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Dr. Egon Ranshofen-Wertheimer: Diplomat, Journalist, Nazigegner und verlorener Sohn Österreichs

Lydia LADURNER

„Während des zweiten großen Krieges lebte ich in Amerika. Die Heimat war damals unendlich fern. Geheimnisvoll und beunruhigend lag sie hinter undurchdringlichen Schleiern. Bang fragte ich mich immer wieder, ob ich sie jemals wieder sehen würde […]", Egon Ranshofen-Wertheimer, Die Heimkehr (1946), in: Stillere Heimat, Linz 1954.

Den Schwerpunkt der 16. Braunauer Zeitgeschichte-Tage, welche heuer vom 28. bis 30. September 2007 unter dem Titel Peacemakers Manual stattfanden, bildete das Leben und Wirken von Dr. Egon Ranshofen-Wertheimer- einem mittlerweile in Vergessenheit geratenen Österreicher mit jüdischen Wurzeln, der im Exil in den USA im Kampf gegen Adolf Hitler und das Naziregime insbesondere durch seine journalistische Tätigkeit einen großen Einfluss ausübte. Zeit seines Lebens setzte sich Wertheimer als hoher Beamter des Völkerbundes und später der Vereinten Nationen für den globalen Frieden ein, und kämpfte unermüdlich für die Befreiung Österreichs und später für die Unabhängigkeit seines Heimatlandes. Trotz seiner weltpolitischen Rolle und seiner hohen Verdienste, die sich Egon Ranshofen-Wertheimer um sein Vaterland erworben hat, hat ihn das offizielle Österreich 50 Jahre nach seinem Tod längst vergessen. Aus diesem Grund versuchten der Verein für Zeitgeschichte sowie die Stadt Braunau mit dem diesjährigen Kongressschwerpunkt, die Person Dr. Egon Ranshofen-Wertheimer wieder in das Bewusstsein der österreichischen Öffentlichkeit zu rücken.

Glückliche Jugendjahre im Innviertel und Ausbildung

Egon Wertheimer erblickte am 4. September 1894 in Ranshofen bei Braunau am Inn/OÖ als Sohn des katholischen Guts- und Schlossbesitzers Julius Wertheimer das Licht der Welt. Auf seinen Geburtsort war Wertheimer Zeit seines Lebens stolz und stellte dessen Namen später im amerikanischen Exil, wo er oft von Heimweh geplagt wurde, dem seinen voran. Er wuchs in einem sehr liberalen und politisierten Umfeld auf, besuchte das akademische Gymnasium in Salzburg und studierte anschließend Rechts- und Staatswissenschaft sowie Geschichte an den Universitäten Wien, Zürich, München und Heidelberg. Wie viele andere junge Menschen wurde Wertheimer von der damaligen patriotischen Begeisterung angesteckt und trat im Oktober 1914 als Einjährig-Freiwilliger ins Heer ein. Für sein „tapferes Verhalten im Fronteinsatz" erhielt er unter anderem die Silberne Tapferkeitsmedaille sowie das Militärverdienstkreuz1. Danach setzte er seine Studien fort und schloss diese im Jahre 1921 mit der Auszeichnung „Summa cum Laude" ab.

Bereits als Student konnte sich Wertheimer für die Ziele und Grundwerte der Sozialdemokratie begeistern und entdeckte zudem seine Liebe zum Journalismus. Später, als frischgebackener Akademiker, arbeitet er zunächst für drei Jahre als außenpolitischer Redakteur in Hamburg und anschließend bis 1930 als Auslandskorrespondent für die sozialdemokratische Zeitung Vorwärts und die im Jahre 1889 als sozialistisches Zentralorgan Österreichs gegründete Wiener Arbeiterzeitung in London. In der britischen Hauptstadt brachte Egon Wertheimer auch sein erstes Buch mit dem Titel Das Antlitz der britischen Arbeiterpartei (1929) heraus, welches nicht nur zu einem Bestseller avancierte, sondern auch die Aufmerksamkeit führender Politiker der britischen Labour-Regierung und des Premierministers James Ramsay McDonald auf sich zog. Diese verschafften dem politisch hoch motivierten Korrespondenten Wertheimer einen Posten als Diplomat und Abteilungsleiter beim Sekretariat des Völkerbundes in Genf.

Flucht vor den Nazis und publizistisches Trommelfeuer

Egon Wertheimers Familie hatte jüdische Vorfahren, weshalb diese im Jahre 1938 angesichts des immer bedrohlicheren Naziterrors zur Flucht in die USA gezwungen war. Wertheimer hatte sich jedoch schon zum Zeitpunkt der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland Anfang 1933 immer öfter Angriffen der deutschen Presse ausgesetzt gesehen. Zu Beginn des Jahres 1939 wollte er noch den Völkerbund davon überzeugen, dass der Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich als Verbrechen gegen das Völkerrecht eingestuft werden sollte. Zudem versuchte er gemeinsam mit Otto Habsburg, eine österreichische Exilregierung gegen das Dritte Reich auf die Beine zu stellen. Beide Versuche scheiterten, und Egon Wertheimer musste tatenlos zusehen, wie die USA, Großbritannien und Frankreich dem „Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich kaum nennenswerten Widerstand entgegensetzten1. Das Eigentum der Familie wurde von der NSDAP beschlagnahmt, und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht an die Familie Wertheimer, sondern an die Stadtgemeinde Braunau übergeben. Als Universitätsprofessor an der American University in Washington, Forscher bei der Carnegie Endowment- Friedensstiftung und Konsulent des State Departments unterstütze Wertheimer die US-Regierung unter Präsident Franklin D. Roosevelt ab 1940 strategisch im Kampf gegen Hitler-Deutschland, indem er viele Hintergrundinformationen über das nationalsozialistische Regime und Hitlers Heimatregion als eine der Brutstätten des Nationalsozialismus preisgab.

Aber auch auf journalistischem Wege (u.a. in der New York Times und der Washington Post) versuchte er gemeinsam mit dem ebenfalls aus politischen Gründen aus Österreich geflohenen Salzburger Journalisten und Ökonom Leopold Kohr massiv gegen das nationalsozialistische Regime vorzugehen und für die Eigenständigkeit Österreichs zu werben. Bis in die Fünfziger Jahre erschienen in den USA und in Kanada unzählige Artikel und Leserbriefe. Zudem engagierte sich das Duo gegen die Benachteiligung von österreichischen Flüchtlingen in Nordamerika. In Beiträgen kritisieren sie die US-Regierung, geflüchtete und vertriebene Österreicher in den USA in vielen Fällen wie Feinde aus Deutschland zu behandeln. In den USA herrschte zu diesem Zeitpunkt die Meinung, die Österreicher seien mehrheitlich fanatische Nationalsozialisten. Diesem Bild, wesentlich beeinflusst durch das Jubelszenario auf dem Wiener Heldenplatz im März 1938, traten Wertheimer und Kohr entschieden entgegen und versuchten, in den USA ein für Österreich günstigeres Bild zu erzeugen. Daneben fordern sie das Weiße Haus immer wieder auf, nach Kriegsende eine Rückgabe Südtirols an Österreich durchzusetzen und verteidigten die Haltung jener Südtiroler, die auf der Flucht vor Mussolinis Faschisten ins Deutsche Reich ausgewandert waren2.

Nach Kriegsende war Wertheimer als einziger Österreicher unter den Mitbegründern der Vereinten Nationen zu finden. Sein Werk The International Secretariat-A Great Experiment in International Administration (1945), in welchem er kritisch den Aufbau und das Scheitern des Völkerbundes analysierte, kann zu Recht als ein wichtiges wissenschaftliches Grundlagendokument der Weltorganisation angesehen werden. Von 1946 bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1955 arbeitete Egon Wertheimer anschließend für die Vereinten Nationen als Hochkommissar für die Krisenherde Korea, Somaliland und Eritrea und stand bis 1957 der österreichischen UN-Vertretung in New York als Berater zur Verfügung. Am 27. Dezember 1957 erlag Egon Wertheimer vor seinem Rückflug nach Wien auf dem Flughafen in New York einem Herzinfarkt. Sein Leichnam wurde anschließend nach Österreich überführt und am 10. Januar 1958 auf dem Friedhof von Schloss Ranshofen bei Braunau am Inn im Grab seiner Familie beigesetzt. Ab diesem Zeitpunkt geriet Wertheimer in Vergessenheit.

Österreichs vergessener Schutzpatron

Während seiner gesamten Zeit im amerikanischen Exil hatte sich Egon Ranshofen-Wertheimer für die Befreiung Österreichs von der nationalsozialistischen Terrorherrschaft und später für die Unabhängigkeit seines Heimatlandes eingesetzt. So hat Österreich seine rasche Aufnahme in die Vereinten Nationen im Jahre 1955 zu einem großen Teil dem unermüdlichen Engagement Wertheimers zu verdanken. Trotz dieses hohen Verdienstes und seiner weltpolitischen Rolle haben ihn die politischen Eliten 50 Jahre nach seinem Tod nahezu vergessen. In keinem Schulbuch und keiner staatlichen Chronik Österreichs finden sich fundierte Aufzeichnungen über Wertheimer. Bis zu seinem Tod träumte dieser davon, in seiner alten Heimat Österreich als „Elder Statesman" in der politischen Szene mitzuwirken und seine Erfahrungen und weltweiten Kontakte der Zweiten Republik zur Verfügung zu stellen, was ihm jedoch bis zuletzt verwehrt blieb.

Erinnerung an den Braunauer Pionier

Dennoch hat es Egon Ranshofen-Wertheimer verdient, in den Annalen seiner Heimat Österreich, für die er sich als Patriot in seiner Zeit im Exil beständig eingesetzt hat, verzeichnet zu sein. Mit seiner Würdigung im Zuge der Zeitgeschichte-Tage 2007 in Braunau- jener Stadt, welche sich als Herkunftsort von zwei so unterschiedlichen Menschen, Egon Ranshofen-Wertheimer und Adolf Hitler, einen historischen Namen gemacht hat, wurde zumindest ein erstes Zeichen gesetzt. Erstmals würdigten auch Vertreter der österreichischen Regierung das Leben und Werk des gebürtigen Innviertlers. Zudem wurde zu seinem Andenken vom Verein für Zeitgeschichte der Egon Ranshofen-Wertheimer-Preis (ERWP) 2007 ins Leben gerufen. Er wird künftig jedes Jahr an Menschen vergeben, die sich Verdienste um Österreichs positives Ansehen im Ausland erworben haben.

Wenig Bekanntes bekannter machen

Seit 1993 ist der Verein für Zeitgeschichte in Braunau am Inn/OÖ mit dem Ziel aktiv, das Geschichtsbewusstsein zu heben und historisch weniger Bekanntes publik machen. Mittlerweile beschäftigt der Verein rund 20 ehrenamtliche Mitarbeiter. Aktivitäten wie die Braunauer Zeitgeschichte-Tage, welche der Verein seit 1993 jeweils Ende September veranstaltet, bilden dabei den alljährlichen Höhepunkt der Vereinstätigkeit. Nach Tagungen über „Vergangenheitsbewältigung", Widerstand in Diktaturen und andere zeitgeschichtliche Themen stand 2007 das Leben und Wirken von Dr. Egon Ranshofen-Wertheimer im Mittelpunkt. Nähere Informationen zum Verein auf http://www.hrb.at/bzt/doc/verein.html

Ausgesuchte weiterführende Lektüre zu Egon Ranshofen-Wertheimer

Wertheimer, Egon: Das Antlitz der britischen Arbeiterpartei, Verlag J.H.W. Dietz Nachf. Berlin 1929.

Ranshofen-Wertheimer, Egon: Victory is Not Enough. The Strategy For a Lasting Peace, W.W. Norton & Company Publishers, New York 1942.

Ranshofen-Wertheimer, Egon: The International Secretariat-A Great Experiment in International Adiministration, Carnegie Endowment for International Peace, Washington 1945.

Österreicher im Exil USA 1938-1945. Eine Dokumentation, Hg. v. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Band 1 und 2, Österreichischer Bundesverlag, Wien 1995. Egon Ranshofen-Wertheimer: Dokumente, Archiv- und Recherchedatenbank von Tamara und Manfred Rachbauer, auf: http://www.hrb.at/bzt/doc/zgt/b16/literatur/Egon_Ranshofen-Wertheimer-Dokumente.pdf

Anmerkungen

1 Egon Ranshofen-Wertheimer: Dokumente, Archiv- und Recherchedatenbank von Tamara und Manfred

Rachbauer, auf: http://www.hrb.at/bzt/doc/zgt/b16/literatur/Egon_Ranshofen-Wertheimer-Dokumente.pdf,

S. 37.

2 Lehner, Gerald: Egon Ranshofen-Wertheimer und Leopold Kohr: Mit der Washington Post gegen die Nazis,

Dokumentationarchiv des österreichischen Widerstandes, Jahrbuch, Wien 1995, S. 62-75.

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