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Ein Maskil und Zadik
Nachruf auf unseren Lehrer Univ. Prof. Dr. Kurt Schubert (4. März 1923 – 4. Februar 2007)

Martha KEIL

Über das intensive und erfüllte Leben Kurt Schuberts als Gründer des Instituts für Judaistik und des Österreichischen Jüdischen Museums sowie als Wissenschafter und Autor sind bereits zu seinen Lebzeiten zahlreiche Würdigungen erschienen. Nach seinem Ableben haben alle „seine" Institutionen Nachrufe veröffentlicht, die seine Verdienste und vor allem auch seine mutige Haltung in der NS-Zeit beschrieben. Diesen Worten der Anerkennung, Dankbarkeit und Trauer scheint jetzt, mehr als ein Monat nach seinem Heimgang, nichts hinzuzufügen zu sein. Auf allen seinen Arbeitsgebieten, der Judaistik, der Kulturgeschichte, des Museumswesens, des christlich-jüdischen Dialogs und der katholischen Kirche hat Kurt Schubert entscheidende Impulse gesetzt, nicht nur durch seine konkrete Tätigkeit, sondern auch und vor allem durch das Charisma seiner Persönlichkeit. Sein Andenken wirkt in allen diesen Bereichen zum Segen.

Univ.-Prof. Dr. Kurt Schubert s. A.

Wenn ich hier einen Nachruf schreiben darf, dann möchte ich das auch im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen tun, die wie ich bei Professor Schubert studierten und unter seinen Fittichen ihre akademischen Grade erwarben. Jeder und jede, die das Privileg hatte, bei Kurt Schubert lernen zu dürfen, hat intensive Erinnerungen an seine Lehrtätigkeit. Ich erinnere mich noch deutlich an meine erste Vorlesung in der achtsemestrigen „Jüdischen Geschichte" – Welcher Luxus, diese langphasigen Überblicksvorlesungen! Sie gaben uns ein solides Grundgerüst für alle weiteren Studien. – Ein bis auf den letzten Platz besetzter Hörsaal im alten Judaistikinstitut in der Ferstelgasse, von – mehrheitlich christlichen – Studierenden bis zu – mehrheitlich jüdischen – Senioren war ein breites Zuhörerspektrum vertreten. Es herrschte eine Atmosphäre von lebendigem Lernen, ermutigt durch Schuberts Begeisterung für das Fach, die sich in geschliffenen Formulierungen, guten Witzen und nicht zuletzt sehr persönlichen Erinnerungen ausdrückte. Judaistik, jüdische Geschichte war für diesen Mann, das spürte auch die blutigste Anfängerin sofort, mehr als ein akademischer Inhalt, den es intellektuell zu vermitteln galt. Unzählige kleine Szenen fielen allen ein, mit denen ich nach seinem Tod über ihn sprach: seine Geduld, mit der er ohne jede Überheblichkeit auch die ahnungslosesten Fragen beantwortete – als er etwa als Zeichen der messianischen Zeit die „Einsammlung der Verstreuten", Kibbuz Galujot, nannte und eine Studentin fragte, wie denn dieser Kibbuz nun genau hieße. Oder die leuchtenden Augen, mit denen er die eben gelüftete Interpretation einer Illumination in einer mittelalterlichen Handschrift präsentierte. Seine nie versiegende wissenschaftliche Neugier und Liebe zur Forschung waren uns allen beispielhaft und prägen manche von uns noch heute in unserer beruflichen Laufbahn.

Alle Themen in allen Epochen jüdischer Geschichte verstand er als Teil eines großen Ganzen, ja sogar, möchte ich vorsichtig mit meinem heutigen Abstand sagen, als Teil einer höheren Sinnhaftigkeit. Selbst die Schoa wusste er zur Ehre und Würdigung der Opfer zu „erzählen" – seinen Glauben, dass auch diese unvergleichliche Katastrophe einen göttlichen Sinn hat, der sich den Menschen entzieht, teilte er mit seinen tief religiösen jüdischen Freunden. Eine solche Sichtweise, verbunden mit den Emotionen, die dieses Thema immer wieder aufs Neue in ihm hervorrief, konnte nur Einer wie er sich erlauben, der sich in der Nazizeit nicht das Geringste hatte zuschulden kommen lassen, nicht einmal ein Mitläufertum, nicht einmal ein Schweigen und schon gar kein Verschweigen. Ich glaube, vor allem dies hat die Studierenden meiner Generation, die so kritisch mit der Tätergeneration umgingen und so sensibel für falsche Töne waren, so sehr an Kurt Schubert angezogen: Das Gefühl oder sogar die Gewissheit, man könne sich im Notfall auf ihn verlassen.

Dr. Brigitte Stemberger, eine der ersten Studentinnen an der Wiener Judaistik, sprach in ihrer Rede bei der Seelenmesse von der talmudischen Legende der 36 Zadikim, der 36 Gerechten, „auf denen die Welt besteht" und die in jeder Generation auftreten, ohne dass es ihnen selbst bewusst wäre. Einer von ihnen sei Kurt Schubert gewesen, und wer erlebt hat, wie rührend er seine Frau Ursula in ihrer Krankheit umsorgt hat, ist geneigt, ihn schon allein wegen dieses Verdienstes als Zadik zu sehen.

Gleichfalls Schuberts Student und bereits lange Jahre selbst Professor für Hebräisch an der Wiener Judaistik, Dr. Fritz Werner, las bei der Seelenmesse aus dem Buch Daniel im hebräischen Original, und wenn manche auch kein Wort verstanden, wurde doch eines hörbar: die Kraft der hebräischen Sprache, die Kurt Schubert so geliebt hat. Daniel 12, 3 könnte jeden Nachruf ersetzen. Wie so oft sind mehrere Lesarten möglich und ich danke Prof. Werner für seine Übersetzung. Möge der Vers eine Widmung an unseren Lehrer, Rabenu Kurt Schubert sein, dem Einsichtigen (Maskil), der vielen von uns die Wege eines Gerechten (Zadik) gezeigt hat:

„Die Einsichtigen werden leuchten wie die Strahlen des Firmaments, und jene, die viele auf die rechten Bahnen führten, wie die Sterne auf alle Zeiten." n

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