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Jüdisches Theater hat hier Tradition
Gespräch mit dem Intendanten Harry Eliad in Bukarest

Vor 130 Jahren gründete der Schriftsteller und Komponist Avram Goldfaden in der ostrumänischen Stadt Jassy (Iaşi) das erste Jiddische Theater der Welt. Aus diesem Anlaß sprach vor kurzem unser Mitarbeiter Dr. Claus Stephani mit Harry Eliad (79), Intendant und Regisseur des Jüdischen Staatstheaters in Bukarest, wo man sich seit 1948 um die Pflege einer alten Tradition bemüht.

Intendant Harry Eliad an seinem Arbeitstisch

DAVID: Herr Eliad, Sie waren 35 Jahre hindurch als Direktor des Staatstheaters Ploieşti tätig. Als Kulturmanager und Regisseur können Sie auf eine verdienstvolle und vielseitige Arbeit zurückblicken. Im Dezember 1989 wurden Sie dann als Intendant an das Jüdische Staatstheater Bukarest berufen, dem Teatrul Evreiesc de Stat, kurz TES genannt. Würden Sie uns bitte, einleitend zu diesem Gespräch, einiges zur Geschichte des jüdischen Schauspiels in Rumänien sagen?

Harry Eliad: Das ist ein sehr weitgespanntes und auch ruhmreiches Thema. Bekanntlich gab es bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jhd. in Rumänien und in Russland literarisch-musikalische Gruppen, die umherzogen und Couplets und Einakter in jiddischer Sprache aufführten. Das erste jiddische Theater wurde im Oktober 1876 von Avram Goldfaden (1840-1908) in Jassy (Iaşi) gegründet. Die alte Hauptstadt der rumänischen Moldau – nicht zu verwechseln mit dem heutigen Moldawien – war damals eines der geistigen Zentren des östlichen Judentums. Goldfaden, ein genialer Dramatiker und Komponist, der übrigens 1862-1863 mit hebräischen und jiddischen Gedichten debütiert hat, gilt heute weltweit als der Vater des Jiddischen Theaters.

DAVID: Goldfaden stammte jedoch nicht aus Rumänien. Und nach 1883 lebte er bekanntlich in London, Paris und New York, wo er seine Theaterarbeit fortsetzte und mit großem Erfolg eigene Stücke auf die Bühne brachte.

Harry Eliad: Das ist richtig. Goldfaden kam aus der Ukraine, aus Staro Konstantinow. Und ich weiß nicht, ob er überhaupt Rumänisch gesprochen hat, denn zu jener Zeit war Jiddisch noch eine Art „Weltsprache", jedenfalls im Osten. Es gab Tausende von Ortschaften, sogenannte Schtetls – das heißt kleine Städte, Marktflecken, Dörfer –, wo mehrheitlich oder manchmal nur jüdische Handwerker, Händler und Bauern lebten, die untereinander selbstverständlich jiddisch sprachen. Man muss sich das einmal vorstellen: der lebendige Sprachraum des Jiddischen reichte damals von der Moldau und Bessarabien, über Marmatien, Transkarpatien und die Bukowina bis hinauf nach Podolien, Galizien, nach Polen, Litauen, in die Ukraine und nach Russland hinein...

DAVID: Vor der Schoa gab es nicht nur in Jassy ein Jüdisches Theater.

Harry Eliad: In der Zwischenkriegszeit hatten wir im damaligen Königreich Rumänien fünf gut funktionierende Jüdische Theater, wobei hier über 850.000 Einwohner jüdischen Glaubens lebten. In Jassy gab es zu jener Zeit zwei Jiddische Theater, außerdem zwei in Czernowitz und eines in Bukarest. Czernowitz, die Hauptstadt der Bukowina, mit über 50.000 jüdischen Einwohnern – das waren über 51 Prozent der Gesamtzahl – hatte 1940 auch die größte jüdische Gemeinde Rumäniens.

Szene aus dem Stück „Der Verkäufer von Chalojmes"

DAVID: Wann wurde das heutige Jüdische Staatstheater, das TES, gegründet?

Harry Eliad: Im Jahr 1948, als Folge der faschistischen Ära und der Schoa, existierten in Rumänien nur noch zwei Jüdische Theater, eines in Jassy und eines in Bukarest, die dann verstaatlicht wurden. Das Theater in Jassy trug weiterhin den Namen seines berühmten Gründers, Avram Goldfaden. Weil aber nach 1948 eine massive Auswanderung nach Erez Israel einsetzte und das Publikum stark schrumpfte, ging in den 1960er Jahren das Jassyer Theater, nach einer kontinuierlichen Existenz von etwa 90 Jahren, langsam ein und musste schließlich geschlossen werden.

DAVID: Doch in Bukarest wurde weiterhin jiddisches Theater gespielt.

Harry Eliad: Die Initiative zur Neugestaltung des Jüdischen Theaters in Bukarest kam von Bernard Lebli, der ab 1948 als Direktor die Leitung übernahm. Das erste Stück, das nach dem Krieg, im November 1948 aufgeführt wurde, trug den unverbindlichen Titel „Allen zu Gefallen" (Pe placul tuturor). Ab 1955 leitete Franz Josef Auerbach unsere Bühne und als literarischer Sekretär wirkte der bekannte jiddische Dichter und Schriftsteller Israel Bercovici. Damals gab es viele herausragende Schauspieler, die mit großem Erfolg auftraten, und wir hatten oft vollbesetzte Häuser.

Hier möchte ich an einige, heute schon legendäre Namen erinnern: Sevilla Pastor, Benjamin Sadigursky, Dina König, Lia König, Mauriciu Szekler, Samuel Fischler, Mano Rippl, Benno Popliker, Seidy Glück, Sonia Gurman, Isac Havis. Die künstlerische Tradition dieser berühmten Namen wird heute – eben unter anderen Bedingungen, weil sich auch die Zeiten geändert haben – fortgesetzt von Schauspielern wie Maia Morgenstern, Leonie Waldmann-Eliad, Rudy Rosenfeld, Theodor Danetti, Roxana Guttmann, Nicolae Calugarita, Andre Finti, Natalie Ester, Geni Branda, Mihai Ciuca. Regie führten Franz Josef Auerbach, George Teodorescu, Iso Schapira und gegenwärtig bin auch ich als Regisseur tätig.

Heute fasst der sorgfältig renovierte Saal 300 Sitzplätze, und jeder Platz ist mit einer modernen Simultananlage ausgestattet, d.h. bei den Aufführungen in jiddischer Sprache kann man am Kopfhörer die rumänische Übersetzung mithören. Vor fünfzig Jahren waren wir diesbezüglich vom Technischen her noch recht rückständig. Dafür aber hatten wir ein zahlreiches jüdisches Publikum.

DAVID: Wie viele Aufführungen gab es hier seit 1948?

Harry Eliad: Das ist schwer zu sagen. Doch eines weiß ich genau: Seit 1948 hatten wir bisher in unserem schönen historischen Gebäude, das übrigens inzwischen unter Denkmalschutz steht, über 240 Premieren.

DAVID: Das Jüdische Staatstheater unternimmt oft auch Gastspielreisen.

Harry Eliad: Ohne Tourneen würden wir wahrscheinlich ein recht bescheidenes Dasein führen und wären international nicht so bekannt, wie wir es heute sind. Im vergangenen Oktober z.B. hatten wir eine Reihe von Aufführungen in Israel. In den Jahren vorher waren wir immer wieder in Rumänien unterwegs, dann aber auch in der Ukraine, in Deutschland, Polen, Österreich, Ungarn und sogar in Argentinien und Uruguay.

DAVID: Es gibt eine rührende Anekdote von einer solchen Tournee. In einer kleinen moldauischen Stadt, einem ehemaligen Schtetl, wo das TES ein Gastspiel geben sollte, fand sich am Abend nur ein einziger Zuschauer ein – ein kleiner alter Mann mit weißem Bart und einem schwarzen Hut. Er saß allein im Saal, hatte den Hut aufbehalten und wartete. Als ihn Regisseur Auerbach schließlich fragte: „Wo sind denn die anderen?" bekam er zur Antwort: „Welche anderen?" Auerbach: „Die anderen Juden." Nun sagte der Mann: „Die sind alle weggezogen. Ich bin der Letzte hier." Daraufhin spielte die Truppe das Stück nur für diesen einsamen alten Juden, und sie spielte so, als wäre der Saal voll besetzt. Diese Geschichte hat mir einst Israel Bercovici erzählt, und ich war damals sehr beeindruckt.

Harry Eliad: Die Geschichte kenne ich, und sie ist wahr. Das hat sich tatsächlich so zugetragen. Und das zeigt, dass für uns jüdisches Theater viel mehr bedeutet, als nur ein Spiel auf einer Bühne. Und es zeigt uns auch, was für wunderbare Menschen jene Künstler waren, die damals auf der Bühne standen... Ihre Namen hatte ich vorher genannt.

DAVID: Wie kamen Sie in der kommunistischen Ära mit der Zensur zurecht?

Harry Eliad: Jedes Stück wurde vor der Premiere mehrmals „avisiert", wobei man manche Dialoge immer wieder „zurechtfeilen" musste. Manchmal waren diese angeordneten Änderungen einschneidend und ärgerlich. Erst nach dem endgültigem „Avis" der oberen „Kulturbehörde" konnte dann die Aufführung stattfinden. Es war ein stetiger Kampf, eine ideologische Gratwanderung, doch wir durften uns nicht unterkriegen lassen und haben, so gut es eben ging, durchgehalten. Im Jahr 2006 waren es dann 130 Jahre seit der Gründung des Jüdischen Theaters in Rumänien. Darauf sind wir, unter uns gesagt, sehr stolz. Und diese Tradition verpflichtet, weiter zu arbeiten, denn ein Ende darf es nicht geben. Kultur war immer schon ein wichtiger Faktor des Judentums, wenn es um Tradition, Identität und Überleben ging.

DAVID: Was steht in Ihrem diesjährigen Repertoire?

Harry Eliad: Es sind zwölf bis vierzehn Stücke aus der jiddischen und der klassischen Weltliteratur, von Scholem Alejchem, Gogol, Tschechow u.a. sowie aus der zeitgenössischen rumänischen Dramaturgie. Am erfolgreichsten sind jene Stücke, in denen Maia Morgenstern auftritt, eine Schauspielerin, die auch in Hollywood-Filmen gespielt hat und heute international bekannt ist. Den größten Erfolg in den letzten zwei Jahren hatten wir mit dem „Fiedler auf dem Dach" und den beiden Musicals nach Scholem Alejchem, „Menachem Mendel, der Geschäftsmann" und „Der Verkäufer von Chalojmes" (cholem, chalojmes heißt auf jiddisch Traum bzw. Träume). Hier wird nicht nur jiddisch gesprochen sondern auch fröhlich gesungen und getanzt. Viele bekannte Nigunim, wie z.B. „Ojfm pripetschik brennt ein feierl...", begleiten die Vorstellung, und vermitteln so eine Rückschau in die farbige verschwundene Welt der Ostjuden.

DAVID: Unter den 38 Schauspielern des TES, die derzeit unter Vertrag stehen, sind viele Nichtjuden. Kann man jüdisches Theater spielen, wenn manche Darsteller einer anderen Ethnie angehören?

Harry Eliad: Gute Frage. Und darauf will ich offen antworten: Für mich sind diese begabten rumänischen Schauspieler, wenn sie auf unserer Bühne stehen und mit Herz und Seele jiddisches Theater spielen, Juden.

Ohne diese mit dem Judentum innerlich zutiefst verbundenen Künstler könnten wir, als eine alternde und schrumpfende Bevölkerungsgruppe, in diesem anspruchsvollen Bereich nicht weiter existieren. In Rumänien leben derzeit noch etwa 10.000 Juden, davon nicht wenige in sogenannten „Mischehen". Am 31. Mai 2006 zählte die jüdische Gemeinde gerade noch 8711 Mitglieder. Was ist nun wichtiger? Dass wir alle jüdisch sind oder dass unser jüdisches Theater weiterhin besteht?

DAVID: Welches ist dann das Publikum, das die Aufführungen in Ihrem Theater besucht?

Harry Eliad: Da haben wir ziemlich genaue Angaben. Etwa 25 bis 30 Prozent sind Juden, die Jiddisch sprechen und verstehen; bei etwa 30 Prozent handelt es sich um Intellektuelle, Juden und Nichtjuden, ohne jiddische Sprachkenntnisse; und die übrigen sind meist Jugendliche, die sich für jüdisches bzw. jiddisches Theater interessieren. In letzter Zeit haben wir öfters Workshops veranstaltet, weil wir hier im kommenden Jahr ein Internationales Kulturzentrum der jiddischen Sprache gründen wollen. Außerdem bereiten wir uns jetzt auf das 3. Weltfestival des Jiddischen Theaters vor, das 2008 in Bukarest stattfinden wird. Ich könnte nun abschließend sagen: das Jüdische Theater ist „meine Partei", und ich betreibe eine „Politik" in drei Richtungen – hervorragende Schauspieler verpflichten, gute und sehr gute Stücke einüben und Regisseure mit hohen künstlerischen Ansprüchen zur Mitarbeit heranziehen. Das ist „meine Politik" und unser ständiges Anliegen. Nur so wird es in Bukarest weiterhin ein Jüdisches Staatstheater geben.

DAVID: Herr Direktor Eliad, Ihnen und Ihren Schauspielern Masel Tow! Und vielen Dank für dieses ausführliche Gespräch.

Dieses Interview führte Claus STEPHANI.n

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