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Heimkehr in Bildern
Georg Stefan Troller zum 85. Geburtstag

Johannes HOFINGER

Den schwarzen Fernsehbildschirm durchdringen das Heulen von Sirenen und derbe Männerschreie. Eine Tür öffnet sich hastig, keuchend betätigt ein verängstigter Junge den Lichtschalter. Die Szenerie: ein alter, muffiger Keller in Wien. Die Person: der verschreckte Ferry Dobler. Die Zeit: 10. November 1938, der Morgen nach der „Kristallnacht".

Georg Stefan TrollerMit dieser Kameraeinstellung beginnt Axel Corti das Fernsehspiel An uns glaubt Gott nicht mehr. Es ist der erste Teil der Trilogie Wohin und zurück, die zwischen 1980 und 1986 entstand. Das deutsche, Schweizer und österreichische Fernsehen griffen nach dem amerikanischen TV-Vierteiler Holocaust (USA 1978), der unerwartete Publizität und Resonanz in ganz Europa erreicht hatte, das Thema Exil auf.1 Neben der deutschen Produktion Einer von uns und der Schweizer Selbstreflexion über die Immigrationspolitik in den 1940ern unter dem Titel Das Boot ist voll führte Axel Corti für den ORF Regie bei Wohin und zurück. Er zeigte darin einerseits die abenteuerliche Flucht Ferry Doblers (Johannes Silberschneider) vor den NS-Häschern und andererseits die Emigrations- und Soldatenjahre Freddy Wolfs (Gabriel Barylli). Das Drehbuch zur Miniserie stammte von Georg Stefan Troller, der darin seine eigene Lebensgeschichte filmisch frei rekonstruierte.

Troller, am 10. Dezember 1921 in Wien als Sohn eines jüdischen Textilhändlerehepaares geboren, wurde geprägt von der ehemaligen Kaiserstadt, nach dem Frieden von Saint Germain nur mehr „Wasserkopf" der geschrumpften österreichischen Republik: „Jeder Wiener ist sich bewußt, daß er von seiner Geburtsstadt auf Lebenszeit geformt und geknetet ist wie ein Kipfel oder Knödel, wohin immer es ihn auch verschlägt und mit welchem Reisepaß er sich auch identifiziert."2 So nimmt es wenig Wunder, dass Troller in einem seiner jüngsten Bücher, „Das fidele Grab an der Donau. Mein Wien 1918-1938", ein ganz persönliches Porträt seiner Geburtsstadt in der Zwischenkriegszeit vorlegt.3 Gewährte er in seiner 1988 im Anschluss an den Erfolg der Fernsehtrilogie erschienenen Autobiografie „Selbstbeschreibung" noch Einblicke in das Trollersche Familienleben, vom autoritären Vater Karl und der gutmütigen Mutter Vilma über das hitzige Fußballspiel mit Freunden auf den Straßen Wiens bis hin zu ersten sexuellen Erfahrungen mit der Tochter seines Klassenlehrers, so legt Troller im „fidelen Grab" eine an den kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Leitfiguren orientierte Geschichte der Ersten Republik vor, hinter der der erfahrene und belesene Literat erkennbar ist.

Der „Anschluss" Österreichs an Hitlerdeutschland im März 1938 bedeutete für den 16jährigen Gymnasiasten „das Ende meiner Kindheit."4 Die erste Station seiner gefahrvollen Flucht sollte das tschechoslowakische Brünn werden, wo Georg Stefan bei seinem Onkel Norbert Troller, in der Familie nur „Onkel Nori" genannt, unterkam. (Besagter Norbert Troller sollte später von den Nationalsozialisten verhaftet und in mehrere Konzentrationslager gebracht werden. Im KZ Theresienstadt war er in die sogenannte „Maleraffäre" verwickelt.5) Doch auch Brünn erwies sich nur als kurzfristige Passage auf der Flucht vor der NS-Rassenpolitik. Die Errichtung des „Reichsprotektorats Böhmen und Mähren" im Frühjahr 1939 zwang Georg Stefan Troller im April dieses Jahres zur erneuten Flucht, diesmal mit dem Zug über Italien nach Frankreich. „Paris kam mir schäbig vor, die Bewohner muffig und kleinkariert."6 Und doch war er hier – zumindest vorläufig – sicher vor nationalsozialistischer Willkür und antisemitischer Agitation. Wie so viele Emigranten richtete jedoch auch Troller ein Auge ständig auf die Heimat. „Ohne es zu merken, verwandelt man sich zum absurden ‚Bei-unsnik’ oder ‚Chez-nousist’. Der Flüchtling leidet an Heimweh nach einem Land, das ihn hasst, und kann dasjenige nicht lieben, das ihn immerhin existieren läßt."7 Nur wenige Monate nach Trollers Ankunft in Paris begann der Zweite Weltkrieg. Der 18jährige Emigrant, sein Vater und ein weiterer Verwandter wurden als „feindliche Ausländer" in ein französisches Internierungslager gesperrt, wiewohl sie ja als „Volksschädlinge" und „rassisch Minderwertige" kurze Zeit vorher aus ihrer Heimat vertrieben worden waren.

Im Juni 1940 überrannte Hitler den Norden Frankreichs, die Internierungslager konnten vor den heranrückenden deutschen Verbänden nicht mehr rechtzeitig evakuiert werden. „Wieder haben sie mich erwischt, so happig sind die nach mir. Mit Kompressormotoren rasen sie hinter mir her, sie werden mich noch am Ende der Welt einholen."8 Troller konnte zwar aus dem Lager fliehen, fand sich jedoch inmitten feindlicher Truppen wieder. Ein deutscher Landser nahm ihn auf seinem Motorrad mit Richtung Süden. Ihre Wege trennten sich im Quartier. „‚Servas, Jud!’ ruft er mir gemütlich hinterher."9 Nach Einsetzung der Vichy-Regierung kam Troller noch einmal für wenige Wochen nach Paris, bevor er in Marseille seine endgültige Fahrt ins Exil Übersee antrat.

Zunächst saß Georg Stefan Troller mit seinen Schicksalsgenossen wochenlang in Casablanca fest, ehe ein Dampfer die Flüchtlinge der nationalsozialistischen Rassenpolitik von der Westküste Afrikas an die Ostküste Amerikas brachte. „Wir landeten in New York, ohne daß ich mich erinnern kann, angesichts der Freiheitsstatue in Tränen ausgebrochen zu sein, wie sich das gehörte."10 New York sollte für Troller alles andere als die Befreiung von den Fesseln des Flüchtlingsdaseins werden. Als kleiner Arbeiter verdiente sich der junge Europäer, geprägt vom Komment der Donaumetropole Wien, sein Überleben in der Neuen Welt. Nichts schien seinem bisherigen Dasein mehr zu widersprechen als der American Way of Life. Schnell reifte der Wunsch, zu neuen Orten und damit auch zu einem neuen Leben aufzubrechen. „Auf der Landkarte […] hatte ich Orte mit solchen magischen Namen entdeckt wie Santa Fé und Albuquerque, da mußte ich hin. Weg von der New Yorker Stallwärme, dem Emigrantenmief, und das hieß am Ende, weg von mir selbst. Meinem alten Ich."11 Santa Fé als Projektion des besseren, freien Lebens blieb eine Chimäre. „Ich schaffte es nie nach Santa Fé, der Indianerstadt."12 Dennoch oder gerade wegen ihrer Sehnsuchtswirkung war sie namensgebend für den zweiten Teil der Corti/Troller-Trilogie.13 Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, erwies sich für Georg Stefan Troller als „Mutterland der Pleuelstangen und Nockenwellen"14, das für ihn nie Heimat und Identifikationsobjekt werden konnte. Nach Pearl Harbour und dem Kriegseintritt der USA meldete sich der 21jährige Europäer freiwillig zur amerikanischen Armee. „Und daß die U.S. Army auf die Dauer nicht ohne mich auskommen konnte, war klar."15 Als Dolmetsch für die Befragung der deutschen Kriegsgefangenen setzte Troller Mitte 1943 nach Casablanca über. „Als Kafkas Mistkäfer hatte ich die Alte Welt verlassen, als Gary Cooper kehre ich wieder. Die Reconquistà hat begonnen, meine höchstpersönliche Rückeroberung…"16

Über Nordafrika, Italien und Frankreich führte Troller sein Weg mit der amerikanischen Armee nach Deutschland, das er vom Westwall im Saargebiet bis nach Dachau durchquerte. „Nichts von Deutschland drang, zu meiner immensen Perplexität, an mein Herz. Und in jenem Moment, wo ich ‚aufs Salzburgische’ niederblickte, wußte ich mit fast verzweifelter Hoffnung, es mußte dies sein oder nichts."17 Anfang November 1945 kehrte der heimattrunkene Troller in das Wien der Nachkriegszeit zurück, in das Wien des „Dritten Mannes", der Ami-Liebchen und des Schleichhandels. Bald jedoch musste er erkennen, dass seine Liebe zu Wien eine einseitige war. Nur solange er in der Uniform der amerikanischen Besatzungsmacht auftrat, wurde ihm Respekt entgegengebracht. Im Glauben, der junge GI verstehe kein Deutsch respektive Wienerisch, drangen noch immer (oder: schon wieder?) die Worte „Judenbua" oder „Saujud" an seine Ohren. Die Entnazifizierung blieb an der Oberfläche, sodass sich der latente österreichische Antisemitismus nur verbergen musste um weiterzubestehen. Georg Stefan Troller fand keinen Anschluss mehr an diese Nachkriegsgesellschaft. „Noch während ich der Heimat nachlaufe, wende ich mich innerlich von ihr ab."18 Nach Ende seiner Dienstzeit und dem unrühmlichen Zerbrechen einer Wiener Liebe ging Troller in die USA zurück. Es folgten Studien an den Universitäten in Los Angeles und Berkeley, ausgedehnte Reisen in den Süden Amerikas, bei denen er auch einen Zwischenstopp in Santa Fé, „meiner Traumstadt aus New Yorker Emigrantenjahren"19, machte, sowie längere Aufenthalte in Mexiko und Guatemala. Doch die Liebe zu Europa zwang Troller in die Alte Welt zurück, zunächst mit einem Fulbright-Stipendium an das Theaterwissenschaftliche Institut der Universität Wien, dann an die Sorbonne in Paris. Hier sollte er in der Folge heimisch werden.

Wie bei so vielen Medienpersönlichkeiten dieser Nachkriegsphase führte auch Georg Stefan Trollers Weg über das Radio zum Fernsehen. Von 1962 bis 1971 berichtete er für den Westdeutschen Rundfunk (WDR) in seinem Fernseh-Feature Pariser Journal aus der französischen Hauptstadt und brachte damit persönliche Eindrücke der Seine-Metropole in die deutschen Wirtschaftswunderwohnzimmer. Nach 58 Folgen der äußerst erfolgreichen Dokumentarreihe wechselte Troller 1972 zum Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF), für das er 70 Personenbeschreibungen drehte und damit einen neuen Stil des Dokumentarismus ins deutsche Fernsehen brachte.20 Unter den Porträtierten finden sich Roman Polanski, Ingrid Bergman, Georges Simenon oder Arthur Rubinstein, denen Troller seine literarische Reverenz in dem Buch „Ihr Unvergesslichen. 22 starke Begegnungen" erwiesen hat.21 Troller lässt immer wieder mit Büchern und Filmen aufhorchen, zuletzt etwa mit dem bereits erwähnten Wien-Erinnerungen „Das fidele Grab an der Donau" und mit „Dichter und Bohemiens. Literarische Streifzüge durch Paris"22 oder den beiden sehr persönlichen Filmwerken Selbstbeschreibung, eine semidokumentarische Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, und Tage und Nächte in Paris. Nach diesem Porträt seines Lebensumfelds arbeitet Georg Stefan Troller derzeit an der Fortführung der Stadtannäherungen, diesmal in seiner Geburtsstadt Wien für Tage und Nächte in Wien.

Anfang der 1970er, also etwa zeitgleich mit den ersten Personenbeschreibungen, begann die filmische Zusammenarbeit Georg Stefan Trollers mit Axel Corti. „Paris, 21. Mai 1973: Letzte Version meines Dokumentarspiels ‚Der junge Hitler’ mit dem Orientexpreß an Regisseur Axel Corti nach Wien geschickt. Mein erstes Drehbuch."23 Vier weitere Arbeiten für Corti sollten bis Mitte der 1980er folgen. Die Ausstrahlung des letzten Teils der Trilogie Wohin und zurück, der unter dem Titel Welcome in Vienna auch regulär in den Kinos lief, fiel in die Zeit der Waldheim-Debatte. Im Rahmen der Filmfestspiele von Cannes entbrannte eine hitzige Diskussion über Österreichs Nachkriegsgeschichte und die hiesige Verdrängungsmentalität. „Zu meiner Überraschung ist der gewaltige Saal gesteckt voll. Axels dichte Atmosphäre des Kriegsendes vom Mai ’45, mit Schubert untermalt, schafft gleich in den ersten Filmminuten herzbeklemmende Anteilnahme. […] Zuletzt Diskussion, auf eine Viertelstunde angesetzt. Eine geschlagene Stunde später, als der Saal geräumt werden muß, ist noch immer das halbe Publikum da." Und der Erfolg sollte anhalten. In Pariser Kinos war Welcome in Vienna 18 Monate lang zu sehen. „Wird dort geradezu ein Kultfilm. Auch in Wien zeigte ihn ein Kino viele Wochen. Ich war zufällig da und kaufte mir ein Billet, natürlich inkognito. Es erkannte mich auch niemand. Junges Publikum, das atemlos und leicht überfordert hinsah. Am Ende nachdenkliches Schweigen, bei den Mädchen sogar Tränen. Für mich ein winziges Stück Heimkehr."24

Anmerkungen

1 Hufen, Fritz/Jäschke, Th. (Hg.): Ausgestoßen. Schicksale in der Emigration. Drei Fernsehfilme von ZDF, SRG, ORF. Wilhelm Goldmann Verlag. München 1982.

2 Troller, Georg Stefan: Selbstbeschreibung. Rasch und Röhring. Hamburg 1988, S. 8.

3 Troller, Georg Stefan: Das fidele Grab an der Donau. Mein Wien 1918 – 1938. Artemis und Winkler. Düsseldorf / Zürich 2005.

4 Troller, Selbstbeschreibung, S. 62.

5 Troller, Norbert: Theresienstadt. Hitler’s Gift to the Jews. Translated by Susan E. Cernyak-Spatz. Edited by Joel Shatzky. The University of North Carolina Press. Chapel Hill / London 1991.

6 Troller, Selbstbeschreibung, S. 85.

7 Troller, Selbstbeschreibung, S. 91.

8 Troller, Selbstbeschreibung, S. 104.

9 Troller, Selbstbeschreibung, S. 107.

10 Troller, Selbstbeschreibung, S. 132.

11 Troller, Selbstbeschreibung, S. 137.

12 Troller, Selbstbeschreibung, S. 143.

13 Troller, Georg Stefan: Santa Fe. Ein Drehbuch. Mitarbeit: Axel Corti. Residenz Verlag. Salzburg / Wien 1985.

14 Troller, Selbstbeschreibung, S. 148.

15 Troller, Selbstbeschreibung, S. 168 f.

16 Troller, Selbstbeschreibung, S. 180.

17 Troller, Selbstbeschreibung, S. 232.

18 Troller, Selbstbeschreibung, S. 240.

19 Troller, Selbstbeschreibung, S. 283.

20 Marschall, Susanne / Witzke, Bodo: „Wir sind alle Menschenfresser". Georg Stefan Troller und die Liebe zum Dokumentarischen. Gardez! Verlag. St. Augustin 1999.

21 Troller, Georg Stefan: Ihr Unvergeßlichen. 22 starke Begegnungen. Artemis und Winkler. Düsseldorf 2006.

22 Troller, Georg Stefan: Dichter und Bohemiens. Literarische Streifzüge durch Paris. Artemis und Winkler. Düsseldorf 2003.

23 Troller, Georg Stefan: Personenbeschreibung. Tagebuch mit Menschen. Rasch und Röhring. Hamburg 1990, S. 244.

24 Selbstbeschreibung, S. 367.n

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