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Warum ich Soldat wurde

Karl PFEIFER

2003, anlässlich der Verleihung der Joseph Bloch Medaille, hielt Dr. Wolfgang Neugebauer, damals Leiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands, eine Rede, in der er auch auf einen Repräsentanten der Initiative muslimischer Österreicher bezug nahm, „dem offenbar diese heutige Ehrung missfällt". Jener schrieb ihm am 16. 11.2003, dass Karl Pfeifer „als militanter Besatzer" nach Palästina hingefahren war und „als solcher dort agierte". Dr. Neugebauer reagierte:

„Ein [noch nicht] Fünfzehnjähriger, der mittel- und waffenlos vor den NS-Judenverfolgungen in Europa geflüchtet ist, wird zum Besatzer herabgewürdigt und zum Schuldigen an einer Katastrophe, die in Wirklichkeit durch den Aggressionskrieg der arabischen Nachbarn gegen Israel ausgelöst wurde."

Da solche Angriffe nicht nur von islamistischer Seite kommen und die meisten Zeitgenossen nicht viel über die damaligen Ereignisse wissen, ist es notwendig aufzuzeigen, wie es wirklich war und in welchem historischen Kontext alles geschah.

Karl Pfeifer (ganz rechts)

Wir, eine Gruppe von Vierzehnjährigen, denen die Flucht aus Europa Anfang 1943 gelang, hatten das Glück, unser Leben gerettet zu haben und gleichzeitig das Gefühl der Hilflosigkeit, denn unsere Verwandten waren im deutschen Machtbereich geblieben. Alles was wir tun konnten, waren Rotkreuz-Briefe mit 25 Wörtern zu senden und auf die Antwort zu warten. Diejenigen unserer Freunde, die aus Kroatien kamen, konnten nicht einmal das tun. Zwei meiner lieben Freunde, Dan und Jaakov waren kaum zehnjährig aus dem kroatischen Vernichtungslager Jasenovac geflüchtet, ihre Eltern wurden dort ermordet. Am 19. März 1944, als deutsche Truppen Ungarn besetzten, kamen uns die Tränen in die Augen, denn wir – die wir aus Ungarn kamen – wussten unsere Verwandten in Gefahr. Erst nach Kriegsende erfuhr ich, dass mein Vater zwar die Befreiung in Budapest erlebte, doch am gleichen Tag wie sein Schwager einen Herzinfarkt erlitt und starb. Beide wurden im Januar 1945 in einem Massengrab verscharrt.

Bereits in Budapest, in der zionistischen Jugendbewegung, war es uns klar, dass wir in einem Kibbuz leben wollten. Wir sahen darin eine ideale Lebensform, in der jeder nach seiner Fähigkeit arbeitete und nach seinen Bedürfnissen versorgt wurde. Das waren die Ideale. Es kam natürlich zu einem radikalen Bruch mit meinen bisherigen Lebensgewohnheiten. Obwohl ich schon in Budapest als Lehrling physisch gearbeitet hatte, war das nichts im Vergleich zu der physischen Arbeit, die ich im Kibbuz kennen lernte. Hier wurde ein unterentwickelter Junge - ich war noch keine fünfzehn, sah aber aufgrund der schlechten Ernährung in Europa wie ein Dreizehnjähriger aus - sofort zu schwerster landwirtschaftlicher Arbeit herangezogen. Für mich war das eine sehr harte Erfahrung, da ich wenig erfolgreich war.

Es gab auch andere Probleme. Wir waren dreißig Jugendliche aus mehreren Ländern und hatten keine gemeinsame Sprache, so blieb uns gar nichts anderes übrig, als fleißig Hebräisch zu lernen.

Die Erziehung im Kibbuz wollte einen "neuen Menschen" hervorbringen. Die dazu erforderlichen Eigenschaften waren auch Wahrheitsliebe und Aufrichtigkeit. Der ideale "neue Mensch" sollte keinen Unterschied zwischen Worten und Taten, kennen vor allem aber sollte er die Interessen des Kollektivs beachten.

Die Generation des Palmach

1946 waren wir noch keine 18 Jahre, und man stellte uns vor die Alternative, nach dem wir nicht mehr zur Jugendalia gehörten, entweder in einen anderen Kibbuz zu gehen, irgendwo an die syrische oder libanesische Grenze, oder uns freiwillig zur Eliteeinheit der illegalen Hagana zu melden, der jüdischen Selbstverteidigungstruppe, Vorläufer der Zahal, der Zawa Hagana Leisrael, der Verteidigungsarmee Israels, die vom Gewerkschaftsbund Histadrut finanziert wurde. Wir haben uns nach längeren Diskussionen entschlossen, zur Palmach1 zu gehen.

1946 war es schon klar, dass es zu einer Auseinandersetzung mit den arabischen Nachbarn kommen würde. Ich war Mitglied einer Bewegung, die an den binationalen Staat von Juden und Arabern glaubte. Aber es schien schon damals so, als ob das nicht möglich wäre. Das haben viele von uns geahnt. Wenn wir durch gewisse arabische Dörfer fuhren, dann ertönte manchmal der gellende Schrei "Jahud, jahud", ("Juden, Juden"). Und das hörte sich nicht freundlich an.

Rotkreuzbrief mit ungarischen Kosenamen Karcsi

Die Frage des binationalen Staates hatte vor dem Holocaust natürlich eine andere Bedeutung als danach. Denn nach dem Holocaust gab es das große Problem mit der Sheerit Haplita, den Übriggebliebenen, den Überlebenden, dem Rest der Juden, wie man sie genannt hat. Diese irrten in Österreich2, Deutschland und Europa herum und wollten eine Heimat haben.

Und es gibt nichts Zynischeres, als zu behaupten, dass „die Zionisten" diese "armen Leute", die angeblich gar nicht nach Erez Israel wollten, eingefangen und sie mit Propaganda davon überzeugt hätten, ins Land zu kommen. Das Gegenteil war der Fall. Gerade die Überlebenden übten einen enormen Druck aus. Sie wollten ein eigenes Land. Ihre Erfahrungen mit den Ländern und Völkern, aus denen sie kamen, waren katastrophal. Zurückkehren, in die Länder, wo es wie in Ungarn, Polen und der Slowakei noch nach 1945 Pogrome gab, konnten und wollten die meisten nicht.

Die einzige Gesellschaft, die diese Menschen aus praktischen wie ideologischen Gründen haben wollte, war die jüdische in Erez Israel. Damals fanden auch die großen Demonstrationen gegen die Mandatsmacht statt: "Öffnet die Tore! Alia Hofschit, Freie Alia!" Wir forderten von der britischen Mandatsmacht, die ausgerechnet 1939 die Rechte der Juden in Erez Israel, darunter auch das Recht zur Einwanderung, radikal beschränkt hatte, freie Einwanderung, alle Juden sollten einwandern dürfen. Und das wurde dann in Israel auch Gesetz: Jeder Jude, der ins Land einwandert, kann - mit einigen wenigen Ausnahmen - die Staatsbürgerschaft erhalten.

Als wir zum Palmach gingen, gab es eine ungeheure Welle der Begeisterung, wir hatten das Gefühl, Teil der Welt von morgen zu sein, zumal ja die Sowjetunion und die volksdemokratischen Staaten den Zionismus diplomatisch und später auch mit Waffen unterstützten. Da kamen überhaupt keine Zweifel auf, dass das nicht richtig sein könnte, oder dass wir auch Unrecht begehen könnten.

Mehr als 60 Jahre nach diesen Geschehnissen könnte ich zur Nostalgie neigen. Doch die Geschichte war nicht so einfach. Viele von uns verloren ihre Familie oder große Teile ihrer Familie während des Holocaust. Unsere Lehrer und unsere Fürsorgerin konnten nicht Eltern und Familie ersetzen. Und die Erziehung wollte einen "neuen Menschen" hervorbringen, der vor allem Mitglied eines Kollektivs sein sollte. Die individuelle Entwicklung war nur insofern erwünscht, als es dem Kollektiv passte. Zum Hebräisch lernen gehörte auch der T‘nach, das Alte Testament, das nicht nur die ethischen Gebote enthielt, sondern auch unser Recht auf dieses Land betonte. Wir lernten die Geographie, die Flora und Fauna des Landes aufgrund des T‘nach. Unsere Helden waren die Helden der Bibel. Der T‘nach, das war der jüdische Beitrag zur Weltkultur. Die Feste, die wir feierten, waren keine religiösen Feste, sondern nationale beziehungsweise die Feste, die Juden vor zweitausend Jahren gefeiert hatten. Pessach war das Fest der Freiheit, wir feierten im Kibbuz den Seder-Abend mit unserer eigenen Hagada, und da wurden schon bald nach dem Krieg die Helden der Ghettoaufstände und des Partisanenkampfes erwähnt. Das Fest Schwuot (Pfingsten) war das Fest der ersten Früchte, Sukkot, das Laubhüttenfest, wurde auch als Erntefest begangen. Chanukka war das Fest des Lichtes und des jüdischen Heroismus. Begriffe aus der religiösen Sprache, wie "Kibbuz Glujot", das Zusammenführen der Diaspora-Gemeinden, wurden zur politischen Forderung.

Natürlich lernten wir während unserer Ausflüge das Land kennen und lieben. Es war für uns selbstverständlich, dass wir ein Recht auf dieses Land hatten und dieses Recht auch mit der Waffe in der Hand gegen diejenigen verteidigen würden, die uns dieses Recht absprechen wollten. Noch hofften wir, dass die Nachbarn uns akzeptieren würden. Denn viele unserer arabischen Nachbarn waren auch erst während der Zeit der britischen Mandatsherrschaft in das Land eingewandert, angezogen durch den einmaligen Aufschwung, den die jüdische Einwanderung gebracht hatte.

Doch 1947 - 49 kam es anders. Wir mussten uns verteidigen und 6.000 junge Männer und Frauen fielen im Kampf um die Unabhängigkeit des jüdischen Staates, das war ein Prozent aller jüdischen Einwohner von Erez Israel.

Die zionistische Arbeiterbewegung wurde von einer Generation von Politikern geleitet, die meistens aus kleinen Städten in Osteuropa kamen und selbst noch in religiösen Schulen (Cheder und Jeschiwa) gelernt hatten. Sie fühlten sich als diejenigen, die eine alte jüdische Tradition fortsetzten. Auch wenn sie sich auf universelle Werte beriefen, waren sie tief in der jüdischen Kultur und Tradition verankert. Das gab ihnen das Gefühl der Selbstsicherheit.

Die im Land geborene Generation, die Sabres, verspotteten oft genug diese älteren Führer, die lange Reden hielten und uns "Zionut", d.h. Zionismus, predigten. Aber wir blickten zu Ben Gurion auf, der sich mit sicherem Instinkt nicht beirren ließ und am 14. Mai 1948 in Tel Aviv den demokratischen jüdischen Staat proklamierte.

Es entbehrt nicht einer gewissen Tragikomik, daß ich als fast 80jähriger im Land, aus dem ich als 10jähriger verjagt wurde, von gewissen Linken als "Zionist" und "Kriegstreiber" u.a. auch wegen meiner Dienstzeit in der israelischen Armee angegriffen werde. Und das von Leuten, die andererseits bereit sind, Holocaustleugnungen zu verharmlosen.

1 Palmach = Plugot Machaz, Kommandotruppe der Hagana, die am 19.5. 1941 unter dem Eindruck des Vormarsches deutscher Truppen im nahen Ägypten gegründet wurde. Die Einheiten des Palmach wurden 1948 in die israelische Armee integriert; der Stab des Palmach wurde am 7. November 1948 von Ben Gurion aufgelöst.

2 Zum österreichischen Verhältnis gegenüber jüdischen Flüchtlingen aus Osteuropa vgl.: "Ich bin dafür die Sache in die Länge zu ziehen". Wortprotokolle der österreichischen Bundesregierung von 1945 – 52 über die Entschädigung der Juden. Hg. von Robert Knight (1988). Sowie: Thomas Albrich: Exodus durch Österreich. Die jüdischen Flüchtlinge 1945-1948" (1987). n

 

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