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Das Treffen von Paul Celan und Martin Heidegger als Märchen-Drama

„Man versteht nichts und weiß alles"

Julia URBANEK

Sie kommen aus zwei Welten: der Jude und der Nationalsozialist. Zwischen ihnen liegen Welten – und doch umkreisen sie einander auf intellektuellen Umlaufbahnen. Die Cinemascope-Bühne im Wiener Theater des Augenblicks ist groß genug, um zwischen ihnen den nötigen Raum zu lassen. Man kann immer nur einen der beiden anschauen, „man muss sich schon entscheiden", meint der Regisseur und Autor Robert Quitta bestimmt. Er setzte sich mit der Dramatik einer Begegnung auseinander: als sich Paul Celan mit Martin Heidegger traf. Das Ergebnis, „Celan im Schwarzwald", feierte im Jänner 2006 seine Uraufführung.

Heidegger und Celan gegenüber

Martin Heidegger – der 1889 im deutschen Meßkirch geborene Philosoph trat – 1933 der NSDAP bei und weigerte sich bis zu seinem Tod, zum Holocaust Stellung zu nehmen. Auf der anderen Seite der jüdische Dichter Paul Celan: 1920 in der Bukowina als Paul Ancel (Celan ist ein Anagramm seines Nachnamens) geboren. 1941 wurde er zur Zwangsarbeit eingesetzt, im Jahr darauf starben beide Eltern in Konzentrationslagern.

Konträrer und unvereinbarer können Biografien kaum sein. Dennoch: Celan und Heidegger verfolgten aus sicherer Distanz das Tun und Denken des anderen. Dieses Interesse ging so weit, dass der Philosoph den Dichter zu sich einlud – und Celan aus persönlichen Gründen die Einladung annahm.

Er besuchte Heidegger am 25. Juli 1967 in dessen Hütte im Schwarzwald. In dieses Refugium in Todtnauberg zog sich Heidegger zum Philosophieren zurück: „Wenn in tiefer Winternacht ein wilder Schneesturm mit seinen Stößen um die Hütte rast und alles verhängt und verhüllt, dann ist die hohe Zeit der Philosophie", schrieb er einmal. Diesen magischen Ort wollte er Celan zeigen. Der wiederum nahm die Einladung an, weil er sich Antworten auf quälende Fragen erhoffte: auf die Fragen eines jüdischen Opfers an den nationalsozialistischen Täter.

Wie kritisch Celan die Konfrontation sah, zeigt eine Begegnung wenige Tage zuvor an der Universität Freiburg, von der der Germanist Gerhard Baumann in seinem Buch „Erinnerungen an Paul Celan" berichtet: Celan sprach an dem Ort, an dem Heidegger 1933 Rektor wurde und wo er zu seiner Inauguration eine pointiert nationalsozialistische Rede hielt. Nun hören am gleichen Platz tausende Studenten Celans Rede zu, unter den Zuhörern auch der damalige Redner: Martin Heidegger. Als man nach der Vorlesung ein gemeinsames Foto dieser Begegnung der beiden machen wollte, wehrte sich Celan auf das Entschiedenste, erinnert sich Baumann, der es auch war, der Heidegger nach Freiburg eingeladen hatte. Dieses Zusammentreffen für die Nachwelt festzuhalten, war für Celan ein Schritt zuviel. Den Philosophen aber in seiner nahen Hütte im Schwarzwald zu besuchen, akzeptierte Celan.

Schon bei seiner Ankunft im Philosophenrefugium hielt er seine Absicht fest – er trug sich in das Hüttenbuch mit folgenden Worten ein: „Ins Hüttenbuch, mit dem Blick auf den Brunnenstern, mit der Hoffnung auf ein kommendes Wort im Herzen. Am 25. Juli 1967/Paul Celan." Das „kommende Wort", im Sinne einer Antwort auf seine Fragen, sollte Celan aber nicht erhalten.

Celan suchte Antworten von dem, den die Geschichte unendlich weit von ihm entfernte, ein Ansinnen, das auch seine nahen Vertrauten nicht verstehen konnten. Heidegger seinerseits dachte, es wäre für den Dichter, der in den vergangenen Jahren wiederholt in einer psychiatrischen Anstalt verbracht hatte, „heilsam, ihm den Schwarzwald zu zeigen", wie er in einem Brief an Gerhard Baumann erwähnte: unterschiedliche Erwartungen also, von denen Celan und Heidegger zusammengeführt wurden.

Was sich in den Julitagen 1967 konkret zugetragen hat, kann man nur vermuten. Von „quälendem Schweigen" erzählt Baumanns Assistent, der die beiden chauffierte und im Fond des Wagens beobachtete. Heidegger zeigte seinem Gast frühmorgens das Hochmoor, später soll sich Celan für den Brunnen vor der Holzhütte begeistert haben – Eindrücke, die er in seinem Gedicht „Todtnauberg" verwendete, das er wenig später in Frankfurt zu Papier brachte. „Das Drama dieser Begegnung bewahrt etwas Unerschöpfliches, erlaubt und fordert zahlreiche und vielwertige Auslegungen" (Baumann, 1992), es wurde Thema vieler wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Eine künstlerische bot der Regisseur Robert Quitta: Er löste die Begegnung dramatisch auf – in Form eines Märchens. Im Währinger Theater des Augenblicks erlebte „Celan im Schwarzwald" im Jänner 2006 seine Uraufführung. Quitta schrieb das Stück dem Theaterhaus auf den Leib – die Breite dieser „Cinemascope-Bühne" schafft genügend Platz zwischen den beiden Menschen, ihren Biografien und Gedanken.

Hier sitzen sie einander gegenüber: der Jude und der Nazi, der Dichter und der Denker, das Opfer und der Täter. Heidegger ist archaisch und ländlich gekleidet. Mit wohlgerundetem Bäuchlein sitzt er an der Hausmauer, spricht vor sich hin: „Das Ding dingt…". Mit Euphorie lässt er Wort für Wort akzentuiert über seine Lippen kommen. Ihm gegenüber Paul Celan – nachlässig elegant gekleidet sitzt er an einem Café-Tisch bei einer Karaffe Rotwein. Er beginnt „eingejännert, eingedunkelt…". Wie Antithesen schleudert er Heidegger Worte entgegen. Zwischen ihnen steht nur der Brunnen. Der zu Heideggers Refugium gehört, der aber Celan besonders faszinierte: „Brunnen mit dem Sternwürfel drauf" nennt er ihn später in „Todtnauberg". Celan und Heidegger werfen einander Wortkaskaden zu – leise Sätze, die anschwellen und wieder verebben. Die wie Pfeile zum Gegenüber geschossen werden, sich miteinander verschlingen und wieder abstoßen. Hier wird geschüttelt, gereimt, zerlegt, wiederholt, wiederholt, wiederholt. Die Stimmungen gehen hoch und tief, von Ekstase zu Verzweiflung, von Freude zu Paranoia. Und jedes Wort ist original von Heidegger und Celan. Quitta erweckt ihre Texte zu Leben und komponiert aus Wortfetzen ein Kunstwerk.

Celan, von jugendlicher Ungestümheit, wird deutlicher, lauter, härter. Heidegger bleibt fast unerträglich gleichgültig, rezitiert selbst- und textverliebt seine Worte.

Robert Quittas Faszination an dieser Begegnung hat sich 1997 entzündet: Damals war er in der Neuen Zürcher Zeitung auf einen Artikel über das Treffen in Todtnauberg gestoßen. Beide Akteure waren ihm keine Unbekannten. Mit Heidegger setze er sich schon lange auseinander, mit „Celan bin ich aufgewachsen", erzählt er. Seit jeher beeinflusste Celans Poetologie seine Art, Theater zu machen. Und das ist eine feinsinnige Art mit klaren, schönen Bildern. „Man versteht nichts und weiß alles", schwärmt er von Celan – man könnte dieses Zitat auch auf Quittas Art, Regie zu führen, anwenden.

Heidegger näherte sich der Regisseur von einer anderen Seite: „Er war der Feind", erzählt Quitta. Seine Bücher fand er schon in der Schule „unappetitlich", die „Sprache unsäglich", die Person im Trachtenjanker entsetzlich und abstoßend. Und dann diese Frage: Was fand Paul Celan an diesem Menschen?

Quitta siedelt die beiden weit voneinander entfernt an. Während der Hausherr unverdrossen Holz hackt, und Celan am Tisch stehend heftig rezitiert, laufen zwei Königskinder von links nach rechts, von rechts nach links. Mit Zitaten der Gebrüder Grimm schlagen sie den Rhythmus des Stücks, von „Es war einmal" bis zu „Da war eine Maus, und das Märchen war aus.". Warum ein Märchen? „Diese Idee war gleich da", erzählt der Regisseur. Der Schwarzwald ist sozusagen Teil des Beziehungsdreiecks. Und „jedes dritte Märchen spielt im Wald", erklärt Quitta: „Im Wald verirrt man sich". Die zwei Königskinder, die nicht zueinander können, zeigten die unüberwindbaren Grenzen auf. „Man glaubt gar nicht, in wie vielen Märchen ein Brunnen eine zentrale Rolle spielt", erzählt Quitta weiter. In „Celan im Schwarzwald" hat der Brunnen noch andere Symbolik: Er ist das Wasser, die Seine, in die Paul Celan drei Jahre nach seinem Besuch in Todtnauberg geht. Und seinem Leben 49-jährig im Jahr 1970 ein Ende macht. Wenige Tage zuvor, am Gründonnerstag desselben Jahres, hatten Heidegger und Celan einander noch einmal getroffen. Der Philosoph forderte Celan auf, ihr Treffen im Schwarzwald im Sommer zu wiederholen – Celan lehnte ab.

Am 20. April wurde Paul Celan am Seine-Ufer tot aufgefunden. In seiner Wohnung fand man ein mit Anmerkungen versehenes Handexemplar von Heideggers Werk „Sein und Zeit".

Julia Urbanek ist Kulturjournalistin bei der Wiener Zeitung.

Quellen:

Baumann, Gerhard: „Erinnerungen an Paul Celan". Frankfurt, 1992.

Gellhaus, Axel: „Paul Celan bei Martin Heidegger in Todtnauberg". Marbach, 2002.

Programmheft „Celan im Schwarzwald": Texte von Stephan Krass, Wolfgang Emmerich, Martin Heidegger. Wien, 2006.

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