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Gespräch mit Ruth Beckermann aus Anlass ihres neuen Filmes „Zorros
Bar Mizwa" Alfred GERSTL
DAVID: Frau Beckermann, derzeit läuft „Zorros Bar Mizwa",
ihr neuester Film, in den Kinos. Darin schildern Sie die drei Bar Mizwas und
eine Bat Mizwa von vier Jugendlichen, die umfangreichen Vorbereitungen im
Vorfeld und die Feierlichkeiten im Anschluss. Wie sind Sie zu der Idee zu diesem
Film gekommen?
Ruth Beckermann: Der konkrete Anlass war, dass ich André
Wanne kennen gelernt habe. André filmt bei allerlei jüdischen Festen, er
produziert aber auch Videoclips, eigentlich kurze Spielfilme, in denen die
Gefeierten die Hauptrolle spielen. Er hat mir erzählt, dass er an einem
Videoclip arbeitet, in dem ein Jugendlicher, der sich auf seine Bar Mizwa
vorbereitet, in die Rolle Zorros schlüpft. Diese Idee hat mir gut gefallen und
war für mich dann der konkrete Anlass, den Film zu drehen.
DAVID: André ist ja auch im Film eine wichtige Person.
Sie verknüpfen seine Perspektive mit Ihrer eigenen: Im Film sieht man André
häufig, wie er die Jugendlichen und ihre Familien mit der Kamera begleitet, aber
sie zeigen ihn auch vor Ihrer eigenen Kamera, etwa wenn Sie ihn im Schneideraum
zu seiner Arbeit interviewen.
Beckermann: Ich wollte keinen reinen Dokumentarfilm über
Bar Mizwas machen, das wäre mir zu didaktisch, zu religiös, zu ernst gewesen.
Sondern mir war wichtig zu zeigen, wie sich die Leute darstellen, wie sie
gesehen werden wollen oder wie sie innerhalb der Familie miteinander umgehen.
André in seiner Rolle als Filmemacher, der die Bar-Mizwa-Vorbereitungen für die
Familien mitfilmt, half mir, mich dem Thema wie den Darstellern zu nähern. Er
hat als eine Art Verbindungsfigur fungiert.
DAVID: Der Film begleitet vier Jugendliche – Sharon, Tom,
Sophie und Moishy – bei der Vorbereitung auf ihre Bar Mizwa: Sharon stammt aus
einer georgischen Familie mit sephardischen Wurzeln; Tom hat eine jüdische
Mutter und einen katholischen Vater; Sophie entstammt einer assimilierten,
bekannten Familie; und Moishy wächst in einer orthodoxen Familie auf.
Beckermann: Mir war es wichtig, die Pluralität des
jüdischen Lebens in Österreich aufzuzeigen. Dass die Zeit des
Nationalsozialismus endlich aufgearbeitet wird, ist ein ganz wichtiger Prozess.
Doch die Gefahr dabei ist, dass Juden in Österreich immer nur auf ihre
Opferrolle reduziert werden. Die Geschichte des Judentums an der Wende zum 20.
Jahrhundert ist dank umfangreicher Forschungen sehr gut aufgearbeitet – über die
aktuelle Situation der Jüdinnen und Juden in Österreich weiß man dagegen sehr
wenig.
DAVID: Die jüdische Gemeinde ist ja sehr klein – ist es
Ihnen schwer gefallen, Jugendliche zu finden, die in dem Film mitwirken wollten?
Beckermann: Wir haben bei den verschiedenen ethnischen
und religiösen Gruppen und bei den Rabbinern nachgefragt, ob in nächster Zeit
Bar Mizwas geplant sind. Ursprünglich wollte ich noch mehr Jugendliche zeigen,
doch auch bei vier war die Herausforderung groß genug, einen Film zu
konstruieren, in dem vier Mal das Gleiche passiert, nämlich die Vorbereitungen,
die religiöse Zeremonie und das Fest, ohne sich zu wiederholen.
DAVID: Gerade Moishy, der aus einer orthodoxen Familie
stammt, wirkt sehr offen, wie überhaupt seine Familie. War es eigentlich
schwierig, eine Familie aus dem orthodoxen Judentum zum Mitmachen zu gewinnen?
Beckermann: Ja, das war sehr schwierig. Die meisten
orthodoxen Familien leben generell sehr abgeschieden, sie haben zum Beispiel
keinen Fernseher oder gehen nicht ins Kino. Wir hatten bereits die Szenen mit
den drei anderen Jugendlichen gedreht, da haben wir von Moishy und seiner
Familie die Zustimmung erhalten. Sie hatten lediglich den Wunsch, dass wir nur
in ihrer Wohnung und beim Fest filmen, nicht jedoch im öffentlichen Raum.
DAVID: Sharons Familie zeigt im Film großes Verständnis
für seinen Wunsch, seine Bar Mizwa thematisch mit Zorro zu verknüpfen. Seine
Mutter beispielsweise zieht Parallelen zu ihrer sephardischen Tradition. Mitten
im Dreh der Zorro-Szene durch André Wanne bricht er jedoch ab; er möchte nicht
mehr Zorro spielen, sagt er. War dies inszeniert oder ist dies tatsächlich so
passiert?
Beckermann: Ja, es hat sich so abgespielt. Sharon hatte
die Zorro-Idee sehr früh gehabt und lange mit sich getragen. Während der
Vorbereitung auf seine Bar Mizwa ist er als Person eindeutig gereift, und
plötzlich ist ihm das Zorro-Spielen sehr kindisch vorgekommen.
DAVID: Es gibt im Jüdischen auch andere wichtige
Feierlichkeiten, etwa Hochzeiten oder Beschneidungen. Warum haben Sie sich für
die Bar Mizwa entschieden?
Beckermann: Diese Feste sind natürlich ebenfalls sehr
interessant und wichtig. Doch der Hauptgrund für einen Film über Bar Mizwas war,
dass dabei die Jugendlichen im Mittelpunkt stehen – und selbst zu Wort kommen.
Auch sagen die Eltern gerne, dass die Bar Mizwa etwas besonderes ist, weil man
die Kinder nach dem Fest wieder mit nach Hause nehmen kann. Aber natürlich ist
eine Bar Mizwa ein ganz spezieller, aber auch sehr individueller
Initiationsritus, der sich an der Geschlechtsreife festmacht, und bei fast allen
Kulturen in unterschiedlicher Form gefeiert wird.
DAVID: Was bewirkt eine Bar Mizwa Ihrer Meinung nach in
den Jugendlichen selbst?
Beckermann: Ich habe mittlerweile schon viele Bar Mizwas
miterlebt, natürlich auch die meines Sohnes. Dabei ist mir aufgefallen, wie sehr
die Bar Mizwa die Jugendlichen verändert hat: Sie müssen sich nämlich alleine
vor vielen Leuten präsentieren, sei es in der Synagoge oder einem anderen Saal.
Dieser Auftritt ist zwar nicht frei von Ängsten, doch deren Überwinden bedeutet
einen Meilenstein im Leben der Jugendlichen.
DAVID: Faszinierend ist, dass gerade die von Ihnen
interviewten älteren Personen, die während des Krieges keine Möglichkeit für
eine Bar Mizwa hatten, sagen, wie sehr ihnen dieses Erlebnis fehlt.
Beckermann: Ja, das hat mich wirklich sehr überrascht und
beeindruckt. Auch André Wanne spricht im Film darüber. Er meint, er habe zwar
als Jugendlicher selbst keine Bar Mizwa gehabt, durch seine Tätigkeit erlebe er
sie aber in anderer Form immer und immer wieder.
DAVID: Waren die Dreharbeiten für „Zorros Bar Mizwa"
schwieriger als bei anderen Filmen?
Beckermann: Wir mussten uns an den zeitlichen Vorgaben
für die Vorbereitungen der Feierlichkeiten orientieren. Die Dreharbeiten waren
stark zerstückelt, wir mussten uns ja spontan nach dem Leben der Familien, nach
den Ereignissen richten. Wir haben deshalb manchmal nur einen halben Tag, dann
wieder mehrere Tage hintereinander gedreht. Einerseits war es deshalb für das
Team schwierig, einen gemeinsamen Stil zu entwickeln. Andererseits konnte ich so
besser sehen, was wir bisher gedreht hatten und entsprechend reagieren.
DAVID: Abschließend eine Frage zur aktuellen Situation
des Judentums in Österreich. Stellt der Antisemitismus ihrer Meinung nach auch
heute noch eine Gefahr dar?
Beckermann: Wenn man sich die letzten Wahlergebnisse
ansieht, so stellen Rechtsextreme immer noch circa 15 Prozent der Wähler dar.
Sie kommen vorwiegend aus den Familien ehemaliger Nazis. Für die Jugendlichen,
die 10- bis 20-Jährigen, ist das Thema Nationalsozialismus nicht mehr so heiß.
Ihre Eltern haben noch direkt von den eigenen Eltern etwas über diese Zeit
erfahren, doch die heutige Jugend hat kaum noch Kontakt zu Zeitzeugen in der
Familie, da ja meistens nur mehr die Urgroßeltern den Nationalsozialismus
miterlebt haben. Es macht jedoch einen großen Unterschied, ob man die Geschichte
aus Büchern oder von Zeitzeugen erfährt.
Einen gesellschaftlichen Antisemitismus wird es immer geben.
Für viel gefährlicher halte ich aber den politischen, den instrumentalisierbaren
Antisemitismus.
DAVID: Sehen Sie Parallelen zwischen der Ausländerdebatte
und dem Antisemitismus?
Beckermann: Die Ausländerproblematik ruft ähnliche
Ressentiments hervor wie in der Zwischenkriegszeit die Judenfrage. Aber die
beiden Fragen sind nicht vergleichbar. Die Ausländerfrage spitzt sich an den
muslimischen Migranten zu. In gewissem Sinne zahlt der Westen den Preis für die
Probleme, die der Islam bei seiner Identitätsfindung durchmacht.
DAVID: Frau Beckermann, ich danke für das Gespräch!
Das Interview führte Alfred Gerstl.
ZOROOS BAR MIZWA
A 2006, 90 min.
Regie: Ruth Beckermann
mit André Wanne und Mitgliedern der jüdischen Gemeinde in
Wien; gedreht zwischen Oktober 2004 und Juni 2005 in Wien und Israel.
ZORROS BAR MIZWA ist ab 15. Dezember in folgenden Kinos zu
sehen!
Wien: Cine Center, Apollo, Votiv Kino, UCI Kinowelt
Millennium City
Graz: Schubertkino
www.zorro-derfilm.at
www.ruthbeckermann.com
An der Klagemauer oder im Rampenlicht einer Showbühne, im
Zorro-Kostüm oder Designerkleid, streng oder ausgelassen: die Schwelle in die
Gemeinschaft der Erwachsenen lässt sich auf verschiedenste Weise überschreiten.
Der Film ZORROS BAR MITZWA begleitet vier 12-jährige Jugendliche - Sharon, Tom,
Moishy und Sophie - bei den Vorbereitungen auf ihre Bar Mizwa bzw. Bat Mizwa. Er
wirft einen kritisch-ironischen Blick auf jüdische Tradition und ihre
Interpretationen, stellt die Frage nach der Bedeutung von Initiationsritualen
und versucht, sich dem schwierigen Terrain der Adoleszenz mit der Kamera
anzunähern.
Ruth Beckermann hat für ihren neuen Dokumentarfilm eine
besondere Form gewählt. Sie folgt mit ihrer Kamera André Wanne, der sich auf das
Filmen von jüdischen Hochzeiten, Bar Mizwas und anderen jüdischen
Feierlichkeiten spezialisiert hat. Dadurch ist ZORROS BAR MITZWA nicht allein
ein Film über diesen Schritt in die Welt der Erwachsenen von vier Jugendlichen,
sondern auch ein Film über Repräsentation selbst.
André Wanne bei den Dreharbeiten zum Zorro-Clip
Sharon Mamistvalov bei seiner Bar Mizwa
Tom Sattler mit Oberkantor Shmuel Barzilai
RUTH BECKERMANN
Bio-/Filmografie
Geboren in Wien
Nach dem Studium der Publizistik und Kunstgeschichte und
Studienaufenthalten in Tel-Aviv und New York promovierte sie 1977 an der
Universität Wien zum Dr. phil. Während des Studiums arbeitete sie als
Redakteurin für die Zeitschriften trend und die Weltwoche. 1978 gründete sie mit
Josef Aichholzer und Franz Grafl, mit denen sie den Kompilationsfilm „Arena
Besetzt" realisiert hatte, den Filmverleih filmladen, wo sie sieben Jahre tätig
war. In dieser Zeit entstanden ihre ersten Filme und Bücher. Seit 1985 arbeitet
Ruth Beckermann als freie Autorin und Filmschaffende.
Weitere Filmtiteln: Homemad(e) (2001), EIN FLÜCHTIGER ZUG NACH DEM ORIENT
(1999), JENSEITS DES KRIEGES (1996), NACH JERUSALEM (1991), DIE APIERENE BRÜCKE
(1987), WIEN RETOUR (1984), Zorros Bar Mizwa (2006)
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