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Die Juden in Galizien in den Werken von Samuely, Sacher-Masoch
und Landau Antonina Stanislawa
TAUSCH
Kurzer Einblick in die historische Situation der Juden in
Galizien - Gesetzliche Lage
Seit der Revolution 1848 genoss die jüdische Minderheit das
aktive und passive Wahlrecht. Schrittweise wurde in den folgenden Jahren die
Rechtsstellung der Juden verbessert, 1859 fielen die Beschränkungen bezüglich
der Eheschließungen. Den Israeliten wurde nun auch erlaubt, Christen als
Dienstboten einzustellen, was beim katholischen Klerus in Galizien große
Bestürzung hervorrief.
Das Jahr 1867 brachte mit dem Staatsgrundgesetz die volle
juristische Gleichberechtigung. Die Wende vom absolutistischen Staat zur
parlamentarischen Monarchie gewährte allen Staatsbürgern die freie Entscheidung
über den Wohnsitz, den Aufenthalt an jedem beliebigen Ort des Staatsgebietes und
die Ausübung des gewählten Gewerbes ohne Einschränkung.
Wirtschaftliche Situation
Galizien war mit Ausnahme von Dalmatien die am wenigsten
industrialisierte Provinz Österreichs. Dieser Zustand war der feudalen
Aristokratie sehr genehm: „velche vil befeyersh (offenkundig) az Galitsien zol
ferbleyen vi veyt meglich a Land fun Agrikultur, un die estreyische Skhoyrot
(Waren) velche veren produtsirt in ihr Provintsen solen dort kriegen a guten
Obzots." 1
Um 1900 waren noch mehr als 80% der Bevölkerung in der
Landwirtschaft tätig. Die Besitzverhältnisse von Grund und Boden waren extrem
unausgeglichen, 37% der Fläche waren in Großgrundbesitz, welche aber an der
gesamten landwirtschaftlichen Betriebsverteilung nur 0,5 % betrugen.
Die Juden waren von der zunehmenden Pauperisierung der Bauern
nicht nur aufgrund ihrer speziellen Berufsstruktur, die eine hohe Konzentration
in Handel und Gewerbe aufwies, sondern auch wegen der national-antisemitischen
Wirtschaftspolitik stark betroffen.
Der Sektor der Schwerindustrie, der in Galizien seit den
neunziger Jahren immer mehr an Bedeutung gewann, schloss Juden oftmals aus: nur
beim Abbau des Erdöls und des Erdwachses waren sie stärker vertreten.
Jüdische Arbeiter waren auch in den jüdischen Großbetrieben
vorzufinden, die aber meist technisch unterentwickelt blieben. In den Webereien,
den Zündholzfabriken, den Raffinerien und bei der Herstellung von Bürsten und
Zigarettenmundstücken wurde Juden beschäftigt.
Weitere Betätigungssparten der Juden waren Gerbereien,
Ziegeleien, Sägewerke, Mühlen und Betriebe, die Ritualgegenstände herstellten.2
Bei den Regelungen zu der Sonn- und Feiertagsordnung gab es
in Galizien einige Abmilderungen, da die Stilllegung der Arbeit an zwei Tagen
(samstags und sonntags) für die Meisten finanziell nicht verkraftbar war. Die
besondere Lage der Juden, die am Sabbat ruhen und am Sonntag arbeiten wollten,
wurde von den Behörden berücksichtigt.
Demographie
Nach der Volkszählung vom 1. Oktober 1857 hatte Galizien
2228047 Einwohner, leider gab es für dieses Jahr keine Differenzierung nach der
Religionszugehörigkeit. Im Jahre 1880 lebten neben 5227353 Katholiken, 2622
Orientalischen Christen, 40949 Protestanten, 686596 Israeliten. Sie machten
11,52% der galizischen Gesamtbevölkerung aus.
Die jüdische Bevölkerung wuchs schnell, im Jahre 1890 gab es
770468 Juden (11,7% der Bevölkerung). Zehn Jahre später gab es ihrer 811183 (11,
09%). Im folgenden Zeitabschnitt schien die Bevölkerung nicht mehr so schnell zu
expandieren: 1910 gab es 871895 Israeliten in Galizien (dies stellt prozentuell
weniger als in den Vorjahren dar: 10,86% der Gesamtbevölkerung).
Das statistische Material zu den Sprachen, die in Galizien
gesprochen werden, ist leider wenig aufschlussreich, da Jiddisch in den Daten
nicht als eigene Sprache angeführt wurde.
Politische und religiöse Strömungen
Nach der Eingliederung Galiziens und Lodomeriens in das
Habsburgerreich veranlasste Josef II. für die dort lebenden Juden einschneidende
gesellschaftspolitische Reformen. Es galt an der Wende von feudaler zu
bürgerlicher Gesellschaftsordnung die einzelnen Juden, nicht das Judentum zu
assimilieren.
Die Reaktion der Betroffenen war erwartungsgemäß
unterschiedlich.
Wurden sie einerseits von den Fortschrittlichen und
Assimilationswilligen begrüßt, so erkannte die traditionsbewusste Schicht die
Gefahr für die religiöse Substanz.
Im 19. Jhdt. verschärften sich – bedingt durch die
industrielle Entwicklung – die sozialen Gegensätze erheblich. Die weitere
Pauperisierung der Juden führte jedoch nicht zu einer Solidarisierung mit der
übrigen Arbeiterschaft, sondern rief heftige antisemitische Reaktionen hervor.
Die jüdische Bevölkerung, deutlich abgehoben in Sitten und
Gebräuchen und vor allem in der Sprache, wurde weniger zur Assimilaton ermutigt,
als vielmehr in einen nationalen Identifizierungsprozess gedrängt. Die Ideen des
Zionismus fielen auch hier auf fruchtbaren Boden.
Die Autoren
Nathan Samuely wurde 1846 in Stryj, Galizien, geboren. Er
publizierte in hebräischer und erst später in deutscher Sprache. Samuely trat
für die Aufklärung unter den galizischen Juden ein, seine Kritik richtete sich
vor allem gegen den Chassidismus. Samuelys Werk geriet weitgehend in
Vergessenheit.
Er starb 1902.
Leopold von Sacher-Masoch wurde 1836 in Lemberg geboren. Er
studierte Jus, Mathematik und Geschichte in Graz. Zunächst wurde er Professor
für Geschichte an der Lemberger Universität, er gab jedoch später seinen
akademischen Beruf auf, um sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Er
verfasste realistische Schilderungen über galizische Bauern und Juden.
Sacher-Masoch genoss eine katholische Erziehung, kannte aber
genau die Verhältnisse in den Gettos, schon als Bub begleitete er seinen
Großvater, der als Arzt auch Juden behandelte.
Bekannt wurde Sacher-Masoch durch folgende Werke: Venus im
Pelz, Dunkel ist dein Herz, Europa, Aus dem Tagebuche eines
Weltmannes.
Er befasste sich mit besonderen Problemen der Sexualität,
nach ihm ist der Masochismus benannt.
Sacher-Masoch starb 1895 im hessischen Lindheim.
Saul Raphael Landau (1870-1943) war ein Mitarbeiter Theodor
Herzls, trennte sich aber von ihm und gründete eine selbständige Organisation
der jüd. Arbeiter. In seinen Überlegungen nahm er die Ideen des Poale-Zionismus
teilweise vorweg.
Landau war auch als Publizist tätig und gab die „Neue
Nacionalzeitung" heraus. Seine Erzählungen wurden in Zeitschriften
veröffentlicht, Unter jüdischen Proletariern war erstmals in „Die Welt"
zu lesen.
Nathan Samuelys: Culturbilder aus dem jüdischen Leben in
Galizien (1886)
Das Buch Samuelys besteht aus zehn kurzen Erzählungen, die
allesamt jüdisches Leben in Galizien beschreiben.
Hier zwei Beispiele aus diesem Buch:
„Nur nicht jüdisch!"
Die schöne Olga ist gar nicht stolz auf ihre jüdische
Herkunft, und so tut sie alles, um diese zu verbergen, sie gewöhnt ihren Eltern
die jüdischen Sitten ab, der jüdische Namen wird abgelegt, jiddische Wörter
werden aus der Sprache verbannt.
„Tochterleben…" lachte Olga höhnisch „Pfui, wie jüdisch!"
„Wie meinst du?"
„Töchterchen - das sieht jedenfalls etwas menschlicher aus!" 3
Lebensinhalt Olgas ist es, einen passenden Bräutigam zu
finden, der ihren hohen Ansprüchen entspricht und vor allem soll er nicht
jüdisch sein! Vater und Mutter tun das Menschenmögliche, für sie den richtigen
Mann zu finden, sie stellen sich mit den einflussreichen Christen der Stadt gut,
sie organisieren Dinners, sie verreisen, aber leider ist keiner ihrer
anspruchsvollen Tochter gut genug, dieser hatte eine krumme, jüdische Nase, der
nächste einen unausstehlichen Namen, und der andere wieder befolgt nicht genau
die Regeln der Etiquettte, indem er der Hausfrau beim Kommen und Gehen nicht die
Hand küsst.
In einem deutschen Kurort gewahrt Olga endlich jemanden, der
ganz ihrem Ideal entspricht, Alfons Eppenstein, er ist perfekt, sehr gut
aussehend, weiß sich zu benehmen und ist keineswegs jüdisch.
Wie das Schicksal so will, ist das Objekt Olgas Begierden und
Wünsche aber ein Jude.
Der Vater kümmert sich darum, dass Olga ihn kennen lernt, und
jene bezaubert den jungen Mann voll und ganz. Trotzdem wartet er noch mit einem
Antrag, denn er will Olga zuerst im Kreise der Ihren in ihrer Heimat sehen.
So wird vereinbart, dass Eppenstein sie im Dezember in
Galizien besucht. Gleich nach der Rückkehr von der Reise beginnt Olga mit den
Vorbereitungen für den Besuch, obwohl noch vier Monate Zeit sind. Aber es ist
viel zu tun, denn es gilt ja die letzten Reste des „Jüdischseins" zu entfernen,
und obwohl sich die Eltern anfangs wehren, haben sie doch keine Wahl.
So wird der Besuch in den Augen Olgas perfekt, die Reichen
und Schönen Christen der Stadt sind da, das Haus strahlt in vollem Glanz und
Eppenstein scheint von der Familie angetan zu sein. Hier täuscht Olga sich aber,
denn Eppenstein distanziert sich von ihr, er bemerkt immer mehr, dass sie ein
Versteckspiel mit ihrer jüdischen Herkunft betreibt.
Als Höhepunkt des Abends hat Olga den Christbaum vorgesehen,
und als die Gäste den Raum mit dem hell erleuchteten Baum betreten, sind alle
begeistert außer Eppenstein, der sich diskret von Olga verabschiedet, denn er
muss heute noch die Chanukkakerzen entzünden!
„Das Tüpferl auf dem i."
In dieser Geschichte geht es um „Ahrele den Bachur" (der
Hagenstolz) und „Ester die Agune" (die vom Manne Verlassene), zwei traurige
Menschen, die einander lieben, aber nicht zusammen sein können.
Der Erzähler, ein Bekannter Ahreles, fragt jenen, warum sein
Leben so trostlos und unerfüllt ist. Ahrele antwortet darauf, dass die
Geschichte seines Leids jene des Tüpferls auf dem i ist. So beginnt er zu
erzählen: Er und Ester sind Cousin und Cousine, sie sind zusammen aufgewachsen
und haben eine glückliche Kindheit miteinander verbracht, sie standen sich also
immer schon nahe und liebten einander. Die spätere Heirat der beiden wurde von
der Familie gefördert und gewünscht, sie schien zum natürlichen Lauf der Dinge
zu gehören.
Die tragische Wendung der Geschichte begann, als Ahrele sich
immer mehr für die Aufklärung interessierte und „verbotene Bücher" las.
„Geheim schlossen wir unseren Freundschaftsbund, und mit
ängstlicher Scheu (…) suchten wir (…) ein geheimes Winkelchen auf, wo wir bei
spärlichem Lichtschein unseren verbotenen Studien oblagen. Dort aber ging uns
erst die rechte Sonne auf, die jedes Winkelchen in unserem Inneren erleuchtete,
nämlich die Sonne der Aufklärung." 4
Die jüdische Gemeinde stößt Ahrele aus und der Vater Esters
will natürlich nicht, dass seine Tochter einen „Ketzer" zum Mann bekommt.
Trotz des Protestes der beiden Liebenden wird Ester mit einem
anderen Mann verheiratet. Diese Ehe erweist sich als unglücklich, denn den
Gatten Esters interessiert das häusliche Leben wenig, er zieht lieber mit seinen
Kumpanen von Kneipe zu Kneipe. Auch wird er in seinem Rausch gewalttätig. Vier
Jahre lang lebt das Ehepaar so dahin, bis Esters Mann schließlich seine ganze
Freiheit will und verschwindet.
Nun wendet der Vater Esters sich verzweifelt mit der Bitte um
Hilfe an Ahrele, dieser scheut keine Mühen seiner geliebten Ester zu helfen. Sie
begeben sich zum Rabbi um die „Agune aufbinden zu lassen". Ziel dessen ist es,
den durchgegangenen Ehemann zu finden und ihn dazu zu bewegen, einer Scheidung
zuzustimmen.
Nach langer Zeit des Wartens erweist sich, dass der Ehemann
in Amerika ist und gegen die Zahlung einer größeren Summe Geldes einer Scheidung
nicht abgeneigt wäre.
Groß ist nun die Freude der beiden Liebenden und sie beginnen
auch schon, sich häuslich einzurichten.
Als aber endlich das Scheidungsdokument aus den Vereinigten
Staaten eintrifft, wird das Geschehen dramatisch: Der Brief enthält einen
kleinen Fehler, es fehlt bei einem Wort nämlich das Tüpfchen auf dem i. Somit
ist er ungültig, es half kein Flehen, Weinen, Bitten, das Dokument hat keine
Gültigkeit und Ester bleibt verheiratet.
Deswegen können Ester und Ahrele nicht heiraten, ihr Weg zum
Glück ist für immer versperrt.
Sie sehen sich zwar heute täglich, aber sie können nicht
zusammen sein, das fehlende „Tüpfchen auf dem i" verbietet es.
Samuely stellt uns schemenhaft jüdisches Leben in Galizien
vor. Er beschäftigt sich nicht mit komplizierten Menschen und deren Innenleben,
er stellt den Alltag von Menschen verschiedener Gesellschaftsschichten dar, aber
meist verdienen die weniger gut Situierten die Sympathien des Autors, und für
jene will er natürlich auch beim Leser Sympathien erwecken.
Die Probleme der Menschen sind sehr gewöhnlich, meist geht es
darum, die Tochter mit einer besonders großen Mitgift auszustatten und den
passenden Ehemann für sie zu finden. Interessanterweise sieht Samuely in Cousin
und Cousine das perfekte Ehepaar.
Oft sind es auch Geschehnisse aus dem Leben der Gemeinde oder
des Dorfes, die dargestellt werden, wie in „Der Sendik" (die Hauptfigur dieser
Erzählung wird von ihren Mitbürgern so genannt, nachdem sie aufgrund mangelnder
Bildung die Person, die während der Beschneidung das Kind hält,
fälschlicherweise als „Sendik" und nicht als Sandik bezeichnet hat).
Samuely kannte als Jude natürlich die alten Riten und Feste
und durch seine Beschreibungen wird der Leser in eine Welt versetzt, die für die
meisten Menschen in Europa nicht mehr zur alltäglichen Realität gehört.
Sowie auch Sacher-Masoch kritisiert Samuely alte religiöse
Regeln, die für den Menschen das Leben nur „verkomplizieren", er findet, dass es
sinnvoller ist, Jus zu studieren als den Consens (Rabbinerdiplom) abzulegen, wie
z.B. in Der Consens.
Der Autor kritisiert an den Juden, dass sie sehr leicht- und
abergläubisch sind, sie erwarten von den Rabbinern Wunder und geben
leichtgläubig irgendwelchen Scharlatanen ihr Geld.
Auch sind die Juden laut Samuely oft sehr sensationslüstern,
und er zieht das ins Lächerliche, zum Beispiel in Viel Lärm. In dieser
Geschichte, die bei einer Prozession vor dem Pessachfest spielt, entstehen in
der Menge hunderte Gerüchte darüber, was mit dem Rabbi los ist, manche glauben,
dass ein Feuer ausgebrochen ist, andere, dass der Rabbi plötzlich schwer
erkrankt ist, andere wieder glauben gar, dass „der Meschiach gekommen sei".
Ursache all dieser Gerüchte ist, dass der Rabbiner sich schnäuzen muss und sich
sein Taschentuch bringen lässt.
Leider ist Samuely teilweise sehr oberflächlich, die
Geschichten gleichen einander, man versteht schnell das Schema, nach dem er
vorgeht. Oft versucht Samuely krampfhaft lustig zu sein, fast jede Geschichte
muss eine Pointe haben, die den Leser zum Lachen bringen soll.
Samuely spricht ansatzweise den herrschenden Antisemitismus
an, in Viel Lärm setzten die Chris-ten Gerüchte in die Welt, die Juden
würden Christenkinder zum Zwecke der Herstellung von Matzen töten.
Auch fürchten sich die Juden in Der Antisemit sehr vor
dem neuen Bürgermeister, denn sie meinen, dass er „sicher" ein Antisemit ist,
der sie verfolgen wird. Als sich schließlich herausstellt, dass er selber Jude
ist, ist die Erleichterung groß.
Samuely weist den Gegensatz von Aufklärung und
Traditionalismus auf, wobei er auch auf die besondere Kultur der Juden hinweist.
Sacher von Masochs Jüdisches Leben
in Wort und Bild (1892)
Dieses Werk setzt sich aus kurzen Novellen zusammen, die das
Leben von Juden in verschiedenen Teilen Europas beschreiben, beispielsweise in
Russland, Spanien oder Österreich.
Zwei dieser Kurznovellen befassen sich mit den galizischen
Juden: Bessure towe und Schimmel Knofeles.
Im Ersteren geht es um einen gewissen Herz, der ein „Prostek"
ist, „der nicht etwa die Gesetze verletzt, aber ein Simpel, der die Welt nicht
versteht und deshalb stets an der Schattenseite bleibt". 5
Schon in seiner Kindheit wird versucht, dem abzuhelfen, aber
selbst die Zettel des Zaddik, des wundertätigen Rabbis, nutzen nichts, und so
geht Herz seinen Weg, ohne Hebräisch gelernt zu haben, er heiratet als echter „Prostek"
ein „Weib ohne Mitgift, setzt ein dutzend Kinder in die Welt und kämpft bei
allem Fleiß und allem Geschäftsgeist, den er besaß, sein Leben lang mit Noth und
Elend"6 . So wohnt er in einem Haus, dessen große Stube durch einen Kreidestrich
abgeteilt wird, auf der einen Seite wohnt Herz mit seiner Familie, auf der
anderen der Schneider Pjetruscka mit der seinen.
Eines Tages aber wendet sich das Schicksal des Pechvogels.
Reb Isaschar, ein Talmudist, der als Verwandter des Schneiders auch in der
großen Stube wohnt, rät Herz sein Glück beim Lottospielen zu versuchen, er soll
mit Hilfe des Talmudes drei Nummern aussuchen und dann darauf 10 Gulden setzen.
Welch ein Massel (Glück) hat Herz, denn er gewinnt 48 000
Gulden! So kann er endlich seine schöne Tochter verheiraten, für die ihm nichts
gut genug ist. Aber bevor er sich darum kümmert, gibt er seinem Nachbarn den
zehnten Teil des Gewinns (der Masser genannt wird) und betet zu Gott. So teilt
der Prostek nicht nur das Leid mit seinen Mitmenschen, auch im Glück ist er
nicht egoistisch.
Das Familienglück wird perfekt, als die Tochter von Herz den
Wunsch ausspricht, sich mit Gideon, dem Sohn des Schneiders, zu vermählen.
Dieser kann all diese Freuden nicht fassen und fragt seine Riffke: „Ist dies
alles ein Traum oder ist es wahr?"7
In „Schimmel Knofeles" geht es um Schimmel Knofel,
einen kleinen Handelskaufmann. Dieser versucht nach allen Kräften, seiner
Familie Freude zu bereiten, ja seiner Frau sogar ein bißchen Luxus zu bieten.
„Er opferte sich auf, nicht etwa, weil die Seinen sonst
nichts zu Essen hatten, nein, um seinen Knaben studieren, seine Tochter
Klavierspielen lernen zu lassen und Zebedia mit allen Bequemlichkeiten, ja
selbst mit Luxus zu umgeben."8
Trotz der Aufopferung Schimmels für die Seinen fragt sich
seine Gattin Zebedia manchmal, ob es klug gewesen ist, ihn zu heiraten und ob
sie mit ihm wirklich glücklich ist.
Eines Tages kommt in das bescheidene Geschäft der Knofels ein
reicher Mann, ein polnischer Edelmann, Gorewski, der Gefallen an Zebedia zeigt.
Diese reagiert auf sein Werben kühl und berechnend.
Als der Graf sich ihr erklärt, meint sie darauf, dass sie
doch verheiratet sei. Er lacht und verspottet sie, weil sie behauptet, mit ihrem
Mann glücklich zu sein und ihn schön zu finden.
Nun naht das Laubhüttenfest und Gorewski gelingt es, allein
auf Zebedia zu treffen. Er drängt sie, ihn doch nicht abzuweisen, und diesmal
gewährt sie ihm auch wirklich ein Treffen, er solle nur in der Zwischenzeit in
der Speisekammer warten, bis sie zu ihm komme. Er ist entzückt und folgt ihr,
sie aber hat einen listigen Plan geschmiedet: Sie führt ihn nämlich in einen
großen Käfig, den ihr Mann als billiges Alteisen erstanden hat. In diesem sperrt
sie ihn ein, und als er merkt, wo er sich befindet, ist es zu spät. Gorewski
bleibt nichts anderes übrig, als zu warten, denn seine Angebetete hat sich
schlafen gelegt!
Am nächsten Morgen präsentiert Zebedia ihrer Familie den
seltenen Vogel, der sie fangen wollte und den sie schließlich gefangen hat, dem
Grafen bleibt nichts Anderes übrig, als unter den verächtlichen Gelächter sein
Gefängnis zu verlassen und auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.
Dem Werk Sacher-Masochs liegt eine tiefe Faszination für das
Judentum zugrunde. Er sieht dieses Volk als das von Gott auserwählte. Als
Nichtjude kennt er die Israeliten sehr gut, man merkt, dass er jahrelang mit
diesen zusammengelebt hat.
In jedem noch so einfachen, armen Mann sieht Sacher-Masoch
einen biblischen Patriarchen und in jeder bescheidenen Frau eine Braut des
Hoheliedes. Die alten Riten, die die Juden nach so vielen Jahrtausenden immer
noch befolgen, geben diesen Menschen Würde und machen sie so bewunderungswürdig.
Zu erwähnen ist auch, dass die Frauen in Sacher-Masochs
Novellen oft die intelligenteren und stärkeren Figuren sind.
Sacher-Masoch ahmt in seinen Novellen die jüdische
Sprechweise nach, er benutzt zwar nicht so viele jiddische Wörter wie Samuely,
aber er verwendet die für das Jiddische typischen Satzstellungen, welche dem
Mittelhochdeutschen zu Grunde liegen.
Zum Beispiel: „Sie müssen versuchen Ihr Glück um zu bekommen
eine Mitgift für ihre Riffke."9
Sacher-Masoch beschäftigt sich mit der aktuellen Problematik,
wie die des Verbots des Ackerbaus für Juden in Russland und zeigt, wie die
Menschen damit im Alltag umgehen. In Rabbi Abdon wird der Anta-gonismus
zwischen den Generationen geschildert, der Sohn befreit sich von den Verboten,
die den Juden Jahrhunderte lang auferlegt worden waren, er wird Bauer. Der Vater
kann sich damit nicht abfinden, für ihn hat einzig die Lehre, als religiöses
Studium, seine Berechtigung. Erst nach Jahren sehen die beiden einander wieder,
und der Vater kann schließlich die Entscheidung seines Sohnes akzeptieren.
Sacher-Masoch spricht auch den Antisemitismus an,
beispielsweise in Du sollst nicht töten: Zwei Juden beschimpfen
einander mit „Sie sind ein Jude!"10 , was schließlich fast zu einem Duell führt,
das aber von einem alten Rabbi verhindert werden kann. Selbst für die Juden ist
der Name ihres Volkes zu einem Schimpfwort geworden, in einer Zeit, in der
beispielsweise Politiker die Juden als das Schlamassel (Unglück) des deutschen
Volkes bezeichnen.
Auch als in Kätzchen Petersil die Arbeiter streiken
und von dem jüdischen Industriellen Geld fordern, geht es nicht nur um soziale
Probleme:
„Es geht los", sagte Assur ernst, „ diese Schurken, die seit
langer Zeit gegen uns Juden hetzten, haben es endlich erreicht. Der Pöbel ist in
Bewegung. Verschiedene Läden sind schon in der Stadt geplündert worden. Die
Polizei sieht zu, ohne einzuschreiten. Sie werden auch zu uns kommen. Es heisst
bei Zeiten Massregeln treffen."11
In weiterer Folge wird beschrieben, dass die jüdischen
Arbeiter sich mit dem jüdischen Industriellen solidarisieren, sie verstecken
sich gemeinsam mit ihm. Die Revolte richtet sich nicht nur gegen die
„Ausbeuter", sondern auch gegen die Juden.
Saul Raphael Landaus: Unter jüdischen
Proletariern (1898)
Landau schildert uns das Leben der einfachen jüdischen
Menschen auf polnischem Gebiet.
Die drei kurzen Darstellungen, die mit Kolomea, Stanislaw
und Boryslaw betitelt sind, handeln in Galizien, die anderen Geschehnisse
beispielsweise in Czênstochau, Bialystok, Lódz oder Warschau.
In der Form des Ich-Erzählers berichtet beispielsweise Landau
von den jüdischen Arbeitern in Kolomea. Es ist gerade Simchat Thora Nachmittag.
Obwohl die Menschen eigentlich fröhlich sein sollten, ist die Stimmung gedrückt,
denn seit fünf Tagen dauern die Feiertage, man konnte in dieser Zeit keiner
Arbeit nachgehen.
Das Dasein der Menschen in den engen Gassen Kolomeas ist von
Resignation geprägt, die grün-gelbe Gesichtsfarbe der Menschen, die gebückte
Haltung und ihre Artikulation sprechen für sich:
„…so blickt er verwundert auf, schüttelt den Kopf und während
er die Rechte nach rückwärts in die Tasche steckt, macht er mit der Linken eine
abwehrende Geste. So sprechen sie alle."
12
Die Menschen sind trotz der großen Not begierig zu wissen,
was sich in der Welt Neues tut und wenn sie sich die Zeitung nicht als
Subabonnent aus dritter Hand leisten können, erfahren sie wenigstens mündlich,
was draußen in der Welt passiert.
Die meisten Juden sind in der nahe liegenden
Zündhölzchen-Fabrik tätig und Landau schildert, wie sich die Menschen für
Hungerlöhne unter furchtbaren Bedingungen abrackern. Es gibt in der Fabrik nur
kleine, schmutzige Fenster und die giftigen Schwefel- und Phosphorausdünstungen
können nicht entweichen. Die Menschen arbeiten über zwölf Stunden, gebückt und
gemartert. Sie stellen das Hauptkontingent der Arbeiter, Christen gibt es nur
wenige.
Die Gewerbeordnung, die die Arbeit von Kindern unter 16
Jahren verbietet und den Acht-Stunden-Tag vorschreibt, scheint in Galizien
völlig irrelevant zu sein. Wichtiger ist der Profit, und die Unternehmer können
die Löhne durchaus drücken, wenn die Absetzung der Streichhölzer nicht so gut
geht wie vorgesehen.
Es gibt zwar einige Lichtblicke, wie zum Beispiel die
Wasserträger Kolomeas, die sich untereinander sehr gut organisiert haben und die
keine Arbeiter, sondern Unternehmer sind. Die Borstensortierer haben durch
Streiks sogar höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten erreicht, aber das war nur
dadurch möglich, dass sie einen kleinen Verein mit Kapital gegründet haben, der
im Falle von Streik in eine Produktionsgemeinschaft umgewandelt werden könnte.
Im Grunde genommen sind Juden schwer dazu zu bewegen, gegen
die Ungerechtigkeit in der bestehenden sozialen Ordnung zu kämpfen, denn die
sind ihren Arbeitgebern treu ergeben und viele haben auch Angst vor den
Behörden. Der wichtigste Grund der Passivität dieser Menschen ist aber, dass
ihre elementaren Bedürfnisse nicht gedeckt sind, und es ist sehr schwer, über
gesellschaftliche Probleme nachzudenken, wenn man nicht einmal ein Stück Brot
gegessen hat. Aus diesen Gründen beschränkt sich die sozialdemokratische
Agitation mehr auf die qualifizierten Arbeiter.
Landau schildert, wie viele Juden von einer Rückkehr nach
Palästina träumen, denn dort liegt fruchtbarer Boden brach, während in Galizien
ihre Arbeitskraft nur sehr wenig wert ist.
Die jüdische Oberschicht, die Intelligenz und die
Kapitalisten kümmern sich wenig um das Volk, sie benützen sie aber als Stimmvieh
bei den Wahlen.
Auch berichtet der Autor von den Luftmenschen: das sind jene,
die kein Gewerbe betreiben, die aber jede Hilfsarbeit annehmen, die sie finden
können, um sich von Tag zu Tag durchzuschlagen. Diese Menschen bilden laut
Landau den größten Teil der jüdischen Bevölkerung Galiziens.
Selbst die Mädchen finden nicht immer Arbeit im häuslichen
Bereich, denn auf sich selbst gestellt wachsen sie alleine auf und können nicht
einmal die einfachsten Hausarbeiten verrichten. Es gibt zwar neben dem Cheder
die Stiftung der Baronin Hirsch, in der Mädchen zu Dienstbotinnen ausgebildet
werden sollen, aber es gibt viel zu wenig Plätze und zu viele Anwärterinnen.
Am Ende der Erzählung vergleicht Landau die Situation der
galizischen Wirtschaft mit einem einsturzgefährdeten Haus, das zwar morsch und
ächzend noch steht aber jederzeit einstürzen kann.
Die primäre Thematik im Werke Landaus sind die soziale Not
und die Strategien, jene abzuwehren.
Der Autor schreibt im Gegensatz zu den oben besprochenen
Literaten sehr nüchtern, eine gedrechselte Ausdrucksweise ist sekundär, wichtig
ist die wirklichkeitsgetreue Darstellung der sozialen Not der Juden, die die
ärmsten Opfer des liberalistischen Industriezeitalters sind.
Landau führt uns durch die Städte des geteilten Polens, er
beschreibt seine Reise, die Gespräche, die er mit den Menschen geführt hat, die
Orte die er besucht hat. Allgemein herrscht in Galizien das gleiche Bild vor:
Juden als Opfer des industriellen Zeitalters.
Egal ob sie als Schneider oder „Ofes"-Händler
(Geflügel-Händler) tätig sind oder als Industriearbeiter in den Erdwachsgruben
oder den Zündholzfabriken schuften, müssen sie mit dem Existenzminimum auskommen
und jeden Tag ums Überleben kämpfen. Sie sind nur ein bisschen besser dran als
die „Luftmenschen", die gar keine fixe Arbeit haben und jede Arbeit verrichten
müssen, die sie finden können. Oft müssen die Juden die gefährlichsten und
erniedrigendsten Tätigkeiten ausüben, die Christen nicht verrichten wollen.
Junge Mädchen müssen bei jeder Witterung draußen am Boden hockend Steine nach
Wachs absuchen oder in stickigen Räumen Schachteln falten, für 1000 davon
bekommen sie vier Kreuzer, was lächerlich wenig ist. Die Männer müssen auf
unsicheren Liften in dunkle Schächte hinunterfahren, von denen schon viele nicht
mehr wiedergekommen sind oder in einer für den Körper unerträglichen Atmosphäre,
Hölzchen in Schwefel tunken. Die übermenschliche Kraft, die die Juden teilweise
aufbringen, wird kaum anerkannt und selbst wenn sie 20 Jahre für einen Betrieb
tätig waren, schützt sie das vor der Arbeitslosigkeit nicht.
Landau sieht nur einen Ausweg: den Zionismus, denn die
Sozialdemokratie lässt speziell für die Juden ein wichtiges Problem außer Acht,
nämlich den Antisemitismus. Die Israeliten haben ständig darunter zu leiden, in
den Fabriken bekommen sie keine Arbeit, weil sie am Sabbat nicht arbeiten
dürfen. Wie schon oben erwähnt, müssen sie oft die „Drecksarbeit" verrichten,
die Christen nicht machen wollen. Auch die Wohnungssituation ist für sie
schlechter als für die Christen, sie leben abseits von den großstädtisch
beleuchteten, breiten Straßen, in den engen, mit Kot verdreckten Gassen. Oft
teilt sich eine Familie von zehn Köpfen eine Kammer, wie sie in einem Gefängnis
nur einem Verbrecher zugeteilt wird.
Die wohlhabenden Juden nehmen zu wenig Anteil an dem
Schicksal ihrer armen Glaubensgenossen. Auch die jüdischen Fabriksbesitzer
lassen wenig Solidarität erkennen, wenn es um die Einstellung von Arbeitskräften
geht.
Ein oft von Landau geschildertes Problem ist das Leben der
Kinder: Die jüdischen Familien sind sehr kinderreich und die Kleinen wachsen
ohne Aufsicht und Erziehung auf, da die Eltern den ganzen Tag arbeiten und für
die Schule oft das Geld nicht reicht beziehungsweise weil dort keine Plätze frei
sind. So müssen die jungen Menschen völlig unqualifiziert die gleichen
ausbeuterischen Arbeiten ausführen wie die ältere Generation.
Auch haben die Eltern keine Möglichkeit, von ihren
Hungerlöhnen noch etwas für ihre Kinder zu ersparen, und so wiederholt sich das
Elend.
Landau beschreibt nur die Situation der Juden in der Stadt,
auf jene, die am Land, im „Schtetl" leben, geht er nicht ein.
Der Reisebericht knüpft nicht an fixe Personen an, mit denen
Identifikationen aufgebaut werden könnten, Landau „streift" nur die Schicksale
der Menschen und eigentlich liest sich das ganze mehr wie ein Bericht für eine
Behörde, natürlich mit einigen Ausnahmen, in denen der Autor fast schon
poetische Ansätze zeigt, zum Beispiel spricht ein Erdwachsgruben-Arbeiter in
Boryslaw davon, dass sein Volk hier schwerer arbeitet als beim Pharao in
Mizrajim und dass der Messias doch bald kommen müsse, um sie von ihrem Leid zu
befreien…
Unter jüdischen Proletariern ist in „Die Welt" als
Fortsetzungsgeschichte herausgegeben worden. Sie diente dazu, die Juden in der
fortschrittlichen Welt auf die Probleme der armen, unterentwickelten
Glaubensbrüder aufmerksam zu machen.
Die Werke im Vergleich
In den Werken der beiden ersteren Schriftsteller wird die
Situation der Israeliten verklärt, fast alle Geschichten nehmen ein gutes Ende,
die Figuren der Romane und Erzählungen finden immer zum Guten und sehen ihre
Fehler meist ein, es sein denn sie sind zu dumm, um sie zu begreifen.
Ein zentrales Thema in beiden Büchern ist die arme, fast
immer schöne Tochter, die nicht verheiratet werden kann, weil man keine Mitgift
für sie aufbringen kann. Eine Variante dieses Themas: Zwei sich Liebende können
nicht heiraten, weil entweder der eine zu arm, oder die Eltern zu engstirnig
sind. Die „Heiratsproblematik" spielt bei Beiden eine große Rolle.
Allgemein kann man sagen, dass Sacher-Masoch und Samuely,
ganz im Gegensatz zu Landau, eher ein verklärtes Bild der Juden in Galizien
präsentieren. Landau zeigt den geschundenen Arbeiter, der für einen Hungerlohn
und den Preis seiner Gesundheit zahlend, in einer feuchten, finsteren Fabrik
schuftet, um irgendwie zu überleben. Er idealisiert in keinster Weise die
Situation seiner Glaubensbrüder, ihm geht es darum, die Menschen zu informieren.
Bei ihm gibt es keine schönen Töchter, die verheiratet werden
sollen, sondern Fakten und Zahlen zum Elend der Juden.
Auch die Lösungswege sind bei Unter jüdischen Proletariern
andere als im Jüdischen Leben in Galizien oder in den Culturbildern,
da auch die Probleme andere sind: Samuely verweist auf die Aufklärung, während
Sacher-Masoch eher die Assimilation andeutet, Landau tritt für den Zionismus als
einzigen Ausweg aus den gesellschaftlichen Problemen ein.
Die unterschiedlichen Ideologien, für die sie eintreten,
hängen wahrscheinlich auch mit den unterschiedlichen Epochen zusammen, in denen
die Schriftsteller ihre Werke verfassten.
Der Antisemitismus der nicht-jüdischen Bevölkerung wird zwar
von allen drei Autoren angesprochen, aber bei den ersteren eigentlich mehr
gestreift. Bei Lan-dau gehört er zur ständigen Realität.
Samuely und Sacher-Masoch kritisieren die Engstirnigkeit
gewisser Rabbis, die nur in dem Studium des Talmuds die Lösung aller Probleme
sehen, und kein offenes Ohr für die Probleme der Menschen haben.
Von beiden wird auch der Chassidismus mit seinen Praktiken
und seinem Aberglauben kritisiert, in Unter jüdischen Proletariern wird
er eigentlich gar nicht angesprochen. Seine größte Blütezeit war Ende des 19.
Jahrhunderts schon lange vorüber.
Auch Landau zeigt die Problematik von Rabbinern, die nicht
zeitgemäß mit den Fragen der Menschen umgehen, zum Beispiel macht ein Rabbi mit
einem Fabrikbesitzer aus, dass er keine Juden einstellt, die am Sabbat arbeiten
wollen. Diese erklärten sich aber erst nach langen Streiks zu der Samstagsarbeit
bereit, um nicht ihre Familien verhungern zu lassen.
Es ist allgemein feststellbar, dass die Problematik der
Orthodoxie vor dem Hintergrund der zunehmenden Säkularisierung an Aktualität
einbüßt.
Samuely und Sacher-Masoch schildern ähnlich den
Hebräischunterricht und das Lesen des Talmuds beim Rabbi. Meist ist die Stube
sehr eng, der Rabbi ein etwas schrulliger, aber gutherziger Mann. Die Rebbezin
(die Frau des Rabbis) hat viele Kinder und ist sehr fleißig. Der Rabbi bestraft
seine Schüler, indem er ihnen Schnupftabak in die Nase steckt und sie unter den
Tisch stellt.
Bei Landau wird das jüdische Schulwesen, der Cheder, weniger
beschrieben, es wird nur gesagt, dass dies ein äußerst lukratives Geschäft für
die Lehrenden ist. In Unter jüdischen Proletariern wird auch öfter von
Ausbildungsanstalten gesprochen, die von Christen zur Bekämpfung von Armut und
Unwissenheit gespendet wurden.
Quellenverzeichnis
Primärliteratur
Samuely, Nathan: Cultur-Bilder aus dem jüdischen Leben in Galizien,
Leipzig, 1885
Sacher-Masoch, Leopold: Jüdisches Leben in Wort und Bild, Wiesbaden, 1892
Landau, Saul Raphael: Unter jüdischen Proletariern. Reiseschilderung
aus Ostgalizien und Rußland, Wien 1898
Sekundärliteratur
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1992
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Hödl, Klaus: „Vom Shtetl an die Lower East Side", Wien 1991
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Hoke, Rudolf: Österreichische und deutsche Rechtsgeschichte, Wien 1996
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Maurycy Horn, Jerzy Tomaszewski), Warszawa, 1983
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Königreiche und Länder (Hrsg. k.k. statistische Centralkommission ), Wien
1868
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Königreiche und Länder (Hrsg. k.k. statistische Centralkommission ), Wien
1880
Österreichisches statistisches Handbuch für die im Reichsrathe vertretenen
Königreiche und Länder (Hrsg. k.k. statistische Centralkommission ), Wien
1900
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Königreiche und Länder (Hrsg. k.k. statistische Zentralkommission ), Wien
1910
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Länder (Hrsg. k.k. Zentralkommission), Wien 1917
Regional and Federal Studies. Special Issue. Region, State and Identity in
Central and Eastern Europe (Hrsg. Judy Batt und Katarzyna Wolczuk), London
2002
Scheuch, Manfred: Das größere Europa. Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei,
Slowenien und die Baltischen Staaten in Geschichte und Gegenwart, Wien, 2002
Snyder, Timothy: Reconstruction of Nations. Poland, Ukraine, Belarus
1569-1999, New Haven, 2003
1 L. P. Gartner, Jewish Migrants on Route from Europe to
North America. Traditions and Realities, in M. Rischin: The Jews Of North
America, Detroit, 1987, S. 27, zitiert nach: K. Hödl: „Vom Shtetl an die
Lower East Side", Wien 1991 S.19
2 Nach: T. Andlauer: Die jüdische Bevölkerung im Modernisierungsprozess
Galiziens (19867-1914), Frankfurt am Main, 2001 S. 169
3 N. Samuely: Cultur-Bilder aus dem jüdischen Leben in Galizien, Leipzig,
1885 S. 192
4 Samuely, Nathan: Cultur-Bilder aus dem jüdischen Leben in Galizien,
Leipzig, 1885 S. 150
5 L. Sacher-Masoch: Jüdisches Leben in Wort und Bild, Wiesbaden, 1892,
S. 23
6 L. Sacher-Masoch: Jüdisches Leben in Wort und Bild, Wiesbaden, 1892,
S. 26
7 L. Sacher-Masoch: Jüdisches Leben in Wort und Bild, Wiesbaden, 1892,
S. 33
8 L. Sacher-Masoch: Jüdisches Leben in Wort und Bild, Wiesbaden, 1892,
S. 93
9 L. Sacher-Masoch: Jüdisches Leben in Wort und Bild, Wiesbaden, 1892,
S. 30
10 L. Sacher-Masoch: Jüdisches Leben in Wort und Bild, Wiesbaden, 1892,
S. 328
11 L. Sacher-Masoch: Jüdisches Leben in Wort und Bild, Wiesbaden, 1892,
S. 268
12 S. Landau: Unter jüdischen Proletariern. Reiseschilderung aus Ostgalizien
und Rußland, Wien, 1898, S.7
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