Immer wieder wird in Diskussionen und
wissenschaftlichen Abhandlungen die Frage aufgeworfen, ob man im strengen Sinn
des Wortes von einer jüdischen Bildkunst sprechen könne, oder ob diese nicht
richtigerweise der jeweiligen nationalen Kunst ihres Entstehungslandes
zuzurechnen sei. Auf den ersten Blick scheint die Frage bestechend zu sein, denn
die Kunstwerke der verschiedenen Völker unterscheiden sich voneinander vor allem
durch den ihnen eigentümli-chen Stil und dieser findet sich in der selben Weise
bei jüdischen wie nicht -jüdischen Denkmälern derselben Zeit in derselben
Kunstlandschaft. Somit kann das Kriterium für eine Unterscheidung nicht im Stil
gefunden werden, sondern muß in etwas begründet sein, das den unter den anderen
Völkern lebenden Juden, soweit sie ihre Eigenständigkeit als Volk bewahrten,
allein zugehört. Um diesen, die jüdische Bildkunst konstituierenden Elementen
auf die Spur zu kommen, empfiehlt es sich, von der jüdischen Religion
auszugehen, die das jüdische Volk in die Zerstreuung unter die Weltvölker
begleitete und es vor dem Untergang bewahrte. Die jüdische Religion aber beruht
auf der Bibel, die von den rabbinischen Gelehrten im Laufe der Jahrhunderte in
zahllosen Kommentarwer-ken ausgedeutet und durch weitere erzählerische Motive
ergänzt wurde. Bei der Bibel mußte daher auch die früheste jüdische Kunst1
ihren Ausgang nehmen.
Nach der Zerstörung des Tempels von Jerusalem 70 n.d.Z. hatte
das jüdische Bilderverbot (Ex 20, 4—5) seine politische Aktualität verloren2
und die jüdischen Gelehrten kämpften vergeblich gegen den Einfluß der
heidnischen Umwelt, die in Bildern dachte und ihre Tempel mit Bildern schmückte.
Nach einem über hundert Jahre währenden Kampf, dessen Spuren sich im
zeitgenössischen jüdischen Schrifttum nachweisen lassen3, unterlagen
die Gelehrten gegenüber den bilderfreundlichen Synagogenvorstehern4,
die die ihnen unterstellten jüdischen Kulträume mit Malereien und zwar mit
Darstellungen aus der Bibel5 auszuschmücken bestrebt waren. Die Bibel
war somit der Ansatzpunkt jeglicher Kunstentfaltung im Judentum. Da die Bibel
die Geschichte der Menschheit und des jüdischen Volkes vom Anfang der Welt an in
erzählendem Ton wiedergibt, bestimmte diese Erzählfreudigkeit auch die Umsetzung
der Bibel in Bilder. Wenn auch an illustrierten Handschriften biblischer Stoffe
wie beispielsweise paraphrasierter Bibelübersetzungen nichts erhalten ist, so
läßt sich deren einstiges Vorhandensein aus den Wandmalereien der einzigen
erhaltenen ausgemalten Synagoge der Spätantike erschließen. Es ist dies die
Synagoge von Dura Europos am mittleren Euphrat aus der Mitte des 3. Jahrhunderts
n.d.Z., deren vier Wände in drei Registerbändern übereinander mit bildartig
gerahmten alttestamentlichen Darstellungen geschmückt sind. Die biblischen
Ereignisse sind oft in großer Dichte gleichsam Bibelvers für Bibelvers
wiedergegeben.6 Gerade diese Tatsache war es, die zu der Annahme von
illustrierten Handschriften biblischer Stoffe als Vorlage für die Wandmalereien
dieser Synagoge geführt hat. Eine solche erzählfreudige Darstellungsweise
scheint den Schluß zu erlauben, daß das in der Bibel belegte, sehr
charakteristische Verhältnis des jüdischen Volkes zu seiner eigenen Geschichte
auch in seiner referierenden Kunst einen Niederschlag fand. Wenn somit O. Pächt7
den Ausgangspunkt der einfachen, fast naiven und mit „apokryphen jüdischen
Legendenmotiven" versehenen Darstellungsweise der alttestamentlichen
Bilderzyklen der frühchristlichen Kunst in den juden-christlichen oder
vielleicht „nicht einmal wirklich christlichen" Gemeinden des Orients annahm, so
scheint er in Wirklichkeit auf eine Eigentümlichkeit der jüdischen
Bibelillustration der Spätantike gestoßen zu sein; sie wurde in der Folge auch
von den christlichen Werkstätten übernommen und bestimmte den narrativen
Charakter der christlichen Bibelillustration in Spätantike und Mittelalter8.
Auch die von O. Pächt erwähnten „apokryphen jüdischen
Legendenmotive", die auf der Kommentarliteratur der jüdischen Gelehrten zur
Bibel fußen, stellen ein Merkmal der jüdischen Kunst dar. Schon in einzelnen
Bilderzyklen der Synagoge von Dura Europos wurden Ereignisse dargestellt, die
zum Teil weit über den kanonischen Bibeltext hinausgehen9. In den
späteren Jahrhunderten fanden — in Übereinstimmung mit der ständig ergänzten und
bereicherten schriftlichen Tradition - neue Stoffe auch in den Bilderkanon der
jüdischen Kunst Eingang und bestimmten die mittelalterliche jüdische
Bibelillustration.10 Auf welchen Wegen jüdisches Legendengut auch
christliche mittelalterliche Malwerkstätten erreichte11, kann heute
nicht mehr - oder vielleicht auch noch nicht - angegeben werden. Jedenfalls ist
das Vorhandensein verschiedener Elemente der jüdischen Bildkunst auch in einer
Reihe von christlichen Handschriften festzustellen.
In der Auseinandersetzung mit dem jüdischen Bilderverbot (Ex
20, 4-5), das man vor allem auf eine Wiedergabe des Menschen bezog, wurden
mehrere Wege zur Umgehung des Gebotes gefunden. Der Ausgangspunkt der meisten
von ihnen scheint in der Überzeugung bestanden zu haben, daß das Bilderverbot
vor allem gegen die Wiedergabe des „ganzen" Menschen12 gerichtet
gewesen sei, und daß man daher nicht dagegen verstoßen habe, sobald nicht der
ganze Mensch abgebildet wurde. Unter dem „ganzen" Menschen verstand man vor
allem die Wiedergabe des menschlichen Gesichts. Um eine solche menschliche
Abbildlichkeit zu umgehen, wurden vier verschiedene Methoden entwickelt. Die
erste und älteste bestand darin, daß man das menschliche Gesicht durch den mit
Haaren bedeckten Hinterkopf und somit von hinten gesehen wiedergab, obwohl der
übrige Körper von vorn dargestellt wurde13. Eine andere und wie auch
die weiteren erst in der mittelalterlichen jüdischen Buchmalerei belegte Methode
bestand darin, das Gesicht nur durch einen einfachen Strich im Gesichtsoval
anzudeuten oder die gezeichneten Gesichtszüge nachträglich wieder auszukrat-zen.
Jedoch am häufigsten behalf man sich damit, der menschlichen Gestalt einen Tier-
oder Vogelkopf aufzusetzen, oder die Gesichtszüge koboldartig zu entstellen.
Allen angeführten Umgehungsversuchen gemeinsam aber ist die Tatsache, daß sie
alle spätestens ca. 100 Jahre nach dem ersten Auftauchen der mittelalterlichen
jüdischen figürlichen Buchmalerei im 13. Jahrhundert schon wieder aufgegeben
wurden, sodaß man ca. seit der Mitte des 14. Jahrhunderts den Menschen
ausschließlich mit menschlichen Gesichtszügen darstellte. Eine Ausnahme bildet
allerdings die Masora figurata, in welcher die einzelnen Zeilen des in
Mikrographie geschriebenen Textes der Masora die Zeichenlinien ersetzen, sodaß
auf diese Weise sowohl Gegenstände als auch Tiere und Menschen einerseits
abgebildet, andererseits jedoch gleichzeitig als Texte geschrieben den Bibeltext
begleiten. Der Gebrauch dieser Umgehung des Bilderverbotes wurde erst mit der
Erfindung des Buchdruckes aufgegeben14.
Im Gegensatz zu den beiden erstgenannten, der jüdischen Kunst
eigentümli-chen Charakteristika - der narrativen Darstellungsweise und der
Ausgestaltung biblischer Themen durch Midrasch-Motive — blieb jewede
Unterdrückung einer vollen Abbildlichkeit auf die jüdische Kunst beschränkt und
hat in der christlichen Kunst keinerlei Spuren hinterlassen.
Einen weiteren Ansatzpunkt für die Entwicklung der jüdischen
Kunst neben der Bibelillustration bot der jüdische Kult. Allerdings bediente man
sich auch in diesem Fall großteils der Darstellung biblischer Themen; diese
wurden aber in der Regel nicht als narrative Folgen, sondern als Einzelszenen,
und zwar vornehmlich für kerygmatische Aussagen, wiedergegeben.
Nach der Zerstörung des Tempels von Jerusalem entwickelte
sich die Auffassung, daß jede Synagoge sowohl in der Diaspora als auch im Lande
Israel nicht nur als Gebets- und Lehrstätte anzusehen sei, sondern vielmehr auch
als eine Wohnung der Wesenheit Gottes, der Schechina, zu gelten habe. Daraus
ergab sich, daß die Synagoge ein „heiliger Ort" genannt wurde, eine Bezeichnung,
die sich inschriftlich seit dem 3. Jahrhundert15 für eine Reihe von
Synagogen findet. Dieser neuen Gegebenheit wurde auch der malerische oder musive
Dekor der einzelnen Synagogen angepaßt. Das früheste und umfang-reichste
Beispiel für das Ausstattungsprogramm eines solchen heiligen Ortes bietet wieder
die Synagoge von Dura Europos. Die endgültige Fassung des innerhalb von elf
Jahren - gerechnet von der inschriftlich bezeugten Ausmalung bis zur Zerstörung
der Synagoge durch die Sassaniden — dreimal neu gemalten Mittelbildes über der
Toraschrein-Nische an der Schauwand der Synagoge zeigt ein rein messianisches
Thema. In zwei Feldern übereinander ist einerseits im unteren Feld die
Prophezeiung des endzeitlichen Messias aus dem Königsstamm Juda (Gen 49,10) und
andererseits im oberen Feld dieser selbst auf seinem Thron inmitten seines
himmlischen Hofstaates dargestellt16. Aber an die rechte und linke
Seite dieses Messiasbildes wurden zwei Mosesszenen gesetzt, die beide eine
Gottesvision des Moses zum Thema haben. Auf der einen Seite sieht man die
Berufung des Moses auf dem Berg Horeb (Ex 3), auf der anderen Seite die Übergabe
der Gesetzestafeln an Moses auf dem Sinai (Ex 19). Es wurde hier von Juden ein
Ausstattungsprogramm für einen heiligen Ort, eine Wohnung Gottes, entworfen, das
sich ohne Schwierigkeiten auch auf einen heiligen Ort der Christen, d.h. eine
Kirche, übertragen ließ. G. Kretschmer17 hat gezeigt, daß in zwei
Kirchen des byzantinischen Kulturkreises aus dem 6. Jahrhundert dieselben beiden
Mosesszenen neben bzw. über dem in der Apsis abgebildeten transzen-denten
Christus angebracht wurden. Es sind dies einerseits San Vitale in Ravenna und
andererseits die Kirche des Katharinenklosters auf dem Sinai. Sowohl in der
Synagoge als auch in diesen beiden christliche Kirchen sind die zwei
Mosesdarstellungen als Theophanieszenen mit dem Bild des endzeitlichen, nicht
des irdischen Messias verbunden und bilden gleichsam den Übergang von der
irdischen zur kommenden Welt.
Unterhalb des Toraschrein-Bildes der Synagoge von Dura
Europos unmittel-bar über der Toraschrein-Nische befindet sich noch eine weitere
alttestamentli-che Szene, deren heilsgeschichtliche Aussagekraft kaum hinter der
Komposition darüber zurückbleibt; allerdings ist die hier intendierte Symbolik
der Szene für christliche Kirchen ohne Belang, sodaß sie in diesem Kontext auf
die Ausstattung der Synagogen beschränkt blieb. Es ist die Darstellung des
Isaak-Opfers, die sich neben den Bildern von Kultsymbolen und Tempelfassade
unmittelbar über der Toraschrein-Nische befindet18 . Nach jüdischem
Verständnis (2 Chr 3,1) war der Berg Moria, auf dem das Isaak-Opfer stattfand,
mit demjenigen Berg, auf dem Salomo den Tempel errichtete, identisch. Wenn daher
das Bild des Isaak-Opfers neben dasjenige der Tempelfassade gesetzt wurde, so
sollte damit zweifellos die Identität des Ortes ausgedrückt werden. Daß sich
über dieser Tempelfassade das Bild des Herrn der kommenden Welt befand und damit
das Tempelbild an endzeitliche Dimensionen rührte, mag schon im Programmentwurf
der Synagoge von Dura Europos mitbedacht worden sein. Als aber dieselbe Symbolik
in derselben Bildersprache am Anfang des 6. Jahrhunderts auf dem Mosaikfußbo-den
der Synagoge von Bet Alpha19 zur Darstellung kam, war das Bild der
Tempelfassade, bzw. der Toraschrein-Nische, als Veranschaulichungsmöglichkeit
für den Thron Gottes schon ein gängiges Motiv der Synagogenausstattung geworden.20
In Bet Alpha setzte man allerdings das Symbol für den Berg Moria und dasjenige
für den Tempelberg nicht einfach nebeneinander, sondern man deutete dadurch, daß
man die einzelnen Elemente der Gesamtkomposition des Mosaikfußbodens in drei
Feldern übereinander anordnete, den Aufstieg des Beters von der irdischen in die
himmlische Sphäre an. Es war somit ein Aufstieg vom Berg Moria bzw. Tempelberg
durch die himmlischen Sphären, symbolisiert durch den Sonnenwagen inmitten der
zwölf Tierkreiszeichen21, bis hin zu Gottes Thron, welcher unter dem
Bild des Toraschreins mit den Cheruben und neben den beiden brennenden Menorot
in diesem Sinn zu verstehen war. Dieses Bild des Thrones Gottes vor der
Toraschrein-Nische der Synagoge von Bet Alpha veranschaulichte somit das Ziel
der Reise, die auf dem Berg Moria beim Eingang der Synagoge begonnen hatte; es
war fürwahr ein Bildprogramm, das der Bedeutung eines „heiligen Ortes"
angemessen war22 . Somit können die beiden Darstellungen des
Isaak-Opfers aus dem 3. und aus dem 6. Jahrhundert als Belege für die Existenz
einer eigenständigen jüdischen Kunst in Anspruch genommen werden, auch wenn die
Art der Darstellung deutlich vom jeweiligen Lokalstil geprägt ist.
Am Übergang von der Spätantike zum Mittelalter scheint die
Vorstellung von der Synagoge als heiliger Ort aufgegeben worden zu sein, da
keine entsprechende inschriftliche Erwähnung mehr bekannt ist. Wenn man daher
die Bildkunst im jüdischen Kult des Mittelalters aufspüren will, empfiehlt sich
das Studium von jüdischen Gebetbüchern, einerseits solcher für den synagogalen
Gottesdienst, andererseits vor allem derjenigen für die Feier des Sederabends im
Kreis der Familie.
Das Gebetbuch für die häusliche Feier des Sederabends, die
Pesach-Haggada, wurde im späten Mittelalter als eigenes Buch zum Nutzen und zur
Freude der Frauen und Kinder mit zahlreichen Bildern ausgestattet. Diese Bilder
befinden sich entsprechend dem Gebrauch des Herstellungslandes der
Pesach-Haggada entweder als Randillustrationen neben dem Text oder als
ganzseitige Bilderfolgen dem Text der Pesach-Haggada voran- oder nachgestellt.
Aufgrund der Tatsache, daß der Text der Pesach-Haggada vier verschiedenen
Themenkreisen gewidmet ist, kamen auch vier verschiedene Gruppen von Bildthemen
zur Darstellung23 . Da die Erinnerung der Israeliten an den Auszug
aus Ägypten unter Führung des Moses Bedeutung und Sinn des Pesach-Festes
ausmachen, widmete man in der Regel die größte und umfangreichste Gruppe von
Bildern dieser Thematik; bisweilen wurde sie aufgrund eines nur vagen
Textbezuges durch Szenen aus dem Buch Genesis ergänzt. Die Darstellungsweise
entspricht der schon oben vorgestellten narrativen Methode der
Bibelillustration, ist häufig mit Midrasch-Motiven bereichert und im
deutschsprachigen Raum anfänglich von den oben dargelegten Ausweichmöglichkeiten
gegenüber dem Bilderverbot geprägt.
Die übrigen drei Themengruppen sind ebenfalls vom Text der
Pesach-Haggada bestimmt, der erstens die Anweisungen für die rituellen
Vorbereitun-gen zum Fest, zweitens den Text für den Ritus des Seder-Abends und
schließlich Angaben über die endzeitlichen Hoffnungen des Judentums für diesen
Abend enthält. Zu den rituellen Vorbereitungen gehörte vor allem das Schlachten
und Braten des Pesach-Lammes und das Backen der ungesäuerten Brote. Während es
aber in der Spätantike in der Regel jüdische Bildformulierungen oder jüdische
Motive gewesen waren, die dann von christlichen Werkstätten übernommen wurden,
sind es jetzt verschiedene, in christlichen Handschriften vorgegebene Themen und
Bildtypen, die von den jüdischen Illustratoren aufgegriffen wurden.24
Anders verhält es sich mit den Illustrationen zu den rituellen Texten, da hier
keine direkten Entlehnungen aus christlichen Handschriften möglich waren. Im
Falle der Übernahme einer Vorlage war man gezwungen, diese den Voraussetzungen
des Textes25 anzupassen; anderenfalls war man auf eigenständi-ge
Erfindungen angewiesen, die dann wegen ihrer speziellen Aussage26 auf
die jüdischen Werkstätten beschränkt blieben. Ebenso fanden sich auch für
eschatologische Szenen wie beispielsweise das Öffnen der Haustüre für den
Propheten Elias27 keine entsprechenden Vorlagen in christlichen
Handschriften, da solche Vorstellungen ebenfalls auf die jüdische Tradition und
das jüdische Brauchtum beschränkt sind28 .
Eine eigene Gruppe bilden jene - nicht im Text der
Pesach-Haggada verankerten - Darstellungen, die die versteckte Polemik der
jüdischen Maler oder Auftraggeber gegenüber ihren christlichen Verfolgern zum
Thema haben. Neben der häufig wiederkehrenden Darstellung vom Bad des Pharao im
Blut von 150 jüdischen Knaben29 oder des von Jäger und Hunden
gehetzten Häschens bzw. der Hirschkuh30 gibt es Illustrationen, in
denen mit dieser versteckten Sprache auch die eschtalogischen Hoffnungen des
Judentums ausgedrückt wurden. So setzte man beispielsweise über die Darstellung
von der Fronarbeit der Israeliten in Ägypten und ihrer Bedrängung durch den
ägyptischen Fronvogt als bescheidene Randszene das Bild eines Häschens auf einem
goldenen Thron, dem ein ehrfürchtig heranschreitender Hund seinen Tribut — zwei
goldene Kelche - überreicht3. Wenn derartige feinpointierte Angriffe
auch in ungefähr zeitgleichen christlichen Handschriften eine
geistesgeschichtliche Parallele32 haben, so bleiben Thematik und
Motiv der Darstellungen doch auf den jüdischen Bereich beschränkt.
Was die mit figürlichen Szenen ausgestatteten großformatigen
mittelalterli-chen Machzorim33 betrifft, so sind es hier häufig
biblische Szenen, die - zu einer Gesamtkomposition auf einer Seite
zusammengefaßt - zur Ausschmückung des Initialwortes eines Gebetes oder Piyyuts
dienen.34 Auf der anderen Seite wurden einer Abfolge von Bibelszenen,
wie sie beispielsweise die zum Purimfest gelesene Ester-Megilla begleiten,
verschiedene über den kanonischen Bibeltext hinausge-hende Bilder hinzugefügt.
Manche von ihnen illustrieren das zeitgenössische Brauchtum bestimmter jüdischer
Gemeinden, wofür das Leipziger Machzor ein gutes Beispiel35 bietet.
Andere sind dem Legendenschatz entnommen, wie beispielsweise das Motiv der
Beschmutzung des Haman durch seine eigene Tochter, die diesen mit Mordechai
verwechselte und irrtümlicherweise mit unreinem Wasser übergoß. Auch diese
Darstellung findet sich erstmalig im Leipziger Machzor, ist aber auch in vielen
barocken Ester-Rollen belegt.36
Schließlich aber ist die Zugehörigkeit vieler früher
mittelalterlicher Machzorim, wie zum Beispiel auch des Leipziger Machzor, zum
jüdischen Kunstbereich auch durch den Austausch der menschlichen Gesichter gegen
entstellende Kobold-, in anderen Machzorim wieder Vogelgesichter,
gekennzeichnet. Alle diese für die mittelalterlichen jüdischen Gebetbücher
artspezifischen Eigentüm-lichkeiten erlauben es, auch hier von einer jüdischen
Kunst zu sprechen; denn obwohl nirgends ein eigenständiger jüdischer Stil
vorliegt, verweisen Thematik, Motive und Verwendungszweck diese Handschriften in
den Bereich der jüdischen Kunst.
Gleichsam als letzter Repräsentant der mittelalterlichen
jüdischen Buchkunst ist erst in allerjüngster Zeit die bisher verschollen
geglaubte Bilderbibel des jüdischen Malers Moses dal Castellazzo zwar nicht im
Original als Holzschnittfol-ge, aber durch eine Kopie in Form von schlecht und
nur zum Teil kolorierten Federzeichnungen bekannt geworden37. Die zu
Anfang der 20er Jahre des 16. Jahrhunderts in Venedig, Mantua und vielleicht
auch anderen Städten Nordita-liens angebotenen Holzschnitte dieser Bilderbibel
waren von Moses dal Castellazzo von verschiedenen Bildvorlagen einerseits
jüdischer, andererseits aber auch christlicher Provenienz zusammengestellt
worden. Die von einer jüdischen Bildvorlage übernommen Themen lassen sich
unschwer daran als solche erkennen, daß die in diesen Illustrationen zur
Darstellung kommenden Bildmotive nicht aufgrund des kanonischen Bibeltextes,
sondern nur mit Hilfe der rabbinischen Kommentarliteratur befriedigend erklärt
werden können. Da dieselben Bildmotive häufig auch in verschiedenen, vor allem
aschkenasischen Pesach-Haggadot des vorangehenden Jahrhunderts belegt sind,
beweist dies, daß Moses auf einen vorhandenen jüdischen Bilderkanon zur Bibel
zurückgreifen konnte. Vielleicht war ihm dieser durch seinen Vater, einen aus
Deutschland nach Italien eingewanderten rabbinischen Gelehrten vermittelt
worden. Moses versah jedes Blatt seiner Bilderbibel mit Bibelversen in
hebräischer Sprache sowie mit - zumindest entsprechend der erhaltenen Kopie - in
italienischer Sprache verfaßten Bildlegenden; das führt zu der Annahme, daß der
von Moses angepeilte Käuferkreis einerseits die Bewohner der jüdischen Gemeinden
von Norditalien, andereseits vielleicht aber auch christliche Humanisten waren,
denen er das Gedankengut seines Volkes nahebringen wollte. Somit berechtigen
Thematik, Motive und Verwendungszweck der Bilderbibel des Moses dal Castellazzo,
auch in diesem Fall von einer eigenen „jüdischen Bildkunst" zu sprechen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die hier
vorgestellten jüdischen Bildwerke zwar in ihrer Stil- und Formensprache mit
analogen christlichen Denkmälern derselben Zeit und derselben Kunstlandschaft
übereinstimmen, daß sie sich aber von diesen aufgrund ihrer Thematik, ihrer
Motive und ihres Verwendungszweckes unterscheiden. Es stellt sich somit die
Frage, ob die jüdische Kunst nicht mit mehr Berechtigung der „christlichen"
Kunst statt einer beliebigen nationalen Kunst gegenüberzustellen wäre; Thematik,
Motive und Verwendungszweck der christlichen Kunst wurden zwar in ihrem
Erscheinungs-bild im Lauf der Jahrhunderte durch die jeweiligen orts- und
zeitbedingten Gegebenheiten abgewandelt, sind aber aufgrund ihrer in der
Religion veranker-ten Aussagen festgelegt und konstant. Allerdings versteht es
sich von selbst, daß in einer christlichen Welt wie es die abendländische ist,
die christliche Kunst zur Trägerin der verschiedenen lokalen und zeitbedingten
Kunstkriterien wurde, welche die einzelnen Stilphasen kennzeichnen. Vor anderen
Voraussetzungen stand die christliche Kunst jedoch im außereuropäischen Raum, wo
sie sich nach anderen Gesetzen entfalten mußte als in Europa. In diesen Ländern
bekommt der Begriff „christliche Bildkunst" einen eigenen Stellenwert im Rahmen
der verschiedenen zeitbedingten Stilphasen des jeweiligen Landes, z. B. Indiens
oder Chinas. Auf der anderen Seite muß allerdings darauf hingewiesen werden, daß
auch in Europa in Zusammenhang mit Vincent van Gogh ebensowenig von einer
„christlichen Kunst" gesprochen werden kann wie von einer „jüdischen Kunst" in
Zusammenhang mit Max Liebermann.
*) Unveränderter Abdruck mit freundlicher Genehmigung des
Verlags aus: Kairos Heft 3-4 (1985), S. 269-278 von Frau Eva Schubert und des
Verlags Otto Müller.
Anmerkungen
1 Ernst Cohn-Wiener, Die jüdische Kunst - Ihre Geschichte
von den Anfängen bis zur Gegenwart, Berlin 1929, enthält einen Abschnitt über
„Die Zeit der Könige", 29—58. Doch sollte man hier mit der Bezeichnung, Jüdisch‘
eher zurückhaltend sein. Sicherlich erhielten zwar die zwei Keruben im
Allerheiligsten des Jerusalemer Tempels (1 Kg 6,23) und das auf 12 Rindern
ruhende ,Eherne Meer‘ (1 Kg 7,25) eine Sinngebung mit Bezug auf den Jahwe-Kult,
das gesamte Baukonzept bestand aber aus kanaanäisch-syrischen Elementen, so daß
man den „Tempelbau als den Höhepunkt der Kanaanisierung der Jahwe-Religion
bezeichnen" muß. Kurt Schubert. Die Kultur der Juden, Teil I, Israel im
Altertum, Wiesbaden 1970/1977, 83.
2 Vor der Zerstörung des Tempels 70 n.d.Z. mußte das
Bilderverbot im umfassenden Sinn verstanden werden, da man nicht gut
Kaiserbilder im Tempel verbieten aber andere Bilder gestatten konnte. So berief
man sich z.B. nach Josephus Bellum 2, 10, 4 mit Erfolg auf das Bilderverbot, um
die Aufstellung einer Statue des Caligula im Tempel zu verhindern. Nach der
Tempelzerstörung aber fand um etwa 100 n.d.Z. Rabban Gamaliel IL nichts mehr
daran, ein öffentliches Bad zu benützen, in dem eine Statue der Aphrodite
aufgestellt war (Abhoda Zara III, 4). Man unterschied also zwischen wertfreien
Bildern und solchen, die kultische Funktionen hatten. Kurt Schubert, Das
Problem der Entstehung einer jüdischen Kunst im Lichte der literarischen Quellen
des Judentums, Kairos 16 (1974), 1-13.
3 Vgl. Kurt Schubert, a.a.O., bes. 6-8.
4 In einer ursprünglich an der Decke der Synagoge von Dura
Europos Mitte 3Jh. n.d.Z. angebrachten Inschrift sind in der sowohl aramäisch
als auch griechisch abgefaßten Bauinschrift die für den Bau und damit auch die
Ausmalung der Synagoge verantwortlichen Gemeindemitglieder namentlich genannt,
an ihrer Spitze der ,Archon‘ bzw. ,Presbyter der Juden‘, „der Priester Samuel,
Sohn des Idaeus". Vgl. GH. Kraeling, The Synagogue, New Haven 1956,
263-277. Offensichtlich legten die Honoratioren der Gemeinde auf Anbringung
ihres Namens an diesem bevorzugten Platz Wert.
5 Auf eine - allerdings nur in der ersten Schicht der
Malereien über der Toraschreinnische in der Synagoge von Dura Europos (Kraeling,
a.a.O. 40. 61 f.) belegte - Berücksichtigung des Bilderverbotes wird weiter
unten eingegangen werden, vgl. Anm. 13.
6 Z.B. die Bilderfolge von der Kindheit des Moses, Ex
1,18-2,9, oder die Wiederbelebung der Toten im Tal von Dura, Ez 37,1-10.
Abbildung in: Ursula Schubert, Spätantikes Judentum und frühchristliche
Kunst, Studia Judaica Austriaca II (1974) Abb. 1. 7. 8.; Judentum im
Mittelalter, Katalog zur burgenländischen Landesausstellung im Schloß
Halbturn, Eisenstadt 1978, Abb. 1. 2.
7 Otto Pächt, The Rise of Pictorial Narrative in 12th
Century England, Oxford 1962, 4.
8 Z.B. Wiener Genesis, Wien, Österr. Nationalbibliothek Cod.
theol. gr. 31, 6. Jh., herausgegeben zuletzt von Otto Mazal,
Facsimile-Ausgabe des Codex theol. gr. 31 der Österr. Nationalbibliothek in
Wien, Frankfurt/M. 1980. Bilderbibel aus Padua, Rovigo, Accademia dei Concordi,
Ms 212 und London, British Library Add. 15277, hsgg. von G Folena und
GL. Meilini, Bibbia Istoriata Padovana della Fine del Trecento, Venedig
1962.
9 Auf den Einfluß der rabbinischen Legendentradition auf die
Wandmalereien in der Synagoge von Dura Europos wurde schon mehrfach hingewiesen.
Die ältere Literatur verwertet bei Schubert (Anm. 6), 35-64; Joseph
Gutmann, Programmatic Painting in the Dura Synagogue, in: Joseph Gutmann
(Hsgbr.), The Dura Synagogue - A Re-Evaluation (1932-1972), Missoula 1973,
137-154; Kurt Schubert, Die Bedeutung des Bildes für die Ausstattung
spätantiker Synagogen - dargestellt am Beispiel der Toraschreinnische der
Synagoge von Dura Europos, Kairos 17 (1975), 11-23.
10 Ein Beispiel dafür ist das messianische Gastmahl der
Gerechten in einer aus Süddeutschland stammenden illustrierten Riesenbibel aus
dem 13. Jh., die sich heute in der Ambrosianischen Bibliothek in Mailand
befindet (B 32 inf., 136r). Unter den drei eschatologischen Tieren Livjatan,
Behemot und Ziz sitzen mit Tierköpfen die Gerechten vor einem prächtig gedeckten
Tisch, während ihnen Musikanten zum Mahle aufspielen. Die rabbinische Quelle
dafür ist u.a. das ,Alphabeth des Rabbi Akiba‘ (Adolf Jellinek, Bet ha-Midrasch,
Jerusalem 1967, 12-64, bes. 34). Das Bild wurde schon mehrfach veröffentlicht,
z.B. BezalelNarkiss, Hebrew Illuminated Manuscripts, Jerusalem 1969, 90,
Plate 25; Judentum im Mittelalter, (Anm. 6), Abb. 9; Die Zeit der
Staufer, Katalog zur Ausstellung aus Anlaß des 25-jährigen Bestehens des
Landes Baden-Würtemberg, Stuttgart 1977, Bd. II, Abb. 194; Kurt Schubert,
Die Kultur der Juden, Teil II, Judentum im Mittelalter, Wiesbaden 1979,
Farbtafel II (nach S. 92); Ursula und Kurt Schubert, Jüdische Buchkunst,
Bd. I, Graz 1983, Abb. 2.
11 Vgl. u.a. Joseph Gutmann (Hsgbr.), No Graven
Images, New York 1971; O. Mazal (Anm. 8), 183-186; Kurt Schubert,
Die Miniaturen des Ashburnham Pentateuch im Lichte der rabbinischen Tradition,
Kairos 18 (1976), 191-212; ders., Die Illustrationen in der Wiener
Genesis im Lichte der rabbinischen Tradition, Kairos 25 (1983), 1-17.
12 Bezalel Narkiss, On the Zoocephalic Phenomenon in
Mediaval Ashkenasi Manuscripts, in: Norms and Variations in Art, Essays in Honor
of Moshe Barasch, Jerusalem 1983, 49-62. Um die Mitte des 13. Jh’s formulierte
der jüdische Apologet Joseph Hammeqanne, daß sich das biblische Bilderverbot nur
auf die Darstellung des „ganzen Menschen, an dem sich alle Körperteile
befinden", bezieht (Judah Rosenthal, Sepher Joseph Hamekane, Jerusalem
1970, 48, Nr. 29a). Zur innerjüdischen Diskussion im Mittelalter vgl. U. u.
K. Schubert (Anm. 10), 70-73.
13 Erstmals bei der Darstellung des Abrahamsopfers über der
Torascheinnische der Synagoge von Dura Europos (diese Darstellung gehört als
einzige figürliche Szene zur ersten Schicht über der Toraschreinnische, vgl.
Anm. 5). K. Schubert (Anm. 9), Abb. 13. Die früheste Darstellung des
Abrahamsopfers im Mittelalter (1236/38) im 1. Bd. der Ambrosianischen
Riesenbibel in Mailand, Abbildungen in: Judentum im Mittelalter (Anm. 6),
Abb. 8. In derselben Bibel sind auch Adam und Eva zwar frontal, aber mit von
Haaren verhängten Gesichtern, dargestellt. Abgebildet in: U. u. K. Schubert,
(Anm. 10), Abb. 1.
14 Leila Avrin, in: C. Sirat, La lettre hebraique et sa
signification - L. Avrin, Micrography as Art Jerusalem 1981, bes. 54.
15 Kurt Schubert, Sacra Sinagoga - Zur Heiligkeit der
Synagoge in der Spätantike, BiLi 54 (2982), 27-34 (daselbst die ältere Literatur
verwertet).
16 U. Schubert (Anm. 6), 55-58; Kurt Schubert
(Anm. 9), 18-20.
17 G. Kretschmar, Ein Beitrag zur Frage nach dem
Verhältnis zwischen jüdischer und christlicher Kunst in der Antike, in: J.
Gutmann (Anm. 11), 156-184.
18 K. Schubert (Anm. 9), 12-15.
19 Eliezer L. Sukenik, The Ancient Synagogue at Beth-Alpha,
Jerusalem
1932.
20 U. Schubert (Anm. 6), 65.
21 Günter Stemberger, Die Bedeutung des Tierkreises auf
Mosaikböden spätantiker Synagogen, Kairos 17 (1975), 23-56; Kachel Hachlili,
The Zodiak in Ancient Jewish Art: Representation and Significance, BASOR 228
(1977), 61-77.
22 Nach Meyer Schapiro, Vorwort S. 10, zu: Israel, Frühe
Mosaiken, Einleitung von Michael Aviyonah, Unesco-Band, München 1961, „kündigt
dieser Fußboden die Kunst des christlichen Mittelalters mit ihren systematischen
Programmen einer monumentalen Theologie an".
23 The Golden Haggadah, A Fourteenth Century Illuminated
Hebrew Manuscripts in the British Museum, Einleitung von Bezalel Narkiss,
London 1970, 62.
24 Z.B. das Motiv des Backofens, in den ein Mann Brot
hineinschiebt oder das Motiv der um einen gedeckten Tisch sitzenden
Tischgesellschaft als Randillustration in christlichen Psalterhandschriften,
Stundenbüchern und Brevieren des späten 13. und 14. Jh‘s. Vgl. Lilian M.C.
Randall, Images in the Margins of Gothic Manuscripts, Berkeley 1966, z.B.
Abb. 67 und 74.
25 Z.B. das Suchen und Entfernen des Gesäuerten in der Früh
des 14. Nisan. U.a. in First Cincinatti Haggadah, 4r: Abbildung in: B.
Narkiss (Anm. 10), 130, Plate 45; Jacob Allerhand, in: Judentum im
Mittelalter (Anm. 6), 232.
26 Z.B. die Schüler, die die fünf die Nacht über
diskutierenden Weisen von Bne Braq aufmerksam machen, daß schon die Zeit für das
Morgengebet gekommen sei, z.B. Darmstadt, Hessische Landes- und
Hochschulbibliothek, Cod Or 28, 3v. Felicitas Heimann, Die Illustrationen
in der 2. Darmstädter Pesach Haggada, Kairos 25 (1983), 18-35, bes. 24 (und Abb.
im Abbildungsteil).
27 Ein häufig dargestelltes Motiv ist das Öffnen der Haustür
für den Propheten Elias während des Seder-Rituals, z.B. Washington Haggadah,
19v. Abbildung in: B. Narkiss (Anm. 10), 140, Plate 50.
28 Z.B. in der Vogelkopfhaggada, Jerusalem, Israel Museum
180/57, 47r befindet sich als letztes Bild eine
Darstellung des Stadttores des endzeitlichen Jerusalem, in dem ein Mann mit
Judenhut steht und auf vier
Männer hinunterdeutet, die von unten mit erhobenem Arm hinaufweisen: Mosch
Spitzer (Hsgbr.), The Bird‘s
Head Haggada of the Bezalel National Art Museum in Jerusalem, Jerusalem 1967,
darin: H.L.C. Joffe,
Description of the Illustrations, 33-88, u. Bezalel Narkiss, The
Ikonography of the Illustration , 89-110. In der
Haggada von Sarajevo, S. 32, befindet sich die Darstellung des endzeitlichen
Tempels von Jerusalem, dessen
Tore geöffnet sind und in dem man die Bundeslade und die durch Flügel
angedeuteten Keruben sieht: Cecil
Roth, Die Haggadah von Sarajevo, Leipzig2 1967.
29 Ein vom 15. Jh. bis hin in die gedruckten Pesach-Haggadot
häufig belegtes Motiv ist das Bad des
aussätzigen Pharao im Blute israelitischer Kinder. Z.B. Paris, Bibliotheque
Nationale, Ms hebr l333, 12v,
Abbildung in: Klaus Lohrmann (Hsgbr.), 1000 Jahre österreichisches
Judentum, Eisenstadt 1982 Abb. 88;
Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod hebr 37, 27v, Abbildung in:
Judentum im Mittelalter (Anm.
6), Abb. 22; U. u. K. Schubert (Anm. 10), Abb. 31. Weitere Belege bei:
Kurt Schubert, Das jüdische Element in
der Illustration der Pesach-Haggadot des 17. u. 18. Jahrhunderts (in diesem
Heft, bes. Anm. 34).
30 Das Motiv der Hasen-bzw. Hirschenjagd wurde von den
jüdischen Illustratoren häufig benutzt, um die
Situation des verfolgten Judentums darzustellen, besonders deutlich in der
spanischen Haggada der John
Ryland‘s Library in Manchester, Ms. Heb. 6, fol. 29v. Der den Hasen beißende
schwarz-weiße Hund ist hier
eindeutig eine Anspielung auf die Dominikaner, denn in dieser Weise stellten
sich die die Ketzer verfolgenden
Dominikaner als Domini Canes selbst dar, z.B. in der Kapelle am Chiostro Verde
von Sta. Maria Novella in
Florenz. Abbildung in: B. Narkiss, (Anm. 10), 66, Plate 13. Die
Szene ist wohl auch ein versteckter Hinweis
auf die Inquisition. In allen Darstellungen gelingt es dem gehetzten und oft
auch schon verwundeten Tier,
seinen Verfolgern zu entkommen. Solche Bilder sind somit auch Ausdruck für die
messiamschen Hottnungen
des Judentums.
31 Diese Umkehrung des Motivs der Hasenjagd findet sich in
der Pesach-Haggada der British Library, Add 14761, 30v. Das polemische Element
ist hier besonders deutlich fol 20v, wo sich hinter dem Jäger, der seine Hunde
auf den flüchtenden Hasen hetzt, eine Teufelsgestalt befindet. Abbildung in :
U. u. K. Schubert (Anm. 10), Abb. 46. 47; K. Schubert (Anm. 10), 39
u. Abb. 23. 24.
32 So findet sich im Oscott Psalter, London, British Library,
Add 50.000, 146v zu Ps 97 als Illustration in der Initiale C (antate) eine
Darstellung von drei singenden Mönchen, am unteren Rand derselben Seite das Bild
eines vor einem Notenpult singenden Hahnes, auf den ein Fuchs zuschleicht, um
ihn zu verschlingen. Letzteres ist ein Anspielung auf die Predigt des Odo von
Chariton (gest. 1247) gegen die Schlemmer, die ihre Beichtväter verschlingen
wollen wie der Fuchs den Hahn. Vgl. Laitan M.C. Randall, Exempla as a
Source of Gothic Marginal Illustration, Art Bulletin 39 (1957), 97-107, bes. 105
u. fig. 10.
33 Gabrielle Sed-Rajna, Le Mahzor Enluminé, Leiden 1983.
34 Die Initialwortillustrationen zu den liturgischen
Dichtungen in den Machzorim müssen als jüdische Schöpfungen verstanden werden.
Beispielsweise findet man am Beginn des Jotzergebetes zum ersten Tag von
Schabhu‘ot, da die Gabe der Tora an Israel gefeiert wird, im Dresdner Machzor,
Dresden, Landesbibliothek, A 46a, fol 202v ebenso wie auch in anderen Machzorim
eine Darstellung der Gesetzgebung auf dem Sinai. Eine eigenwillige Wiedergabe
dieses Themas im Laud-Machzor, Oxford, Bodleian Library, Laud Or 321, 127v
verrät den Einfluß der rabbinischen Exegese, da hier als Illustration zu Ex 24,
6-8 in Übereinstimmung mit dem Pentateuchkommentar des Raschi zu Ex 24, 6 Moses
zwei Schüsseln mit Opferblut in seinen beiden Händen hält, während der Bibeltext
nur von einer Schüssel und „der Hälfte des Blutes" der geopferten Stiere
spricht. An dieser Unklarheit setzte Raschi mit seinem Kommentar an. Wenn am
unteren Rand desselben Bildes ein Mann Brot in einen Backofen schiebt, so dürfte
das wohl ein Hinweis auf das Brotopfer sein, das als Erstlingsgabe zu Schabhu‘ot
dargebracht wurde (Lev 23,17). Abbildung in: U.u.KSchubert, (Anm. 10),
Abb. 25. JB. Narkiss (Anm. 10), 94, Plate 27; G Sed-Rajna (Anm.
33), Abb. 39.
35 Leipziger Machzor, Bd. I, 131r. Hier ist als Illustration
zum Jotzer-Gebet am ersten Tag von Schabhu‘ot eine Einführung der Kinder in das
Studium der Tora gezeigt. Die Kinder halten ein Ei und einen runden Fladen in
ihren Händen, ein aschkenasischer Brauch, der die Einführung der Kinder in das
Studium der Tora symbolisiert. Elias Katz, Machsor Lipsiae, 68
Faksimile-Tafeln der mittelalterlichen hebräischen illuminierten Handschrift aus
dem Bestand der Universitäts-Bibliothek Leipzig, Hanau 1964, 21f. In derselben
Einleitung zur Faksimileausgabe des Leipziger Machzor Bezalel Narkiss,
Erläutende Einführung in den Machsor Lipsiae, 31-59, bes. 43f. Abbildung in:
K. Schubert (Anm. 10), Abb. 44.
36 Leipziger Machzor, Bd. I, 51v. Abbildung in U. u. K.
Schubert (Anm. 10), Abb. 19; Joseph Gutmann, Buchmalerei in
hebräischen Handschriften, München 1978, 86, Nr. 24; Stefan Schreiner,
Das Lied der Lieder von Schelomo, mit 32 illuminierten Seiten aus dem Machsor
Lipsiae, Leipzig 1981, Abb. 8. Zum Weiterwirken des Motivs bis in die barocken
Esther-Rollen vgl. Bezahl Narkiss, Kaniel Megillah-Esther Rolle.
Vollständige Faksimile Ausgabe im Originalformat aus dem Besitz von Michael
Kaniel. Kommentar: Michael Kaniel, Bezalel Narkiss, Graz 1984.
37 Bilder-Pentateuch von Moses dal Castellazzo, Venedig 1521;
Vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat des Codex 1164 aus dem Besitz
des Jüdischen Historischen Instituts Warschau, Hrsg. Kurt Schubert, Wien
1986. Einige Bilder in: Kurt Schubert, Midrasch-Exegese in der
Bilderbibel des jüdischen Instituts in Warschau Nr. 1164 aus dem 16Jh., in:
Meqor Hajjim, Festschrift für Georg Molin zum 75.Geburtstag, Graz 1983, 323-336;
Ursula Schubert, Die verschollene Bilderbibel des Moses dal Castellazzo
aufgefunden: Die Gemeinde, Wien, l.Mai 1983, 35f; dies., Angebliche
Pesach-Haggadah von 1480 - Teil einer Bilderbibel von 1520, in: Les Juifs au
regard de l‘histoire, Melanges en l‘honeur de B. Blumenkranz, ed. Gilbert Dahan,
Paris 1985, 263-266; dies., Die einzige Kopie der verschollenen
Bilderbibel des Moses dal Castellazzo entdeckt, in: XXV. Internationaler
Kongress für Kunstgeschichte. CIHA. Wien 4.-10.9.1983, Wien 1985, 95-100, Abb.
33-38.