Chanukka, das Fest, das Jahrhunderte lang eher ein
Nischendasein im jüdischen Festtagskalender geführt hatte, wurde in der
zionistischen Bewegung bereits im 19. Jahrhundert zu einem Symbol nationaler
Befreiung. Theodor Herzl (1860-1904) prophezeite: „Die Makkabäer werden wieder
aufstehen." (Theodor Herzl, „Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen", Altneuland /
Der Judenstaat, Königstein im Taunus 1985, S.250)
In Wien wurde am 20. Dezember 1883 die erste zionistische Makkabäerfeier durch
die Studentenverbindung „Kadima" ins Leben gerufen. In den zionistischen
Jugendbewegungen in Österreich und Deutschland wurde durch ihre Chanukka-Feiern
als „Chag ha-Makkabim" (Fest der Makkabäer) oder „Chag ha-Chaschmonaim" (Fest
der Hasmonäer) ein bewusster Kontrapunkt gegen die seltsame Verschmelzung von
Weihnachten und Chanukka als „Weihnukka" der assimilierten jüdischen
Bürgerhäuser gesetzt. So erinnert sich der Kabbala-Forscher Gershom Scholem an
diese Zeit in Berlin:
„Bei meinem Onkel wurde Weihnachten natürlich nicht
gefeiert, dafür aber das jüdische Lichterfest Chanukka, aus dem die Kirche
das Weihnachtsfest entlehnt hat. Das Fest, das seinen Ursprung dem Sieg der
Makkabäer im Aufstand gegen die Hellenisierungsversuche des Königs von
Syrien (also gegen »Assimila-tion« !) und der Reinigung des Tempels in
Jerusalem von helleni-stischen Götterbildern verdankte, wurde von der
Zionistischen Bewegung erst richtig hochgespielt - als seien die Makkabäer
zio-nistische Pioniere gewesen. Am Weihnachtsabend fand damals zugunsten der
vielen ledigen jungen Männer und Mädchen, die die Weihnachtsfeiern ihrer
Eltern nicht mitmachen wollten, der große Makkabäerball statt, eine
sonderbare Erfindung, gegen die die Makkabäer wie gegen so manches, was
später in ihrem Namen praktiziert wurde, wohl einiges zu sagen gehabt
hätten. Als ich in den Kriegsjahren einmal Chanukka zu meinem Onkel kam und
die Töchter fragte, woher sie denn all die schönen Geschenke bekommen
hätten, sagten sie: das hat uns der liebe Chanukkamann gebracht- ein Ersatz
für den christlichen Weihnachtsmann. Der Onkel erschien auch stets zu
Chanukka, obwohl die Cha-nukkalichter bei uns nicht entzündet und das dabei
fällige, sehr populäre hebräische Lied »Maos Zur« nicht gesungen wurde, und
brachte, ironisch genug, meinen Eltern und uns je ein Paket Pfefferkuchen
mit und statt der beliebten Weihnachtsstolle ein geflochtenes und
mohnbestreutes Sabbatbrot." (Gershom Scholem, Von Berlin nach Jerusalem,
erweiterte Ausgabe, Frankfurt a. M. 1994, S.32-33)
Sehr seltsam wurde die zionistische Vermischung mit den
historischen Makkabäern zur Zeit des 1. Weltkrieges. Von den ca. 550.000
deutschen Juden kämpften 100.000 Juden in der deutschen Armee. Das Verhalten der
zionistischen Juden im 1. Weltkrieg zeigte die Besonderheit des deutschen
„Nationaljudentums". Die „Zionistische Vereinigung für Deutschland"
unterzeichnete am 7. August 1914 zusammen mit dem „Reichsverein der Deutschen
Juden" folgenden Aufruf, in dem sie sich nicht gescheut haben, Teile des Gebetes
„Höre Israel" mit einzubeziehen. Er erschien am 7. August 1914 in der „Jüdischen
Rundschau", dem zentralen Organ der Zionistischen Vereinigung Deutschlands
(erschien von 1902-1938):
„Deutsche Juden! In dieser Stunde gilt es für uns aufs
Neue zu zeigen, dass wir stammesstolzen Juden zu den besten Söhnen des
Vaterlandes gehören. Der Adel unserer vieltausendjährigen Geschichte
verpflichtet. Wir erwarten, dass unsere Jugend freudigen Herzens freiwillig
zu den Fahnen eilt. Deutsche Juden! Wir rufen Euch auf, im Sinne des alten
jüdischen Pflichtgebots mit ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzem Vermögen
Euch dem Dienste des Vaterlandes hinzugeben." Das Präsidium des Kartells
Jüdischer Verbindungen und der Ausschuss der Jüdischen Turnerschaft
ergänzte: „Wir vertrauen, dass unsere Jugend, durch die Pflege jüdischen
Bewusstseins und körperliche Ausbildung in idealer Gesinnung und Mannesmut
erstarkt, sich in allen kriegerischen Tugenden auszeichnen wird." (9.
Jahrgang, Nr. 32, S.343)
Heinrich Loewe (1869-1951), der Herausgeber der „Jüdischen
Rundschau", schrieb ebenfalls in diesem Heft unter dem Titel „Feinde ringsum":
„Wir Juden, wir Zionisten, die wir in den Zeiten des
Friedens uns scheuten, mit Patriotismus zu prunken, die wir allen Nachdruck
auf unser Judentum legten, das der Betonung mehr bedurfte als unsere
selbstverständliche Treue zum deutschen Vaterlande, wir werden heute als
deutsche Bürger freudig alle Forderungen an Hab und Gut, an Leben und Blut
erfüllen [...] Alle unsere jungen Hasmonäer und V.J.St.er, alle Bar-Kochbaner
und Makkabäer stehen bereits in den Reihen der Kriegsfreiwilligen [...] Wir
wissen aber auch, dass der Sieg des Moskowitertums jüdische und zionistische
Hoffnungen und Arbeit vernichtet [...]Wir wissen, dass unser Inter-esse wie
im Frieden so noch mehr jetzt in dem wilden Weltkriege ausschließ-lich auf
deutscher Seite liegt. Denn auf deutscher Seite ist Fortschritt, Frei-heit
und Kultur. Uns gegenüber stehen härteste Tyrannei, blutigste Grausam-keit
und finsterste Reaktion. Als Juden haben wir mit den Barbaren des Ostens
noch eine besondere Rechnung zu begleichen. Das Blut der Juden, ihrer
Märtyrer und Glaubens-helden, dampft seit Jahrhunderten vom russischen Boden
zum Himmel em-por [...] Wenn wir als Bürger unseres Vaterlandes kämpfen, so
leuchtet uns die Tapferkeit unserer Ahnen, der Todesmut der Makkabäer, der
Riesenkampf eines Bar-Kochba und der Heldentod Hunderttausender unseres
Volkes in allen Zeiten als glorreiches Beispiel voran! Wir werden siegen.
Wir haben das Vertrauen zu dem deutschen Kaiser, dass er uns richtig führt!"
(9. Jahrgang, Nr. 32, S.343-344)
Der große Denker Martin Buber scheute sich 1914 nicht, bei
einer zionistischen Chanukka-Feier den 1. Weltkrieg als eine befreiende
Erfahrung zu bezeichnen. Sie hätte eine Verwandtschaft mit dem Krieg der
Makkabäer. Die Rede erschien am 1. Januar 1915 in der „Jüdischen Rundschau"
unter dem Titel „Die Tempelweihe".
Andere kriegsbegeisterte deutsche Zionisten wie Heinrich
Margulies veröffentlichten in der „Jüdischen Rundschau" Artikel mit zündenden
Überschriften wie „Der Krieg und die Zurückgebliebenen" oder „Wir und der
Krieg". Im Heft vom 8.1.1915 wurde ein Gedicht des gefallenen Hugo Zuckerman mit
dem Titel „Makkabäer 5675" veröffentlicht:
„Heute darf ich den Genossen Makkabäerlieder sagen, weil ich
selbst ein Schwert getragen und mein rotes Blut vergossen." Das patriotische
Gedicht endet mit dem Aufruf „Macht den Tempel wieder rein. Laßt uns Makkabäer
sein!"
Gershom Scholem schrieb einen wütenden Brief an die
Redaktion, der von 15 Mitgliedern der kleinen zionistischen Vereinigung „Jung-Juda"
unterzeichnet war, die den Krieg radikal ablehnte. Dieser Leserbrief wurde nie
angedruckt. Aber der Präsident der Zionistischen Vereinigung Deutschlands,
Arthur Hantke, ließ Scholem und zwei weitere Unterzeichnete zu sich bestellen.
Hantke befürchtete, dass wenn dieser Brief veröffentlicht würde, die
Zionistische Vereinigung in Deutschland wegen unpatriotischer Äußerungen
verboten würde.
Das Podium der Kriegsgegnerschaft der „Jung-Juda" wurde die
Zeitung die „Blauweiße Brille", die Scholem zusammen mit seinem Freund Erich
Brauer herausgab. Von 1915 bis 1916 sind insgesamt nur drei Hefte erschienen.
Das Erschütternde für Zionisten wie Scholem oder Brauer war die Tatsache, dass
an der Westfront deutsche und französische Juden einander in den Schützengräben
bekämpften. Paradoxerweise hofften gleichzeitig deutsche zionistische Juden
durch den Sieg über Russland die Ost-Juden von der zaristischen Unterdrückung zu
befreien, wie man dies auch an Berichten in der „Jüdischen Rundschau"
feststellen kann. Anhand zahlreicher zionistischer Artikel, Gedichte und Reden
aus dieser Zeit des 1. Weltkrieges kann man sehen, wie oft dabei Chanukka und
der Kampf der Makkabäer symbolisch herangezogen wurde. Trotzdem blieben auch
diese deutsch-patriotischen Zionisten nicht vom Antisemitismus verschont. Am 1.
November 1916 wurde die vom Preußischen Kriegsministerium angeordnete
„Judenzählung" durchgeführt. Als man dabei aber feststellte, dass die Anzahl der
jüdischen Frontsoldaten zu den sogenannten „Drückebergern" höher als bei den
Christen war, wurde diese Statistik nicht mehr veröffentlicht. 1922
veröffentlichte Franz Oppenheimer in München „Die Judenstatistik des Preußischen
Kriegsministeriums", worin er zeigte, dass von den 100.000 deutschen Juden im
Krieg 78.000 an der Front gekämpft hatten. Er bewies damit, dass die
„Judenzählung" mit völlig unhaltbaren Methoden durchgeführt worden ist.