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Virtuelle Rekonstruktion dreier Synagogen von Max Fleischer in Wien

Bob MARTENS

Wurde bislang vorwiegend über virtuell rekonstruierte Wiener Synagogen von Jakob Gartner berichtet (siehe David 50, 52, 60, 68, 70, 71), so seien an dieser Stelle die vom Architekten Max Fleischer für drei unterschiedliche Standorte in Wien konzipierten Tempelbauten vorgestellt. Anders als Gartner publizierte Fleischer seine Arbeiten auch in facheinschlägigen Medien [siehe Anmerkung 1-4].

Müllnergasse - Blickrichtung Thoraschrein (aus dem Hauptraum

Da in den bisherigen Beiträgen noch nicht auf den städtebaulichen Kontext eingegangen wurde, in dem sich die einzelnen Synagogen befanden, soll diesem nun verstärktes Augenmerk geschenkt werden, denn die jeweilige Lage der einzelnen Tempelbauten innerhalb des stadträumlichen Umfeldes lässt durchwegs interessante Zusammenhänge erkennen. Die Standorte sind nicht gerade als „spektakulär" zu bezeichnen, handelt es sich doch für gewöhnlich um Bauplätze innerhalb einer geschlossen Straßenfront. In manchen Fällen galt es für die Architekten sogar, Hinterhofsituationen zu meistern: Dies lässt die Annahme zu, dass hundert Jahre nach Erlass des Toleranzpatentes behördlicherseits noch immer kein ausreichender „baulicher Spielraum" gewährt wurde, um Synagogen als gänzlich freistehende Sakralbauten errichten zu können.

Neudeggergasse - hofseitige Fassade

In diesem Kontext erscheinen die Architekturzeichnungen als durchwegs beachtenswert [5], denn sie stehen in krassem Gegensatz zur realen Situation. Leopold von Försters Darstellung der Synagoge in der Tempelgasse ähnelt einer „Weitwinkelaufnahme", die auf Grund der umgebenden Bebauung wohl kaum wirklich möglich war. Dies trifft auch bei Max Fleischer für den Standort der Schmalzhofgasse zu. Obgleich in einer Hofsituation umgesetzt, vermitteln die perspektivischen Ansichten die Vorstellung einer Synagoge auf der grünen Wiese. Die Tempelbauten in der Müllner- und Neudeggergasse wiederum nutzen minimale Rücksprünge, um sich in der Straßenfront zu artikulieren. Die Straßenfront blieb dabei jedoch als solche geschlossen; ein wenig zusätzliche Aufmerksamkeit konnte nichtsdestoweniger mittels der seitlich integrierten Turmaufbauten erwirkt werden.

Neudeggergasse - Innenraum

Max Fleischer wurde am 29. März 1841 in Proßnitz (Mähren) geboren. Nach Beendigung der Oberrealschule übersiedelte er nach Wien, wo er mit ausgezeichnetem Erfolg das Fach „Architektur" an der Technischen Hochschule belegte (1859 - 1863/64). Anschließend inskribierte Fleischer an der Akademie der Bildenden Künste in Wien und studierte u.a. bei Eduard van der Nüll, Karl Roesner und Friedrich von Schmidt. Seine Praxis im Zuge der Errichtung der Altlerchenfelder Pfarrkirche bei van der Nüll ist in diesem Zusammenhang ebenso hervorzuheben wie die Beschäftigung im Architektenteam um Roesner, das für den Bau des Arsenals verantwortlich zeichnete. Noch vor Erlangung seines Studienabschlusses wurde Max Fleischer im Atelier Friedrich von Schmidts beschäftigt, wo er bis zur Büroauflösung knapp zwei Jahrzehnte später tätig war. Die hier gemachten Erfahrungen fanden Niederschlag im nachfolgenden eigenen Schaffen, innerhalb dessen der neugotische Stil eine vorrangige Rolle spielte.

Im Zuge seiner selbstständigen Tätigkeit ergab sich für Fleischer die Gelegenheit, sich intensiv mit dem Thema des Synagogenbaus auseinanderzusetzen. Die chronologische Übersicht (geordnet nach Fertigstellungsdaten) macht sein Engagement in Wien und den Kronländern deutlich:

- Schmalzhofgasse in Wien VI (1884)

- Budweis (1888)

- Müllnergasse in Wien IX (1889)

- Krems/Nö. (1895)

- Hohenau/Nö. (1899)

- Neudeggergasse in Wien VIII (1903)

Hinzu kommt der kompakte Synagogenbau innerhalb des Allgemeinen Krankenhauses aus dem Jahre 1903, welcher inzwischen als Gedenkstätte wieder in Stand gesetzt wurde. Alle anderen hier angeführten Bauten wurden und blieben zerstört.

Die Studierenden Georg Niessner und Peter Schilling befassten sich im Rahmen ihrer Diplomarbeit [6] intensiv mit den Wiener Synagogenbauten von Max Fleischer. Diese analytische Auseinandersetzung ergab zum Beispiel, dass der Hofstandort in der Schmalzhofgasse keine direkte Sicht auf den Tempelbau erlaubte, eine unmittelbare Sicht vom Loquaiplatz hingegen möglich war (vor allem auf die teilweise fensterlose Südfassade). Das im Vergleich zu den anderen beiden Synagogenbauten wenig umfangreiche Planmaterial bestand lediglich aus nachgezeichneten Einreichplänen. Die originalen baubehördlichen Unterlagen konnten im Archiv nicht mehr aufgefunden werden. Zur Gestaltung des Innenraums liegen bloß eine Fotografie und eine Zeichnung von Max Fleischer vor. Diese beiden historischen Unterlagen vermitteln einen sehr begrenzten Eindruck von der einst vorhandenen Kassettendecke (sie spannte sich über das gesamte Hauptschiff) bzw. den Gegenständen des Sanktuariums.

Schmalzhofgasse - Blickrichtung Thoraschrein

Grundsätzlich folgte die Synagoge der Grundform einer dreischiffigen Basilika mit einer im Osten angebauten Apsis über der Grundform eines halben Achtecks. Durch den Anbau zweier Kabinette wurden die Seitenschiffe verlängert. Die Bauform entsprach damit primär belichtungstechnischen Erkenntnissen, zumal die Südmauer unmittelbar an die Feuermauer des Nachbargebäudes anschloss. Ohne die realisierte Überhöhung des Mittelschiffes wäre die Ausleuchtung mit natürlichem Licht nur unzureichend gewährleistet gewesen. Darüber hinaus wurde der zentrale Innenraum von einer hoch gezogenen Arkadenzone mit jeweils drei Spitzbögen zum Seitenschiff hin beherrscht. Auf Grund eines eingeschränkten Baubudgets wurde mit dekorativen Elementen sparsam umgegangen.

Eine ähnliche Situation hatte sich auch in der Neudeggergasse ergeben (Auftragsvergabe bereits im Jahre 1897). Die Genehmigung seitens des Stadtrats zog sich hier über sechs Jahre hin. Um der natürlichen Beleuchtung willen wurde auch hier die Basilika-Grundform - mit einem ringsum drei Meter breiten Hof - gewählt. Die Verwendung von Sichtziegeln stellte ebenfalls eine kostengünstige Ausführungsvariante dar. An Hand der archivierten Unterlagen (Einreichplanung und spärliche Fotografien) konnte leider nicht festgestellt werden, ob und inwiefern die angedachte farbliche Bemalung auch tatsächlich ausgeführt wurde. Ebenso konnte die Gestaltung und Ausführung der rückwärtigen Hoffassade in der Neudeggergasse nicht näher eruiert werden. Der vorhandene Längsschnitt bzw. die doppelte Linie in der Grundrissplanung unterstützen aber die Annahmen, welche der Rekonstruktion zu Grunde gelegt wurden.

Schmalzhofgasse - Ansicht der Westfassade

Die Synagoge in der Müllnergasse wurde weitaus rascher realisiert. Die Erschließung erfolgte über die Grünentorgasse 13, was darauf zurückzuführen ist, dass die westliche Orientierung der Müllnergasse ein Betreten aus liturgischen Gründen nicht möglich machte. Daraus erklärt sich auch, warum der nun hofseitig ausgerichteten Fassade soviel Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Daneben fällt auf, dass die Trauf- und Gesimshöhen der Nachbargebäude absichtlich nicht aufgenommen wurden. Die in unmittelbarer Nähe befindliche (freistehende) Servitenkirche findet sich in einer unmittelbaren Blickbeziehung zur Synagoge wieder. Es ist jedenfalls anzunehmen, dass die jüdische Gemeinde in diesem Bezirk über entsprechenden Rückhalt verfügte und wohl auch mit einer höheren Akzeptanz bezüglich der Wahl des Bauplatzes rechnen konnte.

Auf Grund der begrenzten Platzverhältnisse war - wie in der Neudeggergasse - die Ausbildung einer Apsis für die Bundeslade nicht möglich. Es findet sich darum eine reichhaltig ornamentierte Holz-skulptur vor der Ostwand, welche durch eine Es-trade vom Niveau des Hauptschiffs abgehoben ist. Unbeschadet dessen stellt sich eine größere Nähe zu den Gläubigen im Zuge der Liturgie ein. Die auffällige Deckenverkleidung, welche an ihren tiefsten Punkten bis zu 1,8 m in den Innenraum hineinragt, betonte durch die angedeutete Kassettierung die einzelnen Joche und wurde auf die Folge tragender, gusseiserner Stützen abgestimmt.

Neben der vollständigen Auswechslungsplanung (Einreichplanung) standen hier zwei farbige Wandabwicklungen zur Verfügung. Dies kommt nur selten vor, da derartige zeichnerische Leistungen außerhalb des baubehördlichen Verfahrens für gewöhnlich nicht archiviert wurden, doch ist es nicht zuletzt diesem Umstand zu verdanken, dass die virtuelle Rekonstruktion im Innenraum überaus weit vorangetrieben werden konnte.

Anmerkungen

[1] Fleischer, Max: Der isr. Tempel im VI. Bezirke Wiens. Der Bautechniker 4(1884), S. 503-505

[2] Fleischer, Max: Synagoge für den VIII. Bezirk in Wien. Wien, Der Bautechniker, 23(1903), S. 845-848.

[3] Fleischer, Max: Die Synagoge im IX. Bezirk, Wien, Müllnergasse Nr. 21. Der Bautechniker 24(1904), S.841-842.

[4] Bondy, Heinrich: Geschichte des Israelitischen Tempel-Vereines für die beiden Gemeindebezirke Mariahilf u. Neubau und seines Tempels: Denkschrift anlässlich der XXV. Ordentl. General-Versammlung am 3.December 1898 / Hrsg. vom Vorstande des Tempel-Vereines. Wien : Israelitischer Tempel-Verein, 1898, S. 121-129.

[5] Genée, Pierre: Wiener Synagogen 1825-1938. Wien: Löcker Verlag, 1987.

[6] Niessner, Georg; Schilling, Peter: Virtuelle Rekonstruktion dreier Synagogen in Wien von Max Fleischer [Diplomarbeit TU-Wien] Wien, 2004. n

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