Univ.-Prof. Dr. Kurt Schubert s. A.
Wenn ich hier einen Nachruf schreiben darf, dann möchte ich
das auch im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen tun, die wie ich bei Professor
Schubert studierten und unter seinen Fittichen ihre akademischen Grade erwarben.
Jeder und jede, die das Privileg hatte, bei Kurt Schubert lernen zu dürfen, hat
intensive Erinnerungen an seine Lehrtätigkeit. Ich erinnere mich noch deutlich
an meine erste Vorlesung in der achtsemestrigen „Jüdischen Geschichte" – Welcher
Luxus, diese langphasigen Überblicksvorlesungen! Sie gaben uns ein solides
Grundgerüst für alle weiteren Studien. – Ein bis auf den letzten Platz besetzter
Hörsaal im alten Judaistikinstitut in der Ferstelgasse, von – mehrheitlich
christlichen – Studierenden bis zu – mehrheitlich jüdischen – Senioren war ein
breites Zuhörerspektrum vertreten. Es herrschte eine Atmosphäre von lebendigem
Lernen, ermutigt durch Schuberts Begeisterung für das Fach, die sich in
geschliffenen Formulierungen, guten Witzen und nicht zuletzt sehr persönlichen
Erinnerungen ausdrückte. Judaistik, jüdische Geschichte war für diesen Mann, das
spürte auch die blutigste Anfängerin sofort, mehr als ein akademischer Inhalt,
den es intellektuell zu vermitteln galt. Unzählige kleine Szenen fielen allen
ein, mit denen ich nach seinem Tod über ihn sprach: seine Geduld, mit der er
ohne jede Überheblichkeit auch die ahnungslosesten Fragen beantwortete – als er
etwa als Zeichen der messianischen Zeit die „Einsammlung der Verstreuten",
Kibbuz Galujot, nannte und eine Studentin fragte, wie denn dieser Kibbuz nun
genau hieße. Oder die leuchtenden Augen, mit denen er die eben gelüftete
Interpretation einer Illumination in einer mittelalterlichen Handschrift
präsentierte. Seine nie versiegende wissenschaftliche Neugier und Liebe zur
Forschung waren uns allen beispielhaft und prägen manche von uns noch heute in
unserer beruflichen Laufbahn.
Alle Themen in allen Epochen jüdischer Geschichte verstand er
als Teil eines großen Ganzen, ja sogar, möchte ich vorsichtig mit meinem
heutigen Abstand sagen, als Teil einer höheren Sinnhaftigkeit. Selbst die Schoa
wusste er zur Ehre und Würdigung der Opfer zu „erzählen" – seinen Glauben, dass
auch diese unvergleichliche Katastrophe einen göttlichen Sinn hat, der sich den
Menschen entzieht, teilte er mit seinen tief religiösen jüdischen Freunden. Eine
solche Sichtweise, verbunden mit den Emotionen, die dieses Thema immer wieder
aufs Neue in ihm hervorrief, konnte nur Einer wie er sich erlauben, der sich in
der Nazizeit nicht das Geringste hatte zuschulden kommen lassen, nicht einmal
ein Mitläufertum, nicht einmal ein Schweigen und schon gar kein Verschweigen.
Ich glaube, vor allem dies hat die Studierenden meiner Generation, die so
kritisch mit der Tätergeneration umgingen und so sensibel für falsche Töne
waren, so sehr an Kurt Schubert angezogen: Das Gefühl oder sogar die Gewissheit,
man könne sich im Notfall auf ihn verlassen.
Dr. Brigitte Stemberger, eine der ersten Studentinnen an der
Wiener Judaistik, sprach in ihrer Rede bei der Seelenmesse von der talmudischen
Legende der 36 Zadikim, der 36 Gerechten, „auf denen die Welt besteht"
und die in jeder Generation auftreten, ohne dass es ihnen selbst bewusst wäre.
Einer von ihnen sei Kurt Schubert gewesen, und wer erlebt hat, wie rührend er
seine Frau Ursula in ihrer Krankheit umsorgt hat, ist geneigt, ihn schon allein
wegen dieses Verdienstes als Zadik zu sehen.
Gleichfalls Schuberts Student und bereits lange Jahre selbst
Professor für Hebräisch an der Wiener Judaistik, Dr. Fritz Werner, las bei der
Seelenmesse aus dem Buch Daniel im hebräischen Original, und wenn manche auch
kein Wort verstanden, wurde doch eines hörbar: die Kraft der hebräischen
Sprache, die Kurt Schubert so geliebt hat. Daniel 12, 3 könnte jeden Nachruf
ersetzen. Wie so oft sind mehrere Lesarten möglich und ich danke Prof. Werner
für seine Übersetzung. Möge der Vers eine Widmung an unseren Lehrer, Rabenu
Kurt Schubert sein, dem Einsichtigen (Maskil), der vielen von uns die
Wege eines Gerechten (Zadik) gezeigt hat:
„Die Einsichtigen werden leuchten wie die Strahlen des
Firmaments, und jene, die viele auf die rechten Bahnen führten, wie die Sterne
auf alle Zeiten."