Erst vor kurzem erschienen Adlers kantorale Kompositionen in
einer Edition des Musikwissenschaftlers Martin Czernin. Das Buch enthält auch
einen biographischen Text von Christina Haydn-Koch und Robert Singer. Der
folgende Artikel, der sich besonders auf das reichhaltige Interviewmaterial
sowie auf Adlers Nachlass in verschiedenen Wiener Archiven stützt, soll die dort
gemachten Angaben ergänzen.
Überblick zur Biographie Abraham Adlers
Abraham Adler wurde am 1. Juni 1916 im Dorf Saraseo (nahe
Sighet), im damals noch ungarischen Siebenbürgen, dem späteren rumänischen Kreis
Maramures geboren. Der Vater, Schmuel ben Yaakov war von Beruf Veterinär und
Landwirt. Mütterlicherseits war Adler ein Cousin von Elie Wiesel.
1921/22 besuchte Adler den Cheder.
Um 1928 (nach seinen eigenen Angaben im 12./13. Lebensjahr)
übersiedelte Adlers Familie nach Sighet. Adler besuchte eine Jeschiwa und sang
im dortigen Chor.
1931 nahm der Sigheter Kantor Mendl Hörer den
fünfzehnjährigen Adler nach einem Chanukkakonzert in den Synagogenchor auf.
1934 wurde Adler der Stellvertreter von Kantor Hörer.
1936/37 erhielt Adler eine fundierte musikalische Ausbildung
in Czernowitz. Daneben arbeitete Adler als privater Religionslehrer, als
Garderobier in einem jiddischen Theater und nahm Privatstunden bei Pinchas (Pinje)
Spektor.
1938 wurde Adler in die rumänische Armee eingezogen
(Kavallerie). Aufgrund der Spannungen zwischen Rumänien und Ungarn dauert seine
Militärzeit bis nach der Besetzung Siebenbürgens durch Ungarn. Adler wurde aus
dem Militär entlassen und arbeitete wieder als Kantor in Sighet.
Am 10. Juni 1942 wurde Adler als Zwangsarbeiter des
ungarischen Arbeitsdienstes mit tausenden anderen jüdischen Männern aus Sighet
abtransportiert und einem Bautrupp zugewiesen, der hinter der Front Straßen- und
Reperaturarbeiten durchführen musste, und gelangte so durch die Ukraine bis
Stalingrad.
Jänner 1943 geriet Adler im Kessel von Stalingrad in
Gefangenschaft der Roten Armee. Nach mehreren Durchgangslagern, in denen er an
Typhus erkrankte, wurde er in ein sibirisches Lager verschickt.
In Mai 1944 wurden Adlers Eltern und Geschwister sowie deren
Familien nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Im Frühjahr 1946 wurde Adler in ein Arbeitslager in einem
Bergbaubetrieb in Aserbaidschan verlegt. Es gelang ihm, als Mitglied einer
„Künstlerischen Gruppe" leichtere Arbeit zu erhalten.
Im August 1948 wurden die rumänische Kriegsgefangenen nach
Hause geschickt. Nach der Entlassung aus dem letzten Durchgangslager Fuksan
erfuhr er durch einen Landsmann von der Ermordung seiner Familienangehörigen.
Physisch und psychisch schwer angeschlagen, fuhr er nach Bukarest. Dort fand er
eine Anstellung als Kantor an der orthodoxen Malbim-Synagoge.
1950 emigrierte Adler im Rahmen der großen Auswanderungswelle
rumänischer Juden, die von 1948 bis 1951, dem Zeitraum, in der Anna Pauker
rumänische Außenministerin war, stattfand. Er gelangte von Constanca per Schiff
nach Israel.
Ein Vertreter der Poalei Agudat Yisrael in der
Stadtverwaltung von Haifa, Yaakov Katz, erwartete ihn und begrüßte ihn: „Ah, do
kumt a chasn!". Er vermittelte ihm eine erste Anstellung. Adler erhielt in der
Folge eine Anstellung an der Zentralsynagoge (Beth Haknesseth hamerkasi) Haifa
und arbeitete als Kantor bei der Israelischen Marine und in der Carmia-Synagoge
in Haifa. Er trat auch im Radio auf.
1955 heiratete Adler Hilda Miller eine Überlebende des
Holocaust aus Wien, und beschloss, ein Stellenangebot an der Carlton-Synagoge in
Melbourne anzunehmen.
1958 wurde Adler an der neu eröffneten Elwood-Synagoge
angestellt.
1974 unternahm das Ehepaar Adler eine dreimonatige Weltreise.
Adler trifft in Wien seinen Jugendfreund Elisa Gutmann, Oberkantor des Wiener
Stadttempels. In der Folge erhielt er eine Einladung des Vorstandes der IKG,
sich um dessen Nachfolge zu bewerben. Er nahm diese mit Anfang des darauf
folgenden Jahres an und wirkte in der Funktion eines Oberkantors bis zu seiner
Pensionierung im Jahre 1993.
Nach dem Tod seiner Frau Hilda lebte er im Elternheim der
Israelitischen Kultusgemeinde Wien.
Am 28. Nov. 2003 starb Adler in Wien. Er wurde im
Familiengrab in Bne Brak, Israel, beigesetzt.
Der kantorale Stil Adlers in seinem historischen und
kulturellen Kontext
Kantor Abraham Adler entstammte der Welt des rumänischen
Judentums vor dem Holocaust, wie sie heute nur mehr in der historischen
Erinnerung existiert. Er durchlebte die seine Generation prägenden Spannungen
zwischen traditionellem Leben und Modernisierung. Adlers Stil als Kantor wie
auch als Sänger jüdischer Lieder war durch die darin zum Ausdruck kommende
reiche Lebenserfahrung und die Synthese unterschiedlichster musikalischer
Einflüsse unverwechselbar und einzigartig:
In Wien führte Adler einerseits die musikalische Tradition
des Stadttempels, die von Salomon Sulzer geschaffen worden war, fort. Als Kenner
einer weltlichen Musiktradition, v. a. der jiddischen Liedern hatte er einen
Anteil an der Renaissance jüdischer Musikkultur in Wien, wobei seine Rolle darin
bisher zu wenig gewürdigt worden ist. Anzumerken ist, dass Oberkantor Abraham
Adler als wichtiger Vermittler jüdischer Musiktradition in Australien, wo er
lange Zeit lebte, bis heute geschätzt und anerkannt wird.
Chasan und Kantor
Adler verstand sich selbst eher als ein traditioneller
Chasan, der eine Verbindung der durchaus unterschiedlichen Musiktraditionen von
Chasan und Kantor erreicht hatte.
Abraham Adler war Vertreter einer Generation, die noch das
„Goldene Zeitalter der kantoralen Musik" erlebt hatte, die Zeit des ausgehenden
19. Jahrhunderts bis zur Schoah. Sein Werdegang und seine besonderen Qualitäten
als Kantor sind vor diesem Hintergrund zu sehen.
Adlers kantoraler Stil entwickelte sich vor dem Hintergrund
dieser reichen musikalischen Tradition, in der sowohl traditionelle „Chasanuth"
als auch moderner Kantorengesang eine Rolle spielten.
Die Mitgliedschaft in einem Synagogenchor war für Adler der
Weg zu seiner musikalischen Laufbahn. Adler entstammte einer streng religiösen,
aber auch praktisch orientierten Familie. Sein Vater war gegen die
Kantorenlaufbahn des Sohnes eingestellt – „Chasan" war für ihn eine ökonomisch
zu unsichere Laufbahn. Vielleicht spielten auch Vorbehalte der Orthodoxie gegen
„moderne" Kantoren eine Rolle.
In Osteuropa wurde die traditionelle mündliche Vermittlung
bis ins 20. Jahrhundert gepflegt.
Adler lernte auf traditionelle Weise durch das Vorbild seines
Lehrers Mendl Hörer. Nachdem er noch sehr jung zu dessen Stellvertreter wurde,
versuchte er, seine Ausbildung zu vertiefen. Die für ihn dafür erreichbare Stadt
war Czernowitz, wo er sich um eine formale musikalische Ausbildung bemühte.
Bezeichnend ist seine Angabe, dass er von einem Freund vor
dem Besuch des dortigen Konservatoriums gewarnt wurde. Die multinationale
Bukowina kam nach dem Ersten Weltkrieg an Rumänien. In den dreißiger Jahren
wurde das politische Klima zunehmend von einem „großrumänischen" Nationalismus
bestimmt, der Druck zur „Rumänisierung" der Minderheiten machte sich auch im
traditionell multinationalen Czernowitz bemerkbar. Leidtragende waren nationale
Minderheiten, welche die rumänischen Behörden besonders irredentistischer,
„subversiver" oder „antinationaler" Tendenzen verdächtigten. Das betraf neben
den Ukrainern in besonderem Maße die Juden. Der Antisemitismus hatte ja schon
seit dem 19. Jahrhundert Tradition unter den rumänischen Nationalisten.
Pinchas Spektor (1872-1951), der Abraham Adler in seinen Chor
aufnahm und ihm Privatunterricht als Sänger gab, war ein bedeutender und weithin
bekannter Vertreter der Synagogalmusik in Czernowitz.
Die Bedeutung von Czernowitz als Ort, wo eine „westliche" und
eine „östliche" musikalische Tradition aufeinander trafen, illustriert Abraham
Adlers Bericht vom Treffen der verschiedenen Kantoren an Schabbat-Nachmittagen
in einer Czernowitzer Gaststätte, bei denen es zu richtiggehenden Wettbewerben
zwischen den Kantoren kam. An der Beschreibung ist der durchaus weltliche
Ehrgeiz der Kantoren zu erkennen. Er illustriert die Widersprüchlichkeit, die im
„Berufsbild" des Kantors angelegt ist. Einerseits soll er musikalische
Qualitäten aufweisen, andererseits die erforderliche religiöse Tiefe seines
Vortrages gegenüber dem effektvollen Vortrag nicht zu kurz kommen.
Brüche und Kontinuitäten: Der Karriereverlauf Adlers
Ein nicht unwesentlicher Faktor für unsere Vorstellung von
einem „goldenen Zeitalter der Chasanuth" ist, dass es seit Beginn des 20.
Jahrhunderts auch Tondokumente von kantoralem Gesang gab. Damit wurde es
möglich, dass auch spätere Generationen die vergänglichen Qualitäten vom Stimmen
großer Chasanim beurteilen konnten. Es entstand ein Markt für Tonträger und es
wurde möglich, die Besonderheiten des Vortrages außergewöhnlicher Kantoren auch
ohne Besuch eines Gottesdienstes zu hören. Kantoren wurden angeregt, sich auch
an einem anderen Repertoire zu versuchen, und sie konnten die Popularität
nutzen, um zu besseren Konditionen angestellt zu werden.
Eine Konsequenz der neuen technischen Möglichkeiten war die
Entstehung einer Art von „Starsystem" für Kantoren. Ein bekanntes Beispiel, das
Adler zitiert, ist der Kantor Jossele Rosenblatt, ein legendärer Kantor mit
chassidischem Hintergrund. Adler hebt in seinen Erinnerungen besonders die
chassidische Barttracht Rosenblatts hervor, wodurch er sich deutlich von den
üblichen Kantoren unterschied, welche in der Tradition der Reform Sulzers
standen.
Abraham Adler selbst sammelte im Laufe seines Lebens eine
große Anzahl von Tonträgern, vor allem mit kantoraler Musik. Den
musikgeschichtlich wichtigsten Teil dieser Sammlung, der auch seine eigene
Tätigkeit dokumentierte, bot er 1998 dem Österreichischen Phonogrammarchiv an,
das sich um die Archivierung und Katalogisierung dieser Dokumente kümmert.
Aus Adlers Äußerungen zu seiner Selbsteinschätzung als Kantor
geht hervor, dass er eine ambivalente Einstellung zu diesem „Starsystem" der
Kantoren hatte. Zweifellos verstand er, dass „self-promotion" wichtig war. Aber
seine Distanz zur von ihm als „amerikanisch" beschriebenen Lebensart war wohl
auch lebensgeschichtlich bedingt.
Während der Phase der Zwangsarbeit, der Kriegsgefangenschaft,
in der Zeit von 1942 bis 1948, war er auf Jahre von jeder Form synagogaler Musik
isoliert. Seinem eigenen Bekunden nach lösten die Unmenschlichkeiten und Gräuel
des Krieges und auch die unmenschlichen Bedingungen der Gefangenschaft, die er
miterleben musste, auch eine tiefe Glaubenskrise aus. Abgesehen davon, dass er
keinen jüdischen Kalender zur Verfügung hatte, war es ihm auch aus einer inneren
Krise heraus nicht möglich, zu beten, wie er im Interview betonte.
Seine Rückkehr zu seiner ursprünglichen musikalischen
Berufung als Chasan ist daher auch als Prozess eines
Wieder-Zu-Sich-Selbst-Findens nach der tiefen Traumatisierung, die durch die
Kriegsgefangenschaft und die Nachricht vom Tod aller Familienangehörigen
ausgelöst wurde, zu verstehen. Adlers Erzählungen deuten darauf hin, dass er
aufgrund seiner Erfahrungen zeitweise unter extremen depressiv-paranoiden
Zuständen litt, wo er sogar Bekannten auswich. Erst die zufällige Begegnung mit
den Jugendfreunden Fuchs und Gutmann in Bukarest, die ihn an die Malbim-Synagoge
verwiesen, führte eine entscheidende Wende herbei. Hier, in der Malbim-Synagoge,
kam er in eine Hochburg traditionellen Judentums, was Erinnerungen an die
Kindheit weckte. Obwohl er aufgrund seines verwahrlosten Äußeren beinahe
abgewiesen worden wäre, überzeugte Adler durch seinen Vortrag beim Gebet so
sehr, dass er als Kantor angestellt wurde. Die politische Entwicklung in
Rumänien nach der kommunistischen Machtergreifung bot ihm aber keine
Perspektive, und er schlug den Weg der „halblegalen" Emigration nach Israel ein,
die in diesen Jahren von den Kommunisten geduldet wurde.
Die Zeit in Israel war einerseits eine Zeit einer stetigen
Karriere, aber aus Adlers Erzählungen lässt sich erkennen, dass sein
osteuropäischer Stil der Chasanuth nicht unbedingt dem zeitgenössischen
israelischen Geschmack entsprach.
Erst allmählich erschlossen sich für Adler die technischen
Möglichkeiten von Tonträgern. Die Anregung zu den ersten Aufnahmen kam von
außen, von einem interessierten musikalischen Laien. Mit den ersten
Tonbandgeräten, die in den Verkauf gelangten, entstand eine Möglichkeit, mit
relativ geringem Aufwand Aufnahmen seines Gesanges herzustellen und in privatem
Rahmen zu verbreiten.
Wie Adler berichtet, hatten solche Liebhaber-Aufnahmen seiner
chasonischen Stücke durchaus Konsequenzen für seinen Lebensweg: mit diesen
ersten privaten Tonbandaufnahmen, die er in den fünfziger Jahren in Israel
machte, konnte er entfernte Freunde und Verwandte erreichen, und nicht zuletzt
auf Grundlage dieser Aufnahmen wurde ihm in Australien eine Kantorenstelle
angeboten.
Australien: Adler als Kantor einer sich konsolidierenden
jüdischen Gemeinde
Adler erreichte den Höhepunkt seiner Karriere in Australien.
Seinen ersten Vertrag hatte er in Melbourne an dem Carlton United Hebrew
Congregation, wo er 1956 und 1957 als Kantor fungierte. Er entschloss sich,
diesen nicht mehr zu verlängern als er ein besseres Angebot der Elwood Synagoge
erhielt, wo er bis 1975 tätig war.
Wie Adler berichtet, bestand eine direkte Konkurrenz zwischen
den Synagogen und seine Weigerung, den Vertrag an der Carlton-Synagoge zu
verlängern brachte ihn in Konflikt mit der Gemeindeführung, die ihn letztlich
nicht halten konnte.
Der Zusammenhang von Bautätigkeit und Adlers Berufung dürfte
so zu verstehen sein, dass die Möglichkeit für diesen Wechsel Adlers nur vor dem
Hintergrund der Entwicklung innerhalb der jüdischen Gemeinde zu verstehen ist.
Nach dem Zweiten Weltkrieg integrierte die schon länger bestehende jüdische
Gemeinschaft in Melbourne eine größere Anzahl osteuropäischer Überlebender. Dies
brachte eine Ausdifferenzierung innerhalb der Gemeinden und verstärkte
Bautätigkeit mit sich, und das „Anwerben" eines Kantors .
Die Anstellung von Abraham Adler 1958 ist also in direktem
Zusammenhang mit Bemühungen um Mitglieder mit europäischem
traditionell-orthodoxem Hintergrund an sich zu binden, zu sehen.
Die Erzählungen Adlers illustrieren dies sehr schön. Einer
der wesentlichen Gründe für die Auswanderung nach Australien, so ergibt sich aus
seinen Erzählungen, war die Tatsache, dass er unter den „Sabres", den in Israel
geborenen und aufgewachsenen Generation, zu wenig Verständnis für die seelischen
Lage der Holocaust-Überlebenden fühlte. Die selbstbewussten,
verteidigungsbereiten Sabres verstanden nicht, warum die europäischen Juden
nicht Widerstand geleistet hatten. In Australien trat Adler regelmäßig bei
Gedenkveranstaltungen auf und nahm auch eine Sammlung von Ghetto- und
Widerstandsliedern auf.
Adler und das Revival des jiddischen Liedes
Das mit den 1980-er Jahren einsetzende „Revival" jiddischen
Liedgutes im deutschen Sprachraum ist ein widersprüchliches Phänomen, da es hier
– im Unterschied etwa zu den USA - vor allem von Nichtjuden getragen war. Dieses
Revival ist eine Auswirkung des in den 1970er Jahren vor allem in den USA
erwachten Interesses an Klesmer-Musik und jiddischen Liedern.
Kantor Adler selbst hatte in seiner Jugendzeit jiddische
Lieder vor allem über das jiddische Theater kennen gelernt, sich aber während
seiner Kantorentätigkeit nicht mehr damit beschäftigt. Während der
Kriegsgefangenschaft baute er allerdings gelegentlich jiddische Lieder in die
Unterhaltungsprogramme ein, die er für Mitgefangene gab (darunter viele deutsche
Kriegsgefangene).
Adler beschäftigte sich mit diesem Repertoire erst wieder
intensiver in seiner Zeit in Australien, wo er auch als Sänger bei Hochzeiten
und Bar Mitzwot auftrat. Aus seinen Aussagen geht hervor, dass dieses Repertoire
in seinen ersten Jahren in Wien weniger gefragt war. Erst in späteren Jahren
wurde er auch als Sänger jiddischer Lieder wieder geschätzt, was auch vor dem
Hintergrund des erwähnten Revival zu sehen ist. Interessant ist, dass er in den
1980-er Jahren zwar Konzerte in Budapest gab, aber keine in Wien. Adler selbst
erinnerte sich, dass er zwar in Australien italienische Musiker fand, die
spontan den Vortrag jiddischer Lieder begleiten konnten, aber im Wien der
1970-er Jahre keine solchen Musiker antraf.
Adler wurde also in Wien erst relativ spät, in seinem letzten
Lebensjahrzehnt, als Träger von „authentischen" Versionen jüdischen Liedgutes
erkannt und anerkannt als jemand, der noch den Vortragsstil der
Zwischenkriegszeit selbst erlebt hatte und überliefern konnte.
Adler war sehr kooperativ gegenüber interessierten Musikern. Er war zum
Beispiel eine wichtige Auskunftsperson für das Duo „Geduldig und Thieman", die
zu den Pionieren des „Revivals" jiddischer Lieder und der „Klezmer" in Wien
gehörten. Aber er stand dem „Revival"-Phänomen offenkundig auch skeptisch
gegenüber, da die Neuinterpretationen jiddischer Lieder durch junge Sänger oft
mit mangelhafter Sprachkenntnis einhergingen.