischer Schleier und materielle Realität in einem, die nichts Positives beinhalten.

Eine Langfassung dieses Textes erscheint in dem Band Jeff Bernard et al. (eds.): Europe - Image & Concept in Cultural Change. Vienna 2006

Stephan Grigat ist Lehrbeauftragter am Wiener Institut für Politikwissenschaft, Forschungsstipendiat in Tel Aviv und Herausgeber des Bandes „Feindaufklärung und Reeducation. Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus", der im ça ira-Verlag erschienen ist.

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