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Die Lebendigkeit jüdischer Kultur
Ein Doppeljubiläum und seine internationale Ausstrahlung

Maja WASSERMANN

Es war ein polnischer Jude, der nach 1945 die ungewöhnliche Kraft aufbrachte, in Deutschland zu bleiben. Doch dazu gehörte damals nicht nur Kraft, sondern auch viel Mut und Selbstvertrauen. Denn jener junge Mann hatte in den Jahren vorher, während der Shoah, seine gesamte Familie verloren; und nun stand er allein da in einem Land, in dem auch die Mörder lebten.

Die Vorsitzende der Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition e.V. Ilse Ruth Snopkowski mit dem Bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber und seiner Gattin Karin Stoiber.

Simon Snopkowski, seligen Andenkens, wurde am 23. Juni 1925 in der polnischen Grenzstadt Myszkow geboren. Als 1939 die deutschen Truppen in seine Heimat einmarschierten, war er gerade vierzehn Jahre alt. Sein Vater und ein Bruder wurden von den Nazis erschossen; seine Mutter, zwei Schwestern und der jüngste Bruder starben in Auschwitz. Er selbst überlebte in einem Nebenlager des KZ Groß-Rosen und wurde 1945 – damals erst zwanzig – von Soldaten der Roten Armee befreit.

Klezmer Alliance mit Musikern aus Kishinev, Köln und London

Als „Displaced Person" blieb er zuerst im Auffanglager Landsberg/Lech, während die meisten seiner Freunde emigrierten, um die Orte der grauenvollen Vergangenheit möglichst rasch zu verlassen. Doch Simon Snopkowski entschied sich zu bleiben: „Ich mußte hier in diesem Land unsere jüdische Kontinuität wahren, anknüpfen an die Zeit vor der Katastrophe." Er studierte in München Zahn- und anschließend Humanmedizin, wurde Chefarzt des Münchener Krankenhauses Oberföhring und ärztlicher Gründungsdirektor des Krankenhauses Bogenhausen.

Als ehrenamtlicher Präsident des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern fanden seine Bemühungen um den Wiederaufbau jüdischen Lebens 1997 ihre Krönung mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages zwischen dem Freistaat Bayern und dem Landesverband. Dadurch wurde die rechtliche Gleichstellung der jüdischen Glaubensgemeinschaft mit der katholischen und evangelischen Kirche in Bayern besiegelt.

Bereits 1981 hatte er, zusammen mit seiner Frau Ilse Ruth, die Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition e.V. gegründet, der er bis zu seinem Tod, 2001, vorstand. In einer umfassenden, reich illustrierten Publikation, die anlässlich des Doppeljubiläums – 25 Jahre seit Bestehen der Gesellschaft und 20 Jahre Jüdische Kulturtage in München – soeben herausgebracht wurde, ist diese Zeitspanne jüdischer Kulturgeschichte ausführlich dokumentiert. Und heute weiß man, dass es europaweit keine vergleichbare, alljährlich stattfindende Veranstaltungsreihe von dieser Vielfalt und Ausstrahlung gibt. Der Grundgedanke der Jüdischen Kulturtage, nämlich, dass „Kultur verbindet", wird durch eine reiche Palette an Konzerten, Theateraufführungen, Filmabenden, Ausstellungen, Vorträgen, Autorenlesungen, Buchpräsentationen und Podiumsgesprächen deutlich gemacht.

Das große Verdienst des Begründers und Initiators der Gesellschaft hat der bayerische Ministerpräsident, Dr. Edmund Stoiber, hervorgehoben, als er Dr. Dr. Simon Snopkowski als einen „engagierten Kämpfer gegen Vorurteile, Intoleranz und Rassismus" würdigte, der „den Dialog zwischen den religiösen Bekenntnissen und politischen Standpunkten gesucht, gefördert und gestaltet" hat. Denn „der Abbau von Vorurteilen durch Verbreitung fundierter Kenntnisse über jüdische Kultur und Geschichte sowie ein offener Gedankenaustausch zwischen Juden und Nichtjuden" sind „von zentraler Bedeutung für das Zusammenleben in unserem Land".

Vom 18. zum 29. November fanden nun kürzlich in München die 20. Jüdischen Kulturtage statt, wobei wieder eine elitäre Reihe von Künstlern aus aller Welt – von Kischinev (Moldawien) bis New Jersey (USA) – zu Gast war. Das Eröffnungskonzert gestaltete der afroamerikanische Gospel- und Soulsänger Joshua Nelson, „The Prince of Kosher Gospel & Band". Der 29-jährige Musiker ist Kantor und gläubiger Jude, und seine „Interpretationen von jüdischen, lithurgischen und israelischen Liedern im Gospel- und Spiritual-Stil sind heute weltberühmt".

Joshua Nelson, The Prince of Kosher Gospel, und die Organisatorin der Jüdischen Kulturtage München, Ilse Ruth Snopkowski
Foto: Alexander Fedorenko

Eine andere Musikergruppe, die erfolgreich auftrat, war die „Klezmer Alliance" mit Susan Ghergus (Piano), Bernd Spehl (Klarinette, Fluier), Thomas Fritze (Kontrabas), Andreas Schmitges (Gitarre, Mandoline), Guy Schalom (Schlagzeug) und Efim Chorny, der leidenschaftlichen jiddischen Stimme aus Moldawien. Hier haben sich Interpreten aus Kischinev, Köln und London zum gemeinsamen fröhlichen Musizieren zusammengefunden. „Michael Heitzlers Klezmer & Wedding Band" – mit Michael Heitzler (Klarinette), Christian Gutfleisch (Piano), Johannes Gutfleisch (Schlagzeug) und Michael Chylewski (Konztrabass) – präsentierte schwerpunktmäßig Eigenbearbeitungen von Stücken osteuropäischer und amerikanischer jüdischer Musiker aus den 1920er bis 50er Jahren. Heitzler, der etwa zehn Jahre in Brooklyn gelebt hat, musizierte damals unter anderem mit Itzchak Perlman, Uri Caine und Michael Alpert.

Doch es gab nicht nur Klesmerrhythmen sondern auch Interpretationen spanischer Musik des Mittelalters; und es war eine klangvolle Reise durch die Welt des bedeutenden Gelehrten und Philosophen Maimonides (1135-1204), als das Quartett „Música Antiqua de España" – mit Eduardo Paniaqua (Quanun, Flöte), César Carazo (Fídula), Wafir Sheik (Laute, Darbuga) und Jorge Rozemblum (Gesang, Cítola, Pandero) – Texte und Melodien jener Zeit präsentierte. Gespielt wurde auf seltenen und klangvollen Instrumenten, die nach historischen Vorlagen gebaut wurden.

„Der letzte Zug" lautet der Titel einer Figureninszenierung zum ewigen Thema Holocaust, die vom Theater Kuckucksheim – Regie und Musik: Dietmar Stakowiak – aufgeführt wurde. Jiddische Lieder, his-torische Originalaufzeichnungen und Berichte von aus Franken (Niederbayern) stammenden Zeitzeugen begleiteten diese „Geschichte von Liebe und Leid, Vertrauen und Mißtrauen, Heimat und Fremde", die einst im Jahr 1929 begann und vom Schicksal eines Liebespaares, des Juden Siegfried und der Christin Margarethe, erzählt wird.

Ein ganz anderes Thema behandelte eine tragisch-komische Collage nach Ephraim Kishon, „Kein Applaus für Podmanitzki" von Gaby dos Santos. Umgesetzt als Hörspiel-Adaption, ergänzt durch szenische Fotoprojektionen von Werner Bauer und Klezmermelodien der Gruppe „Masel Tow Trio" brachte sie eine Satire auf die „nicht immer schöne Welt der Schönen Künste".

Zwei Filmvorführungen, die Dokumentarstreifen „Juden in Bayern" (D, 1998) von Richard Chaim Schneider und „Von der Hölle ins Paradies oder Chopin hat mich gerettet – Das Leben der Pianistin Aliza Sommer" (D, 2005) von Michael Teutsch, leiteten thematisch zu verschiedenen Podiumsdiskussionen über, die meist anschließend geführt wurden. Es waren herausragende Vertreter des geistigen Judentums, wie Prof. Dr. Peter Pulzer (Oxford), Prof. Dr. Daniel Krochmalnik (Heidelberg), Landesrabbiner em. Dr. Henry G. Brandt (Augsburg), Rabbinerin Gesa Ederberg (Berlin/Weiden), Dr. Rachel Salamander, Prof. Dr. Michael Brenner, Dr. Josef Schuster (alle aus München) u.a., die zu gegenwartsbezogenen Themen sprachen, wie z.B. „Liberales und orthodoxes Judentum", „Antisemitismus in Bayern im Nationalsozialismus" oder „Juden in Gesellschaft und Staat" .

Mehrere Buchvorstellungen, Vorträge und Autorenlesungen rundeten die Vielfalt der Veranstaltungen ab. So erinnerte Georg Stefan Troller mit seinen Aufzeichnungen, „Ihr Unvergesslichen", an nachhaltige Begegnungen mit Persönlichkeiten wie Coco Chanel bis hin zu Roman Polanski; die Übersetzerin Maria Schrader las aus Zeruya Shalevs Roman „Späte Familie" und Dr. Claus Stephani, Schriftsteller, Ethnologe und Kunsthistoriker, stellte sein neuestes Buch, „Das Bild des Juden in der modernen Malerei", vor. Dazu gab es Bildprojektionen und musikalische Einlagen von zwei bekannten russisch-jüdischen Interpreten, Nicolai Petkewitsch (Klarinette) und Igor Brouskin (Piano).

„Die Jüdischen Kulturtage München sind im
Verlauf der 20ger Jahre seit ihrer Einführung zu einem festen Bestandteil der Münchener Kulturszene geworden", sagte Ilse Ruth Snopkowski, Vorsitzende der Gesellschaft, die, zusammen mit ihrer engagierten Mitarbeiterin Christiane von Nordenskjöld, ehrenamtlich die Vielfalt der Veranstaltungen konzipiert, initiiert und organisiert. Und so will man „auch künftig hin nicht nur jüdische Kultur vermitteln, sondern generell zum besseren Verständnis für das Judentum beitragen. Die unfreiwillige Sonderstellung, die das Jüdische hierzulande immer noch einnimmt, zu beenden, ist unser erklärtes Ziel".

Ein Höhepunkt des diesjährigen 20. Jubiläums war auch die Verleihung des Simon-Snopkowski-Preises, den die Gesellschaft zur Förderung jüdischer Geschichte und Tradition zum Gedenken an ihre Gründer zum ersten Mal für besondere Verdienste auf dem Gebiet der Forschung zur jüdischen Geschichte und Kultur bzw. zum Holocaust mit besonderem Bezug zu Bayern vergeben hat. Ausgezeichnet wurden das Ostendorfer Gymnasium in Neumarkt (Oberpfalz) und das Markgraf-Friedrich-Gymnasium in Kulmbach. In Ostendorf hatten Schüler am Einzelschicksal einer ehemaligen jüdischen Gymnasialschülerin die Ereignisse bis zum Holocaust in einem selbst komponierten Musical, „Der letzte Brief" vorgeführt. Das Markgraf-Friedrich-Gymnasium in Kulmbach wurde für sein Engagement beim „Denkmalschutzprojekt Markgräfliches Burggut ehemalige Synagoge" ausgezeichnet.

So bleibt man auch weiterhin, wie Ilse Ruth Snopkowski sagte, „am Puls der Zeit, um auf aktuelle Fragen zu reagieren, ohne dabei die Geschichte aus den Augen zu verlieren. Mir war es immer ein großes Anliegen, sowohl zu erinnern als auch mit aktuellen Beiträgen die Lebendigkeit unserer Kultur zu vermitteln". Das aber sind wichtige Voraussetzungen für Bestand und Zukunft dieser internationalen jüdischen Kulturtage, deren Ausstrahlung weit über die Landesgrenzen reicht.

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