David:
Exzellenz, Sie sind ein renommierter Literaturwissenschafter. War der Wechsel in
die Diplomatie für Sie schwierig?
Botschafter Prof. Dr. Dr. h.c. Andrei Corbea-Hoisie:
Natürlich war es ein großer Schritt, in den diplomatischen Dienst einzutreten.
Wissenschafter zu sein, das ist natürlich meine berufliche, meine persönliche
Identität, auf die ich nicht verzichten möchte. Allerdings habe ich als
Botschafter eine Reihe von Aufgaben zu erfüllen, die es mir zur Zeit sehr schwer
machen, aktiv zu forschen.
Erleichtert wurde mir der Schritt dadurch, dass ich mich mit
der mittelosteuropäischen, auch der österreichischen Geschichte, Kultur und
Literatur seit langem intensiv beschäftigt habe. Im rumänischen Außenministerium
glaubte man, dass meine Kenntnis der Geschichte und Politik Mittelosteuropas
eine gute Voraussetzung sei, Rumänien im Ausland angemessen vertreten zu können.
Seit September 2005 bin ich jetzt Botschafter in Wien. Es ist eine schöne und
wichtige Aufgabe.
Was hat letztlich den Ausschlag für Ihre Entscheidung
gegeben, die Universitäts- gegen die Botschaftsatmosphäre zu tauschen?
Das Angebot kam zu einem für Rumäniens weitere europäische
Integration wichtigen Zeitpunkt. Ich sagte schließlich zu, weil ich dachte, dass
mein Vorrat an Kenntnissen hilfreich bei der Realisierung dieses zentralen
Anliegens meines Landes sein könnte.
Ich kann mir vorstellen, dass Ihnen diese Entscheidung
dennoch schwer gefallen sein muss. Sie haben nämlich einen beeindruckenden
wissenschaftlichen Lebenslauf mit zahlreichen Publikationen, Gastprofessuren und
Auszeichnungen.
Ich habe mich immer bemüht, alles sehr gründlich zu machen.
Nach dem Sturz Ceausescus war eine der wichtigsten Aufgaben die Reform des
Hochschulwesens, bei der ich mich intensiv engagierte. Beispielsweise übernahm
ich im Jänner 1990 die Leitung des Verlages der Alexandru Ioan Cuza-Universität
Jassy oder habe neue Studiengänge wie Publizistik und
Kommunikationswissenschaften initiiert und bis 2006 koordiniert. Auch war ich
Mitglied des Universitätssenats. Insgesamt habe ich für außerwissenschaftliche
Aufgaben – eigentlich war meine Hauptfunktion ja Vorstand des Instituts für
Germanistik – sehr viel Zeit aufgewendet, was aber kein Manko darstellt. Diese
Tätigkeiten waren wichtig, um die Universitätsautonomie zu stärken.
Die intellektuelle und finanzielle Situation der rumänischen
Universitäten muss nach 1989 sehr schwierig gewesen sein.
Unter dem Ceausescu-Regime hat es eine strenge
politisch-ideologische Kontrolle gegeben. Aber natürlich war es der Obrigkeit
nicht möglich, jede Vorlesung oder wissenschaftliche Veranstaltung zu
kontrollieren. Eine gewisse Freiheit bestand schon. So habe ich 1985/86 eine
Lehrveranstaltung über die Zensur im Dritten Reich abgehalten. Meine Studenten
haben die Anspielungen natürlich verstanden. Offene Kritik zu üben, war aber
nicht möglich. Die Kontrolle der Kommunistischen Partei war zwar effektiv – doch
liberale Ideen konnten nicht verdrängt werden. „Die Gedanken sind frei" – das
alte Lied hat noch immer recht!
Generell hatten die Naturwissenschafter einen größeren
Spielraum als die Geisteswissenschafter. Aber auch sie waren aufgrund des
Mangels an Büchern und der Schwierigkeit, ins Ausland zu reisen, vom
internationalen Fortschritt isoliert. Nach 1989 war es deshalb wichtig, hier
wieder den Anschluss zu finden. Doch weil es insgesamt wenig Geld gab, waren die
Universitäten auf Drittmittelfinanzierung angewiesen. Der Staat hat sich hier
vielleicht etwas zu früh zurückgezogen.
Kehrten nach der Wende viele exil-rumänische Wissenschafter
an die Universitäten zurück?
Es kamen sehr wenige. Die Situation war für sie nicht gerade
einladend und mit vielen Unsicherheiten behaftet, also ganz anders als etwa im
Falle von West- und Ostdeutschland. Wir mussten daher mit den beschränkten
gegebenen Mitteln arbeiten. Dennoch gelang es uns, eine grundlegende Reform des
Hochschulwesens durchzuführen: eine Dynamisierung und Flexibilisierung, wobei
wir viel von westeuropäischen Vorbildern lernen konnten.
Von Europa lernen – dieses Stichwort führt direkt zur Frage
der EU-Mitgliedschaft. Welche Erwartungen verbinden die Rumänen mit dem
bevorstehenden EU-Beitritt?
Der europäische Gedanke war im Volk immer tief verankert.
Kulturell haben sich die Rumänen immer als Teil Europas verstanden. Die
Beitrittsperspektive sehen viele als Möglichkeit, die „Unglücksphase" in der
rumänischen Geschichte endlich und endgültig zu überwinden. Nach mehreren
Diktaturen, die Rumänien im 20. Jahrhundert erlebte, sehen viele in der EU eine
Garantie für Demokratie und Stabilität.
Rumänien erlebt zur Zeit einen wirtschaftlichen Aufschwung.
Die EU-Mitgliedschaft, verbunden mit der Übernahme der gemeinschaftlichen
Standards, wird ausländischen Investoren noch mehr Rechtssicherheit bringen.
Weiters bieten die Auflagen der EU zur Korruptionsbekämpfung eine gute Garantie,
dass auch die rumänische Gesellschaft die europäischen Fairness-Regeln
übernimmt.
Es ist also eine Mischung aus politischen, ökonomischen und
kulturellen Argumenten, die für die Mitgliedschaft Rumäniens in der EU sprechen.
Wie gestalten sich aus Ihrer Sicht die
österreichisch-rumänischen Beziehungen?
Im 19. Jahrhundert hatte die Donaumonarchie im rumänischen
Raum eine sehr sichtbare Präsenz. Der Erste Weltkrieg markierte dann den Bruch.
Danach begann ein reziprokes Vergessen. Das neu gebildete, kleine Österreich lag
geographisch sehr weit entfernt, auch war es im Ersten Weltkrieg militärisch ein
Feind. Der Zweite Weltkrieg verstärkte diese Tendenzen noch, danach fiel der
„Eiserne Vorhang" und die „Systemkonkurrenz" setzte ein.
Die österreichische Neutralitätspolitik trug zur Annäherung
zwischen Bukarest und Wien in den sechziger Jahren bei, und es kam zu häufigen
gegenseitigen Besuchen hochrangiger Politiker. Zu dieser Zeit belebten sich auch
die kulturellen Kontakte, beispielsweise entsandte Österreich einige Lektoren
auf rumänische Universitäten. In den siebziger Jahren konzentrierte sich der
rumänische Außenhandel stark auf Österreich, wodurch sich die Beziehungen weiter
intensivierten.
Spielte oder spielt Wien als ehemaliges Zentrum der
k.u.k-Monarchie im Verständnis der Rumänen eine besondere Rolle?
Wien ist für die Rumänen auch nach dem Ende der Monarchie
immer eine sehr angesehene Stadt geblieben, trotz der räumlichen Distanz.
Während der Ceausescu-Diktatur waren die administrativen Hürden für Ausreisen
aber sehr hoch. Österreich, speziell Wien spielte eine wichtige Funktion für
diejenigen Rumänen, die ins Exil gehen wollten bzw. gegangen sind. In Wien
konnten sie sich mit dem Geschmack der Freiheit vertraut machen.
Die meisten Rumänen blieben jedoch nicht in Österreich,
sondern wanderten, meistens via das Lager Traiskirchen, in die USA, nach Kanada
oder Australien weiter.
Wie haben sich die bilateralen Beziehungen seit dem Ende der
kommunistischen Diktatur verändert?
Unmittelbar nach 1989 war die Zeit noch nicht reif für einen
grundlegenden bilateralen Neubeginn. Erst Mitte der neunziger Jahre haben die
österreichischen Investoren Rumänien entdeckt – heute ist Österreich der größte
ausländische Investor.
Auch politisch und kulturell haben sich die Beziehungen
belebt. Heute herrscht nicht nur unter Wirtschaftstreibenden, sondern auch bei
Politikern, Journalisten oder Wissenschafter ein großes Interesse an Rumänien.
Die fast einstimmige Ratifikation des rumänischen EU-Beitrittsantrages im
österreichischen Parlament war ein sehr positives Zeichen.
Findet in Rumänien eine Diskussion zum jüdischen Erbe des
Landes statt?
In Rumänien ist die Debatte über die Verantwortung des
Staates in den unrühmlichen Perioden der rumänischen Geschichte, etwa in
Bessarabien, der Bukowina oder beim Jassy-Massaker 1941, sehr lebhaft. So wurde
eine internationale Historiker-Kommission unter der Leitung Elie Wiesels
eingesetzt, die Ende 2004 ihren Bericht an den Staatspräsidenten übergeben hat.
Es stellt ein wichtiges Dokument zum Holocaust und zur NS-Zeit in Rumänien dar,
behandelt aber auch aktuelle Phänomene wie Revisionismus und Antisemitismus in
der rumänischen Gesellschaft. Es ist wichtig, dass die rumänische Gesellschaft
mit dieser Vergangenheit konfrontiert wird, um Gegenwart und Zukunft zu
meistern.
Das jüdische Erbe Rumäniens ist heute kein Tabu-Thema mehr.
Es steht zur Debatte in akademischen und intellektuellen Kreisen wie jedes Thema
der rumänischen Geschichte. Eine wichtige Rolle spielen in diesem Sinne die nach
1990 neu gegründeten Abteilungen für Jüdische Studien an den Universitäten in
Klausenburg, Bukarest und Jassy. Auch das Rumänischen Kulturinstitut Wien hat in
vorigem Frühling eine mehrtägige Judaica-Veranstaltung organisiert. Diese Reihe
wird weiter verfolgt.
Es freut mich, dass internationale wie österreichische
jüdische Organisationen Rumäniens EU-Beitritt unterstützt haben und auch weiter
unterstützen.
Herr Botschafter, ich danke für das sehr informative
Gespräch.