Staatssekretär Morak eröffnet:
Freud-Ausstellung in Wien
Walter REICHEL
Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse,
einflussreicher Denker des 20. Jahrhunderts und Weltbürger hätte am 6. Mai
seinen 150. Geburtstag gefeiert. Seine Methoden und Theorien zum Verstehen und
zur Behandlung der seelischen Struktur des Menschen waren bahnbrechend und
werden noch heute angewandt wie auch kontrovers diskutiert.
Zahlreiche in- und
ausländische Veranstaltungen würdigen die Bedeutung seines Forschens und
Schaffens.
Es ist Sigmund Freuds großes Verdienst, die Bedeutung der
Subjektivität (Persönlichkeit, Gefühle, Konflikte) und des Unbewussten
wissenschaftlich nachgewiesen zu haben. Darüber hinaus begründete er eine neue
medizinische Disziplin und stellte grundlegende therapeutische Vorgehensweisen
vor, die heute in abgewandelter Form in der psychotherapeutischen Behandlung der
Neurosen und Psychosen eingesetzt werden. Die Psychoanalyse wird von vielen
Anhängern als eine umfassende Theorie betrachtet, die das komplexe menschliche
Erleben und Handeln erschöpfend beschreiben und erklären kann. Die Freud’schen
Theorien sind nichtsdestoweniger auch zahlreichen Kritikpunkten ausgesetzt.
Vorausgeschickt werden sollte hierbei aber, dass die Psychoanalyse in ihrer
modernen Form in vielfältige Richtungen weiterentwickelt wurde und nicht mehr in
allen Punkten mit den Freud’schen Auffassungen übereinstimmt.
Freud selbst hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass sich
die Psychoanalyse als Erkenntnis- und Heilmethode weiter entwickeln wird und
sich weiter entwickeln muss. Die Erkenntnis über das Unbewusste und das
psychische Erleben als eine wesentliche Realität der Menschen war Bahn brechend
und wesentlich für die Entwicklung der Psychotherapie als eigenständige
Behandlungsmethode für psychische Leidenszustände.
Freud wurde am 6. Mai 1856 im mährischen Příbor
(Freiberg) geboren und übersiedelte 1859 mit seinen Eltern nach Wien. Er
studierte an der Universität Wien und promovierte 1881 zum Doktor der Medizin.
Sehr bald schon begann er sich mit der Erforschung des Nervensystems zu
beschäftigen und konnte 1885 im Fach Neuropathologie habilitieren. Nach einem
Forschungsaufenthalt in Paris ließ er sich in Wien als praktischer Arzt nieder.
Er war weiterhin wissenschaftlich tätig und wandte sich mehr und mehr der
Erforschung seelischer Krankheiten ohne organischen Befund zu. Über seine
Theorie der Neurosenentwicklung gelangte Freud zu grundlegend neuen Ansichten
über das Seelenleben und begründete daraus die Wissenschaft von den unbewussten
seelischen Vorgängen. Freud entwickelte das psychoanalytische Therapieverfahren
(Psychoanalyse), bei dem er zugleich seine Einsichten in die Triebstruktur
menschlichen Verhaltens gewann. Zu seinen wichtigsten Werken zählen u. a. „Die
Traumdeutung" (1900/01), „Totem und Tabu" (1913), und „Das Ich und das Es"
(1923). 1902 wurde ihm der Titel eines außerordentlichen Professors, 1919 eines
ordentlichen Professors verliehen, was jedoch an seinem Status als
„Privatdozent" an der Universität nichts änderte. Von einer schweren Krankheit
gezeichnet, musste er 1938 vor der nationalsozialistischen Verfolgung nach
England emigrieren, wo er 1939 starb.
Sigmund Freud um 1910,
(Sigmund Freud Copyrights)
Rund um „Die Couch" als Symbol der Psychoanalyse geht es in
der Ausstellung, die die Sigmund Freud Privatstiftung zum Freud-Jubiläum im
nunmehr vergrößerten Museum in der Wiener Berggasse 19 zeigt. Die Ausstellung
wurde in Anwesenheit von Bundespräsident Heinz Fischer, Kunststaatssekretär
Franz Morak und dem Wiener Bürgermeister Michael Häupl am 4. Mai eröffnet.
„Es ist mir wichtig, im heurigen Mozartjahr auch eines
anderen Großen zu gedenken, Sigmund Freud. Konsequenterweise hat das
Bundeskanzleramt verschiedenste Aktivitäten unterstützt, um Freud in seiner
gesamten Bedeutung ins Zentrum besonderer Aufmerksamkeit zu rücken", so
Kunststaatssekretär Franz Morak bei der Ausstellungseröffnung.
Morak betonte, wie sehr Sigmund Freud „eine Koalition mit der
modernen Kunst eingegangen ist." Auch wenn seine persönliche Kunstbeziehung eher
traditionell geprägt gewesen sei, gab es eine „wechselseitige Beziehung zwischen
der Literatur und der Psychoanalyse", die für beide Teile befruchtend war und
neben dem medizinischen Verfahren und dessen Erfolgen einen Einfluss auf die
Durchsetzung Freuds hatte. Beim Lesen von Shakespeare und Dostojewski habe sich
Freuds Menschenbild geformt.
„Freud hat unzählige Plots geschaffen, die heute noch aktuell
sind und die vor allem in der Populärkultur ständig wiederholt werden, wie etwa
Hitchcocks Filme „Psycho" oder „Spellbound", aber auch durch Autorinnen wie
Patricia Highsmith und ihre Nachfolgerinnen. Auch Freud selbst ist zu einer
„Figur der Populärkultur" geworden, so Morak. Mit seiner Wiener Herkunft und
seiner Pariser Lehrzeit bei Charcot lebte Freud an einer „Schnittstelle der
Moderne. Freud hat von der Kunst gelernt und die Kunst hat ihn angenommen und
mit seinen Ideen auf vielfache Weise weitergearbeitet", so Morak.
Sigmund Freud Museum Wien,
(Copyright: Gerald Zugmann)
Im Rahmen der Eröffnung wurde die mit Unterstützung des
Bundeskanzleramts erstellte Fessel Gfk-Studie „Österreich und Freud - Sigmund
Freud in der öffentlichen Wahrnehmung 2006" von Rudolf Bretschneider
präsentiert. Die stichprobenartige Befragung von 500 Österreichern zwischen 15
und 70 Jahren ergab, dass die Bekanntheit Freuds bei 99 Prozent liegt. 91
Prozent ordneten Freud die Eigenschaften „Humanität" und „Menschlichkeit" zu, 79
Prozent bezeichneten ihn als „Vordenker". Für 87 Prozent war Freud ein „Arzt",
für 84 Prozent ein „Psychoanalytiker". 20 Prozent assoziierten die „Couch" mit
Freud und der Psychoanalyse.
Das Mythen behaftete Möbelstück aus der Ordination Freuds ist
zwar in London verblieben, gerade diesen Mangel nutzt die Ausstellung jedoch zu
vielfältigen Begegnungen mit kunst- und kulturhistorischen Aspekten rund um die
Couch, mit der Bedeutung und Funktion des Möbels und natürlich mit der
Entstehung des psychoanalytischen Szenarios, für das sie bis heute unverzichtbar
erscheint.
Freud verwendete die Couch seit 1886, nahm sie unter großen
Schwierigkeiten mit ins englische Exil, und hatte sie auch dort bis zuletzt in
Gebrauch. Aussagen zeitgenössischer Psychoanalytiker und Bilder von Praxen
zeigen in der Ausstellung, dass die Couch auch heute als therapeutisches
Instrument ihre Dienste erfüllt. Voraussetzung dafür scheint, dass gerade an der
Couch ein weites Verwendungs- und Bedeutungsspektrum haftet, zwischen Liegen und
Träumen, Assoziationen, dem freien Lauf der Gedanken und der Rede, dem
Dämmerzustand, dem Schlaf und der Sexualität. Die Schau im Freud Museum nähert
sich dem Thema unter verschiedenen Vorzeichen in zwei Blöcken,
kunstgeschichtlich und kulturhistorisch an.
Die Sigmund Freud Privatstiftung, der das Haus an der
berühmten Adresse Berggasse 19 von der Stadt Wien übertragen wurde, plant im
Freudjahr u. a. noch eine Plakatausstellung „Wege zum Unbewussten" in der Wiener
Innenstadt und ein Symposium zu Psychoanalyse und Politik. Im Herbst treffen die
zwei Jahresregenten Freud und Mozart in der Albertina aufeinander: In einem
Symposium werden dort unter dem passenden Titel „Batti batti, o bel Masetto" die
Frauenfiguren Mozarts psychoanalytisch interpretiert - und als „Vorwegnahme der
Hysterikerinnen Freuds" gezeigt, wie Inge Scholz-Strasser, Vorstandsvorsitzende
der Sigmund Freund Privatstiftung, meint.
Auch andere Städte feierten Freuds 150. Geburtstag. Das
Jüdische Museum Berlin etwa zeigt die Sonderausstellung „Psychoanalyse". Die
tschechische Stadt P říbor gedachte ihres wohl
berühmtesten Sohnes. Zahlreiche Besucher auch aus dem Ausland kamen zum
Geburtshaus des Begründers der Psychoanalyse. Das Gebäude wurde Ende Mai vom
tschechischen Staatspräsidenten Václav Klaus offiziell als Museum eröffnet.
Anhand historischer Vorlagen baute es die Stadt so um, wie es zurzeit von Freuds
Kindheit ausgesehen hat.
Eine außergewöhnliche Huldigung Sigmund Freuds ging in
Budapest über die Bühne - oder besser: übers Wasser. „Freud im Bad. Eine
psychoanalytische Wassertaufe in drei Akten" war nur eine der zahlreichen
Veranstaltungen, mit denen das österreichische Kulturforum in Ungarns Hauptstadt
den Seelenforscher feierte. In drei verschiedenen Bädern brachten sechssprachige
szenische Lesungen den Badegästen einige der wichtigsten Freud-Schriften näher.
Schon am Vorabend des 6. Mai wurden länderübergreifend sämtliche Kulturforen
vorübergehend geschlossen, um für einen Tag „Sigmund Freud Institute" zu
etablieren.
„Es ging uns weniger darum, bereits umfassend dargestellte
Bereiche der Freud’schen Biografie zu beleuchten. Vielmehr wollen wir auch neues
Terrain betreten", sagte Elke Atzler, Direktorin des österreichischen
Kulturforums in Budapest. Nach nächtelangem Studieren verschiedener Schriften
wurden dann endlich diejenigen Texte gefunden, die auch mimetische Elemente
aufweisen. „Eine Lesung wäre uns zu wenig gewesen. Wir erzählen kleine
Geschichten, die wir auf ungewöhnliche Weise präsentieren", freute sich Atzler
einen Tag vor dem Auftakt der Feierlichkeiten. Die vorgetragenen Texte
konzentrieren sich auf die drei Grundbegriffe des Freud’schen Konzepts der
Persönlichkeitsstruktur: So nannten sich die einzelnen Akte vielsagend
„Über-Ich", „Ich" und „Es", die in den prächtigen Bädern „Gellert", „Szechenyi"
und „Rudas" präsentiert wurden.
An keinem anderen Ort der Welt soll es so viele Psychiater
geben wie in New York, der Heimat des klassischen Stadtneurotikers Woody Allen.
Da liegt es nahe, dass die Metropole den Begründer der Psychoanalyse, Sigmund
Freud, zum 150. Geburtstag gleich mit drei ungewöhnlichen Ausstellungen ehrt: In
der New York Academy of Medicine, im Austrian Cultural Forum und im Museum of
the City of New York.
Amerika hatte immer schon eine Schwäche für Freud. Als sich
seine Gefolgschaft noch auf einige versprengte Häufchen in Wien, Zürich und
Berlin beschränkte, erhielt er 1909 bereits eine Einladung in die Neue Welt, wo
man ihm ein Ehrendoktorat verlieh. Leider beruhte die Wertschätzung nicht auf
Gegenseitigkeit. Während seines US-Besuchs missfiel Freud die Distanzlosigkeit
der Amerikaner, was zu einer tiefen Abneigung gegenüber dieser Kultur führte.
Sehr viel später aber war es vor allem der Druck der US-Regierung, der dazu
führte, dass die Nazis den jüdischen „Seelenzergliederer" aus dem besetzten Wien
ins Londoner Exil abreisen ließen.
Im Freud-Jahr hat die New York Academy of Medicine nun
erstmals 40 Abbildungen aus seiner eigenen Hand zusammengetragen. Es handelt
sich um Zeichnungen, Skizzen, Diagramme und Schaubilder, mit denen Freud von
1876 bis 1933 seine wissenschaftliche Arbeit ergänzte. „Dies ist ein Freud, wie
man ihn bisher nicht kennt", sagt die Kuratorin Miriam Mandelbaum. Ihre Kollegin
Lynn Gamwell ergänzt: „Einstein hat einmal gesagt, dass er grundsätzlich in
Bildern dachte, wenn er über die Wissenschaft nachgrübelte, und genau das
scheint auch bei Freud der Fall gewesen zu sein." Im benachbarten Museum of the
City of New York werden 75 Karikaturen zur Psychoanalyse aus dem „New Yorker"
gezeigt. Die frühesten erschienen noch zu Freuds Lebzeiten. Zusammengenommen
machen sie deutlich, wie sehr gerade die Parodie des bärtigen Griesgrams mit
Zigarre und Couch das Bild von der Psychoanalyse geprägt hat. Das Austrian
Cultural Forum präsentiert die Kunstsammlung des Wiener Sigmund Freud Museums:
Konzeptuelle Arbeiten, die die Bedeutung von Freuds Theorien auf die
zeitgenössische Kunstproduktion spiegeln.
Der polnische Lyriker Stanisław Jerzy Lec hatte sich einmal
die Frage gestellt: „Ich habe von Freud geträumt. Was hat das zu bedeuten?"
Begegnungen mit Freud bleiben auch 150 Jahre nach der Geburt des Begründers der
Psychotherapie eine reizvolle Herausforderung, denn sie reichen weit über den
psychologisch-medizinischen Bereich hinaus. Freuds Biograph Peter Gay urteilt:
„Ob man bei ihm Anleihen macht oder ihn ablehnt, ob man ihn bewundert oder ihm
misstraut, ihn genau zitiert oder verehrt – Freuds Denken ist in die eigentliche
Textur der modernen Kultur verwoben."
Staatssekretär Franz Morak bei der Eröffnung der Ausstellung
„Die Couch" im Sigmund Freud Museum Wien,
(Copyright: Stefan Liewehr)
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