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Die Synagoge in Wien Hietzing
Ulrike UNTERWEGER
Die Synagoge in der Eitelbergergasse in Wien, erbaut in den
Jahren 1926-28, stellt einen der Schlüsselbauten im österreichischen
Kunstdiskurses der „Jüdischen Moderne" dar. Nicht nur ist sie der einzige
freistehende Synagogenbau, der in der Zwischenkriegszeit in Wien errichtet
wurde, sondern auch der Entstehungsprozess und der diesen Prozess begleitende
zeitgenössische Diskurs stellen einen wichtigen Gradmesser dar, um die Bedeutung
eines solchen Projektes sowie die unterschiedlichen Positionen und
Herangehensweisen dazu besser nachvollziehen zu können. Die vorliegende Arbeit
bietet nun zunächst einen kurzen Einblick in den Diskurs um den Synagogenbau
allgemein und setzt sich dann mit der Vorgeschichte des Baues auseinander – dem
ersten Wettbewerb des Jahres 1912 und insbesondere mit dem Entwurf von Hugo
Gorge sowie der Konkurrenz von 1924. Anschließend wird näher auf Arthur
Grünberger, dessen Entwurf für die Synagoge in Hietzing schließlich verwirklicht
werden sollte, und den Wettbewerb zur Errichtung eines Krematoriums am Wiener
Zentralfriedhof eingegangen. Das nachfolgende Kapitel widmet sich dem
Theoretiker des Synagogenbaus und Kulturkritiker Max Eisler und anhand seiner
Person der Rezeption und Diskussion dieser künstlerischen und kulturpolitischen
Problemstellung zu einer Zeit, die nicht zuletzt auch in ihrer zeitlichen Nähe
zu den Schrecken des Nationalsozialismus zu sehen ist. Ein kurzer Abschnitt am
Ende der Arbeit setzt sich dann auch mit dem weiteren Schicksal des Baus
auseinander.
Abb.1. Ernst Lichtblau: Entwurf für den ersten Wettbewerb,
Fassade.
Quellenlage und Forschungsstand
Es gibt zahlreiche zeitgenössische Quellen, in denen das
Projekt der Synagoge Erwähnung findet. So publiziert etwa die Zeitschrift „Der
Architekt" sowohl unkommentierte Abbildungen der ersten Konkurrenz, eingereicht
von Rudolf Perco und Ernst Lichtblau, 1
als auch – vier Jahre später – einen umfassenden Beitrag des Architekten Hugo
Gorge über seinen Synagogenentwurf.2
Ein Jahr nach dem zweiten Wettbewerb des Jahres 1924
veröffentlichte die Zeitschrift „Österreichs Bau- und Werkkunst" einen von Max
Eisler verfassten Artikel3
über die Konkurrenz und die diversen Projektvorschläge, der auch eine
theoretische Abhandlung zum Synagogenbau darstellt. Derselbe Autor zeichnet des
weiteren verantwortlich für mehrere Artikel in „Menorah", einer monatlich
erscheinenden Zeitschrift „für die jüdische Familie"4,
in denen er sich kritisch mit „jüdischer Architektur" auseinandersetzt und vor
allem zur Zeit der Fertigstellung der Synagoge in der Eitelbergergasse einen
langen Artikel zum Wettbewerb und seinem Ergebnis verfasst.
Nach der Zerstörung in der Zeit des Nationalsozialismus
findet die Synagoge zum ersten Mal wieder Beachtung in Hammer-Schenks
Standardwerk über Synagogen in Deutschland, und zwar in Zusammenhang mit der
Person Max Eisler im Abschnitt über „Theoretische Arbeiten zum Synagogenbau in
den zwanziger Jahren". 5
Auch Krinsky widmet der Synagoge in Hietzing eine
lange und detaillierte Abhandlung, in der sie sich insbesondere dem ausgeführten
Bau von Grünberger gegenüber sehr kritisch äußert.6
Genée zeigt zum ersten Mal eine Innenansicht
des ausgeführten Baues und er stellt die Synagoge in einen Kontext zu den
anderen religiösen jüdischen Bauten, die in Wien errichtet wurden.7
Hanisch und Kapfinger richten ihr
Hauptaugenmerk auf den Aspekt des Wettbewerbes und dabei insbesondere auf die
Entwürfe Neutras und bieten darüber hinaus eine sehr differenzierte Darstellung
der Synagoge in ihrem historischen und lokalen Umfeld.8
Abb.2. Rudolf Perco: Entwurf für den ersten Wettbewerb,
Fassade.
1. Einleitung
In Wien war es seit der Vertriebung aus dem Zweiten Ghetto 9
den hier ansässigen Juden der Neubau eines
Tempels nicht gestattet. Daher entwickelte sich eine Kultur vieler kleiner
Betstuben, die in Privathäusern untergebracht waren. Dieser Umstand wurde
erstmals durchbrochen, als in den Jahren 1824-26 nach Plänen von Josef
Kornhäusel der Stadttempel in der Seitenstettengasse errichtet wurde. Seine
repräsentative Pracht entfaltet dieses Gotteshaus erst nach dem Betreten des
Komplexes, da es hinter einer Wohnhausfassade versteckt angelegt ist und sich
von außen um nichts von den angrenzenden Gebäuden unterscheidet. Die zweite
wichtige Synagoge, die in Wien errichtet werden sollte, war der so genannte
„Leopoldstädter Tempel" des Architekten Ludwig Förster. Die Stellung der Juden
hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon insoweit verändert, dass es möglich war,
das Gotteshaus auch nach außen hin als solches erkennbar zu machen, ja sogar
einen Bau monumentalen Charakters zu planen. Die imposante Anlage, bestehend aus
einer großen Synagoge und zwei weiteren seitlichen Trakten, stellte den ersten
sakralen jüdischen Bau in einer langen Reihe dar, die auch den
Repräsentationsansprüchen der Gemeinschaft nach außen hin Rechnung trug. Er
wurde in den Jahren 1854-58 errichtet. Durch die neuen Möglichkeiten, die sich
nun darboten, setzte innerhalb der jüdischen Gemeinschaft eine verstärkte
Auseinandersetzung mit der Bauaufgabe „Synagoge" ein. In dieser Zeit des
aufkeimenden Historismus liegt dabei der Fokus des Interesses besonders auch auf
der Suche nach dem „richtigen Stil". Die Frage „Wie sollen wir bauen?" spiegelt
vor allem aber auch eine grundsätzliche Frage nach der Identität innerhalb des
Judentums wieder, die zu stellen zu diesem Zeitpunkt durch die neu gewonnenen
Freiheiten und Rechte erstmals möglich geworden war. Bei der Suche nach der
„richtigen Art des Bauens" ging es zunächst einmal um eine grundsätzliche
Entscheidung bezüglich der liturgischen Ausrichtung der Synagoge. Hier gab es
zwei konträre Ansätze: ein Typus folgte dem orthodoxen Ritus und platzierte den
Almemor im Zentrum des Synagogenraums. Der andere, der sich am reformierten
Ritus orientierte, sah eine Längsausrichtung des Raumes – vergleichbar mit dem
Schema einer christlichen Basilika – vor, bei der Thoraschrein und Almemor
gemeinsam an der Ostwand angesiedelt waren. Viele weitere Unterscheide, in
Fragen wie etwa der Einstellung zur strengen oder weniger strengen Abgrenzung
eines Bereiches für Frauen oder auch der Art der Verwendung von Musik in der
Synagoge, spiegeln eine Diskussion wider, in welcher der Bau – stark vereinfacht
gesprochen – stellvertretend für Assimilation einerseits und Bewahrung der
eigenen Werte und Traditionen andererseits steht. Gleichzeitig mit diesen
grundlegenden Überlegungen zur Bauform existierte noch die Frage nach dem Stil,
die – im Gegensatz zu jenen Aspekten, die nur den Innenraum betrafen – nun durch
die Repräsentation des Baus nach außen hin und in gewisser Weise auch mit einer
Positionierung des Judentums innerhalb der Gesellschaft zusammenhing. Der
Diskurs um den Stil hatte verschiedenste Facetten: So konnte der
orientalisierende Stil als Ausdruck eigener jüdischer Identität – bis hin zu
einer nationalen jüdischen Identität – angesehen werden. Für Kritiker hingegen
griff er eine Formensprache auf, die keine originär jüdische war, sondern
vielmehr an muselmanische Bauen erinnerte, und die Gemeinschaft damit noch
stärker als „fremd" und unzugehörig erscheinen ließ. Ein anderer Ansatz war die
Rezeption der Stile christlicher Gotteshäuser von Romanik, Gotik bis Renaissance
– in Wien seien hierbei besonders die Bauten Max Fleischers im Stil der
Ziegelgotik erwähnt – die für die Befürworter ein Zeichen von Gleichstellung,
Anpassung und Zugehörigkeit war, von vielen aber auch scharf kritisiert wurde.
Die Auseinandersetzung wurde nicht zuletzt verstärkt dadurch, dass nach der
Lockerung des Niederlassungsrechts und der Gewährung der vollen Glaubens- und
Religionsfreiheit durch das Staatsgrundgesetz des Jahres 1867 viele Juden aus
den östlichen Gebieten des Habsburgerreiches den Weg nach Wien gefunden und
dabei auch ihre religiösen Anschauungen und Gepflogenheiten Einzug in die
Hauptstadt gehalten hatten. Des Weiteren begaben sich diverse Forscher, sowie
andere Interessierte und Suchende – unter ihnen auch viele Künstler – auf
ausgedehnte Reisen. Zahlreiche Publikationen setzten sich mit dem
osteuropäischen Judentum auseinander.10
Im Weiteren wird gezeigt werden, wie sich
unterschiedliche Aspekte dieser Thematik im Kleinen an einem Bauprojekt wie der
Synagoge für Wien-Hietzing aufzeigen lassen.
Abb.3. Hugo Gorge: Entwurf für den ersten Wettbewerb,
Innenraum
2. Der erste Wettbewerb
Die Notwendigkeit eines Ortes zur „Abhaltung von
Gebetsversammlungen" in Hietzing bezeugt eine Quelle zum ersten Mal für das Jahr
1877, als der jüdische Baron Königswarter seinen Glaubensgenossen, die hierher
auf Sommerfrische gekommen waren, seine Villa vorübergehend zu diesem Zweck zur
Verfügung stellte. 11
Bis zum Jahre 1912 hatte sich die demographische
Situation bereits umfassend verändert und der Tempelverein des nunmehr XIII.
Wiener Gemeindebezirks ließ einen Wettbewerb für die Errichtung einer Synagoge
ausschreiben. Der für den Bau vorgesehene Platz befand sich in der
Onno-Koppgasse (im heutigen XIV. Bezirk) und war ein freies zwischen zwei
weiteren Gebäuden gelegenes Grundstück, das von der Straße aus von Westen her zu
betreten war. Die Konkurrenz stand anscheinend für Anhänger aller religiösen
Konfessionen offen, da unter den Architekten der zweiunddreißig eingereichten
Projekte erwiesenermaßen nicht nur Juden waren.12
Zur Jury zählten bekannte Architekten wie
Julius Deininger, Max Fabiani, Ernst von Gotthilf, Oskar Strnad, Jakob Gartner,
Ernst Lindner und Friedrich Schön, des weiteren gehörten ihr noch der Direktor
der Privaterziehungsanstalt für den XIII. Bezirk, Dr. S. Krenberger, sowie der
Hofjuwelier Max Zirner an. Der jüdische Architekt Hugo Gorge konnte die
Konkurrenz für sich entscheiden, des Weiteren prämierte die Jury die Entwürfe
von Ernst A. Heise und Rudolf Perco.13
Die Arbeit des letzteren wurde gemeinsam mit jener
von Ernst Lichtblau, der auch an der Konkurrenz teilgenommen hatte, dessen
Entwurf aber keine Auszeichnung erhalten hatte, im selben Jahr in der
Fachzeitschrift „Der Architekt" veröffentlicht.14
Im Grundriss zeigt sich bei beiden ein sehr
ähnliches Schema in der Auffassung des Baus: von der Straße her betreten die
Männer die Anlage durch zwei bzw. drei Türen und gelangen in einen kleinen
Vorraum, der wiederum zum Hauptraum der Synagoge weiterführt. Hier liegt der
Almemor in der Mitte, der Thoraschrein an der dem Eingang gegenüberliegenden
Ostwand. Zu beiden Seiten des Thoraschreins führen Türen, (wahrscheinlich von
der Bauvorschrift her geforderte Notausgänge)15,
zum hinteren, unverbauten Teil des Gründstücks. Auf der rechten Seite des Baus
gibt es einen Eingang, der über eine Stiege zu den Frauengalerien in den ersten
Stock führt. Der Unterschied zwischen den beiden Entwürfen liegt darin, dass
Perco zusätzliche Räumlichkeiten für die Gemeinde auf die zwei Seiten des Baus
verteilt, während Lichtblau den Synagogenhauptraum aus der Mittelachse des
Grundstücks nach rechts verschiebt und somit auf der linken Seite Platz schafft
für einen Gemeinde- und Wohnhaustrakt, der auch einen separaten Eingang erhielt.
Optisch entsteht in der Fassade (Abb. 1) nicht zuletzt dadurch ein gewisses
Ungleichgewicht, das noch verstärkt wird, da der rechte Flügel des Gebäudes, der
ausschließlich den Stiegenaufgang sowie einige Toiletten enthielt, wesentlich
niedriger angelegt war als der restliche Komplex. Allerdings ist unbekannt, wie
die umgebenden Häuser zur Zeit der Planung ausgesehen haben und vielleicht
stellte gerade die unterschiedliche Höhengestaltung ein verbindendes Element zu
den Nachbarbauten dar. Während Lichtblaus Fassadenentwurf stark an ein Wohnhaus
erinnert und lediglich durch zwei Davidsterne, die in Fenstern auf Höhe des
zweiten Stockes eingelassen waren, als „jüdisch" gekennzeichnet ist – also ein
bescheidener und, wenn man so will, in jeglicher Hinsicht „angepasster" Entwurf
ist – gestaltet sich die Fassade bei Perco (Abb. 2) um einiges imposanter. Er
bedient sich der Idee des Pantheon und bekrönt seinen Bau mit einer großen, mit
einem Davidstern versetzten Kuppel. Der Dreiecksgiebel, der die Fassade nach
oben hin abschließt, sowie die darunter liegenden schmalen, langgezogenen
Fenster erinnern zudem stark an einen Portikus, der bei Perco aber lediglich als
Mittel der Gliederung dient. Den eigentlichen Eingang bildet eine
Dreiportalanlage, ein sehr repräsentatives Element, das kurz zuvor auch von
seinem ehemaligen Lehrer Otto Wagner bei der Kirche am Steinhof verwendet wurde.
Mit der Wahl des Pantheon als Vorbild für das Aussehen der Synagoge bedient sich
der Architekt einer sakralen nicht aber einer christlichen Formensprache, der
eines „Hauses aller Götter", das nun auch den Juden als Gotteshaus dienen soll.
Abb.4. Fritz Landauer: Entwurf für den zweiten Wettbewerb,
perspektivische Ansicht mit Kuppel.
2.1. Hugo Gorge beim ersten Wettbewerb
Der Entwurf, mit dem Hugo Gorge die Ausschreibung gewonnen
hatte, wurde aufgrund des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges zunächst nicht
ausgeführt. Unmittelbar nach dem Krieg lässt die Veröffentlichung der Pläne,
begleitet von einer ausführlichen Erläuterung Gorges in der Zeitschrift „Der
Architekt" 16
die Vermutung zu, dass die Pläne für die Umsetzung
zu diesem Zeitpunkt verschoben, aber noch nicht völlig aufgegeben worden waren.
Davon, dass es mit der Stellung der Juden in der jungen Republik nicht zum
Besten stand, zeugt eine nahezu rechtfertigende Aussage des Architekten, die er
seinen Ausführungen nachstellt. Darin meint er, dass „[m]anchen (...) die
Veröffentlichung eines derartigen Projektes unzeitgemäß erscheinen [könnte]",
aber dass es insoferne von Relevanz wäre, als er vielleicht einmal vor der
Aufgabe stehen könnte, eine Kirche der Zukunft für eine verbrüderte Menschheit
zu errichten, deren Vorbild die Synagoge, dieses „Versammlungshaus des Volkes",
wie sie in wörtlicher Übersetzung heißt, sein könnte.17
Bereits hier erkennt man ein wenig von der
intensiven Auseinandersetzung, in der er „Art und den Sinn [des jüdischen]
Rituals (...) durch Umfrage, Forschung und Versenkung erfahren"18
hat, wie es Max Eisler Jahre später
beschreiben sollte. So geht er denn auch in der Entwicklung des Konzeptes für
den Bau von sehr grundsätzlichen Überlegungen zur Funktion aus. Die Synagoge
sieht er als etwas „im ewigen Wandel der Zeiten" „sich ewig gleich geblieben[es]"19
und sucht die Inspiration für seine Planungen
bei den von ihm so genannten „alten Synagogen"20.
Der Ausdruck „alte Synagogen" umfasst dabei all jene Elemente aus Synagogen, die
seiner Meinung nach die jüdischen Traditionen am besten verkörpern. Beim Entwurf
für die Hietzinger Synagoge versucht er nun, „allen (...) traditionellen
Gesichtspunkten", die er zuvor aus den unterschiedlichen Gebäuden sowie
archäologischen Forschungsergebnissen abstrahiert hat, „Rechnung zu tragen."21
Beginnend mit dem Inneren (Abb. 3) ist dies
zunächst der Almemor, der an mittelalterlichen Vorbildern, wie etwa jenem in der
Altneusynagoge in Prag , orientiert ist22
und sich in der Mitte des Betraumes befindet.
Für die Konzeption der Heiligen Lade hält Gorge als Symbol die alte Form einer
tragbaren Truhe bei und positioniert sie vor der Ostwand, anstatt sie mit dieser
baulich zu verbinden. Der Raum wird von Süden her betreten, sodass die
Bundeslade nicht gesehen werden kann, bevor der Eintretende sich innerhalb des
Raumes befindet. An der Südseite befindet sich ebenso die Frauengalerie, die
sich in zwei Bögen zum Hauptraum hin öffnet.23
Die Wände des Innenraums sind in weiß
gehalten und weisen außer einigen dunklen Textilien keinerlei Schmuck oder gar
Ornamentierung auf. Interessant zu bemerken ist auch, dass sich der Raum mit
seinen großen Fenstern so präsentiert, dass er bestmöglich mit Tageslicht
versorgt wird; es gibt keine zusätzliche künstliche Beleuchtung etwa von der
Decke, lediglich um den Almemor und in der Nähe des Thoraschreins sind einige
wenige Lampen vorgesehen.
Der Gesamtkomplex ist im Grundriss in zwei Hälften geteilt:
die linke Seite bildet den Hauptraum der Synagoge, während sich die rechte um
einen Brunnenhof gruppiert. Auf der rechten Seite befinden sich zudem im ersten
Stock Gemeinderäumlichkeiten und im zweiten Stock der Bereich, der für die
Frauen vorgesehen ist. Beide Stockwerke teilen sich eine gemeinsame Treppe, da
der erste Stock zu Zeiten des Gottesdienstes nicht benutzt wurde, weil dann der
gesamte Frauenbereich einschließlich der Treppe nicht von Männern betreten
werden durfte. Der Eingang zur Synagoge befindet sich in einer Achse mit dem
Brunnenhof, Frauen- und Männereingang sind direkt nebeneinander angelegt, die
Gestaltung der Türen und des gesamten Eingangsbereichs ist sehr funktional und
schlicht, keinesfalls imposant. Die Fassade ist mit Bruchstein verblendet und
vermittelt somit den Grundsatz des vollständigen Abschließens des Baus gegen die
Straße hin. Neben den Türen (außer dem Eingang gibt es noch zwei Notausgänge auf
der linken Seite) und einigen rechteckigen Fenstern ist das einzige zusätzliche
Gliederungselement ein Erker, der auf der Höhe des zweiten Stockes als Laufgang
zum Sängerbalkon diente. Mit seiner Orientierung an den „idealen"
baugeschichtlichen Vorbildern sowie der genauen Übernahme bestimmter Details wie
etwa des Almemor steht Gorge eindeutig in der Nachfolge des – in Wien so
wichtigen und dominanten – Historismus. In der Art seiner baulichen Lösungen
spiegelt sich aber gleichzeitig auch das Gedankengut der Moderne wider, wie etwa
durch die Überordnung der Funktion vor der Form sowie seiner einfachen und
klaren stilistischen Formensprache.
Abb.5. Richard Neutra: Entwurf für den zweiten Wettbewerb,
perspektivische Ansicht.
3. Der zweite Wettbewerb
Im Jahre 1924 kaufte der Tempelverein für den 13. Bezirk für
die – aufgrund der Inflation – astronomische Summe von 700 Millionen Kronen 24
das Grundstück in der Eitelbergergasse 22, an der Ecke zur Neue-Weltgasse an, um
nun an dieser Stelle eine Synagoge zu errichten. Was die Beweggründe für den
Wechsel des Bauplatzes gewesen sein mögen, ist unklar, er führte in jedem Fall
aber zu der Entscheidung, einen weiteren Wettbewerb durchzuführen, da das neue
Grundstück andere Anforderungen an den Bau stellte. So sollte die neue Synagoge
nun nicht mehr direkt an zwei Profanbauten angrenzend, sondern als freistehender
Baukörper errichtet werden.
Ausgeschrieben wurde ein internationaler Wettbewerb, für
ausschließlich jüdische Architekten, deren Jury unter anderem Josef Hoffmann,
Alexander Neumann, Emil Hoppe und Arnold Karplus angehörten. 25
Die Richtlinien des Wettbewerbs besagten,
dass die Entscheidung der Jury für die Ausführung des Baus verbindlich war. Der
erste Preis ging an Arthur Grünberger, weiters wurden die Arbeiten von Hugo
Gorge und Fritz Landauer prämiert und der Entwurf von Richard Neutra angekauft.
Der Entwurf sollte Pläne für eine Synagoge sowie Räumlichkeiten für die Gemeinde
umfassen. Eine weitere Forderung bestand darin, dass der Almemor – im Sinne des
reformierten Ritus – an der Ostseite des Synagogenraumes, in der Nähe der
Bundeslade angebracht werden sollte, was eine entscheidende Änderung zum
vorhergehenden Wettbewerb darstellte. Das Grundstück, das für den Bau erworben
worden war, bestand aus zwei Parzellen: einer breiteren zur Neue-Welt-Gasse und
einer etwas schmäleren, die an das Nachbargrundstück angrenzte. Betrachtet man
nun die Grundrisse der eingereichten Projekte von Grünberger und Neutra, so
erkennt man, dass beide ihren Entwurf so angelegt haben, dass sich der Hauptraum
der Synagoge auf der einen, weitere erforderliche Räume auf der anderen Parzelle
befinden. Gorge und Landauer hingegen entwarfen größere Synagogenbauten, deren
Mittelachse leicht nach Süden in Richtung der Neue-Welt-Gasse verschoben war.
Aus der Anlage dieser Grundrisse lässt sich die Hypothese ableiten, dass es eine
zusätzliche – im Rahmen der Ausschreibungsrichtlinien – jedenfalls mögliche
Nutzenüberlegung gewesen sein könnte, einen Entwurf vorzulegen, die Synagoge auf
der südlichen Parzelle, die Räumlichkeiten für die Gemeinde hingegen auf der
zweiten Parzelle zu planen, um gegebenenfalls zu ermöglichen, auch nur den
wichtigeren der beiden Bauteile zu errichten. Eine solche finanziell motivierte
Überlegung wäre aufgrund der unsicheren wirtschaftlichen Situation dieser Zeit
durchaus nachvollziehbar. Betrachtet man den schlussendlich errichteten Bau, der
eben lediglich aus einer Synagoge auf besagtem südlichen Grundstück besteht,
drängt sich der Gedanke auf, ob nicht auch die Ermöglichung einer derartigen
Ausführungsvariante entscheidenden Einfluss auf die Juryentscheidung gehabt und
Grünberger nicht zuletzt dadurch den ersten Preis erhalten hatte. Die vier
Projekte wurden im Jahr nach dem Wettbewerb von Max Eisler in der Zeitschrift
„Österreichische Bau- und Werkkunst" vorgestellt, der sich an dieser Stelle zum
Juryentscheid aber nicht weiter äußerte.26
Abb.6. Arthur Grünberger: Entwurf für den zweiten Wettbewerb,
perspektivische Ansicht.
3.1. Hugo Gorge beim zweiten Wettbewerb
Hugo Gorge musste sich in seiner Planung von zwei der
wichtigsten von ihm formulierten Grundprinzipien trennen und einerseits den
Almemor nicht im Zentrum des Raumes sondern in der Nähe der Ostwand konzipieren,
andererseits den Eingang zum Synagogenraum gegenüber der Bundeslade ansiedeln.
Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist an der Fassade ersichtlich, die nun
mit einem großen Relief versetzt ist, darunter liegen fünf Türen, die als
Eingangslösung durchaus repräsentativ wirken. Hinter den beiden äußersten Türen
befinden sich Treppen zu den Frauengalerien im oberen Stockwerk, während die
drei mittleren zu einem Vorraum führen, hinter dem ein ähnlicher Brunnenhof
angelegt ist, wie er auch schon im ersten Entwurf geplant war. Ähnlich bleiben
auch die Balkendecke sowie die Gestaltung des Almemor, der ebenfalls mit einem
schmiedeeisernen Gitter versehen ist. Ansonsten hat sich die Erscheinung des
Synagogeninnenraums aber entschieden verändert durch die reiche Ausgestaltung
der Ostwand mit zwei riesigen ornamentierten Pilaster, die wohl Jachin und Boas
repräsentieren sollen, sowie den darüber liegenden, ebenfalls etwas
überdimensioniert wirkenden Dekorfeldern, in denen sich auch rituelle Symbole
wiederfinden. Gorge hatte sich in seinem Aufsatz zum Synagogenbau zwar gegen die
Verwendung von Symbolen und Ornamenten ausgesprochen, aber nicht prinzipiell,
sondern nur dann, wenn diese „zu einer Schablone des Dekorierens [wurden,] als
einzige[m] Ausdrucksmittel, um das Jüdische zu betonen." 27
Dennoch war es bei seinem ersten Projekt
gerade die Schlichtheit in der Ausgestaltung seiner Innenräume, die Reduktion
auf das geistliche, den sakralen Charakter des Ortes gewesen, die überzeugt
hatten und die er nun aufgab. Ein anderer Aspekt hingegen, das Prinzip der
Abgeschlossenheit zur Straße hin, kam durch den blockhaften Bau, der nun an
allen Seiten mit Bruchstein verblendet und am Dach zusätzlich mit spitzen
Dreiecken versehen war, bei diesem Entwurf viel deutlicher und eindrucksvoller
zum Ausdruck.
Abb.7. Arthur Grünberger: Entwurf für eine
Feuerbestattungsanlage, Querschnitt.
3.2. Fritz Landauer
Von Fritz Landauer sind zwei Entwurfszeichnungen erhalten
(Abb. 4). Beide erheben sich über einem kreuzförmigen Grundriss wobei in einem
Entwurf gar eine Kuppel über der Mitte des Baus vorgesehen war. Mit diesen
Gestaltungselementen hatte Gorge bereits einige Jahre zuvor abgerechnet, wenn er
schreibt: „Man findet sogar neuere Synagogen, die als Grundriß die Kreuzform den
christlichen Vorbildern entlehnt haben. Ebenso der Kuppelbau... es wird damit
eine Mystik betont, ein Distanzieren zwischen Priester und Zuhörer in der
baulichen Anlage, die dem jüdischen Kult immer fremd waren." 28
Dennoch wurde der renommierte Architekt mit
dem dritten Platz ausgezeichnet, da sein Entwurf „Aus Erfahrung", der stark an
die Augsburger Synagoge erinnerte, die ein Jahrzehnt zuvor erbaut worden war,29
die Wiener Jury anscheinend mehr überzeugte
als das – insbesondere im Vergleich zu Landauer überaus revolutionär anmutende
Projekt von Richard Neutra.
3.3. Richard Neutra
Neutra reichte unter dem Titel „Der Neue Welt Tempel" – der
sowohl die Anspielung auf die Straße, an der sich die Synagoge befinden sollte,
als auch auf seine neue Heimat Amerika anklingen ließ – einen Entwurf im
internationalen Stil ein (Abb. 5). Auf der rechten Hälfte des Grundstücks
befindet sich ein lang gezogener Synagogenraum, auf der linken Hälfte
Gemeinderäume sowie ein großer, ebenfalls länglich angelegter Hof . Angeblich
war es insbesondere Josef Hoffmann, der Neutras Projekt ablehnte. 30
Ein weiterer Grund dafür, dass es nicht prämiert worden war, könnte aber auch
der sein, dass der Komplex an zwei Seiten direkt an die Nachbargrundstücke
angrenzt und damit die rechtlichen Erfordernisse der „offenen Bauweise" des
Hietzinger Cottage außer Acht ließ.31
Abb.8. Innenraum der Synagoge mit Blick auf die Ostwand.
4 Der Entwurf Arthur Grünbergers.
Unter dem Kennwort „1924" hatte Grünberger gemeinsam mit
Adolf Jelletz das Projekt eingereicht, das ausgewählt wurde um später
verwirklicht zu werden. Dabei erinnert sein Entwurf im Grundriss zu einem
gewissen Grad an jenen von Gorge aus dem ersten Wettbewerb, indem er den
eigentlichen Synagogenraum auf der linken, Brunnenhof und Verwaltungs- bzw.
Gemeinderäumlichkeiten auf der rechten Seite anlegt. Anders als bei Gorge sind
diese aber nicht in einem Komplex miteinander verwoben sondern klar abgetrennt
nebeneinander angelegt. In der perspektivischen Ansicht (Abb. 6) sieht man denn
auch, wieviel mehr Wert Grünberger auf das Gotteshaus, als auf das Zusammenspiel
im größeren Kontext legt.
Das eigentliche Synagogengebäude ist ein kubischer Körper,
der im Gesamteindruck sehr an die Wehrsynagogen im Podolien und Wolhyinien
erinnert. Das große Eingangsportal erscheint durch die Abschrägung der Wand
leicht nach vorne versetzt und wird flankiert von zwei Baldachinen mit Treppen,
die zu den Frauengalerien führen. Nach oben hin wird der Bau von einem
Zinnenkranz abgeschlossen, hinter dem das flache Walmdach verborgen ist. Die
Fenster gestaltet er in diesem Entwurf in Form von Davidsternen – direkt unter
dem Wandabschluss finden sich einzelne solcher Sterne, die von gemalter
Verzierung umrahmt sind, an der Längsseite sieht er darunter liegend zusätzlich
noch Fenster vor, die aus einer Art Traube an Sternen gebildet werden. Zusammen
mit dem Motiv des Bogens, der jeweils über den Fensterabschnitten angebracht
ist, lassen all diese Elemente die Außenwand sehr bewegt erscheinen. Die
Anordnung der Fenster nimmt auch auf die Frauengalerien Rücksicht, sodass die
„Fenstertrauben" an der Westseite nach oben hin abgestuft sind, wodurch sich von
außen bereits die innere Gliederung des Gebäudes ablesen lässt. Unter den
Frauengalerien ist noch Platz für weitere Räume vorgesehen, wie etwa einem
kleineren Betsaal, der wochentags benützt werden konnte. Im Inneren des
Hauptraumes setzt er Almemor und Bundeslade wie gefordert an die Ostwand, zu
beiden Seiten führen Stufen auf die Plattform, auf der sie positioniert sind.
Der Entwurf lässt sich aber nicht nur von Vorläufern im Synagogenbau her
ableiten, sondern hängt auch noch mit einem ganz anderen Projekt Grünbergers
zusammen. Das gleiche Architektenduo beteiligte sich bereits einige Jahre zuvor
gemeinsam an einem Wettbewerb – jenem für die Errichtung eines Krematoriums am
Wiener Zentralfriedhof.
Abb.9. Detail des Innenraums mit Thoraschrein und Almemor.
4.1. Exkurs: Der Wettbewerb zur Errichtung eines Krematoriums
am Zentralfriedhof
Die Gemeinde Wien veranstaltete in den Jahren 1920/21 eine
offene Ausschreibung für den Bau einer Feuerbestattungsanlage am Wiener
Zentralfriedhof. Die rege Beteiligung – es wurden insgesamt siebzig Projekte
eingereicht – erklärte man sich damit, dass dies einerseits ein Monumentalbau
werden sollte, dessen baldige Ausführung auch tatsächlich gesichert war, und
andererseits, dass hier auch der künstlerische Ehrgeiz der Architekten in hoher
Weise gefordert war, da für diese – für Wien und Österreich völlig neue –
Bauaufgabe neue Ausdrucksformen gefunden werden mussten. 32
Das für den Bau vorgesehene Grundstück befand
sich in einem Bezug zum Neugebäude, wobei erst später entschieden wurde, das
Krematorium innerhalb der Mauern des Neugebäudes zu errichten.33
Gefordert wurde von den Architekten ein
strenger Zweckbau, der aber gleichzeitig einen sakralen Charakter haben sollte.
Den ersten Platz erhielt das Projekt „Aus vorhandenen Mitteln" von Karl
Hoffmann, Max Ferstel wurde mit seinem Entwurf „Ustrinia" mit dem zweiten Platz
ausgezeichnet. Das mit dem dritten Preis bedachte und zur Ausführung vorgesehene
Projekt „Zinne" war von Klemens Holzmeister eingereicht worden. Grünberger und
Jelletz’ Entwurf „A ?" wurde nicht prämiert. Die Entscheidung der Jury war nicht
unumstritten. Gleichsam rechtfertigend schreibt Holey, der als Mitglied der Jury
die Entscheidung auch mitzutragen hatte, dass die Gefahr von Wettbewerben für
die Weiterentwicklung der Kunst darin liege, dass die Gruppe von Künstlern in
klarem Vorteil wären, die nach der Ausführung des Baus streben und sich deswegen
bis ins kleinste Detail an die Vorgaben der Auftraggeber hielten, gegenüber
jenen, die nach neuen Ausdrucksformen strebten und sich dafür manchmal mit
voller Absicht über die beengenden Vorschriften des Programmes hinwegsetzen
würden.34
– Eine Überlegung, die auch für den späteren Wettbewerb für die Synagoge in der
Eitelbergergasse ihre Richtigkeit haben könnte. Dagobert Frey, für den der
Entwurf von Grünberger und Jelletz eindeutig der beste gewesen war,
veröffentlichte als Konsequenz aus diesem Juryentscheid35,
in seinen „Glossen zum Krematoriumswettbewerb" das Projekt „A ?", außerdem noch
einige weitere Entwürfe sepulkralen Charakters von Grünberger – darunter eine
jüdische Friedhosanlage36
und ein Kriegerfriedhof in Gallizien – sowie einen
Brief des Architekten, in dem er sich über seine künstlerische Absicht äußert.37
Das Krematorium wird gebildet aus einem
Zentralbau, an den an der Rückseite ein weiterer kubischer Baukörper anschließt.
Der Rundbau ist von einem Graben umgeben, über den drei Seiten Treppen zur
Plattform des Hauptgeschosses führen. Von größter Bedeutung für Grünbergers
Synagogenentwurf ist allerdings nicht so sehr diese Konzeption des Gebäudes,
sondern vielmehr einige bauliche Details, die sich anhand des Querschnitts (Abb.
7) gut aufzeigen lassen. Zum einen verwendet er bereits hier eine ähnliche Idee
für den oberen Abschluss des Baus, bei der das flach gehaltene Dach hinter einem
Zinnenkranz verschwindet. Dieses Element dürfte von der Umfassungsmauer des
Neugebäudes beeinflusst sein, und wird nicht nur von Grünberger sondern auch von
Holzmeister aufgegriffen. Ein weiteres Detail, das sich in ähnlicher Weise auch
bei der schlussendlich ausgeführten Synagoge wieder finden lässt, ist die
Fensterlösung des Innenraums. In beiden Fällen werden hier die schmalen,
langgezogenen Fenster von rundbogigen Nischen umfasst. Auch diese könnten in
Anlehnung an die Umfassungsmauer entwickelt worden sein, deren Schießscharten im
Inneren ebensolche rundbogigen Nischen aufweisen. Wahrscheinlich auf den Umstand
eingehend, dass das Neugebäude an der Stelle errichtet worden sein soll, an dem
sich während der Zeit der Belagerung Wiens das Zelt des osmanischen Heerführers
befunden haben sollte, schreibt Grünberger über die Konzeption seines Baus
folgende Worte, in denen er auch sein Verhältnis zum Synagogenbau offen legt:
„Mein Streben ist, die Gestaltung des Aufrisses im Grundriß zwingend zu
begründen und den Grundriß zum Träger, den Aufriß zum Interpreten des
Formwillens zu machen. Daher kann beim Friedhof der Aufriß auf das
„orientalische" Element verzichten, weil die Vielstützigkeit der Anlage (jenes
Aneinanderreihen von Zelten, jenes Zeltlager der Orientalen – das mit der Zeit
permanent wurde) die nationale Eigenheit des Baues viel stärker betont und
charakterisiert, als alle Ornamentik dies könnte. Denken Sie im Gegensatz dazu
an jene jüdischen Kirchen (von 1870 bis heute) teils gotisch, teils
muselmännisch!"38
4.2. Die Ausführung des Baus in der Eitelbergergasse
Im Jahre 1926 wurde mit dem Bau der Synagoge begonnen, die
1929 fertiggestellt werden sollte. Adolf Jelletz hatte die Bauleitung inne,
nachdem Arthur Grünberger bereits 1923 in die Vereinigten Staaten emigriert war
und von dort aus am Wettbewerb teilgenommen hatte. Mit der Ausführung des Baus
wurde die Firma Melcher & Steiner betraut. 39
Vom April des Jahres 1928 existieren
detaillierte Baupläne, die eine entscheidende Veränderung zum Entwurf des
Wettbewerbs aufweisen, denn es war nun nur noch eine der beiden Parzellen, jene
an der Ecke von Neue-Welt-Gasse und Eitelbergergasse, für den Bau vorgesehen.
Dadurch waren auch nachhaltige Veränderungen an der Synagoge von Nöten, die nun
auf kleinerem Raum zusätzliche Funktionen abdecken musste. Die Konsequenz war,
dass der Bau sowohl in der Breite als auch in der Länge reduziert wurde.
Am hinteren Teil des Grundstücks befindet sich nun ein
kleiner Garten mit Sitzbänken, allerdings ohne Brunnen. Die Frauengalerien sind
übereinander gestaffelt auf zwei Stockwerke verteilt. Auch der Eingangsbereich
zeigt sich verändert: die Freitreppen mit Baldachinen sind ersetzt durch zwei
vorgezogene Bauteile, von denen der rechte wiederum über eine Treppe zur
Frauengalerie führt, der linke für eine Garderobe gedacht ist. Auch die
Außenwandgestaltung hat sich gegenüber dem Wettbewerbsentwurf verändert.
Grünberger erreicht eine klarere Struktur, indem er die Anzahl der Fenster
reduziert, und statt der Fenstertrauben nun lediglich sechs Fenster anbringt, in
denen die Form des Davidsterns so abgewandelt wird, dass das nach unten weisende
Dreieck statt mit spitzen, mit runden Enden versehen worden ist. Die
tatsächliche Ausführung unterscheidet sich nur in der Lösung des
Eingangsbereiches von der Planungsstufe des Jahres 1928, die nun wieder zu
beiden Seiten von Baldachinen überdachte Treppenaufgänge aufweist. Der Einblick
in den Innenraum (Abb. 8) zeigt deutlich die Stellung des Almemor an der
Ostseite sowie die einfache Innenraumgestaltung mit hölzerner Balkendecke und
den weißen Wänden, die nur durch die signifikante Fensterlösung gleichsam
ornamentiert werden. Einen näheren Blick auch auf die Verglasung der Fenster
gewährt ein Detail mit Almemor und Thoraschrein (Abb. 9), der sich mit seiner
spitzbögigen Form nur bedingt in die übrige Konzeption des Raumes einfügt.
5. Zur Zeitgenössischen Rezeption am Beispiel von Max Eisler
Die Rolle Max Eislers ist im Kunstdiskurs der „jüdischen
Moderne" in Österreich von immanenter Wichtigkeit. Zum einen, weil er über die
Zeitschrift Menorah in zahlreichen Artikeln Einfluss auf das Kunstverständnis
der jüdischen Gemeinschaft auszuüben suchte und zum anderen, weil er zu
praktisch allen wichtigen Geschehnissen, die Judentum und Architektur betrafen,
Stellung bezog. Seine Artikel vor allem auch zum Synagogenbau wurden sowohl in
Zeitschriften mit hauptsächlich jüdischer Leserschaft, als auch in einschlägigen
Architekturjournalen veröffentlicht. Dabei differenziert er, was nicht unwichtig
zu bemerken ist, zwischen dem Diskurs, der in der allgemeinen Öffentlichkeit
geführt werden konnte und jenem, wie er in einer jüdischen Zeitschrift möglich
war. 40 So
kommentiert er denn auch die von ihm konstatierte „Enthaltsamkeit [in der]
Sprache" bei Gorges Beschreibung seines Synagogenentwurfs in „Der Architekt"
damit, dass er „für die allgemeine, also nicht bloß jüdische Öffentlichkeit
bestimmt, und eine gewisse Reserve daher nur natürlich [war]."41
Eislers theoretischer Zugang zum Synagogenbau
ist geprägt durch die Vorliebe für moderne Architektur und seine eher
konservativere Ausrichtung in Sachen des Glaubens. Als eines der Vorbilder
zählte für ihn Holland, da dort selbst dann, „wenn in einem ‚Kirchenrat’ die
sogenannten Liberalen die Mehrheit haben, (...) es ihnen nicht im Traum
ein[fiele], die Anlage ihres Tempels zu ‚reformieren’", wodurch sie „in [ihrer]
usprünglichen Bedeutung [entfremdet]" und damit „nicht mehr für alle Juden
brauchbar" sein würde.42
Besondere Affinität hatte er daher zu Gorge, dessen
Abhandlung über den Synagogenentwurf des ersten Wettbewerbs er 1930 wortwörtlich
und nahezu vollständig ein weiteres Mal publizierte.43
Zu Ablauf und Ergebnis des zweiten
Wettbewerbs in Hietzing äußert sich Eisler durchwegs positiv. So schreibt er
etwa, dies wäre die „erste einwandfreie Ausschreibung gewesen[, die] (...) dann
auch den ersten einwandfreien Erfolg gehabt [habe]."44
Den einzigen wesentlichen Kritikpunkt, den er
anbringt, stellte die Vorschrift dar, die „nach neumodischer Manier die nahe
Nachbarschaft von Lade und Almemor"45
forderte, wodurch seiner Meinung nach der Wert der
architektonischen Lösungen vermindert wurde. In seiner Abhandlung zum zweiten
Wettbewerb betont er, alle drei Preisträger, sowie der Architekt des angekauften
Entwurfes hätten „ganze Arbeit geleistet", da sie sauber und sachlich, ohne
„falsche Sentimentalität" vorgegangen wären. Bei Grünbergers Entwurf bezeichnet
er besonders den Grundriss als modern, durchsichtig und zweckmäßig und lobt
darüber hinaus die beiden Baldachine, von denen er meint, sie würden dem Bau
einen „Auftakt südlicher Leichtigkeit" verleihen. Etwas kritischer steht er
hingegen den Entwürfen von Landauer und Neutra gegenüber, denen er vorwirft,
„befremdliche Formen" in die Wiener Vorstadt zu bringen. Er sieht beide als
„Anhänger der körperhaften Masse, [bei denen] selbst die Glieder ihrer Bauwerke
(...) nur wie Rumpfstücke [wirken]." Zu Neutra bemerkt er zudem, es handle sich
um einen „ausgesprochenen Amerikanismus, ein Magazin, also eine Art monumentalen
Notbau, der dem heutigen Durchgangszustand des Problems ungeschminkten Ausdruck
gibt."
1 „Der Architekt", 18. Jahrgang, Wien 1912, Tafel 38, o.S.
2 Hugo Gorge: Ein Synagogenentwurf. In: Der Architekt, 22. Jahrgang, Wien
1918/19, S.133-140.
3 Max Eisler: Der Wettbewerb um eine Wiener Synagoge. In: Österreichs Bau- und
Werkkunst, 2. Jahrgang,
Wien 1925/26, S.1-7.
4 Im Jahre 1926 wurde der ursprüngliche Titel „Menorah. Illustrierte
Monatsschrift für die jüdische Familie" abgeändert zu „Menorah. Jüdisches
Familienblatt für Wissenschaft / Kunst und Literatur". Die Zeitschrift erschien
in den Jahren 1923-1932.
5 Harold Hammer-Schenk: Synagogen in Deutschland, Hamburg 1981, bes. S.508-510.
6 Carol Herselle Krinsky: Europas Synagogen, Stuttgart 1988 (Engl. Erstausgabe
New York 1985). Zur Synagoge in Hietzing insbesondere S.185–189.
7 Pierre Genée: Wiener Synagogen 1825-1938, Wien 1987, bes. S.98-99.
8 Ruth Hanisch, Otto Kapfinger: Der Wettbewerb um eine Synagoge in Wien-Hietzing.
In: Boeckl Vertriebene und Visionäre, Wien 1995, S.249-253.
9 Das so genannte „Ghetto am Unteren Werd" oder Zweite jüdische Ghetto bestand
seit 1625 und wurde 1670 unter Leopold I aufgelöst.
10 Als spätes Beispiel einer solchen Auseinandersetzung sei hier eine Arbeit von
Dr. Balaban erwähnt mit dem Titel „Wehrhafte Synagogen in den östlichen
Randgebieten der polnischen Republik", veröffentlicht im Jahre 1927 in der
Zeitschrift Menorah. Sicherlich dürfte es ähnliche Publikationen aber bereits zu
einem früheren Zeitpunkt gegeben haben.
11 Vgl. Krinsky 1988 (zit. Anm.6), S.185.
12 So war etwa Rudolf Perco, dessen Entwurf als einer von dreien dieser
Ausschreibung prämiert wurde, Mit-
glied der römisch-katholischen Kirche.
13 Hanisch, Kapfinger 1995 (zit. Anm. 8), S.249.
14 Der Architekt XVIII, 1912, Tafel 38, o.S.
15 Zu den Bauvorgaben bezüglich der Notausgänge bei dieser Ausschreibung vgl.
auch: Gorge 1918/19 (zit.
Anm.2), S. 134.
16 Gorge 1918/19 (zit. Anm. 2).
17 Gorge 1918/19 (zit. Anm. 2), S.135.
18 Max Eisler: Vom Geist der Synagoge, In: Menorah, VIII. Jahrgang 1930
(S.79-86), S.85f.
19 Gorge 1918/19 (zit. Anm. 2), S.135.
20 Ebd., S.133.
21 Ebd., S.133.
22 Vgl. Krinsky 1988 (zit. Anm. 6), S.186.
23 Die publizierte Abbildung des Innenraums zeigt einen früheren als den von ihm
beschriebenen Entwurf, der später aufgrund einer Programmerweiterung abgeändert
werden musste und noch drei Bögen aufweist. Vgl. dazu Gorge 1918/19 (zit. Anm.
2), S.134.
24 Vgl.: David (Heft Nr. 53), Wien 2002: S.12.
25 Vgl. Hanisch, Kapfinger (zit. Anm. 8), S.249. 26 Eisler 1924 (zit. Anm. 3).
27 Gorge 1918/19 (zit. Anm. 2), S.133.
28 Ebd., S.133.
29 Vgl. Krinsky 1988 (zit. Anm. 6), S.186.
30 Vgl. Gerhard Weissenbacher: In Hietzing gebaut, Wien 1999, S.246.
31 Vgl. Hanisch/Kapfinger (zit. Anm. 8), S.252.
32 Karl Holey: Wettbewerb für eine Feuerbestattungsanlage auf dem Wiener
Zentralfriedhof, In: Der Architekt, 24. Jahrgang, Wien 1921/22, S.65-67.
33 Vgl. Holey 1921/22 (zit. Anm. 32), S.67.
34 Vgl. Holey 1921/22 (zit. Anm. 32), S.66.
35 Dagobert Frey war der Herausgeber der Zeitschrift „Der Architekt", in der die
Abhandlungen zum Krematoriumswettbewerb publiziert wurden.
36 Es könnte dies der Entwurf sein, mit dem Grünberger angeblich 1914/15 am
Wettbewerb zur Errichtung eines jüdischen Friedhofes teilgenommen hatte. Vgl.
dazu: Matthias Boeckl (Hrsg.): Visionäre & Vertriebene. (Österreichische Spuren
in der modernen amerikanischen Architektur), Wien 1995, S. 333. Des weiteren im
Architektenlexikon auf der Homepage des Architekturzentrum Wien [www.azw.at]
unter „Grünberger" (Stand: 18.V.2006).
37 Dagobert Frey: Glossen zum Krematoriumswettbewerb. In: Der Architekt, 24.
Jahrgang, Wien 1921/22, S.72,79.
38 Frey 1921/22 (zit. Anm.37), S.79.
39 Hanisch, Kapfinger 1995 (zit. Anm. 8), S.253.
40 Eisler schreibt in einer kritischen Abhandlung bezüglich des neu errichteten
Judenfriedhofes in Wien, in dem er alle Punkte offen legen will: „Hier sind wir
wieder ‚unter uns’". Max Eisler: Der neue Judenfriedhof in Wien. In: Menorah,
VI. Jahrgang, Wien 1928, (S.551-561), S.552.
41 Max Eisler: Vom Geist der Synagoge. In: Menorah, VIII. Jahrgang, Wien 1930,
(S.79-86), S.86.
42 Vgl. Max Eisler: Ein moderner Tempel in Amsterdam. In: Menorah, VII.
Jahrgang, Wien 1929, (S.559-567),S.566.
43 Vgl. Eisler 1930 (zit. Anm. 41), S.81-84.
44 Eisler 1929 (zit. Anm. 42), S.560.
45 Eisler 1925/26 (zit. Anm, 3), S.3.
Schlusswort
Das Projekt der Hietzinger Synagoge, mit seiner langen
Vorgeschichte, ist ein für Wien einzigartiges Beispiel einer Auseinandersetzung
mit Tradition und Identität. Die zahlreichen künstlerischen Lösungen und die
damit verbundenen vielen theoretischen Ansätze spiegeln einen Weg und eine Suche
wieder, wie kein anderes Kunstwerk dieser Zeit es wahrscheinlich besser könnte.
Die siebzehn Jahre, vom ersten Wettbewerb 1912 bis zur Fertigstellung des Baus
1929, waren nicht nur auf politischer, sondern auch auf kultureller Ebene
geprägt von umfassenden Veränderungen, die von vielen als Chance gesehen wurde,
überkommene Werte abzulegen und eine moderne Identität zu schaffen, sich aber
dabei dennoch der Traditionen bewusst zu sein. Es zeigt sich anhand dieses
Beispiels der bewusste und selbstreflexive Diskurs eines Judentums, das auf
vielen Ebenen einen wichtigen Beitrag zum „Projekt Moderne" leistete und sich
dessen auch durchaus bewusst war. In der Verbindung dieser Moderne mit den
eigenen, jahrhundertealten Traditionen sah man die Lösung für die Suche nach
Identität, die so lange angedauert hatte und nun endlich an ihrem Ziel
angekommen zu sein schien.
Dass dieser Zustand leider nicht lange währte, zeigen die
Ereignisse der darauf folgenden Jahre. Während der so genannten
„Reichskristallnacht", den Novemberpogromen des Jahres 1938, wurde auch die
Hietzinger Synagoge systematisch zerstört. 1939 wurden die Reste des Gebäudes
geschliffen und anschließend an dieser Stelle ein Wohnhaus errichtet, das bis
heute besteht. Die Aufarbeitung dieser Ereignisse ließ lange auf sich warten.
Nicht zuletzt als Ergebnis einer intensiven Auseinandersetzung mit der
Geschichte der Juden in Hietzing an der dortigen Volkshochschule, entschied man
sich schließlich, statt einer kleinen unscheinbaren Tafel ein angemesseneres
Denkmal zu errichten. Im Jahre 2004 konnten die Arbeiten zu „Fenster im Alltag"
des Künstlers Hans Kupelwieser abgeschlossen werden. Auf dem Gehsteig rund um
das Grundstück, auf dem sich die Synagoge befand, erinnert nun ein gemaltes
Fries an das Aussehen des zerstörten Gebäudes und eine Glasscheibe in einiger
Entfernung bietet gleichsam einen „Blick in die Vergangenheit" und versucht so,
dem Vergessen entgegen zu wirken. Der nicht zuletzt auch künstlerische Verlust,
den Wien durch den Nationalsozialismus erlitten hat, kann aber nie wieder
ungeschehen gemacht werden. Dem blühenden und fruchtbaren Diskurs wurde in
Österreich ein jähes Ende gesetzt – die Gedanken aber lebten fort und konnten
selbst durch die Grauen des Dritten Reiches nicht ausgelöscht werden.
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