Der Währinger jüdische Friedhof und seine
Erhaltung.
Eine Bestandsaufnahme.Tina
WALZER
Der Währinger jüdische Friedhof stellt ein einzigartiges
Zeugnis dar, den zerstörten und vielfach unbekannten jüdischen Anteil an Wiens,
Österreichs und Mitteleuropas Vergangenheit heute noch umfassend sichtbar zu
machen. So läßt er sich durchaus als Museum unter freiem Himmel bezeichnen. Doch
sein Erhaltungszustand ist denkbar schlecht.
Zu den wenigen überlebenden Nachkommen der hier Bestatteten
zählt die Familie Birnbaum in Kanada. Sie ersetzte vor kurzem den beschädigten
Grabstein ihres Vorfahren durch eine originalgetreue Kopie. Dies ist heute der
bislang einzige neu errichtete Grabstein auf dem Währinger jüdischen Friedhof.
Foto: Tina Walzer
Der Währinger jüdische Friedhof ist ein unverzichtbares
Dokument der Wiener Kultur-, Kunst-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte. In die
Epoche seines Bestehens (1784 – 1880) fallen bahnbrechende Entwicklungen, die
bis heute den Charakter der Stadt, aber auch der gesamten Region und des Staates
bestimmen. Als Begräbnisstätte für alle Mitglieder der damals entstandenen
jüdischen Gemeinde Wiens ist das rund 2 Hektar große Areal mit seinen über 8.000
Grabstätten ein Spiegelbild jenes Bevölkerungsteiles, der die industrielle
Revolution, die Herausbildung einer modernen Gesellschaft, des bis heute
gültigen politischen Systems sowie der Künste entscheidend mitgestaltete.
Seit der NS- Zeit liegen viele Grabsteine zerstört und zu
regelrechten Hügeln aufgetürmt im südöstlichen Teil des Areals. Soferne sie
durch lesbare Inschriften identifizierbar sind, könnten sie zu den richtigen
Gräbern zurückgebracht werden. Foto: Tina Walzer.
Zerstörungen
Während der NS-Zeit wurde jedoch ein wesentlicher Teil des
Friedhofes mit rund 1.500 Gräbern bei Aushubarbeiten für einen Löschwasserteich
gezielt zerstört. Im Namen einer nationalsozialistischen „Rassekunde" wurden
überdies im älteren Teil des Areals die Gebeine ganzer Familien exhumiert –
insgesamt über 200 Personen, und zu pseudowissenschaftlichen Untersuchungen ins
Naturhistorische Museum gebracht, wo sie dann zum Teil jahrzehntelang, bis zu
ihrer Wiederbeerdigung in Massengräbern verblieben. Der Friedhof als Eigentum
der Wiener jüdischen Gemeinde wurde durch den NS-Staat enteignet und von der
nationalsozialistischen Stadtverwaltung übernommen. Nur dank des Einsatzes eines
engagierten Magistratsbeamten konnte der Friedhof vor einer grossflächigen
Zerstörung gerettet werden, indem dieser das Areal zum Vogelschutzgebiet
umwidmen ließ. Die Gräber der berühmtesten Persönlichkeiten verlegte die
Kultusgemeinde in einer Rettungsaktion auf den Zentralfriedhof. In der
Nachkriegszeit wurde der Friedhof an die neu erstandene Wiener Kultusgemeinde
restituiert. Diese trat den zerstörten Teil des Areals an die Stadt Wien ab,
welche sich im Gegenzug verpflichtete, die religiösen Gebote zu respektieren und
das übernommene Areal als Grünland zu bewahren. Wenige Jahre später wurde darauf
ein gemeinnütziger Wohnbau errichtet, der nach wie vor bestehende „Arthur
Schnitzler-Hof".
Aufgrund von Gefahr im
Verzug – herabstürzende Baumteile, offenstehende Gruftanlagen - ist das
Areal derzeit geschlossen. Der Schlüssel ist bei der Israelitischen
Kultusgemeinde Wien, Technische Abteilung, erhältlich. Foto: Tina Walzer
Status quo
Heute ist der Erhaltungszustand des bestehenden Areals
denkbar schlecht. Zu den Zerstörungen der nationalsozialistischen Zeit kommen an
den Grabmälern schwerwiegende Schäden durch Abräumaktionen und Vandalismus sowie
durch Umwelteinflüsse wie sauren Regen, Frost und Bewuchs. Die Grabsteine aus
Sandstein sind bis zur Unkenntlichkeit abgewittert, anderswo tonnenschwere
Steine zerbrochen meterhoch aufgetürmt. Die Weganlagen sind mehrheitlich
überwachsen und nicht mehr begehbar, die Beschilderungen wurden grösstenteils
entfernt, sodass eine Orientierung auf dem Areal ohne Hilfe unmöglich ist.
Riesige herabstürzende
Baumteile ziehen gleich mehrere Reihen von Grabsteinen in Mitleidenschaft.
Hier ein Sturmschaden, der nur ein Jahr nach der Baumsanierung des
Stadtgartenamtes aufgetreten ist. Foto: Tina Walzer
Bis heute ist es nicht gelungen, die Sanierung der Schäden
sowie eine regelmäßige Pflege des Bewuchses auf dem Areal dauerhaft
sicherzustellen. Die Wiener Israelitische Kultusgemeinde ist als
Rechtsnachfolgerin der zerstörten jüdischen Gemeinden in Niederösterreich und
dem Burgenland auch mit der Verwaltung von über 40 Friedhöfen und insgesamt weit
mehr als 200.000 Grabstellen belastet und kann die Sanierung und Erhaltung des
Währinger jüdischen Friedhofes, der immerhin der drittgrößte jüdische Friedhof
Österreichs und sicherlich einer der kulturhistorisch wertvollsten ist, nicht
ohne Unterstützung leisten. Die Verantwortung für den schlechten Zustand des
Areals ihr alleine anlasten zu wollen hieße überdies, die Verantwortung für die
Folgen des NS-Regimes ausgerechnet seinen Opfern aufzuhalsen. Im öffentlichen
Bewußtsein der Stadt jedenfalls fiel der bemerkenswerte Friedhof in
Vergessenheit. Viele gutgemeinte Initiativen in den Jahrzehnten seit 1945
blieben punktuelle Aktionen, und der Verfall schritt ungehindert fort.
Zuletzt sind im März 2006
wieder Grabsteine durch Sturmschäden unwiederbringlich zerstört worden.
Foto: Tina Walzer
Aktuelle Entwicklungen
Im Washingtoner Abkommen von Jänner 2001 erklärte die
österreichische Bundesregierung, einen wesentlichen Beitrag zur Sanierung und
Erhaltung aller jüdischen Friedhöfe in Österreich leisten zu wollen. Eine Lösung
ähnlich jener bereits 1957 in Deutschland gefundenen, einen Fonds einzurichten,
in den Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam einzahlen, um diese Ziele zu
erreichen, erscheint zielführend, und Nationalratspräsident Andreas Khol nahm
diesen Gedanken auch positiv auf. Der Restitutionsbeauftragte der Stadt Wien,
Kurt Scholz, setzt sich für die Rettung des Währinger jüdischen Friedhofes seit
2003 mit großem persönlichen Einsatz ein und initiierte eine Sanierungsaktion
des Baumbestandes durch das Wiener Stadtgartenamt. Das Bezirksmuseum Währing
begann sich im Jahr 2005 ebenso zu engagieren wie verschiedene
SPÖ-Organisationen. Die Tageszeitung „Die Presse" brachte auf Initiative von
Erika Schwetz Anfang September 2005 eine vierseitige Sondernummer in Farbe zum
Währinger jüdischen Friedhof. Doch der Durchbruch in den Verhandlungen um die
Finanzierung seiner Sanierung und Erhaltung blieb leider aus. Erst als
schließlich Charles Ritterband, Österreich-Korrespondent der Neue Zürcher
Zeitung im Februar 2006 in der NZZ auf die katastrophale Lage am Währinger
jüdischen Friedhof aufmerksam machte, kam entscheidend Bewegung in die
Angelegenheit. Der Wiener Grüne Gemeinderat Marco Schreuder organisierte spontan
eine Pressebegehung des Areals, und die sechs größten österreichischen
Tageszeitungen berichteten ebenso wie Fernseh- und Radiostationen. Nun erklärte
auch der Wiener Vizebürgermeister und Finanzstadtrat Sepp Rieder eine
Stiftungslösung für bedenkenswert. Seither wird die Rettung des Währinger
jüdischen Friedhofes in verschiedenen Gremien des Bundes, der Stadt Wien, der
Parteien und der Wiener Bezirke diskutiert und unterstützt. Mit einer
gemeinsamen Vorgangsweise kämen Bund und Stadt Wien der Rettung des Areals
zweifellos einen großen Schritt näher. Schließlich wird diese Aufgabe nur in
einer gemeinsamen Anstrengung verschiedener öffentlicher Stellen zu
bewerkstelligen sein. Neben der Beseitigung der primären Gefahrenquellen hat die
regelmäßige Pflege des Bewuchses oberste Priorität. Erst dann kann an eine
Sanierung einzelner Grabstellen gedacht werden. Bis dahin ist ein weiter Weg zu
gehen – bleibt zu hoffen, daß der Währinger jüdische Friedhof und seine Rettung
im öffentlichen Bewußtsein endlich jenen Stellenwert erlangen, der ihnen in
dieser Stadt zusteht.
Eine Bewuchspflege kann
sich dauerhaft nicht in der simplen Vernichtung des Baumbestandes
erschöpfen: Ohne Beschattung wächst Unterholz besonders schnell und üppig
nach, wie hier in der Gräbergruppe 1. Foto: Tina Walzer
Wild aufgegangene
Baumsprößlinge werden zur Gefahr für die Substanz des Friedhofes, wenn
sie nicht zeitgerecht und regelmäßig entfernt werden. Foto: Tina Walzer
Der überwiegende Teil
der Grabsteine ist aus Sandstein und vom völligen Verfall akut bedroht.
Foto: Tina Walzer
Vandalismusakte wie
diese Sprühaktion zerstören die heiklen Sandsteine unwiederbringlich.
Foto: Tina Walzer
Erst durch das
Anbringen von Stacheldraht und Glasscherben auf der Krone der
Einfriedungsmauer konnten Vandalismusakte bis auf weiteres verhindert
werden. Foto: Tina Walzer.
Tina Walzer, Historikerin und Autorin. Zahlreiche
Publikationen zur österreichischen jüdischen Geschichte, u. a. Tina
Walzer/Stephan Templ: „Unser Wien. ‚Arisierung’ auf Österreichisch. Berlin:
Aufbau Verlag 2001. Arbeiten zur Wiener jüdischen Bevölkerung und Erstellung
einer biographischen Datenbank. Gutachten und Sanierungskonzepte für jüdische
Friedhöfe in Österreich. Seit 1995 wissenschaftliche Bearbeitung des Währinger
jüdischen Friedhofes und Vorbereitung der Sanierung. Derzeit Arbeiten zu seiner
historischen, bautechnischen und architektonischen Inventarisierung.
Zurück
|