Im Kosovo hat es schon vor mehr als 550
Jahren Juden gegeben, so sind für das Jahr 1448 sechs jüdische Familien in
Novobrdo bei Prishtina bezeugt. Im Jahre 1737 sollen allein in Gjakova etwa 600
Juden, in Prishtina ca. 350 Juden gelebt haben, hier ist auch eine jüdische
Gemeinde erwähnt. Während der albanischen Befreiungskämpfe (1909–1912) waren
besonders die albanisch besiedelten Gebiete des Kosovo unsicher geworden, sodass
die dortigen Juden 1912 in den Südosten des Balkans, die letzte türkische
Bastion in Europa, übersiedeln wollten. Es kam aber nicht dazu: Der Oberrabbiner
von Belgrad, Isaj Alkalaj, reiste eigens ins Kosovo. Vermutlich mit dem Hinweis
darauf, dass sich das Osmanische Reich fast auf dem ganzen Balkan in Auflösung
befinde, hat er sie von diesem Plan abgebracht.
Im Zuge der Neuverteilung der Verfügungsmasse des Osmanischen
Reiches auf dem Balkan vor 100 Jahren erhielt das Königreich Serbien das
«urserbische» –allerdings im Süden schon stark albanisch durchsetzte – Kosovo
zugewiesen. Wie in vielen europäischen Ländern wurden in den 30er Jahren auch in
Jugoslawien sog. «Rassegesetze» verabschiedet, die sich besonders gegen Juden
und Roma richteten. Die sich verschlechternde Lage der Juden in Jugoslawien
zeigte sich z.B. daran, dass Oberrabbiner Isaj Alkalaj 1938 das serbische
Parlament verlassen musste.
1941 bis 1943 wurde der mehrheitlich von Albanern bewohnte
Südwestteil des Kosovo dem italienischen Protektorat «Groß-Albanien» – mit
Prishtina, Prizren, Peja, Gjakova und weiteren Gebieten zugeschlagen. Dagegen
kam das mehrheitlich serbisch bewohnte Nord-Kosovo unter deutsche
Militärverwaltung also (Kosovska) Mitrovica, Trepca, die Region Podujeva;
wohingegen Gjilan, Viti(na) und die Region Kacanik (Mazedonien) an Bulgarien
fielen. Nach der Kapitulation Italiens (8.9.1943) wurde ganz «Groß-Albanien» von
den Deutschen besetzt.
Juden-Deportationen aus dem deutsch besetzten Nord-Kosovo
Die Lage der Juden im deutsch besetzten Nord-Kosovo war viel
schwieriger als die der Juden in Alt-Albanien, bedrohlicher aber auch als im nun
groß-albanischen Südwest-Kosovo. Deshalb versuchte der größte Teil der Juden aus
dem Nord-Kosovo, nach Groß-Albanien zu entkommen, was den meisten wohl gelang:
Viele jüdische Flüchtlinge erhielten von den Grenzbehörden in Prishtina
albanische Pässe mit fiktiven albanischen Namen. Den Neuankömmlingen waren die
in Alt-Albanien und im großalbanischen Süd-Kosovo ansässigen Juden beim Aufbau
ihrer Existenz behilflich. Übrigens versuchten auch viele Juden aus Serbien
(besonders aus Belgrad) sowie aus Kroatien, ins Nord-Kosovo zu gelangen und von
dort nach Groß-Albanien weiterzuziehen das ist jedoch nicht allen gelungen. Der
Belgrader Historikerin Branka Prpa zufolge hatten von den 12 500 Belgrader Juden
(1939) nach dem Krieg nur noch 1500 in Belgrad gelebt die übrigen hatten fliehen
können, die meisten aber sind vermutlich in Konzentrationslagern umgekommen. Die
größten Lager in Serbien waren die in Sajmiste und Bajnica: Allein dort sind
etwa 100 000 Menschen umgebracht worden.
Im Nord-Kosovo ist die Auslieferung der Juden an die Nazis
albanischen und serbischen Nationalisten anzulasten. Eine ganz üble Rolle dabei
spielte die serbisch-nationalistische Organisation «Zbor», die 1925 von
Dimitrije Ljotic´ gegründet worden war. Besonders unter General Milan Nedic´
hatte die jüdische Bevölkerung im deutsch besetzten Serbien, also auch im
Nord-Kosovo zu leiden. Die Gefährdung der Juden unter dem kroatischen
Ustaša-Regime (1941–1945) war ebenfalls hoch viele sind im berüchtigten
kroatischen KZ Jasenovac, dem «Auschwitz des Balkans» – umgekommen. Für die
Juden auf dem Balkan war Albanien praktisch die einzige Hoffnung.
Division der Waffen-SS «Skanderbeg»
Die 21. Gebirgs-Division der Waffen-SS «Skanderbeg» war im
März 1944 aufgestellt worden, als nach der italienischen Kapitulation ganz
Albanien von den Deutschen besetzt war. Unter Führung des Kosovo-Albaners Bedri
Peja(ni), eines bekannten Antisemiten, haben sich die Aktivitäten der Division
«Skanderbeg» (die in ihrer Bestzeit 9000 Mann zählte) besonders gegen Juden,
Serben und Zigeuner gerichtet: Pejani und seine Division «Skanderbeg» waren für
die Deportation der Juden aus dem Kosovo in die Konzentrationslager
verantwortlich. So wurden in Prishtina und Gjakova (hier sprachen die Juden
übrigens Albanisch) innerhalb weniger Tage wohl um 400 Juden verhaftet, von
denen die meisten umgekommen sein dürften. Wieviele Juden aus dem Kosovo sonst
noch von der Division «Skanderbeg» an die Deutschen ausgeliefert worden sind,
ist strittig. Nach Dželetovic´ Ivanov handelt es sich um 400, nach Noel Malcolm
um 281 Juden. Malcolm stützt sich dabei auf offizielle Berichte Bedri Pejanis.
Kosovo-albanischen Veröffentlichungen zufolge seien höchstens
einige Juden oder Familien an die Waffen-SS ausgeliefert worden (so vor allem
Myrteza Studenica und Hakif Bajrami) – keineswegs aber die Mehrheit der Juden im
Kosovo. Mit solchen Publikationen versucht man, die Verbrechen von damals zu
bagatellisieren. In dieses Bild passt, dass Antisemiten wie eben Bedri Pejani
oder auch Xhafer Deva (Innenminister im seit Ende 1943 deutsch besetzten
Groß-Albanien) sich im Kosovo heute einiger Verehrung erfreuen.
Samuilo Mandil, ein aus Belgrad nach Albanien entkommener
jüdischer Geschäftsmann, hatte schon 1945 in Tirana einen Artikel über die
Rettung von Juden in Albanien veröffentlicht. Dort erwähnte er aber auch, dass
1942 lokale Behörden (in Groß-Albanien) 53 Juden an die Deutschen in Mitrovica
ausgeliefert hätten; unklar ist dabei, ob albanische oder serbische Beamte dafür
verantwortlich waren. Der Hinweis darauf, dass die Juden in das deutsch besetzte
Mitrovica ausgeliefert worden sind (und nicht ins «groß-albanische» Prishtina),
spricht dafür, dass sich dieser Vorgang im «deutschen» Nord-Kosovo abgespielt
hat.
Ministerpräsident Kruja: Einsatz für Rettung von Juden
Der heute 92-jährige Isuf Qolja aus Berat/Albanien berichtet,
dass er selbst – im «italienischen» (groß-albanischen) Kosovo versteckt –
überlebt hat. Eine jüdische Familie, die jetzt in München lebt, war von Albanern
im Kosovo verborgen und so gerettet worden (der Sohn, Max Brym, veröffentlicht
Beiträge über Juden im Kosovo und in Albanien). – Der damalige Gemeindesekretär
von Prishtina, Preng Uli, fälschte Reisedokumente für Juden aus Kroatien,
Serbien und auch aus dem Kosovo, um ihnen die Flucht nach Albanien zu
ermöglichen. Mit Bussen der Firma S.A.T.A (Tirana) brachte er die Juden dann mit
gefälschten albanischen Dokumenten aus dem Kosovo nach Albanien. Auf diese Weise
schafften das nicht wenige: z.B. gelangten im April 1942 ca. 100 Juden nach
Berat und 80 nach Preza. – Im Juli 1942 konnten sich ca. 100 Personen, die aus
einem Gefängnis in Prishtina entkommen waren, nach Albanien retten. In der
Region Deçani hat eine albanische Familie eine jüdische Familie bis zum Ende des
Krieges beschützt.
Ministerpräsident des italienischen Protektorats
«Groß-Albanien » war von Dezember 1941 bis Januar 1943 Mustafa Merlika Kruja,
den die Italiener mit Bedacht für diesen Posten ausgewählt hatten. Für die
Rettung der Juden im Kosovo und im übrigen Albanien hat er Bedeutsames getan
gemeinsam mit seinem Sekretär Engjëll Çoba. Francesco Jacomoni di San Savino,
Statthalter des italienischen Königs Vittorio Emanuele III. in Groß-Albanien,
rühmt den Mut –«burrnia» –von Ministerpräsident Mustafa Kruja:
«Der deutsche Generalkonsul hatte diesen aufgesucht und
ihm eine Verbalnote überreicht, mit der die Nazi-Regierung die Überstellung
von über 300 Juden verlangte, die aus Jugoslawien nach Albanien geflüchtet
waren. Das deutsche Militärkommando in Belgrad hatte genaue Angaben über
ihre Namen und Wohnorte zusammengestellt. Mustafa Kruja kam zu mir und bat
mich, sie unbehelligt in Albanien bleiben zu lassen. Da es im ganzen Land
keine deutschen Soldaten gab, die sie hätten identifizieren können,
verständigten wir uns darauf, die jüdischen Flüchtlinge sofort in das Gebiet
von Gjirokastra zu verlegen. Es grenzte an Griechenland, das von
italienischen Truppen besetzt war. Sie sollten einen albanischen Pass mit
falschem Namen erhalten und, wenn nötig, materiell unterstützt werden. So
konnte Mustafa Kruja dem deutschen Generalkonsul einige Tage später
antworten, alle Nachforschungen nach den namentlich Genannten im Kosovo
wären ergebnislos geblieben.
Rom haben wir davon nicht offiziell in Kenntnis gesetzt,
sondern auf ganz privater Ebene […] den Botschafter Luigi Vidau. Das war ein
Mensch mit Herz. Mit seiner Hilfe sorgten wir dafür, dass durch unsere
Auslandsvertretungen Juden aus Deutschland, Böhmen, Polen, Ungarn und
Rumänien albanische Pässe erhielten. So konnten sie sich in Albanien vor den
Verfolgungen in Sicherheit bringen» (Jacomoni, S. 288-289).
Literatur
Destani, Bejtullah D.:Ethnic Minorities in the Balkan States
1860–1971 (Volume 6). London 2003; Fischer, Bernd J.: The Jews of Albania during
the Zogist and Second World War Period. In: www.albanisches-institut.ch; Hrabak,
Bogumil: Jevreji u Albaniji od kraja XVII do kraja XVIIvii Veka. In: Jevrejski
Zbornik. Beograd, 1/1971; Ivanov, Dzeletovic´ : Jevreji Kosova i Metohije.
Beograd 1988; Latrouve, Laurent: Gordana Kostic´ : La division Skanderbeg.
Histoire des WaffenSS albanais; des origines idéologiques aux débuts de la
guerre froide. Paris 2004; Malcolm, Noel: Kosovo –a Short History. London 1998 ;
Mandil, Samuilo: Izraelitet. In: Bashkimi, 20. 2. 1945; Ramaj, Albert: Hebrenjtë
në Kosovë, një histori pak më ndryshe [Die Juden im Kosovo, etwas anders]. In:
Koha Ditore, 27. 5. 2006, S. 22, und www.albanisches-institut.ch; Jacomoni, San
Savino Francesco di: La Politica dell’Italia in Albania. Bologna 1965; Sinani
Shaban: «Die Diplomatie des königlichen Abaniens und die Rettung der Juden» in:
www.albanisches-institut.ch
Dieser Artikel ist publiziert in: G2W -Glaube in der 2. Welt
(Ökumenisches Forum für Religion und Gesellschaft in Ost und West) 2/2007 35.
Jahrgang, S. 20-21 (Themenschwerpunkt: Rettung von Juden in Albanien).