|
Chanukka – ein Fest des Kulturtransfers
Martha KEIL
Die Sehnsucht, in den Wintermonaten „Licht ins Dunkel" zu
bringen, schuf nicht nur im Judentum Bräuche und Riten, welche durch das Zünden
von Kerzen oder Lampen die Finsternis erhellen. Licht in seiner Bedeutung der
Klarheit und Erleuchtung ist auch Symbol für den Sieg über Unterdrückung von
Körper und Geist und für die Befreiung aus „dunklen Zeiten".
Wie bekannt beginnt Chanukka am 25. Kislew, was im
christlichen Kalender meist dem zweiten Dezember entspricht, und dauert acht
Tage, bis zum 2. Tewet. Die Makkabäerbücher begründen diese relativ lange Dauer:
Die Hasmonäer eroberten den Tempel zurück und weihten den von den Seleukiden
geschändeten Altar mit achttägigen Reinigungszeremonien wieder neu ein (I Makk.
4,52-59). Der Talmud (Schabbat 21b) begründet die acht Tage mit einer
Wundererzählung: Alle für den Tempeldienst erforderlichen Ölvorräte waren
verunreinigt worden, nur ein einziges Krüglein, eine zu geringe Menge, genügte
den Vorschriften und speiste die Menora – „Ein großes Wunder geschah dort!" –
acht Tage lang, bis wieder kultisch taugliches Öl zur Verfügung stand. Die acht
Lichter, an jedem Tag ein weiteres, symbolisieren diese Tage des Wunders und die
Errettung aus „finsterem Heidentum".
Menoradarstellung in einer Bibel mit Massora, Italien um 1300,
London, British Library (Harley MS 5710, fol. 136)
Wie alle jüdischen Feste spiegelt auch Chanukka die
Auseinandersetzung mit Geschichte über das Gründungsgeschehen hinaus und
reflektiert und verarbeitet in Riten und Bräuchen aktuelle historische
Ereignisse. Viele dieser Minhagim entstanden im Mittelalter oder fanden
in dieser Zeit ihre heute noch praktizierte Ausformung. Der am häufigsten
gesungene „Klassiker" zum Chanukkafest ist der Pijut (religiöser Hymnus)
„Maos Zur" aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Verfasser ist, wie das
Akrostichon der ersten fünf Strophen ergibt, ein nicht näher bekannter
Mordechai. Das Gedicht bringt die Hoffnung auf messianische Erlösung zum
Ausdruck, lobt Gott für die Befreiung aus Ägypten, aus dem babylonischen Exil
und für die Errettung vor Haman, dem Verfolger aus dem Buch Esther. Die letzte
Strophe fleht um Israels baldige Erlösung von Edom, dem Codewort für das
Christentum, enthält aber im Wortspiel admon und adom (hebr.: rot)
auch eine Anspielung auf Friedrich Barbarossa („Rotbart"), dem Kaiser des
Zweiten Kreuzzugs 1146. Da die Strophe eindeutig zur blutigen Rache aufruft,
wurde sie entfernt und durch später hinzugedichtete Strophen ergänzt.1
Auch die Musik erzählt vom Ideentransfer zwischen Juden und
Christen: Die heute im aschkenasischen Kulturraum beliebteste und meistgesungene
Melodie des „Maos Zur" stammt von einem deutschsprachigen Volkslied aus dem 15.
Jahrhundert, aus dem Westen Europas. Martin Luther verwendete sie in leicht
variierter Form für sein Kirchenlied „Nun freut euch, liebe Christeng’mein".
Georg Friedrich Händels prächtiger Chor „See the Conquering Hero Comes" aus
seinem Oratorium „Judas Maccabäus" teilt wiederum seine einprägsame Melodie mit
einem heute noch populären hebräischen Chanukkalied.
Mittelalterliche Chanukkabräuche aus Österreich
Das Chanukkafest hat keine Verankerung in der Tora und daher
keine derart strengen Vorschriften wie die drei Wallfahrtsfeste und der Schabbat.
Es besteht kein Arbeitsverbot, nur während die Lichter brennen darf keine Arbeit
verrichtet werden. Schon im 13. Jahrhundert konnte man jedoch auch kleinere
Kerzen verwenden, „auch wenn sie nur kurze Zeit brannten", und so die
Arbeitsunterbrechung begrenzen. Über die Richtung des Anzündens, von links oder
von rechts, bestand keine Einigkeit, denn nach dem Minhag Reinus, dem
Brauch der rheinischen Juden, erfolgte das Zünden von links nach rechts, nach
dem Minhag Austraich, dem österreichischen, umgekehrt, und sie hing davon
ab, ob an der Tür des betreffenden Raumes eine Mesusa angebracht war. 2
Olivenöl war nicht zwingend vorgeschrieben, obwohl sich das Chanukkawunder auf
ein Kännchen Öl bezog und Wachs im Mittelalter ziemlich teuer war. Das Spenden
von Wachskerzen für die Synagoge war fromme Pflicht und diente auch der
Repräsentation. Rabbi Schalom von Wiener Neustadt, gestorben 1415, schickte
seinen Schüler zum Schammasch, dem Amtsdiener, um Wachsreste von den
Synagogenkerzen zur Fertigung von Chanukkakerzen zu kaufen (Minhage Schalom, Ed.
Spitzer, Nr. 540). Als Leuchter, Lup(a) genannt, konnte auch der normale
Ölleuchter in Form eines achtzackigen Sterns verwendet werden, der in jedem
besseren jüdischen Haushalt vorhanden war. Das täglich neue Anzünden eines
weiteren Dochtes verlangte jedoch, dass die einzelnen Flammen mindestens zwei
Finger breit voneinander durch eine Scheidewand getrennt sein mussten. Deshalb
waren auch die „gewunden kerzen", die in mehreren dünnen Dochtsträngen
geflochten für den Schabbat oder die Hawdala verwendet wurden, nicht geeignet
oder erlaubt.3
Chanukkaleuchter, vermutlich aus Italien, 15. Jhdt.
Jedes Fest bietet Gelegenheit zur Wohltätigkeit und bessert
die Almosenkasse (Zedaka) durch Erwerben von „Mizwot", gottgefälligen
Handlungen, auf. In der Jeschiwa von Rabbi Isserlein (gest. 1460) in Wiener
Neustadt kauften die Bachurim das Lichterzünden in seiner Privatsynagoge; wer
sie bereits dort angezündet hatte, musste es nicht mehr zu Hause tun.4 Trotzdem
lesen wir vom Kerzenzünden der Bachurim im Hause ihres Meisters. Da an jedem der
acht Tage eine Kerze hinzukommt, waren oft vor dem Abendessen im Haus Isserlein
derart viele Kerzen anzuzünden, dass man eine Weile vor dem Mahl damit beginnen
musste, was auf eine bemerkenswerte Zahl von Studenten und anderen Hausgenossen
schließen lässt. Beim Begehen der Feiertage waren die Bachurim den
Familienangehörigen gleichgestellt, wie sich auch an ihrer Teilnahme an den
festlichen und kulinarischen Schabbatmahlzeiten zeigte. Das Ritual mit
gemeinsamen Gesängen – im „Leket Joscher", in den 1470er Jahren von Isserleins
Diener und Schüler Jossl von Höchstädt verfasst, ist beispielsweise das „Maos
Zur" erwähnt– diente auch zur Stärkung der Gruppengemeinschaft und der Familie
in Verbundenheit mit dem Rabbiner und Hausherrn. Rätsel, Reime und Scherzfragen,
die auf spielerische Weise die Kenntnisse und Ausdrucksfähigkeit der Bachurim
auf die Probe stellten, gehörten ebenso zur Simcha (Festfreude) wie Essen
und Trinken.5 Dadurch wiederholten die Studenten nebenbei auch den Lernstoff,
da ja für die Brenndauer der Kerzen der institutionelle Unterricht ausfiel. Die
Wissensvermittlung und der Wissenserwerb erfolgten also auch außerhalb der
regulären Jeschiwa-Zeiten, bei Festen und privaten Tischreden.
In erster Linie war und ist Chanukka also ein Familienfest,
auch wenn das heute übliche „Chanukkageld" und vor allem die Geschenke erst
unter dem Einfluss der Weihnachtsgaben verbreiteter Brauch wurden. Das
Kerzenzünden ist demjenigen aufgetragen, der sich im Haus befindet, und darf
auch stellvertretend für den Ehepartner und andere Hausgenossen durchgeführt
werden. Dabei konnte es geschehen, wie Rabbi Schalom von Neustadt aus eigener
Erfahrung berichtete, dass sich einer auf den anderen verließ und somit keiner
der Pflicht nachkam.6 Kinder waren selbstverständlich anwesend, auch wenn Rabbi
Isserlein es nicht gerne sah, wenn sie bei Kerzenlicht spielten, „denn so ist
die Art der Kinder, dass sie die Kerzen nur zum Spielen anzünden."7
Wie bei den meisten Festen waren auch beim Lichterfest die
christlichen Zeitgenossen mit jüdischen Gebräuchen vertraut, und Juden scheuten
sich nicht, diese auch in christlichen Häusern zu praktizieren. Allerdings
klingt in der betreffenden Quelle aus dem Leket Joscher ein Vorbehalt an, und es
ist nicht klar, ob man nun allgemeine Bedrohungen oder eine speziell vom
christlichen Hausherrn ausgehende befürchtete: „Im Haus eines Goj zündet
man (zu Chanukka) nur eine Kerze und den Schammes an, auch wenn es der Goj wegen
zwei oder drei Kerzen nicht so genau nimmt, wegen des einen von den hundert
Malen, wo Gefahr davon ausgeht."8 Es stellt sich die Frage, ob Rabbi Isserlein
hier die Brandgefahr meinte, die dem Haus des Christen eventuell durch die
Unachtsamkeit eines Juden drohen könnte und die in der Folge die gesamte
Gemeinde in Gefahr brächte, oder doch eine mögliche Gewaltattacke des
christlichen Hausbesitzers. Da er aber die Anzahl der Kerzenflammen
einschränkte, ist die Besorgnis um die Sicherheit des Hauses eher anzunehmen.
Feuersbrünste gehörten zu den häufigsten Katastrophen in mittelalterlichen
Städten.
Chanukkaleuchter an öffentlichen Orten
Die Brandgefahr, die von einem offenen Leuchter ausgeht, wird
bereits im Mischnatraktat Baba kama, welches Schadensleistungen behandelt,
erwähnt: „Hat der Ladenbesitzer seine Leuchte draußen hingestellt, so ist er
ersatzpflichtig. Rabbi Jehuda sagte: Wenn es eine Chanukkaleuchte ist, so ist er
ersatzfrei" (Mischna, Baba kama VI, 6). Obwohl die Mischna, endredigiert etwa
200 chr. Z., Chanukka selten und die Hasmonäer wegen ihrer angemaßten Herrschaft
überhaupt nicht erwähnt, scheint also der Brauch, den Chanukkaleuchter möglichst
öffentlich zur Schau zur stellen, schon damals bestanden zu haben. Mitte des 13.
Jahrhunderts empfahl auch Rabbi Izchak bar Mosche Or Sarua (gest. ca. 1250),
welcher aus Böhmen stammte, bei den berühmtesten Rabbinern seiner Zeit studiert
und sich schließlich als Rabbiner in Wien niedergelassen hatte, „zur Verbreitung
des Wunders" eine möglichst öffentliche Platzierung der Chanukkakerzen. Der
beste Ort wäre der Hof zwischen den Häusern; falls dieser zu eng sei, sollte der
Leuchter am Fenster oder in der Türschwelle stehen. 9
Dieser Mut zur offenen Zurschaustellung religiöser Gebräuche erklärt sich aus
der günstigen rechtlichen Lage der Juden in Wien um die Mitte des 13.
Jahrhunderts. Sie standen unter dem Schutz des babenbergischen Herzogs Friedrich
des Streitbaren, welcher ihnen in seinem Privileg 1244 die ungehinderte
Religionsausübung garantiert hatte. Die jüdische Gasse oder Judenstadt war zwar
ein relativ geschlossenes Wohnviertel, doch war es kein Ghetto und die ebenfalls
dort wohnenden oder vorübergehenden Christen nahmen von den brennenden Leuchtern
sicher Notiz.
Der zentrale Ort der jüdischen Öffentlichkeit war im
Mittelalter selbstverständlich die Synagoge. Sie sollte in einer Art von
„Gesamtkunstwerk" ein Abbild des Jerusalemer Tempels, ein „kleines Heiligtum",
sein. Mittel zur Gestaltung waren und sind die Architektur, die
Innenausstattung, der Gesang und die Kleidung der Betenden. Die
Vergegenwärtigung des zerstörten Heiligtums erfolgte im Toraschrein mit dem
Parochet als Abbild des Allerheiligsten, dem Ewigen Licht und der Bima
als Ersatz für den Weihrauchaltar im Hof. Der Tempelleuchter, die Menora,
fehlte vielleicht aufgrund seines speziellen Schicksals – sie war von den
siegreichen Römern in den Triumphbogen eingemauert worden – lange Zeit in der
Syna-goge. Sie hielt, zwar nicht mit sieben Armen, sondern als achtarmiger
Chanukkaleuchter, erst im 11. Jahrhundert in der Synagoge Einzug. Begründet
wurde diese Neuerung mit der Möglichkeit des Kerzenzündens von durchreisenden
Gästen, welche dieser Pflicht nicht im eigenen Haus nachkommen konnten, doch
dieses Bedürfnis muss ja bereits in früheren Zeiten bestanden haben. Vivian Mann
vermutet, dass die mittelalterlichen Gemeinden damit auf die immer häufigere
Aufstellung von Menorot in Kirchen reagierten. Seit dem ersten Beispiel
in der Abtei Essen um 1000 sind aus dem Mittelalter mehr als fünfzig Beispiele
bekannt, mit denen die Kirche ihre wahre Nachfolge von Tempel und Judentum
repräsentieren wollte. Als Gegenreaktion „reokkupierten" die Juden ihr
urjüdisches Symbol und wählten mit dem Aufstellungsort Synagoge ihren
entsprechenden sakralen Raum. Nach den unterschiedlichen Interpretationen von
Raschi und Maimonides stand in Marburg/Maribor der Leuchter an der Ostwand in
Nord-Südrichtung, in Krems, Wiener Neustadt und Wien an der Südwand in
West-Ostrichtung. Schon die Bezeichnung des Leuchters als „Menora" entsprechend
dem Tempelleuchter und auch die Aufstellung an der Südseite, wo er auch im
Jerusalemer Tempel gestanden hatte, transferiert die Erinnerung an das Heiligtum
in die Synagoge und führt die Hoffnung auf messianische Erlösung vor Augen.10
Trotz dieses offensichtlichen Kulturtransfers, der in Antwort
auf christliche Vorgaben die eigene Identität und Selbstvergewisserung stärkte,
war das mittelalterliche Chanukkafest von dem sich seit dem frühen 19.
Jahrhundert entwickelnden synkretistisch-bunten „Weihnukka" mit Baum,
Geschenken, Gebäck und interreligiösen gemeinsamen Feiern weit entfernt. Der
Tannenbaum im Hause Herzl in Wien schockte etwa Rabbiner Moritz Güdemann
zutiefst.
1 Die Strophe ist noch vorhanden im Siddur Tefilat Israel
kolel ha-Tefilot mikol ha-Schana ke-Minhag Aschkenas. Josef Schlesingers
Buchhandlung, Wien o. J., 327.
2 Israel bar Petachja, Sefer Terumat ha-Deschen ha-schalem.
1. Teil: Sche’elot u-Teschuwot, 2. Teil: Pesakim u-Khetawim, 3. Teil: Teschuwot
Chadaschot (hg. von Schmuel Abitan, Jerusalem 1991), Sche’elot u-Teschuwot Nr.
104 und 106.
3 Josef Jossel bar Mosche, Leket Joscher (hg. von Jakob
Freimann, Berlin 1903, repr. Jerusalem 1964), Teil I, 150, Isserlein, Sche’elot
u-Teschuwot Nr. 105.
4 Leket Joscher I, 151.
5 Leket Joscher I, 153. Moritz Güdemann, Geschichte
des Erziehungswesens und der Cultur der abendländischen Juden während des
Mittelalters und der neueren Zeit (Bd. 3: in Deutschland während des XIV. und
XV. Jh. nebst bisher ungedruckten Beilagen, Wien 21888, Nachdruck Amsterdam
1966) 87f.
6 Leket Joscher I, 152; Isserlein, Sche’elot u-Teschuwot Nr.
101.
7 Leket Joscher I, 153.
8 Leket Joscher I, 152.
9 Izchak ben Mosche, Sefer Or Sarua, 1 und 2. Teil (Schitomir
1862, repr. Tel Aviv 1976), 2. Teil, Hilchot Chanukka nr. 323.
10 Vivian B. Mann: Zu einer Ikonografie der mittelalterlichen
Diaspora-Synagogen, in: Europas Juden im Mittelalter. Beiträge des
internationalen Symposiums in Speyer vom 20.-25. Oktober 2002 (hg. von Christoph
Cluse, Trier 2004) 365-376, S. 369; Isserlein, Sche’elot u-Teschuwot Nr. 104 und
106; Leket Joscher I, 157.
Zurück
|
|
|
|