Alfredo Bauer ist ein Laie, der ein Buch unter dem Titel
„Kritische Geschichte der Juden" veröffentlichte und dieses wahrscheinlich weder
von einem sachkundigen Lektor noch von einem Historiker hat kontrollieren
lassen.
Tatsachen ersetzt er oft genug durch subjektive Meinungen.
Zwar liest der Autor weder Englisch, noch Hebräisch oder Jiddisch, doch
bewaffnet mit „Marxismus" glaubt er uns etwas neues bieten zu können, nämlich
eine materialistische Darstellung jüdischer Geschichte. Am Buchumschlag wird
Alfredo Bauer unbescheiden angepriesen: „Wie vor über einem halben Jahrhundert
bereits Otto Heller und der von den Nazis ermordete belgische Marxist
[trotzkistischer Prägung, K.P.] Abraham Léon aber wesentlich breiter angelegt
und ins Detail gehend wagt er es, die Geschichte der Juden im Sinne des
historischen Materialismus zu untersuchen."
Otto Hellers Prophezeiungen von einem blühenden jüdischen
autonomen Gebiet in der Sowjetunion sind nicht eingetroffen, hingegen leben im
heutigen Israel sechs Millionen Juden.
Léon scheint wegen des Faschismus nicht besonders besorgt
gewesen zu sein, denn „gerade die Verschlimmerung des Antisemitismus bereitet
den Weg für sein Verschwinden". Der Faschismus, prophezeite er, würde die
Proletarisierung des Mittelstandes beschleunigen. Ein oder zwei Jahre nach
Niederschrift dieser Zeilen wurde Léon verhaftet und starb, wie Millionen
anderer Juden, in einem Vernichtungslager der Nazis.
Die Zionisten schenkten den Ansichten Léons und anderer
trotzkistischer Ideologen kaum Bedeutung, denn selbst dort, wo deren
Auffassungen sich von denen Kautskys und der Bolschewiki unterschieden, boten
sie keine überraschenden neuen Erkenntnisse. Bauer O-Ton: „Wir haben gesehen,
dass der Antisemitismus in der Krise des Feudalismus aufkam, als der Aufschwung
des Handwerks und des Handelskapitals in den Städten den Juden aus der
„nützlichen" Funktion, die er auf dem Höhepunkt des Mittelalters ausgeübt hatte,
in eine parasitäre Stellung verdrängte, die mit allen Sektoren und Schichten der
Gesellschaft konfrontiert war. Die entsprechende Traditionen und Tendenzen
blieben erhalten, während die Juden „in den Poren der Gesellschaft" lebten und
ihre parasitäre Funktion als Wucherer ausübten."
Diese Behauptung, die Juden verantwortlich macht für den
mörderischen Antisemitismus ist leicht zu widerlegen, lange bevor es zu dieser
Krise des Feudalismus kam, also bereits während der Kreuzzüge kam es 1096 zu
schrecklichen Pogromen gegen Juden, die in den Augen der Kreuzfahrer als sture
Gegner von allem, was unter dem Zeichen des Kreuzes geschah, wahrgenommen
wurden. Tatsächlich waren einige Juden wohlhabend, doch nicht die Mehrheit. Die
Juden Westeuropas wurden damals mit der Wahl konfrontiert, abgeschlachtet zu
werden oder sich taufen zu lassen. Die meisten bevorzugten Märtyrer zu werden,
was auch schwer mit krudem Marxismus zu erklären ist.
Auch Bauer interpretiert den deutschen Nationalsozialismus
als „Faschismus". Da dem an den Juden verübten Genozid die ökonomische
Rationalität fehlt, versucht er den Antisemitismus als Ersatz für Sozialismus
abzuhandeln. „Sobald der Antisemitismus eine Massenbasis besaß, wurde er zum
wesentlichen strategischen Mittel des Großkapitals, um den antikapitalistischen
Hass auf die Juden abzulenken und die Arbeiterklasse irrezuführen."
Kann man denn den Massenmord an Juden bis zum letzten Moment
mit dem Interesse des Großkapitals erklären? Wer Victor Klemperer aufmerksam
liest, wird feststellen, dass nicht alle Unternehmer antisemitisch und nicht
alle Arbeiter frei davon waren. Auch ist es eine Tatsache der deutschen
Geschichte, dass die Judenrazzia, die 1943 zum einzigen Protest gegen die
Behandlung der Juden in Berlin führte (Rosenstraße), deswegen nicht ganz
erfolgreich war, weil einige deutsche Unternehmer ihre jüdischen Zwangsarbeiter
rechtzeitig warnten. Das bemerkte sogar Goebbels in seinem Tagebuch.
Obwohl heute kein seriöser Historiker mehr vom
„faschistischen Horthy-Regime" schreibt, hält der um ein paar Broschüren und
Erkenntnisse nachhinkende Bauer daran fest. Doch damit nicht genug, er kommt
auch zur Erkenntnis, dass doch die angebliche Judenfreundlichkeit auch unter
Horthy nicht verschwand: „Das ging so weit, dass der Horthy-Staat sogar Eichmann
Widerstand leistete, als dieser „die Endlösung", die restlose Ausrottung der
Juden, auch in Ungarn durchführen wollte." Hätte er nur einen Blick in irgendein
Buch eines seriösen Wissenschaftlers geworfen, dann hätte er diesen Satz niemals
niedergeschrieben. Denn es war gerade das Horthy-Regime, das wissend um das
Schicksal, das die Juden erwartete, mehr als eine halbe Million Juden durch
seine Gendarmerie und Polizei in die Viehwaggons trieb, mit denen sie nach
Auschwitz-Birkenau deportiert wurden, wo die meisten ihren Tod fanden.
Tatsächlich verhinderte Horthys Befehl Anfang Juli 1944 die
Deportation der Budapester Juden. Doch er tat dies nicht aus Freundschaft für
Juden, sondern weil wegen der erfolgten Deportation der mehr als einer halben
Million Juden die Alliierten, neutrale Staaten und der Vatikan protestierten.
Also eine direkte Geschichtsfälschung von Bauer, die vermutlich nicht
beabsichtigt war, sondern eher Ergebnis seiner Ignoranz ist.
Bauer glaubt auch: „Aber der Antisemitismus, der spontane wie
der absichtlich geförderte, kann nur dort zum Zuge kommen, wo der Jude
„sichtbar" ist, d.h. wo er in genügendem Masse Merkmale seines „Anderssein"
behalten hat, um Christen und Juden von Aussehen und Handlungsweise her
verschiedenen Bevölkerungssektoren zuzuordnen."
Ersetzen wir das Wort Juden durch Muslime und wir haben genau
die Erklärung, die uns europäische Rechtsextremisten geben. Wenn die Muslime
nicht bemerkbar wären, wenn sie mit Lederhosen bzw. mit Dirndl bekleidet
deutsche Volkslieder singen würden, dann wäre alles in Ordnung.
Diese Bemerkung von Bauer ist auch deswegen unsinnig, weil
die Juden in Frankreich nicht zu unterscheiden waren von Christen als es zum
Ausbruch einer antisemitischen Hysterie anlässlich des Dreyfus-Prozesses kam.
Bauer glaubt auch „die Zionisten" belehren zu müssen, dass
doch die Juden während des Zarenreiches noch schlechter behandelt wurden als vom
Sowjetregime. Trotzdem - so dieser Pseudohistoriker - „jammern" sie über die
„Verfolgung der Juden unter dem Sowjetregime."
Nur lässt er aus, dass unter dem Zarenregime Juden ins
Ausland flüchten konnten, um dem Elend zu entkommen. Wer von den sowjetischen
Juden in seinem Pass in der Nationalitätenrubrik als Jude bezeichnet wurde,
musste mit Diskriminierungen auf verschiedenen Gebieten rechnen. Doch Bauer wäre
nicht der kleingeistige und bornierte Mensch, der er anscheinend ist, wenn er
sich die Bemerkung erspart hätte, dass dieses krasse Unrecht, das die meisten
sowjetischen Juden erleiden mussten „nicht auf Grund der herrschenden Norm,
sondern im Widerspruch zu ihr" erfolgte. Aus Diskriminierung am Arbeitsplatz und
bei Studienmöglichkeiten macht er „Äußerungen des Antisemitismus, die es
zweifellos gab" die aber „nicht der sozialistischen Kultur" entsprangen.
Für die Diskriminierten machten solche Apologien des „real
existierenden Sozialismus" keinen Unterschied. Muss man da darauf hinweisen,
dass im Moment als es erlaubt wurde, mehr als eine Million ehemals sowjetischer
Juden auswanderten?
Auch Bauer will die Legende verbreiten, dass die
Nationalsozialistische Arbeiterpartei „Gewalt gegen die Arbeiter" angewendet
hätte. Die Nazis wendeten Gewalt gegen „arische" kommunistische und
sozialdemokratische sowie Gewerkschaftsfunktionäre an, die nicht bereit waren
abzuschwören und ins „nationale" Lager hinüberzuwechseln, doch nicht gegen die
Masse der Arbeiter. Aus manchem Proletarier wurde damals ein Arier.
Man muss schon sehr voreingenommen oder unwissend sein, um
folgendes zu schreiben: „Eine unrühmliche Rolle spielte allerdings auch der
Zionis-tische Weltkongress. Er tat nicht einmal während des Zweiten Weltkriegs
etwas gegen Nazi-Deutschland. Nur beiläufig hatte Chaim Weizman (sic!) am Ende
des letzten Zionistischen Weltkongresses vor Ausbruch des Krieges einmal gesagt,
„der Krieg der westlichen Demokratien sei unser Krieg, und ihr Kampf unser
Kampf".
Bauer erwähnt mit keinem Wort, dass die Zionisten im Heiligen
Land für die freiwillige Meldung zur britischen Armee warben und über 26.000
Juden und Jüdinnen dem Folge leisteten. Im September 1944 wurde die Jüdische
Brigade als unabhängige jüdische Einheit innerhalb der britischen Armee
gebildet, mit eigener Flagge und eigenem Emblem. Die Brigade war ca. 5000 Mann
stark und wurde in Ägypten, Norditalien und Nordwesteuropa eingesetzt.
Bauer hat die Stirn Chaim Weizmann zu kritisieren, ohne zu
erwähnen, dass während Weizmann diese Erklärung im August 1939 in Genf abgab,
Josef Stalin, Vorbild und damaliger Götze der Kommunisten, einen
Nichtangriffspakt mit Hitler abschloss. In der Folge wurden Tausende von
jüdischen und nichtjüdischen Kommunisten von der Sowjetunion der Gestapo
übergeben.
Es würde den Rahmen eines Artikels sprengen, wenn ich auf
alle Fehler dieses Buches eingehen würde. Es ist festzuhalten, wenn die
Ideologie die Feder führt und dem Autor die notwendigen Kenntnisse fehlen, kommt
keine „kritische Geschichte" sondern ein solches Machwerk zustande.
Alfredo Bauer: „Kritische Geschichte der Juden II", 2006 Neue Impulse Verlag,
199 Seiten.