Ende Juni fand zum erstenmal in Sibiu-Hermannstadt, der
Europäischen Kulturhauptstadt 2007, ein internationales EuroJudaica-Festival
statt. Unter dem Titel „Jüdische Kunst, Kultur und Tradition" wurden in einem
weitgefächerten Programm vier Tage hindurch Theater, Ballettaufführungen,
Konzerte mit symphonischer und synagogaler Musik, mit Jewish Jazz und Klesmer,
Filmabende, Vorträge, Rundtischgespräche und Buchausstellungen zum Thema
Judentum geboten. Veranstalter waren das rumänische Ministerium für Kultur und
Kultus, vertreten durch Dr. Maria Cajal-Marin, sowie die Föderation Jüdischer
Gemeinden (FCER), deren Präsident, Dr. Aurel Vainer, auch Abgeordneter im
rumänischen Parlament ist. Zu den anwesenden Mitveranstaltern und Ehrengästen
seitens der Föderation gehörten außerdem Oberrabbiner Menachem Hacohen,
Kulturrat Dr.-Ing. José Blum, Vizepräsident DI Paul Schwartz und Generalsekretär
DI Albert Kupferberg.
Die Synagoge in Sibiu-Hermannstadt
Die Stadt am Zibin, in der noch im Jahr 1930 mehrheitlich
deutsche Einwohner, darunter auch 1.309 deutschsprachige Juden lebten, kann auf
eine 600jährige jüdische Präsenz zurückblicken. In einer Urkunde, datiert auf
den 26. August 1481, werden die jüdischen Bürger von Hermannstadt und die
Zeugenaussage eines Einwohners, Jochanan Jannasathar, erwähnt. Dies dürfte der
erste namentlich bekannte Hermannstädter Jude gewesen sein. Eine Reihe späterer
Dokumente verweist dann auf die Anwesenheit jüdischer Kaufleute und Handwerker.
Doch war ihre Anzahl nicht groß, und so hatten sie damals auch keinen eigenen
Rabbiner. In seinem Gesuch vom 2. Juni 1789 an Kaiser Josef II. bat der Rabbiner
von Karlsburg (dem heutigen Alba Iulia), Moses Samuel Perl, um eine Bewilligung,
dass in Hermannstadt das „Bethaus" erhalten bleibe. Das Anliegen wurde durch die
Unterschriften von drei bekannten Adelsleuten und Politikern jener Zeit –
Franciscus Bánffy, Johann Nepomuk Eszterházy und David von Vajna – unterstützt.
Eine kurze Blütezeit erlebte das Hermannstädter Judentum in
der Zwischenkriegszeit, als in Sibiu mehr als 1.300 jüdische Einwohner lebten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg schrumpfte die Zahl der jüdischen Einwohner langsam
auf 762 (1956), dann auf 211 (1966). Heute zählt man nur noch 20 jüdische
Einwohner in Hermannstadt. Während der Diktatur Ceauşescus gab es bekanntlich
den latenten kommunistischen Antisemitismus, der sich auch in der Zerstörung von
jüdischen Kulturdenkmälern manifestierte. Doch dank des mutigen Eintretens des
Stadtarchitekten Otto Czekelius blieb die Synagoge als Gebäude erhalten.
In heurigen Jahr wurde eine prominente Reihe international
bekannter Musiker, Künstler, Kulturwissenschaftler, Kunsthistoriker und
Filmregisseure aus den USA, aus Frankreich, Belgien, Deutschland, Israel,
Ungarn, Mazedonien, Serbien, Moldawien, der Slowakei sowie aus Bukarest, Braşov
(Kronstadt), Cluj-Napoca (Klausenburg) und Iaşi (Jassy) in die Kulturhauptstadt
eingeladen.
Neben mehreren thematisch weitgefächerten Kunstausstellungen
– „Das Jüdische Wien", „Synagogen in Rumänien", „Berühmte Meisterwerke aus der
Sammlung der FCER, Bukarest", „Die rumänische Avantgarde", deren Initiatoren,
Marcel Janco, Tristan Tzara, Arthur Segal, Victor Brauner und Maximilian Herman
Maxy waren – sowie einer Buchausstellung, wo Neuerscheinungen des jüdischen
Hasefer Verlags, Bukarest, in rumänischer, englischer und deutscher Sprache
auflagen, gab es gleich am ersten Tag ein musikalisches Highlight. Die
weltbekannte amerikanische Pianistin Lory Wallfisch (New York) interpretierte
vor einem zahlreichen und begeisterten Publikum, zusammen mit Dan Mizrahi
(Bukarest) Klavierstücke von Mozart, Schumann, Mendelssohn und Gershwin. Beide
Klaviervirtuosen, obwohl über achtzig, faszinierten durch ihr jugendlich
wirkendes, meisterhaftes Spiel. Lory Wallfisch war 1946 von Yehudi Menuhin
entdeckt worden, der ihr damals zur Ausreise aus Bukarest in die USA verhalf, wo
sie ihre internationale Karriere begann.
2. Szene aus dem Musical „Menachem Mendel, der Geschäftsmann"
von Scholem Alejchem, mit Leonie Waldmann-Eliad
Am ersten Tag gab es noch drei weitere Konzerte, so in der
Philharmonie, wo die berühmte, in Frankreich lebende Violonistin Silvia
Marcovici, begleitet vom Pianisten Aimo Pagin (Straßburg), Sonaten von
Beethoven, Bloch und Grieg interpretierte. Am Hauptplatz von Hermannstadt, am
Großen Ring, traten die international bekannten Klesmerformationen „Pressburger
Klezmer Band" (Bratislava), "Pannonia Klezmer Band" (Budapest), „Slava Farber
Band" (Kischinev) sowie die rumänische „Hakeshet Klezmer Band"
(Oradea/Großwardein) in einem Open-Air-Konzert auf. Danach tanzte im
Nationaltheater „Radu Stanca" das israelische Ballettensemble „Kolben Dance
Group" (Tel Aviv) zur Musik der „Vier Jahreszeiten" von Antonio Vivaldi.
Insgesamt umfasste das fünftägige Programm 57 verschiedene
Veranstaltungen, die im Hermannstädter Staatstheater, in der Philharmonie, im
Senatssaal und in der Aula der Universität „Lucian Blaga" und in anderen
Räumlichkeiten stattfanden. Dieses grenzenüberschreitende Projekt hatten die
drei engagierten Organisatoren – Festival-Direktor Edi Kupferberg und die beiden
Kulturmanagerinnen Dr. Irina Cajal-Marin und Mirela Asman – in unermüdlichem
Einsatz in nur sechs Monaten vorbereitet und auf die Beine gestellt. Es ist
nicht möglich, auf alle Ereignisse dieser EuroJudaica-Kulturtage – die
bedeutendsten, die bisher in einem osteuropäischen Land stattgefunden haben – im
einzelnen einzugehen, doch sollte hier auf einige besondere Höhepunkte
hingewiesen werden.
So fand in jenen Tagen die Weltpremiere des Stückes „Vom Berg
Sinai zum Berg der Venus" mit der Hollywood-Schauspielerin Maia Morgenstern
(Regie: Alexander Hausvater), ein Sprech- und Musikstück des amerikanischen
Komponisten A. G. Weinberger (Las Vegas) statt. Das Bukarester Jüdische
Staatstheater führte das Erfolgsmusical von Harry Eliad, „Roman eines
Geschäftsmannes" (nach Scholem Alejchem), auf, und in der neurenovierten
prachtvollen Synagoge, die 1898 erbaut worden war, traten Chöre und Kantoren aus
Belgrad und Skopje mit alten sephardischen Gesängen auf.
Die meisten Vorträge zu Kultur, Kunst und Traditionen des
Judentums wurden in rumänischer Sprache gehalten, doch gab es auch
Veranstaltungen in englischer und französischer Sprache – so die Vorträge von
bekannten Wissenschaftlern aus Israel, wie Prof. Shalom Sabar, Prof. Jom Tow
Asis, Prof. Moshe Idel und Prof. Ariela Aman von der Hebräischen Universität
Jerusalem, Prof. Carol Jancou von der Universität Montpelier, das Einmannstück
von Adolphe Nysenholc (Brüssel) u.a.; und selbst der Oberrabbiner Rumäniens,
Herr Dr. Menachem Hacohen, sprach zweimal in der Aula der Universität auf
Englisch zu religionsphilosophischen Themen. Als einziger Gast aus einem
deutschsprachigen Land war der Kunsthistoriker Dr. Claus Stephani (München)
eingeladen worden. Sein Vortrag im Senatssaal der Universität, den er in
rumänischer Sprache hielt, trug den Titel: „Der Beitrag des Judentums zur
Entwicklung der modernen Kunst in Europa".
Besonders aufschlussreich waren dann die Podiumsdiskussionen
zwischen den Religionswissenschaftlern Prof. Andrei Marga (Cluj-Napoca/Klausenburg)
und Prof. Moshe Idel (Jerusalem) über die „Gemeinsamkeiten von Christen und
Juden" sowie zwischen den beiden renommierten Kulturwissenschaftlern, den
Akademiemitgliedern Prof. Solomon Marcus und Prof. Ion Ianoşi, die, moderiert
von Prof. Leon Volovici, ebenfalls in der Universität geführt wurden. Dabei ging
es diesmal um das gelebte und erlebte, bzw. um das traditionelle und moderne
Judentum. Während Prof. Marcus in der moldauischen Stadt Bacău geboren und
traditionsgeprägt erzogen wurde, stammt Prof. Ianoşi aus dem siebenbürgischen
Braşov/Kronstadt und aus einer liberal orientierten Familie. Er wuchs nach dem
Ersten Weltkrieg zweisprachig, d.h. ungarisch und deutsch, auf. Kronstadt sei
damals, so der heute über Achtzigjährige, „immer noch eine österreichische, das
heißt siebenbürgisch-deutsch und ungarisch geprägte Stadt" gewesen, zu deren
bedeutendsten Söhnen auch eine Reihe von Juden gehören, so Gyula Brassai, der
später unter dem Namen Jules Brassai als Pablo Picassos Freund und Photograph
berühmt wurde, und der in London lebende Pianist Radu Lupu.
Prof. Ianoşi betonte auch, dass es bis zur unheilvollen Nazi-Ära und den
Aktionen der faschistoiden DVR („Deutsche Volksgruppe in Rumänien") „ein relativ
friedliches Zusammenleben" gegeben habe. Viele jüdische Kinder besuchten einst
das deutsche Honterus-Gymnasium, eine „Stätte der kulturellen Begegnung". Aus
dem rumänisch verwalteten Südsiebenbürgen wurden – im Unterschied zu
Nordsiebenbürgen, das 1940-1944 zu Horthy-Ungarn gehörte, zur Bukowina, zu
Moldau und Bessarabien – keine systematischen Deportationen nach Transnistrien
durchgeführt. Die internationalen EuroJudaica-Tage in Sibiu/Hermannstadt
stellten mit ihren prominenten Gästen aus elf Ländern einen Höhepunkt der
bisherigen Veranstaltungen und eine besondere Begegnung mit dem Judentum dar.
Sie ermöglichten ein vielfältiges Erinnern an die einst kulturprägende jüdische
Präsenz in diesem Land und in dieser siebenbürgischen Stadt und eine Wiederkehr
– wenn auch nur für einige Tage, doch mit bleibendem Eindruck und
unvergesslichem Nachklang. Dazu haben maßgeblich auch die traditionelle
Gastfreundschaft und die nach Europa hin orientierte Offenheit der Stadtleitung
sowie das große Interesse für jüdische Kunst und Kultur der heute meist
rumänischen Einwohner beigetragen.
n