Auf den Straßen Warschaus verkaufen Maler ihre
Bilder. Sie sind günstig und in allen Größen erhältlich. Doch verträumte
polnische Landschaften oder alte Ansichten der Stadt sucht man meist vergebens.
Stattdessen findet man stereotype Judendarstellungen - Personen in dicke
Pelzmäntel gehüllt das vor ihnen aufgestapelte Geld zählend. Solche Bilder und
Figuren werden nicht nur von Touristen gekauft, man entdeckt sie auch in
polnischen Wohnungen. Warum ausgerechnet dieses Thema? Das Bild ist ein
Glücksbringer – der „Reichtum der Juden" soll so auf den eigenen Haushalt
übergehen.
Vorurteile gegenüber Juden und Stereotypen, wie das des
reichen Juden, fließen wie selbstverständlich in Alltagsgespräche ein. Auch
judenfeindliche Schmierereien auf Häusern und Plakatwänden gehören leider immer
noch zum Bild des Landes. Antijüdische Einstellungen bis hin zu offenem
Antisemitismus in der Gesellschaft stellen ein ernstes Problem dar. In
Wahlkämpfen, sei es 1989 oder 2005, wurden Wahlwerbungen beschmiert, die
Aufschrift żyd (Jude) und der Davidstern sind als Beschimpfung und
Diffamierung des Kandidaten gedacht. Während eines Wahlkampfauftritts 1990 legte
Lech Wałęsa, nachdem er vorher für jüdische Belange eingetreten war, Wert
darauf, seine „reine" polnische Herkunft hervorzuheben.
Ausstellung zur Erinnerung an Juden in Polen (1939-1945),
Foto: Silvia Perfler
Die Zahl an antijüdisch motivierten Vorfällen blieb laut
Antisemitismus berichten des Stephen Roth Instituts in den letzten Jahren
konstant hoch. Es handelte sich in vielen Fällen um Sachbeschädigungen:
Verwüstungen jüdischer Friedhöfe und anderer jüdischen Stätten, eingeschlagene
Fenster und antisemitische Slogans an den Wänden einer jüdischen Grundschule. In
besonderem Maß wurden verbale Entgleisungen festgehalten, die sich gegen
Besucher jüdischer Gedenkstätten richteten. Wiederholt kam es bei
Gedenkveranstaltungen zu „Juden raus" Rufen.
Die aufgezeigten Beispiele und Vorfälle sind bedenklich,
obwohl Polen nicht das einzige Land ist, in dem antisemitische Übergriffe
passieren. Was Polen von anderen EU-Staaten unterscheidet, ist die Offenheit und
Selbstverständlichkeit, mit der antijüdische Haltungen in die Öffentlichkeit
getragen werden. Nicht hinter vorgehaltener Hand, sondern ohne gesellschaftliche
Ächtung befürchten zu müssen kann der Hass auf Juden ausgesprochen werden. Dies
zeigt, wie sehr Antisemitismus in Polen immer noch allgegenwärtig ist. Um die
aktuelle Situation und die Hintergründe besser zu verstehen, ist es ratsam,
einen näheren Blick auf die Geschichte und die gesellschaftlichen Umstände zu
werfen.
Gedenken an den Warschauer Ghettoaufstand 1943 und an den
Kommandanten Mordechai Anielewicz, Foto: Silvia Perfler
Wie in anderen europäischen Ländern gehen die Wurzeln des
Judenhasses in Polen zurück bis auf das frühe Mittelalter. Im 11. Jahrhundert
kam es zu ersten Feindseligkeiten gegenüber Juden und den ihnen von Fürsten
gewährten Privilegien. Der Neid der einheimischen Händler auf die
wirtschaftliche Position der jüdischen Bevölkerung wie auch die antijüdische
Agitation des katholischen Klerus führten dazu, dass Juden ab dem Konzil von
Wrozław 1267 in getrennten Wohnvierteln leben mussten und bald gezwungen waren,
besondere Kennzeichen zu tragen. In den folgenden Jahrhunderten kam es zu
zahlreichen Pogromen, während der Kriege im 17. und 18 Jahrhundert wurden nahezu
700 jüdische Gemeinden vernichtet. Ausschreitungen standen immer wieder in
Zusammenhang mit religiöser Hysterie, besonders dem Ritualmordvorwurf.
Der am Ende des 19. Jahrhunderts in Europa aufkommende
Nationalismus fiel in Polen - einem Land, das insgesamt 123 Jahre lang geteilt
war – auf fruchtbaren Boden. Der aufkeimende Nationalismus wurde besonders
vorangetrieben durch die nationaldemokratische Partei von Roman Dmowski. Polen
war zu diesem Zeitpunkt Heimat für eine der größten jüdischen Gemeinden
weltweit. Trotz der auch in diesem Land stattgefundenen Verfolgung hatten
jüdische Traditionen großen Einfluss auf die Kultur. Nachdem der polnische Staat
nach dem Ersten Weltkrieg neu entstanden war, wurde den Juden unter der
Regierung Piłsudski volle Gleichberechtigung gewährt, diese galt aber eher auf
dem Papier. Im jungen polnischen Staat wurden Juden als größte Bedrohung
angesehen. Sie galten als anti-polnisch, links und als fremde Elemente der
Gesellschaft, die man bekämpfen musste. In den späten 1920er Jahren
radikalisierte sich die Situation noch: Die Nationaldemokraten riefen zu
Pogromen und dem Boykott jüdischer Geschäfte auf.
Gedenken an den Warschauer Ghettoaufstand 1943 und an den
Kommandanten Mordechai Anielewicz, Foto: Silvia Perfler
Die negative Einstellung gegenüber Juden änderte sich auch
nicht während des Zweiten Weltkrieges. Als die Gettoisierung und die
Deportationen begannen, kam es kaum zu Solidarität und Mitgefühl mit den
polnischen Juden. Natürlich gab es zahlreiche couragierte Einzelpersonen, die
Juden halfen zu überleben, doch die Mehrheit der Polen verhielt sich passiv.
Daneben gab es auch jene, die Profit aus dem Unheil der jüdischen Bevölkerung
schlugen. Auch in der polnischen Untergrundarmee, der Armia Krajowa,
waren Juden unerwünscht. Sie galten als nicht vertrauenswürdig und wurden
verdächtigt, nur eigene, jüdische Ziele verwirklichen zu wollen.
Dass es in jeder Gesellschaft Opfer und Täter gibt, ist
selbstverständlich. Allerdings ist die Frage, wie die Gesamtgesellschaft mit der
eigenen Geschichte umgeht. Im kommunistischen Polen wurde in der Erinnerung an
den Zweiten Weltkrieg vor allem die Unterdrückung der polnischen
Zivilbevölkerung während der Kriegsjahre hervorgehoben, wie auch der
patriotische Kampf der Untergrundbewegung gegen das nationalsozialistische
Regime. Während der nationalsozialistischen Besatzung wurden fast 90% der
jüdischen Polen ermordet. Trotzdem wird die Bedeutung der Shoah in der
Erinnerungskultur kaum wahrgenommen, vielmehr wurde die Opferrolle der
polnischen Bevölkerung in den Vordergrund gestellt. Man war sich einig darüber,
dass Polen angesichts der hohen Opferzahlen am meisten unter Hitler gelitten
hätte und damit das größte Opfer der Nationalsozialisten gewesen sei. Mit der
selektiven Geschichtsdarstellung durch das kommunistische Regime verbunden war
eine gewisse Unwissenheit und Ignoranz. Bei einer Umfrage anlässlich des 50.
Jahrestages der Befreiung des KZ Auschwitz-Birkenau konnte nur eine kleine
Minderheit der befragten Polen angeben, dass im Konzentrationslager vor allem
polnische Juden ermordet wurden. Die meisten Befragten waren davon überzeugt,
dass die Nationalsozialisten im Lager vor allem polnische Katholiken ermordet
hatten.
Während der kommunistischen Herrschaft in Polen wurde die
„jüdische Frage" immer wieder aufgegriffen. Vor allem wurde in Zeiten einer
Krise des politischen Systems gegen Juden gerichtete Propaganda genutzt, um sie
als Verursacher der Probleme darzustellen und dadurch die Entfernung von
jüdischen Mitgliedern in Parteikadern zu rechtfertigen. Zusätzlich manifestierte
sich die Auffassung, Juden seien für den Kommunismus in Polen verantwortlich. In
den 50er Jahren führte die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (PVAP)
Säuberungsaktionen gegen Mitglieder jüdischer Herkunft durch. Unbequeme
Personen, die nicht dem jüdischen Glauben angehörten wurden unter dem Begriff
eines „Kosmopoliten" kurzerhand dazu gemacht. Ein Gipfel des Antisemitismus in
der kommunistischen Periode wurde mit der Kampagne von 1967/68 erreicht. Sie
mündete in der Unterdrückung der Studentenproteste von 1968. Als Drahtzieher der
Proteste galt eine Gruppe von „Zionisten", die die Aufstände finanzierte und das
Ziel verfolgte, die polnische Jugend zu verhetzen. Eine breit angelegte
Propagandakampagne mündete in systematischen Aktionen gegen die noch im Land
verbliebene jüdische Bevölkerung. Mit dem Vorwand, dass alle Juden schuldig
seien, wurden eine Entlassungswelle und eine regelrechte Hetzjagd eingeleitet.
Opfer waren nicht nur Juden, sondern auch Personen ohne jüdische Wurzeln, denen
vorgeworfen wurde, geheime Kontakte zu Israel zu haben. Tausende jüdische
Menschen verließen daraufhin Polen. Um die Erlaubnis zur Emigration zu erhalten,
wurde von ihnen verlangt, eine Erklärung zu unterzeichnen, wonach sie
ausschließlich loyale Bürger Israels seien. Dies diente der PVAP als Beweis,
dass Juden die größten Feinde Polens seien.
Antisemitismus war unter dem Deckmantel des Antizionismus
Staatsdoktrin. Dies wirkt sich auf die heutige Situation aus, da die schon
vorher bestehende stereotype Sichtweise gegenüber Juden verstärkt wurde und
Vorurteile der kommunistischen Zeit unhinterfragt in der heutigen Gesellschaft
immer noch vorhanden sind. Erst langsam erfolgt eine Sensibilisierung, die mit
einer allmählichen Aufarbeitung der eigenen Rolle während des Krieges
einhergeht. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Jedwabne Diskussion zu
nennen. 2001 veröffentlichte der aus Polen emigrierte Soziologe Jan Tomasz Gross
das Buch „Nachbarn. Die Geschichte der Vernichtung eines jüdischen Ortes".
Hintergrund war der Pogrom in Jedwabne, wo beinahe alle jüdischen Einwohner von
den Bewohnern des Ortes ermordet wurden. Von den deutschen Besatzern waren die
Voraussetzungen geschaffen worden, unter anderem wurden die Täter durch die
Zusicherung von Straffreiheit erst ermuntert. Der Verlauf des Massakers lag aber
vollkommen in den Händen der polnischen Bevölkerung. Bei den Vorgängen in
Jedwabne und Pogromen in anderen polnischen Städten handelte es sich also nicht
um klassische Kollaboration, sondern um eine polnische, antisemitisch motivierte
Tat.
Kazimierz, jüdisches Viertel in Krakau, Foto: Silvia Perfler
Das Buch „Nachbarn" war ein Schock für die polnische
Gesellschaft, da darin ein Bild gezeigt wurde, das in absolutem Kontrast zur
kollektiven Opfererinnerung stand. Auch wenn die Stichhaltigkeit einzelner
Fakten in Gross‘ Bericht kritisiert wurde, war das Buch ein wichtiger Beitrag
für die Auseinandersetzung mit dem historischen und aktuellen Antisemitismus in
Polen. Es kam vor allem in den Medien zu offenen Diskussionen, vor allem wurde
das Jahrzehnte andauernde Schweigen über die Vorfälle in Jedwabne und den
anderen Orten gebrochen.
Die bisherigen Darstellungen zeigen, dass Antisemitismus in
Polen nicht ein Phänomen von Randgruppen ist, sondern von der Mitte der
Gesellschaft ausgeht. Eine besondere Rolle für den heute noch spürbaren Hass
gegenüber Juden spielt die katholische Kirche. Die Kirche hat in Polen eine
Stellung innerhalb der Gesellschaft, die mit keinem anderen Land Europas
vergleichbar ist. Mehr als jede andere Institution stellt die katholische Kirche
in Polen die zentrale gesellschaftliche Autorität dar. Die Lehre, dass es Juden
waren, die Jesus kreuzigten, wurde im Zweiten Vatikanischen Konzil zwar
endgültig revidiert, stellt aber in Polen immer noch die wesentliche Triebfeder
des Judenhasses dar.
Bis heute verabsäumte es die katholische Kirche Polens, sich
ausdrücklich von antisemitischen Predigten zu distanzieren. Schritte wurden nur
halbherzig unternommen. Beispielsweise mag der Anblick einer
Ritualmord-Darstellung durch Juden in der Kathedrale von Sandomierz befremdlich
auf Besucher wirken. Diese werden zwar von offizieller Seite als bedenklich
eingestuft, allerdings wurde bis jetzt weiter nichts unternommen.
Bekannt wurde in dieser Beziehung der Priester Henryk
Jankowski. In den 80er Jahren wurde er als „Solidarność-Priester" bekannt. An
der Seite von Lech Wałęsa kämpfte er in der Danziger Werft für die
Gewerkschaftsbewegung. Auch nach der demokratischen Wende 1989 blieb Jankowski
ein enger Vertrauter und Beichtvater des Präsidenten. Weiterhin bemühte sich
Pfarrer Jankowski in seinen Predigten um die Freiheit Polens, die er durch
Juden, Russen, die EU, aber auch durch die Linke Polens bedroht sah. Im November
2004 wurde Jankowski schließlich vom Danziger Erzbischof als Gemeindepfarrer
abberufen. Vom Vatikan wurde die Amtsenthebung bestätigt und mit seinen
Predigten gegen Juden, Deutsche und Russen begründet.
Bereits seit 1995 war Jankowskis antisemitische Haltung
bekannt und erregte über die Grenzen Polens hinaus Aufsehen. Bei einer Predigt
im Juni 1995, bei der auch der polnische Staatspräsident Wałęsa anwesend war,
forderte er die Regierungsmitglieder auf, „offen zu bekennen, ob sie aus Moskau
oder Israel" kämen. Dies sei wichtig, erklärte Jankowski in einem späteren
Interview mit dem Nachrichtenmagazin Wprost, da der Davidstern „als Symbol der
Unterdrückung nicht nur im Hakenkreuz, sondern auch in Hammer und Sichel
enthalten" sei. Als der Journalist ihn auf den inneren Widerspruch hinwies, dass
wohl kaum die jüdische Bevölkerung die Shoah selbst initiiert hatte, bestärkte
Jankowski seine Aussage. Es seien die reichen Juden gewesen, die Geld gehabt
hätten und noch mehr Geld verdienen wollten.1
Lech Wałęsa musste durch den Druck aus dem Ausland zu den Äußerungen Stellung
nehmen, entschuldigte sich aber dadurch, den Satz in der Kirche nicht gehört zu
haben.
Besonders ist auf die Rolle von Radio Maryja
hinzuweisen, das zur Verstärkung antijüdischen Einstellungen beiträgt. Radio
Maryja ist ein landesweiter Radiosender, und mit annähernd 6 Millionen
Hörern der beliebteste und meistgehörte Polens. Das Programm des Privatsenders
beinhaltet hauptsächlich Gebete, Kirchenlieder und Diskussionsrunden. Es ist
durch fundamental-katholische Überzeugungen geprägt. Immer wieder gerät der
Sender durch fremdenfeindliche und antisemitische Aussagen in die Schlagzeilen.
Die eingehenden judenfeindlichen Kommentare von Hörern des Senders sind
einerseits ein Spiegel der Verankerung antisemitischer Stereotype in bestimmten
Gesellschaftskreisen, andererseits trägt Radio Maryja so zu einer
Vertiefung des religiös motivierten Antisemitismus in Polen bei.
Nach seiner Gründung erhielt Radio Maryja vom
polnischen Episkopat zunächst Lob und wurde vom Vatikan unterstützt.
Mittlerweile distanzierte sich die offizielle Kirche von Positionen des Senders
ebenso wie von Pater Tadeusz Rydzyk, dessen Gründer. Der Vatikan rief die
polnischen Bischöfe in den letzten Jahren wiederholt zu einem gründlichen
Vorgehen gegen Radio Maryja wegen antisemitischer Programminhalte, aber
auch wegen dessen politischer Parteinahme auf. Dies geschah bisher aber nur
zögerlich.
Die politischen Einflussmöglichkeiten des Senders wurden
nicht nur bei den Präsidentschaftswahlen 2005 deutlich, als die Parteinahme für
Lech Kaczyński, der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), für die Wahlen
mitentscheidend war. Schon vorher hatte Radio Maryja die Richtung vor Wahlen
vorgegeben. Bei den Präsidentschaftswahlen 1995 war die liberal-konservative
Politikerin Hanna Gronkiewicz-Waltz von Pater Rydzyk in einer Ausstrahlung als
„Freimaurerin" und „Jüdin" bezeichnet worden. Daraufhin sanken ihre Umfragewerte
signifikant ab.
Der Wahlerfolg der rechtskonservativen Kräfte verhalf dem
Sender wiederum zu mehr Gewicht im gesellschaftlichen Geschehen, denn die beiden
Regierungsparteien Liga der polnischen Familie (LPR) und Recht und Gerechtigkeit
stehen in einem Naheverhältnis zu Radio Maryja. Führende Politiker beider
Parteien sind häufige Gäste in Sendungen, in denen sie sich demonstrativ hinter
die kontroversen Positionen des Radiosenders stellen.
Die Beteiligung der national-konservativen Partei LPR wie
auch von Samoobrona löste bei der Europäischen Union Besorgnis aus. Beiden
Parteien wird auch Antisemitismus vorgeworfen. So hat sich Andrzej Lepper,
Parteivorsitzender von Samoobrona, wiederholt positiv über die
Propagandafähigkeiten Goebbels‘ sowie aber Hitlers Wirtschaftspolitik geäußert.
Im letzten Jahr kam es bei der Verabschiedung einer Resolution im EU-Parlament
zu heftigen Diskussionen. Verurteilt werden sollte darin das Anwachsen von
Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Homophobie in unterschiedlichen Ländern
der Europäischen Union, hervorgehoben wurde in besonderem Maß Polen.
Die Verwurzelung antijüdischer Einstellungen ist aber nur
eine Seite Polens. Auf der anderen Seite kam es seit der politischen Wende zu
einer Wiederentdeckung der jüdischen Kultur. Das Interesse der Polen an
jüdischen Bräuchen und kulturellen Veranstaltungen ist enorm. Besonders wichtig
erscheint die Erinnerung an das Leben jüdischer Polen vor dem Zweiten Weltkrieg
und die Geschehnisse während der nationalsozialistischen Besatzung. In Warschau
entstanden in den letzten Jahren im Bereich des ehemaligen jüdischen Ghettos
zahlreiche Denkmäler, die an das Schicksal einzelner jüdischer Polen und an
jenes der jüdischen Bevölkerung insgesamt erinnern. Am „Platz der Helden des
Ghetto-Aufstands von 1943" soll bis 2009 ein Museum errichtet werden, das der
jüdischen Geschichte in Polen gewidmet ist. Im Gegensatz zu anderen jüdischen
Museen wird die Perspektive nicht auf den Völkermord begrenzt sein, sondern ein
Bogen über die tausendjährige Geschichte der Juden in Polen gespannt werden. Mit
Stolz weisen Polen auf das so genannte „Goldene Zeitalter" im Spätmittelalter
hin. In dieser Zeit wurde Polen zur Heimat der verfolgten Juden aus Westeuropa.
Das Land erlebte eine wirtschaftliche und kulturelle Blüte, an der die jüdische
Bevölkerung wesentlich Anteil hatte. Von Kasimir III. wurden im 14. Jahrhundert
schon vorher gewährte Rechte ausgebaut. In Krakau, der damaligen Hauptstadt,
lebte die jüdische Bevölkerung wie auch anderswo in einem eigenen Stadtteil.
Dennoch galt Krakau als toleranter als andere europäische Städte.
Heute ist man auch in Krakau bemüht, jüdisches Leben zu
reaktivieren. Im jüdischen Viertel, Kazimierz, findet man unter anderem
restaurierte und neu erbaute jüdische Restaurants, Synagogen und ein jüdisches
Institut. Wermutstropfen ist, dass es nur nach außen eine wieder belebte
jüdische Kultur gibt. Bei der letzten Volkszählung im Jahr 2002 bekannten sich
1100 Personen zum Judentum. Auch wenn die jüdische Gemeinde diese offizielle
Zahl übersteigt, spielt sie nicht mehr die Rolle in Polen, die sie einmal hatte.
Jüdisches Leben ist im Moment ausschließlich auf die größeren Städte beschränkt.
Beim Interesse an allem Jüdischen handelt es sich also leider um einen
kulturellen Boom ohne Juden.
Abschließend möchte ich noch einige persönliche Anmerkungen
hinzufügen. In den sieben Monaten, die ich in Warschau und Krakau verbrachte,
war eine antijüdische Stimmung immer wieder präsent. Allerdings ist die
Situation nicht so negativ, wie sie vielleicht auf den ersten Blick erscheint.
Ich bin genauso auf Offenheit und großes Interesse an der jüdischen Geschichte
und Kultur gestoßen. Viele Polen machen sich wieder bewusst, dass das Judentum
untrennbar mit der Geschichte ihres Landes verbunden ist. In dieser Hinsicht ist
auch der Bau des jüdischen Museums ein Schritt in die richtige Richtung.
Die Zitate finden sich im Artikel „Polen" von Chaim Frank
(www.antisemitismus.juden-in-europa.de/osteuropa/polen.htm)