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"Und was wird es
mit den Jarays sein?"

Zum 60. Todestag des Architekten Karl Jaray (1878-1947)

Thomas SOXBERGER

Im Sommer 2006 erwarb ich antiquarisch ein Bündel Briefe und andere Dokumente aus dem Nachlass eines österreichischen Architekten namens Ing. Karl Salvator Alois Brandner (11.3.1902 Wien – 10.11. 1969 Wien), Assistent an der Technischen Hochschule Wien und, wie sich zeigte, ab 1929 auch als freier Mitarbeiter im Wiener Architekturbüro eines gewissen Prof. Karl Jaray tätig.1 Einige Briefe im „Konvolut Brandner" (weiter: KB) geben Aufschluss über die Tätigkeit Jarays, vor allem zu dessen Emigration bzw. Flucht mit seiner Familie aus Wien im März 1938.

Prof. Dr. tech. Karl Jaray
(c) Hansi Inderbitzin

Karl Jaray gehörte zwar zum engsten Kreis um Karl Kraus in dessen letztem Lebensjahrzehnt, über seine Biographie war aber lange Zeit wenig oder im Detail Fehlerhaftes bekannt.2 Oft wurde er mit seinem Cousin, dem Innenarchitekten Karl Hans Jaray (1872-1944) verwechselt.3 Erst seit Mitte 2007 steht über das Online-Lexikon des Architekturzentrums Wien „Architektenlexikon Wien 1880-1945" ein akribisch recherchierter biographischer Artikel zu Karl Jaray zur Verfügung.4 Sechzig Jahre nach seinem Tod ist es angezeigt, Jarays Rolle als Mäzen wie als Vermittler zwischen der österreichischen und tschechischen Architektur zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu würdigen.

Die Geschichte der Familie Jaray lässt sich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zu der in Temesvár ansässigen jüdischen Familie Jeitteles zurückverfolgen. Ihr entstammten die drei Brüder Sigmund (1838-1908), Alexander (Sándor, 1845-1916) und Adolf (1846-1939), die den madjarisierten Familiennamen Járay trugen. Sándor Járay dürfte als erster um 1870 nach Wien gelangt sein und war als Vergolder erfolgreich. Nach ihm etablierten sich seine beiden Brüder Sigmund und Adolf in Wien. Sigmund brachte es bis zu einer Möbelfabrik. Unter den Nachkommen der drei Brüder findet sich eine Anzahl bemerkenswerter Persönlichkeiten in den Bereichen Wissenschaft, Architektur und Kunst.5

Architekt Prof. Dr. tech. Karl Jaray

Karl Jaray, geboren am 14. 3. 1878, war das zweite von fünf Kindern aus der Ehe von Adolf Jaray mit Therese Schönberg (geboren 1850 in Budapest, gestorben 1934 in Wien), die alle in Wien geboren wurden.6

Karl Jaray war in erster Linie ein Prager Architekt. Die Kunsthistorikerin Iris Meder ordnet ihn dem Loos-Kreis zu und sieht seine Bauten „einem ruhigen Neoklassizismus verpflichtet".7 Er studierte an der Technischen Hochschule Wien Architektur und war auch vorübergehend als Architekt tätig. Ab 1901 lehrte er an der Technischen Universität Prag, zuerst als Assistent, dann Dozent und ab 1908 a. o. Professor. Seine Spezialgebiete waren Gebäudekunde und Hochbau mit Schwerpunkt Eisenbetonbau, über den er auch publizierte.8

1905 heiratete Jaray die Wienerin Margarete Hirsch (1875-1942), das Ehepaar hatte drei Kinder: Maria (1907-1948), Rudolf (1909-2001), Karl (1919-41). Bis 1925 lehrte er als Professor an der Prager Deutschen Technischen Hochschule. 1925 gab er diese Stelle auf, die Angabe, er sei „in den Ruhestand" getreten, ist aber irreführend, sie bezieht sich auf die Aufgabe der Lehrverpflichtungen. Jaray war in Wien weiter außerordentlich aktiv, sowohl als Architekt wie auch als Mäzen und in ehrenamtlichen Engagements.

1925 baute er in Wien für seine Familie ein Haus in der Langackergasse, damals noch eine Straße, die durch Grinzinger Weingärten führte. Die Adresse „Langackergasse 22, XIX. Wien" findet sich auch im Briefkopf seiner Korrespondenz und ist Sitz seines Architektenbüros. Das mit seinem Fußwalmdach recht auffällige Haus in der Langackergasse steht noch heute im Wesentlichen unverändert.

„Die ungeheure Macht des Geistes"

Ab Mitte der zwanziger Jahre tritt Karl Jaray als Mäzen auf. Er lernte Karl Kraus, den er grenzenlos verehrte, auch persönlich kennen, und widmete sich der Unterstützung von dessen Leseabenden aus Goethes und Shakespeares Dramen, dem „Theater der Dichtung". KB enthält einen hektographierten Brief Jarays, datiert „Weihnachten 1932", eine Einladung zum Shakespeare-Lesezyklus von Kraus, der Anfang 1933 stattfand.9

Jaray gehörte auch zu den Unterstützern der Zeitschrift „Brenner" und finanzierte den Film zum 60. Geburtstag von Karl Kraus (1934). In langjähriger Arbeit erstellte Jaray ein Schlagwortregister zur „Fackel". Er befand sich auch unter den von Kraus im Testament als Nachlassverwalter eingesetzten Personen. Am Grabe von Karl Kraus sprach er mit Heinrich Fischer am 15. Juni 1936 die Abschiedsworte. Die Totenmaske von Karl Kraus gestaltete übrigens der Künstler Alexander Járay (1870-1943), ein Cousin Karl Jarays.10

Karl Jaray war ein Vertreter jenes liberalen Wiener Bürgertums jüdischer Abstammung, das seit dem 19. Jahrhundert ein wesentlicher und prägender Faktor in Gesellschaft und Kulturleben dieser Stadt war. Die Bedeutung der jüdischen Religion hatte sich dabei oft abgeschwächt. Manche Mitglieder der Familie Jaray heirateten nichtjüdische Partner oder konvertierten. Karl Jaray selbst war 1901 in Wien zum Katholizismus konvertiert. Auch seine Frau, die er in der Schottenkirche ehelichte und die der bedeutenden Prager jüdischen Familie Hirsch entstammte, trat vermutlich aus Anlass der Eheschließung zum Katholizismus über.11

Was auch immer die Gründe für diese Übertritte waren, eine stark ethisch geprägte Lebenshaltung war für Karl Jaray kennzeichnend. In Übereinstimmung mit einer humanistischen und pazifistischen Einstellung engagierte sich Jaray für ein „Österreichisches Komitee gegen den drohenden Krieg". KB enthält dazu ein undatiertes, hektographiertes Rundschreiben, in dem Jaray zum Beitritt zu diesem Komitee auffordert und das er offenkundig im August 1932 an denselben Personenkreis verschickte, dem er auch seine Rundschreiben über die Lesungen von Karl Kraus zukommen ließ:

Henri Barbusse und Romain Rolland haben einen Aufruf erlassen, worin sie auf die unmittelbar drohende Gefahr eines zweiten Weltkrieges hinweisen, eines Krieges, der an Fürchterlichkeit alles in den Schatten stellen würde, was die Menschheit sich in dem kaum beendeten angetan hat. Die chemischen Kriegsmittel, in allen Ländern verbreitet, sind geeignet, ganze Kontinente zu vernichten, Millionen unschuldiger Menschen dem martervollsten, grausamsten Tode rettungslos zu überliefern. Es ist die Pflicht jedes menschlich fühlenden Herzens, dazu beizutragen, dass dieser schrecklichste Anschlag auf die Menschheit nicht zur Wirklichkeit werde.

Ein Komitee, dem Henri Barbusse, Armand Charpentier, Theodor Dreiser, Professor Albert Einstein, Maxim Gorki, Michael Karolyi, Karl Kraus, Heinrich Mann, Victor Margueritte, Frans Masereel, Romain Rolland, Upton Sinclair und andere angehören, ruft zum Zusammenschluss der Menschheit gegen dieses unermessliche Verbrechen auf.

In allen Staaten haben sich hervorragende Männer und Frauen zu Tausenden bereits angeschlossen. Ende d.M. wird ein Kongress zusammentreten, der die Durchführung der Idee des Kampfes gegen den Krieg organisieren wird.

Seine Hauptaufgaben werden die Aufklärung der Massen und in der Erweckung eines unüberwindlichen Widerstandes von Millionen denkender und fühlender Menschen bestehen.

Alle bisher schon in die gleiche Richtung arbeitenden Verbände sollen zu einer ungeheuren Macht des Geistes zusammengeschlossen werden, die der Gewalt ein unbesiegbares Nein entgegenhalten wird.

Auch in Österreich ist ein Zweig-Komitee bereits ins Leben getreten, dem der Unterzeichnete angehört. Schon in den nächsten Tagen werden Sie von unserer Tätigkeit hören. Meine heutige Bitte ist die um ihrer Mithilfe, die Bitte um Geld, das Sie nie einem edleren und menschlicheren Zweck gewidmet haben. Gebe jeder, was er kann, wir werden auch einen Schilling mit Dank empfangen.

Prof. Dr. Karl Jaray

Wien XIX.

Langackergasse 22

Ein Erlagschein liegt bei.

Der im Rundschreiben erwähnte Aufruf von Rolland und Barbusse erschien am 29. Mai 1932. Er rief zu einer internationalen Friedenskonferenz auf. Dieser „congrès mondial contre la guerre impérialiste" fand, mit der tatkräftigen Unterstützung von Willy Münzenberg, vom 27. bis 29. August 1932 in Amsterdam stattfand. In Folge wurde ein „comité mondial contre la guerre impérialiste" ins Leben gerufen, eine Bewegung, die nach den Orten der ersten beiden Kongresse „Amsterdam-Pleyel-Bewegung" genannt wurde. In Frankreich bildete sie einen Auftakt der späteren Volksfront-Politik.12

Das „Österreichische Komitee gegen den drohenden Krieg" scheint allerdings „den Kampf gegen den Imperialismus" weniger betont zu haben als das französische Vorbild. Die Bereitschaft Jarays, seinen Teil zur „Aufklärung der Massen" beizutragen, zeigt jedenfalls ein Vortrag, in dem er – vermutlich 1932 – vor den Gefahren eines neuen Weltkrieges warnte. Mit den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs argumentierend meinte er, dass es ein Bombenkrieg sein würde, in dem man vor allem bakterielle und chemische Kampfstoffe einsetzen würde, mit unabsehbaren Folgen für die Zivilbevölkerung. Für das „Österreichische Komitee gegen den drohenden Krieg" gab er diesen Vortrag im Selbstverlag heraus:

„Prof. Dr. Karl Jaray: Der Selbstmord der Menschheit. Österreichisches Komitee gegen den drohenden Krieg, Selbstverlag Karl Jaray, Druck: Druck- und Verlagsanstalt, Teplitz Schönau, o. J.[1933], 8 S." Die Broschüre soll auch vom Wiener sozialistischen Verlag „Anzengruber Verlag" verbreitet worden sein.13

Jarays Beitrag ist auch interessant, da er der einzige für mich bisher feststellbare originäre Beitrag ist, der von einem Mitglied des „Österreichischen Komitees gegen den drohenden Krieg" geleistet wurde. Außer dieser Schrift konnte ich bisher nur wenige Aktivitäten des Komitees in Österreich feststellen. Im Katalog der Österreichischen Nationalbibliothek lässt sich noch die kleine Broschüre (7 Seiten): „Österreichisches Komitee gegen den drohenden Krieg: Die Ereignisse und das Herannahen des Krieges. (Nach der Nr. 2 des ‚Bulletin du Comité mondial de lutte contre la guerre impérialiste’). Wien, E. Weiß, 1933" finden.

Emigration

Am 22. Mai 1938 erhielt Jarays Mitarbeiter Karl Brandner den Brief einer Frau aus Windischgarsten, der den Eindruck erweckt, dass sie in Beziehung mit dem Personenkreis um Brandner und das Architektenbüro Jaray gestanden hatte. Der Kontakt zu Brandner dürfte jedenfalls eher privater Natur gewesen sein. Nach einigen Privatangelegenheiten, die Beziehung zwischen ihr und Brandner betreffend (sie fürchtet, er könne verlobt oder verheiratet sein und wolle jeden Kontakt abbrechen) und einer ostentativ zur Schau gestellten Begeisterung über den „Anschluss" und Erkundigungen über einen gemeinsamen Bekannten, der, seinen damaligen Äußerungen nach zu schließen, schon 1929 ein „Illegaler" gewesen sein müsse, stellt diese Frau, die sich nur als „Fuchserl" unterschreibt, die beiläufige Frage: „Und was wird es mit den Jarays sein, da sieht u hört man nichts! Weißt du etwas? Siehst du die 2 großen Buben auf der Technik oder sind sie nach der C.S.R.? – "14

Trotz des „zwanglosen" Tones des Briefes versucht die Schreiberin offenkundig, dem Adressaten, unter dem Vorwand rein privaten Interesses, wichtige Informationen und politische Stellungnahmen zu entlocken. Und tatsächlich hatte Brandner Informationen über Jaray und seine Familie, wie sich aus folgendem in KB erhaltenen maschinschriftlichen Brief ergibt:

Prag, 21. April 1938

Lieber Herr Kollege Brandner!

Ich erlaube mir, mich mit folgender Bitte an Sie zu

wenden: Wir sind anlässlich meines 60. Geburtstages, den wir bei meiner Tochter in Prag begehen wollten, hierhergefahren, und hier ist Karl nicht unbedeutend erkrankt. Nach mehr als 3 Wochen Fieber und entsprechender Gewichtsabnahme und Entkräftung muss er nun auf den dringenden Rat des Arztes in ein Sanatorium gehen, um sich zu erholen. Um nun das Wintersemester, das er in Wien sehr brav gearbeitet hat, nicht ganz zu verlieren, benötigt er noch einige fehlende Testuren und den Abschluss des Meldungsbuches, zum Zwecke des Abgangs an eine andere Hochschule. Meine heutige Bitte besteht in der Frage, ob Sie, wenn ich Ihnen das in Wien befindliche Meldebuch zustellen ließe, die Güte haben wollten, die fehlenden Testuren für das W.S. und den Abschluss einzuholen und das Buch dann an eine Wiener Adresse zurückzustellen.

Ich bitte Sie um eine freundliche Mitteilung an meine derzeitige Adresse: Pension Unitaria, Praha I, Karlová 8, III/20 und sende Ihnen die herzlichsten Grüße. Ihr Jaray

Am 25. April folgten dann zwei weitere Briefe, einer an Brandner, und der andere an einen Ing. Fritz Hartl, mit denen die umständliche Prozedur der Rückgabe des Meldebuches erläutert wurde. An Hartl schrieb Jaray:

Prag, 25. April 1938

Herrn Ing. Fritz Hartl Wien XIX

Sehr geehrter Herr Ingenieur!

Ich habe Ihnen anlässlich der Abholung der Hochschulakten meines älteren Sohnes vor einigen Wochen das Meldungsbuch meines jüngeren Sohnes Karl gesandt. Ich bitte Sie heute, die Güte zu haben, es in einem Couvert, das auch Ihre Adresse enthalten soll, an Herrn Ing. Karl Brandner, Assistent der Lehrkanzel für Gebäudekunde an der Technischen Hochschule IV, Karlsplatz 13 oder in seine Wohnung XX, Hannovergasse 13 senden zu wollen. Er wird es nach Einholung der fehlenden Testuren an Sie zurücksenden, und, wenn Sie mir dann eine Karte

schreiben wollen, so werde ich es wieder abholen lassen.

Indem ich Sie bei dem besten Wohlsein hoffe, begrüsse ich Sie und Ihre w. Eltern auf das Beste, Ihr Dr. K. Jaray

Der parallele Brief an Brandner kündigt ihm die Zusendung des Meldebuches durch Hartl an:

Prag, 25. April 1938

Herrn Ing. Karl Brandner, Assistent der Lehrkanzel

für Gebäudekunde an der Technischen Hochschule in Wien

Sehr geehrter Herr Ingenieur!

Das Meldebuch meines Sohnes Karl Jaray wird Ihnen zugleich durch einen Boten überbracht werden, der auch die Adresse des Absenders im gleichen Umschlag übermittelt. Alle Konstruktionsübungen sind bei den betreffenden Lehrkanzeln deponiert. Es sind alle Programme für das Wintersemester abge-geben worden. Natürlich können sich die Testuren nur auf das Wintersemester erstrecken. Das Zeugnis des behandelnden Arztes lege ich hier bei. Ich danke Ihnen im Voraus für Ihre frdl.

Mühewaltung und bitte Sie, die Güte zu haben, das Meldebuch nach Vollzug des Abschlusses an Herrn Ing. Fritz Hartl, Sieveringerstrasse 2 zu senden oder ihn anzurufen, damit er es von Ihnen abholen lässt. Ich danke auch für Ihre guten Wünsche, meinen Sohn betreffend; seine Heilung wird wohl, wie uns die Aerzte versichern, mindestens einige Monate in Anspruch nehmen, wie das bei Lungenleiden ja leider meistens der Fall ist. Mit den besten Grüssen Ihr Dr. K.Jaray

Prof. Dr. Karl Jaray

Prag I, Karlová 8 III/20

Im Drucksortenverschleiss erliegt das Zeugnis über „Ornamentale Schrift", das gegen Vorlage des Meldebuches ausgefolgt wird. Würden Sie die Güte haben, auch dieses mit zu beheben?

Brandner hat das Meldebuch auch erhalten, wie eine kurze Notiz Hartls in KB zeigt:

Wien, 3. Mai 1938

Herrn Ing. Karl Brandner,

Assistent der Lehrkanzel für Gebäudekunde an der Technischen Hochschule, Wien IV., Karlsplatz No.13

Ueber Veranlassung des Herrn Prof. Jaray übersende ich Ihnen anbei das Meldebuch des Herrn Karl Jaray und zeichne Heil Hitler!

Fritz Hartl

Die Angelegenheit zog sich aber in die Länge. In einem kurzen Schreiben, das eine gewisse Ungeduld verrät, erinnert Karl Jaray am 23. Juni 1938 nochmals an das Meldebuch:

Prag, 23. Juni 1938

Sehr geehrter Herr Ingenieur Brandner,

hiemit erlaube ich mir, höflichst an meine beiden Briefe vom 21. und 25. IV. und an Ihr frdl. Schreiben vom 23.IV. zu erinnern. Ich habe zu Pfingsten versucht, das Meldebuch meines Sohnes Karl bei Hartl beheben zu lassen, doch wurde mir mitgeteilt, dass es leider noch nicht dahin zurückgekehrt sei. Da ich nun an diesem Samstag, den 25., wieder Gelegenheit haben werde, es bei Hartl holen zu lassen, bitte ich Sie vielmals, wenn Sie es besitzen, es bis dahin dort deponieren zu wollen. Sollte es aber unmöglich sein, so darf ich Sie vielleicht um ein paar Zeilen ersuchen.

Mit freundlichen Grüssen Ihr

Dr. K.Jaray

Wenn Brandner säumig war, dann vielleicht auch deshalb, weil er zu diesem Zeitpunkt selber mit großen Schwierigkeiten an der Hochschule zu kämpfen hatte. Um seine Assistentenstelle zu behalten und in die „Reichskammer der bildenden Künste" aufgenommen zu werden, musste er den „Ariernachweis" erbringen. Dabei stellte sich heraus, dass er einen jüdischen Großvater mütterlicherseits hatte, und die Großmutter bei ihrer Eheschließung zum Judentum konvertiert war. Rein formal war er also, nach NS-Diktion, plötzlich „Halbjude" geworden. In KB finden sich mehrere Briefe dazu, mit Ratschlagen von Freunden und Bekannten, wie diese Situation zu meistern sei.

Wie die Angelegenheit des Meldebuchs von Karl Jaray Junior letztlich ausging, ist nach dem erhaltenen Briefwechsel nicht klar. Doch ist fraglich, ob Karl überhaupt noch Gelegenheit hatte, zu studieren. Die Söhne Rudolf und Karl emigrierten mit ihren Eltern nach England. Mit Kriegsbeginn wurden dort die männlichen Familienmitglieder interniert. Der jüngere der beiden Brüder, Karl, verstarb 1941 während dieser Internierung an einem Lungenleiden. Seine Mutter Margarethe Jaray starb ein Jahr später. Rudolf starb kinderlos 2001 in London im Alter von 92 Jahren. Auch ihre Schwester, Mariedl, blieb kinderlos, sie starb bereits 1948 in Buenos Aires. Frau Grunert teilte mir mit, dass nach Familienüberlieferung die Tochter Karl Jarays, Maria Stein, durch Selbstmord aus dem Leben schied. Von Beruf war sie Ärztin.15 Es gibt also keine Nachkommen dieses Zweiges der Jaray-Familie mehr.16

Das Vermögen der Familie wurde unmittelbar nach dem „Anschluss" geraubt. Dem Wiener Handelsgericht, das noch 1938 eine Anfrage bezüglich Jarays nicht abgeschlossener Tätigkeit als Abwickler des Verlages „Die Fackel" gestellt hatte, wurde am 5. Oktober 1938 auf Briefpapier Jarays mitgeteilt, dass „Prof. Jaray (…) seit 14. März l. J. geflüchtet" sei. Das Büro werde unter dem kommissarischen Verwalter SS-Sturmbannführer Max Plobner liquidiert, und: „Die Literatur des Prof. Jaray, im besonderen „die Fackel" von Karl Kraus befindet sich noch im Haus, Langackergasse 22, ist jedoch von der Gestapo beschlagnahmt."17

Von der Geheimen Staatspolizei am Morzinplatz erging am 15. Juli 1940 ein kurzer Bericht an den Reichsstatthalter in Wien, in dem es heißt: „Die dem Karl Jaray und dessen Ehefrau Margarethe Jaray je zur Hälfte gehörige Liegenschaft in der Langackergasse 22 wurde mit Verfügung vom 15. Juni 1938 zu Gunsten der NSDAP. eingezogen", und das Wiener Finanzamt Innere Stadt-Ost, Riemergasse 2 schrieb am 6. Dezember 1940 betreffend „Dr. Karl Jaray (…) Reichsfluchtsteuer" an dieselbe Stelle: „Am 28. November 1940 wurden die rückständigen Säumniskosten im Betrage von RM 2.968.04 durch den Notar Herbert Wolff, in Windischgarsten aus dem Kauferlös der dem Juden gehörigen Liegenschaften in Spital am Pyhrn, bezahlt. Mithin ist das Reichsfluchtsteuerkonto ausgeglichen."18

Der Hinweis auf die „Fackel" im Schreiben des „kommissarischen Verwalters" bezieht sich darauf, dass Karl Jaray sich jahrelang mit der Erstellung eines Schlagwortregisters zur „Fackel" beschäftigt hatte. Ein Duplikat dieses Registers bewahrte er auch in seinem Sommerhaus in Spital am Pyhrn auf. Auf nicht nachvollziehbare Weise gelang es Jaray, eines der Register (vielleicht das aus dem Landhaus) nach London zu bringen. Ob das noch während des Krieges oder danach geschah, ist ungeklärt. Eine Mikroverfilmung des Registers wurde vom in die USA emigrierten Revolutionären Sozialisten Josef Buttinger erworben und kam mit dessen Nachlass 1971 in die Universitätsbibliothek Klagenfurt.19

Das umfangreiche Sachregister auf 7.504 Karteikarten umfasst die Jahrgänge 1899 bis 1932. Durch ein Projekt des Robert-Musil-Literaturinstitutes in Klagenfurt soll dieses Sachregister, das mehrere Zehntausende Einträge umfasst, in Form einer Datenbank erschlossen, für die Jahre 1933 bis 1936 ergänzt und zugänglich gemacht werden.20

Karl Jaray emigrierte nach dem Tod seiner Frau nach Buenos Aires, wo sich bereits seine Tochter mit ihrem Ehemann Wolfgang Stein befand. Jaray soll in Buenos Aires ein zweites Mal geheiratet und einige Industriebauten ausführt haben. Er starb ebendort am 29. 11. 1947.21

Anmerkungen

1 Zu Ing. Karl Brandner: www.archinform.net/acht/26027.htm.

2 Christian Wagenknecht: Karl Jaray. Rundschreiben, in: Kraus Hefte, Heft 52, Oktober 1989, S. 2-14.

3 Für Details zu Verwandtschaftsverhältnissen siehe http://jarayfamily.net/images/familytree.jgp. Ich danke Frau Christiane Grunert, Düsseldorf, für ihre Unterstützung und Bereitwilligkeit, mir Details zur Familiengeschichte mitzuteilen, u.a. aus Interviews mit älteren Mitgliedern der Familie Jaray. Sándor Járay war ihr Ur-Ur-Großvater.

4 „Architektenlexikon Wien 1880-1945", www.azw.at/www.architektenlexikon.at/de/257.htm. (Stand 20.06.2007). Artikel Karl Jaray von Ursula Prokop.

5 Siehe „familytree" (Anm. 3).

6 Siehe „familytree" (Anm. 3).

7 Iris Meder: Offene Welten. Die Wiener Schule im Einfamilienhausbau 1910-1938. Institut für Kunstgeschichte der Universität Stuttgart, 2004, S. 99.

8 Architektenlexikon Wien, (Anm. 4)

9 Wagenknecht: Rundschreiben (Anm.2), S. 5.

10 Heinrich Fischer und Karl Jaray: Abschiedsworte am Grabe 15. Juni 1936 (Wien, Selbstverlag 1936), in: Georg Fritsch Antiquariat, http://members.aon.at/selfritsch/k20IK.htm, Nr. 658. Alexander (Sandor) Jaray war in zweiter Ehe mit Lea Bondi-Jaray (1880-1969) verheiratet, Inhaberin der Galerie Würthle. Sie war bis 1938 Eigentümerin des 1998 während einer Ausstellung der Sammlung Leopold in New York beschlagnahmten Schiele-Gemäldes „Bildnis Wally" – ein vielbeachteter Fall in der Raubkunst-Debatte der letzten Jahre.

11 Laut Mitteilung von Georg Gaugusch, der darauf hinweist, dass für die Familie Hirsch Konversionen zum Christentum eher die Ausnahme waren. Er stellte mir Daten aus seiner Vorarbeit zu „Genealogisches Handbuch der großen jüdischen Familien Wiens 1800-1938" zur Verfügung. Das Erscheinen ist für 2007/08 im Amalthea geplant. Siehe auch Architektenlexikon (Anm. 4).

12 David James Fisher, Romain Rolland and the Politics Intellectual Engagement. Transaction Publishers, New Brunswick/London 2004, S. 158 ff.

13 Murray G. Hall: Österreichische Verlagsgeschichte, Band 2, S. 48.

14 KB, Brief „Fuchserl" an Brandner, W(indisch)g(arsten) 22.5.1938.

15 Grunert, Email, 22.4.2007.

16 Grunert, Email, 13.8.2006.

17 Hall, Verlagsgeschichte, 133 (Anm.13 ).

18 Beide Dokumente: Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands, Akt 19.400/43.

19 Freundliche Mitteilung von Gunther Hirschmann, Email vom 27.3.2007.

20 http://www.onb.ac.at/sichtungen/berichte/musil-1b.html.

21 Architektenlexikon Wien (Anm. 4)

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