Zeruya
Shalev über ihr soeben auf Deutsch erschienenes Kinderbuch „Mamas liebster
Junge" und unsere Erwartungen an eine israelische Autorin.
DAVID: Was hat Sie veranlasst, nach Ihren erfolgreichen
Büchern für Erwachsene nun ein Kinderbuch zu schreiben?
Zeruya Shalev: Ich habe meine Kinder und ihre Freunde
beobachtet und dabei an meine eigene Kindheit zurückdenken müssen. Nach einiger
Zeit bin ich zum Schluss gekommen, dass die Kinder heute ganz anders aufwachsen
als wir früher. Ihre Eltern sind nicht sehr streng, die Kinder bilden oft den
Mittelpunkt der Familie. Das Kind wird deswegen mit dem großen Unterschied
zwischen seiner Welt zu Hause und der von draußen konfrontiert. Ich erinnere
mich daran, wie blass und angespannt mein Sohn in den Kindergarten ging, als
müsste er eine andere Welt betreten. Und so bin ich auf die Idee gekommen, seine
Verwirrung und die Herausforderungen seines Tages zu beschreiben.
DAVID: Ist es Ihnen schwer gefallen, die Kindersprache zu
treffen?
Shalev: Ich habe versucht, eine einfache, genaue Sprache
zu finden. Im Buch geht es um Empfindungen, daher wollte ich eine gefühlvolle
Sprache finden.
DAVID: Wie steht ihr kleiner Sohn zu dem Buch?
Shalev: Mein Sohn war am Anfang sehr aufgeregt und stolz,
aber dann begann er, sich ein bisschen zu schämen, weil ihn seine Freunde „Mamas
liebster Junge" riefen, was in seinem Alter kein Kompliment mehr sein kann.
DAVID: Haben Sie aus Ihrem Kinderbuch auch in
israelischen Schulen vorgelesen?
Shalev: Ja, ich gab auch dort ein paar Lesungen und war
froh zu sehen, wie die kleinen Zuhörer anschließend frei über ihre Empfindungen
erzählten.
DAVID: Sie haben zwei Kinder. Wie ist es, heute in
Jerusalem aufzuwachsen?
Shalev: Natürlich ist es komplizierter, Kind in Jerusalem
als Kind in Wien zu sein, aber die Welt der Kinder hat ihre eigenen Regeln, die
mehr oder weniger allgemeingültig sind. Die Israelis versuchen, ihren Kindern
eine heile Welt zu bieten, deshalb gibt es hier kaum Kinderbücher über
Terrorismus und Krieg.
DAVID: Beabsichtigen Sie, weitere Kinderbücher zu
schreiben?
Shalev: Ich hoffe das, weil es eine lohnende Erfahrung
ist. Allerdings richtet sich meine Agenda eher nach Inspiration und Intuition
als nach genauer Planung.
DAVID: War die Rezeption Ihres Kinderbuches im
deutschsprachigen Raum anders als in Israel?
Shalev: Manche Leute können sich schwer vorstellen, dass
man in einem politisch heißen Land wie Israel über den normalen Alltag schreiben
kann. Im deutschsprachigen Raum werde ich oft mit dieser Verwunderung
konfrontiert und kann sie mittlerweile nachvollziehen.
DAVID: In den meisten deutschsprachigen Artikeln über Sie
wird versucht, Ihre Literatur im Kontext der Nahost-Politik zu analysieren. Sie
aber betonen, dass Ihre Bücher allgemeingültige Themen behandeln. Ist es
schwierig für eine israelische Schriftstellerin, rein künstlerisch wahrgenommen
zu werden?
Shalev: Ich denke nicht, dass es schwierig ist. Ich finde
es sehr spannend, Erwartungen zu wecken und eine Vorstellung darüber zu
entwickeln, wie man uns von außen sieht. Auf jeden Fall sehe ich mich nicht als
Botschafterin. Auch mag ich klare Botschaften in der Literatur nicht, weder als
Schriftstellerin noch als Leserin. Ich schreibe über das menschliche Leben und
das menschliche Empfinden nicht etwa, um eine Botschaft zu verkünden, sondern um
zu faszinieren und zu inspirieren.
DAVID: Denken Sie, dass europäische Leser Themen wie
Holocaust und internationaler Terrorismus in Ihrer Literatur vermissen?
Shalev: Jahrelang waren es die europäischen Leser
gewohnt, israelische Bücher mit innenpolitischen und geschichtlichen Themen zu
lesen. Nun sind sie vielleicht überrascht, israelische Literatur zu entdecken,
die sich mit romantischen Obsessionen oder Familienzerfall befassen – mit
Ängsten und Empfindungen, die nicht unbedingt typisch israelisch sind. In Israel
sehnen sich die meisten Menschen nach Normalität. Ich persönlich finde es
wichtig, dass wir unser Leben nicht von politischen Entwicklungen vereinnahmen
lassen, sondern uns auf unseren ganz persönlichen Werdegang konzentrieren.
DAVID: Ist Ihre Herkunft von Vorteil oder doch eher von
Nachteil, wenn es darum geht, Ihre Bücher auf dem Markt zu positionieren?
Shalev: Das kann ich schwer beurteilen, weil ich
eigentlich das Glück hatte, aus den „richtigen" Gründen besprochen zu werden,
also eher wegen meiner Bücher selbst denn wegen des arabisch-israelischen
Konflikts. Ich kann aber allgemein dazu anmerken: die Tatsache, dass ich
israelische Schriftstellerin bin, nimmt nur einen kleinen Teil dessen ein, das
wir unser kompliziertes und manchmal tragisches menschliches Dasein nennen.
Frau Shalev, wir danken Ihnen für das Gespräch.