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Die Flammen der Vernichtung.
Giuseppe Verdis „Troubadour" in Bregenz als Drama einer Minderheit.

Charles E. RITTERBAND

Zwei Verdi-Opern – zwei Dramen über Minderheiten, die einer überlegenen Macht trotzen: In der einen, „Nabucco", triumphieren die geknechteten Juden im babylonischen Exil über ihre Unterdrücker. In der anderen, „Troubadour", unterliegen die Zigeuner. In beiden Opern liegen die Sympathien auf der Seite der unterdrückten Minderheit.

Doch in „Nabucco" geht es nur äusserlich um das Schicksal der Juden im babylonischen Exil; tatsächlich ist dies eine Chiffre für das von Österreich besetzte Italien – ein Fanal zur Befreiung, das im berühmten Gefangenenchor gipfelt. Man hat diesen Chor die geheime Nationalhymne Italiens genannt: Wenn er ertönt, in der Arena von Verona beispielsweise, erheben sich die Italiener im Publikum von ihren Plätzen, singen feierlich mit und fordern leidenschaftlich eine Zugabe. „Verdi" wurde zur Parole, die einst italienische Patrioten bei Nacht und Nebel an die Hauswände pinselten: Auch das war, wie das Schicksal der Juden im „Nabucco", eine Chiffre, ein geheimes Zeichen – denn „Verdi" meinte nicht den Komponisten des jüdisch-italienischen Freiheitsepos, sondern war das Akronym für „Vittorio Emanuele Re d’ Italia".

Gesamtansicht der Bühne auf dem Bodensee vom Zuschauerraum aus. Szenenfoto der Bregenzer Festspiele 2005 aus Giuseppe Verdi, Der Troubadour. Foto: andereart, mit freundlicher Genehmigung der Bregenzer Festspiele.

Die Welt als Vaterland

Diesen Sommer wird auf der Bregenzer Seebühne in der zweiten Saison der „Troubadour" aufgeführt. Der international renommierte kanadische Regisseur Robert Carsen transponiert das Geschehen aus dem späten Mittelalter in unsere Epoche und stellt es als Guerillakampf einer unterdrückten Minorität gegen eine anonyme Macht dar. Die Macht stützt sich auf die Armee des Grafen Luna. Mit scharfem Blick für das entlarvende Detail inszeniert Carsen die Rituale dieser durchtrainierten, hoch disziplinierten Soldaten in ihren blauen Overalls: Stilisierter Nahkampf, synchrones Präsentieren der Gewehre und automatisierte Angriffspositionen, bis die Masse zu einem einzigen willfährigen Körper verschmilzt. Aber auch immer wieder jene nur scheinbar sinnlosen Gesten, wie sie alle totalitären Regimes als Manifestationen bedingungsloser Unterwerfung fordern – man denkt an den Hitlergruss.

Dieser von den Machthabern erzwungenen Gefolgschaft gegenüber Regime und Staat, dieser totalitären Übersteigerung des Patriotismus, stellt die Oper das Klischee der schrankenlosen Freiheit der Zigeuner gegenüber: „Die Welt ist das Vaterland des Zigeuners !" ruft die von Lunas Soldaten gefangengenommene Zigeunerin Acuzena ihren Peinigern entgegen.

Azucena mit den Soldaten. Szenenfoto der Bregenzer Festspiele 2005 aus Giuseppe Verdi, Der Troubadour. Foto: Karl Forster, mit freundlicher Genehmigung der Bregenzer Festspiele.

Öl und Macht

Der Bühnenbildner Paul Steinberg nimmt als zeitgemässes Symbol für Macht das Erdöl, und aus der mittelalterlichen Festung wird eine Erdölraffinerie: Die Burgtürme sind hier Arbeitsplattformen, die Wehrgänge werden zu engen Passagen in einem albtraumhaften Gewirr von dicken Rohren. Das spektakuläre Bühnenbild prangt in rostroten Farbtönen – die Machtsymbole gleichsam von Blut befleckt – vor der blaudunstigen Ferne der Bodenseelandschaft. Im dramatischen Mittelpunkt der Oper steht die furchtbare Erzählung Acuzenas vom Flammentod: Der Ermordung ihrer Mutter auf dem Scheiterhaufen und der misslungenen Rache, als sie statt dem Sohn des Mörders ihrer Mutter versehentlich ihren eigenen Sohn in die Flammen wirft.

Die Arie von den „lodernden Flammen" ist das musikalische Leitmotiv der Oper, später aufgenommen vom Titelhelden Manrico, dem Troubadour und Rebellenführer – und das Feuer ist auch das Leitmotiv der Inszenierung: Mit spektakulären pyrotechnischen Effekten wird die Handlung an ihren Höhepunkten akzentuiert, die rauschhafte Wirkung von Verdis Musik, intoniert von den Wiener Symphonikern unter dem dynamischen Fabio Luisi zum schrecklich-schönen Feuerzauber potenziert. Immer wieder lodert die Flamme auf: Als Stichflamme aus dem Röhrengewirr der machtverheissenden Raffinerie-Burg, als böse aufzischendes Flämmchen aus dem Feuerzeug, das Graf Luna der in seine Hände geratenen Zigeuerin als sadistische Drohung vors Gesicht hält, als Scheiterhaufen, auf dem Acuzena ebenso wie ihre Mutter verbrannt wird. Schliesslich als alles verzehrendes Flammenmeer – Symbol der Liebe und des Hasses, der Rache, die zum dramatischen Schluss- und Höhepunkt der Oper führt: Graf Luna erschiesst seinen Rivalen Manrico, und erst jetzt schleudert ihm die Zigeuerin die schreckliche Wahrheit ins Gesicht – er hat seinen Bruder umgebracht und so mit eigener Hand die Rache Acuzenas für ihre Mutter vollzogen.

Zigeunerchor. Szenenfoto der Bregenzer Festspiele aus Giuseppe Verdi, Der Troubadour. Foto: Karl Forster, mit freundlicher Genehmigung der Bregenzer Festspiele.

Zeitgeschichtliche Assoziationen

Flammen und Rauch - für manche Zuschauer auf der gigantischen Tribüne am See weckt eine Szene ganz andere Assoziationen: Nach ihrem chancenlosen Aufstand werden die Zigeuner von den Häschern des Grafen Luna als Gefangene abgeführt: Ein endloser Zug trauriger Gestalten, die ihre Habseligkeiten in kleinen Köfferchen über endlose Gänge schleppen. Über ihnen raucht jetzt ein Schlot. Und plötzlich schweifen die Gedanken weit weg von den lauschigen Gestaden des Bodensees – man denkt an Birkenau, an die Shoah. Im persönlichen Gespräch bestätigt der aus New York stammende Bühnenbildner Steinberg , dass diese Gedankenverbindung durchaus beabsichtigt sei. Die Familie des Regisseurs Carsen war in der NS-Zeit zur Flucht aus Deutschland gezwungen; beide, Regisseur und Bühnenbildner, schufen mit dieser packenden Inszenierung Bilder von starker Aussagekraft. Parallel zum Liebesdrama zwischen Leonore und Manrico spielte sich auf der Bregenzer Seebühne der Kampf der Unterdrückten um Freiheit, ja ums nackte Überleben ab – eine Botschaft zweifellos im Sinne Giuseppe Verdis und seiner Ideale.

Charles E. Ritterband,

Geboren 1952 in Zürich, Studien an der Universität Zürich, am Institut d’ Études Politiques in Paris und an der Harvard University, Promotion zum Doktor der Staatswissenschaften an der Universität St. Gallen. Seit 1983 Neue Zürcher Zeitung - Auslandsredaktion, Korrespondent in Jerusalem, Washington, London, Buenos Aires, seit 2001 in Wien. Dozent für Journalismus an verschiedenen Fachhochschulen und Universitäten in Österreich.

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