Martin Heidegger – der 1889 im deutschen Meßkirch geborene
Philosoph trat – 1933 der NSDAP bei und weigerte sich bis zu seinem Tod, zum
Holocaust Stellung zu nehmen. Auf der anderen Seite der jüdische Dichter Paul
Celan: 1920 in der Bukowina als Paul Ancel (Celan ist ein Anagramm seines
Nachnamens) geboren. 1941 wurde er zur Zwangsarbeit eingesetzt, im Jahr darauf
starben beide Eltern in Konzentrationslagern.
Konträrer und unvereinbarer können Biografien kaum sein.
Dennoch: Celan und Heidegger verfolgten aus sicherer Distanz das Tun und Denken
des anderen. Dieses Interesse ging so weit, dass der Philosoph den Dichter zu
sich einlud – und Celan aus persönlichen Gründen die Einladung annahm.
Er besuchte Heidegger am 25. Juli 1967 in dessen Hütte im
Schwarzwald. In dieses Refugium in Todtnauberg zog sich Heidegger zum
Philosophieren zurück: „Wenn in tiefer Winternacht ein wilder Schneesturm mit
seinen Stößen um die Hütte rast und alles verhängt und verhüllt, dann ist die
hohe Zeit der Philosophie", schrieb er einmal. Diesen magischen Ort wollte er
Celan zeigen. Der wiederum nahm die Einladung an, weil er sich Antworten auf
quälende Fragen erhoffte: auf die Fragen eines jüdischen Opfers an den
nationalsozialistischen Täter.
Wie kritisch Celan die Konfrontation sah, zeigt eine
Begegnung wenige Tage zuvor an der Universität Freiburg, von der der Germanist
Gerhard Baumann in seinem Buch „Erinnerungen an Paul Celan" berichtet: Celan
sprach an dem Ort, an dem Heidegger 1933 Rektor wurde und wo er zu seiner
Inauguration eine pointiert nationalsozialistische Rede hielt. Nun hören am
gleichen Platz tausende Studenten Celans Rede zu, unter den Zuhörern auch der
damalige Redner: Martin Heidegger. Als man nach der Vorlesung ein gemeinsames
Foto dieser Begegnung der beiden machen wollte, wehrte sich Celan auf das
Entschiedenste, erinnert sich Baumann, der es auch war, der Heidegger nach
Freiburg eingeladen hatte. Dieses Zusammentreffen für die Nachwelt festzuhalten,
war für Celan ein Schritt zuviel. Den Philosophen aber in seiner nahen Hütte im
Schwarzwald zu besuchen, akzeptierte Celan.
Schon bei seiner Ankunft im Philosophenrefugium hielt er
seine Absicht fest – er trug sich in das Hüttenbuch mit folgenden Worten ein:
„Ins Hüttenbuch, mit dem Blick auf den Brunnenstern, mit der Hoffnung auf ein
kommendes Wort im Herzen. Am 25. Juli 1967/Paul Celan." Das „kommende Wort", im
Sinne einer Antwort auf seine Fragen, sollte Celan aber nicht erhalten.
Celan suchte Antworten von dem, den die Geschichte unendlich
weit von ihm entfernte, ein Ansinnen, das auch seine nahen Vertrauten nicht
verstehen konnten. Heidegger seinerseits dachte, es wäre für den Dichter, der in
den vergangenen Jahren wiederholt in einer psychiatrischen Anstalt verbracht
hatte, „heilsam, ihm den Schwarzwald zu zeigen", wie er in einem Brief an
Gerhard Baumann erwähnte: unterschiedliche Erwartungen also, von denen Celan und
Heidegger zusammengeführt wurden.
Was sich in den Julitagen 1967 konkret zugetragen hat, kann
man nur vermuten. Von „quälendem Schweigen" erzählt Baumanns Assistent, der die
beiden chauffierte und im Fond des Wagens beobachtete. Heidegger zeigte seinem
Gast frühmorgens das Hochmoor, später soll sich Celan für den Brunnen vor der
Holzhütte begeistert haben – Eindrücke, die er in seinem Gedicht „Todtnauberg"
verwendete, das er wenig später in Frankfurt zu Papier brachte. „Das Drama
dieser Begegnung bewahrt etwas Unerschöpfliches, erlaubt und fordert zahlreiche
und vielwertige Auslegungen" (Baumann, 1992), es wurde Thema vieler
wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Eine künstlerische bot der Regisseur
Robert Quitta: Er löste die Begegnung dramatisch auf – in Form eines Märchens.
Im Währinger Theater des Augenblicks erlebte „Celan im Schwarzwald" im Jänner
2006 seine Uraufführung. Quitta schrieb das Stück dem Theaterhaus auf den Leib –
die Breite dieser „Cinemascope-Bühne" schafft genügend Platz zwischen den beiden
Menschen, ihren Biografien und Gedanken.
Hier sitzen sie einander gegenüber: der Jude und der Nazi,
der Dichter und der Denker, das Opfer und der Täter. Heidegger ist archaisch und
ländlich gekleidet. Mit wohlgerundetem Bäuchlein sitzt er an der Hausmauer,
spricht vor sich hin: „Das Ding dingt…". Mit Euphorie lässt er Wort für Wort
akzentuiert über seine Lippen kommen. Ihm gegenüber Paul Celan – nachlässig
elegant gekleidet sitzt er an einem Café-Tisch bei einer Karaffe Rotwein. Er
beginnt „eingejännert, eingedunkelt…". Wie Antithesen schleudert er Heidegger
Worte entgegen. Zwischen ihnen steht nur der Brunnen. Der zu Heideggers Refugium
gehört, der aber Celan besonders faszinierte: „Brunnen mit dem Sternwürfel
drauf" nennt er ihn später in „Todtnauberg". Celan und Heidegger werfen einander
Wortkaskaden zu – leise Sätze, die anschwellen und wieder verebben. Die wie
Pfeile zum Gegenüber geschossen werden, sich miteinander verschlingen und wieder
abstoßen. Hier wird geschüttelt, gereimt, zerlegt, wiederholt, wiederholt,
wiederholt. Die Stimmungen gehen hoch und tief, von Ekstase zu Verzweiflung, von
Freude zu Paranoia. Und jedes Wort ist original von Heidegger und Celan. Quitta
erweckt ihre Texte zu Leben und komponiert aus Wortfetzen ein Kunstwerk.
Celan, von jugendlicher Ungestümheit, wird deutlicher,
lauter, härter. Heidegger bleibt fast unerträglich gleichgültig, rezitiert
selbst- und textverliebt seine Worte.
Robert Quittas Faszination an dieser Begegnung hat sich 1997
entzündet: Damals war er in der Neuen Zürcher Zeitung auf einen Artikel über das
Treffen in Todtnauberg gestoßen. Beide Akteure waren ihm keine Unbekannten. Mit
Heidegger setze er sich schon lange auseinander, mit „Celan bin ich
aufgewachsen", erzählt er. Seit jeher beeinflusste Celans Poetologie seine Art,
Theater zu machen. Und das ist eine feinsinnige Art mit klaren, schönen Bildern.
„Man versteht nichts und weiß alles", schwärmt er von Celan – man könnte dieses
Zitat auch auf Quittas Art, Regie zu führen, anwenden.
Heidegger näherte sich der Regisseur von einer anderen Seite:
„Er war der Feind", erzählt Quitta. Seine Bücher fand er schon in der Schule
„unappetitlich", die „Sprache unsäglich", die Person im Trachtenjanker
entsetzlich und abstoßend. Und dann diese Frage: Was fand Paul Celan an diesem
Menschen?
Quitta siedelt die beiden weit voneinander entfernt an.
Während der Hausherr unverdrossen Holz hackt, und Celan am Tisch stehend heftig
rezitiert, laufen zwei Königskinder von links nach rechts, von rechts nach
links. Mit Zitaten der Gebrüder Grimm schlagen sie den Rhythmus des Stücks, von
„Es war einmal" bis zu „Da war eine Maus, und das Märchen war aus.". Warum ein
Märchen? „Diese Idee war gleich da", erzählt der Regisseur. Der Schwarzwald ist
sozusagen Teil des Beziehungsdreiecks. Und „jedes dritte Märchen spielt im
Wald", erklärt Quitta: „Im Wald verirrt man sich". Die zwei Königskinder, die
nicht zueinander können, zeigten die unüberwindbaren Grenzen auf. „Man glaubt
gar nicht, in wie vielen Märchen ein Brunnen eine zentrale Rolle spielt",
erzählt Quitta weiter. In „Celan im Schwarzwald" hat der Brunnen noch andere
Symbolik: Er ist das Wasser, die Seine, in die Paul Celan drei Jahre nach seinem
Besuch in Todtnauberg geht. Und seinem Leben 49-jährig im Jahr 1970 ein Ende
macht. Wenige Tage zuvor, am Gründonnerstag desselben Jahres, hatten Heidegger
und Celan einander noch einmal getroffen. Der Philosoph forderte Celan auf, ihr
Treffen im Schwarzwald im Sommer zu wiederholen – Celan lehnte ab.
Am 20. April wurde Paul Celan am Seine-Ufer tot aufgefunden.
In seiner Wohnung fand man ein mit Anmerkungen versehenes Handexemplar von
Heideggers Werk „Sein und Zeit".
Julia Urbanek ist Kulturjournalistin bei der Wiener Zeitung.
Quellen:
Baumann, Gerhard: „Erinnerungen an Paul Celan". Frankfurt,
1992.
Gellhaus, Axel: „Paul Celan bei Martin Heidegger in
Todtnauberg". Marbach, 2002.
Programmheft „Celan im Schwarzwald": Texte von Stephan Krass, Wolfgang
Emmerich, Martin Heidegger. Wien, 2006.