|
Rekonstruktion der Synagoge in der Zirkusgasse (Wien)
Bob MARTENS
In der 70. David-Ausgabe wurde das Vorhaben angekündigt,
künftig weitere Wiener Synagogen-Rekonstruktionen auch in der „begreifbaren"
Form eines gedruckten Modells abbilden zu können. Ein solches Bestreben ist
zweifelsohne als Zusatznutzen eines bereits erstellten 3D-Computermodells zu
betrachten und ergänzt somit die ohnedies reichhaltige Palette an bildhaften
Visualisierungen. Architekturmodelle üben seit jeher eine besondere Faszination
auf die Betrachter aus. Dies ist wohl auf die miniaturisierte Darstellung und
die verhältnismäßig leicht verständliche Botschaft zurück zu führen. Im
Gegensatz zum Fassadenmodell der Schopen-hauerstrasse [1] erfolgte eine
Aufsplittung in Teilfragmente der wiedererrichteten Fassade der Zirkusgasse
ausschließlich im sog. Pulverschichtverfahren. Dabei bleibt die Segmentierung
zwar sichtbar, jedoch stört diese kaum den Vorgang der Betrachtung.

Vorhof zum Portal der Synagoge
In diesem Beitrag wird die Rekonstruktion des 1885 -1887
errichteten Tempels in der Zirkusgasse 22 vorgestellt, welcher von Klaus
Lengauer im Rahmen seiner Diplomarbeit [2] bearbeitet wurde. Auch in diesem
Fall stand eine detailgenaue 3D-Computermodellierung im Mittelpunkt der
Auseinandersetzung und fungierte als Grundlage für die hier zur Schau gestellten
Visualisierungen. Es gilt hinzuzufügen, dass auch weitere Einzelstandpunkte wie
auch eine so genannte Animation (Filmsequenz mit bewegten Bildern) ohne weiteres
aus der erarbeiteten Datenbasis generierbar wären.

Blick in Richtung Almemor
Im Zuge der virtuellen Wiedererrichtung des Tempels nutzte
Lengauer die archivierte Einreichplanung. Der Vorhof wurde von der Straßenfront
durch ein reich gegliedertes dreiteiliges Steinportal mit Brüstungsmaßwerk und
minarettartigen Türmchen abgegrenzt. In der Mitte dieses Portals befanden sich
zwei große Haupttore, in den beiden Seitenteilen des Portals jeweils ein
kleinerer Durchgang. Auf der Ostseite des Vorhofs erhob sich die
zweigeschossige, reich mit Marmor, Gold und flachem Relief ausgestaltete
Fassade. Im ersten Stock befand sich ein Balkon, der im Mittelbereich mit
doppelter Tiefe ausgeführt war und solcherart gleichsam eine Überdachung des
Eingangsbereichs erlaubte.

Blick in Richtung Betsaal
Recherchierte Fotografien - als weitere Quellen der
Rekonstruktion - beziehen sich ausschließlich auf diesen Außenbereich und nehmen
einen Standpunkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite bzw. unmittelbar im
Hofbereich (vor und nach der Progromnacht) ein. Diese Aufnahmen machen übrigens
deutlich, dass von der ursprünglichen Planeinreichung abgewichen wurde. Polier-
und Ausführungspläne stehen leider nicht zur Verfügung. Ein von Friedrich
Reinhold um 1890 gemaltes Aquarell, welches den überkuppelten, achteckigen
Hauptraum mit Empore darstellt, lässt das Fehlen von farbigen Innenraumaufnahmen
schmerzlich vermissen, da Reinholds Aquarell wichtige Hinweise auf die
Oberflächengestaltung liefert. Man muss allerdings bedenken, dass, selbst wenn
wir über professionelle fotografische Aufnahmen aus der Zeit vor 1938 verfügen
würden, diese wohl kaum in Farbe ausgeführt worden wären. Die Ausführung des
oktogonalen Hauptraumes erfolgte demnach in Marmor bzw. Stukkolustro und
Goldstuck in Form maurischer Ornamente und Formen. Der prunkvolle Thoraschrein
auf dem dreistufigen Podest wird durch einen reich gestalteten Prunkbogen in
besonderem Maße akzentuiert [3,4]. Der zentralsymmetrisch angelegte Innenraum
ist durch ein dichtes Dekornetz gekennzeichnet. Die Vielzahl seiner Details
sollte auf die Besucher der Synagoge wohl eine „bezaubernde" Wirkung ausüben. In
diesem Zusammenhang gilt es übrigens darauf hinzuweisen, dass die im Aquarell
vermittelte Impression sich über die Regeln der darstellenden Geometrie
großzügig hinweg setzt; das Computermodell brachte diesbezüglich den wenig
überraschenden Nachweis. Konstruktiv betrachtet entstand dieser Sakralbau in
einer Zeit, als genietete Eisenkonstruktionen relativ kostengünstig erzeugt
werden konnten und überdies schlanke Säulenquerschnitte und Bögen im Bereich der
Empore und der Kuppel ermöglichten.

Blick in den Betsaal von der hinteren Ecknische
Das Oeuvre des Architekten Hugo von Wiedenfeld beinhaltet
einen interessanten Vergleichsbau, und zwar jenen der Insektenpulverfabrik
Zacherl in der Nusswaldgasse 15–16 (19. Bezirk, Wien). Auch hier fällt die
Verwendung eines maurisch-orientalisierenden Stils [4] auf. Anders als dies
jedoch bei den Architekten Jakob Gartner und Max Fleischer der Fall war,
zeichnete Wiedenfeld nur für eine einzige Synagoge verantwortlich.
Referenzen
[1] Martens, Bob: Rekonstruktion der Synagoge in der
Zirkusgasse (Wien). David 70 (2006), S. 3.
[2] Lengauer Klaus: Computergestützte Rekonstruktion der sefardischen
Synagoge in Wien II, Zirkusgasse 22 [Diplomarbeit TU-Wien]. Wien: Papo,
2006.
[3] Zemlinszky, Adolf von: Geschichte der türkisch-israelitischen Gemeinde zu
Wien. Wien, 1888.
[4] Genée, Pierre: Wiener Synagogen 1825-1938. Wien: Löcker
Verlag, 1987.
Zurück
|
|
|
|