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Die gerettete Synagoge: Hartmanitz im Böhmerwald
Tina WALZER
Im kleinen Ort Hartmanitz nahe der südwestlichen
deutsch-tschechischen Grenze rettete Michal Klima die höchstgelegene Synagoge
Europas vor dem endgültigen Verfall und richtete in den Räumlichkeiten das
„Museum des deutsch-tschechisch-jüdischen Zusammenlebens im Böhmerwald" ein.
Die Synagoge vor Beginn der Renovierungsarbeiten im Jahr
2002. Außenansicht. Foto mit freundlicher Genehmigung des Bürgervereines
„Denkmal Hartmanitz".
Von Schüttenhofen (tschech. Susice), der Zündholzmetropole im
Böhmerwald in Richtung deutscher Grenze fahrend, reiht sich Dorf an Dorf. Je
näher man dem einstigen Todesstreifen des Eisernen Vorhanges kommt, desto
verwahrloster der Eindruck, den die kleinen Ortschaften machen. Die wenigen
alten Gebäude wirken heruntergekommen und stehen zum Gutteil leer. Umso größer
die Überraschung, wenn nach dem Passieren des ehemaligen Hauptplatzes von
Hartmanitz (tschech. Hartmanice), heute überdimensionierte Verkehrsfläche auf
einer kahlen, windausgesetzten Hügelkuppe, plötzlich die frisch renovierte
Synagoge leuchtend blau ins Blickfeld springt. Nach 68 Jahren des Verfalls und
der Ignoranz konnte sie im Jahr 2006 wieder geöffnet werden. Heute stellt sie
die einzige gerettete und zugängliche Synagoge des Böhmerwaldes dar.
Die Synagoge vor Beginn der Renovierungsarbeiten im Jahr
2002. Innenansicht. Foto mit freundlicher Genehmigung des Bürgervereines
„Denkmal Hartmanitz".
Juden durften sich in Hartmanitz, einer alten Bergbaustadt,
erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ansiedeln. 1890 lebten im Ort 119 Juden
und 1 Evangelischer bei 929 Einwohnern insgesamt, davon 7 Tschechen
(entsprechend hoch war der andere, deutsche Nationalitätenanteil). Im gesamten
Bezirk Hartmanitz lebten damals insgesamt 200 Juden. In den 1880er Jahren
gründeten sie die jüdische Gemeinde Hartmanitz-Kundratitz, 1883 wurde die
Synagoge fertiggestellt. 1921 lebten in Hartmanitz 50 Juden (2 Evangelische, 2
Religionslose bei 660 Einwohnern insgesamt, davon 73 tschechoslowakischer, 6
jüdischer Nation), 1930 wurden bei der Volkszählung nur mehr 21 Juden
registriert, von denen sich 5 auch zur jüdischen Nation bekannten. Die
Abwanderung in größere Städte hatte stark zugenommen. Der prominenteste
Hartmanitzer Jude war Isaak Bloch. Er gründete eine Spiegelglas-Produktion;
später produzierte seine Fabrik im benachbarten Chlum (tschech. Chlumo) auch
Stanniol-Papier, Flaschenkapseln und Einwickelpapier für Süßigkeiten. Ein
Überlebender seiner Familie, Walter Bloch, lebt heute in Deutschland. Er half
maßgeblich mit, das Leben der Hartmanitzer jüdischen Gesellschaft und Gemeinde
zu rekonstruieren. Seine Berichte und die von ihm zur Verfügung gestellten
Zeugnisse dieser untergegangenen Hartmanitzer Welt gehören mit zum
Eindrucksvollsten der heutigen Hartmanitzer Synagogengedenkstätte.
Die historische Ansicht der Synagoge von Hartmanitz.
Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Bürgervereines „Denkmal Hartmanitz".
Die anderen Hartmanitzer Juden handelten vorwiegend mit
Getreide (Familie Barth), Vieh (Josef Kraus) und Pelzen (Familien Eisenschimmel,
Adler und Fröhlich), aber auch mit Beeren und Pilzen (Kaufleute Fröhlich und
Bloch). Herr Popper betrieb das Gasthaus. 1938 floh wer konnte, vor allem nach
Großbritannien. 13 Hartmanitzer Juden wurden in der Shoah ermordet. Kein
einziger der Überlebenden kehrte nach Hartmanitz zurück. Der Friedhof der
kleinen jüdischen Gemeinde wurde von Angehörigen der Hitlerjugend völlig
zerstört, die Grabsteine wurden entfernt und sollen zum Bau der Straße in
Kundratitz (tschech. Kundratice) verwendet worden sein. Der einzige erhaltene
Grabstein befindet sich heute in der Synagoge von Hartmanitz. Im April 1945
wurden 500 polnische, ungarische und tschechoslowakische Jüdinnen auf einem der
berüchtigten Todesmärsche, in diesem Falle von Helmbrechts nach Wallern (tschech.
Volary), durch Hartmanitz getrieben. 12 Frauen kamen während der Nacht in
Oberkörnsalz (tschech. Horní Krušec) um. Am 29.
April 1945 wurden sie auf dem zerstörten jüdischen Friedhof des benachbarten
Hartmanitz begraben.
Blick in den renovierten Innenraum der Hartmanitzer Synagoge.
Im März 2007 wurde sie zum „Bauwerk des Jahres" im Kreis Pilsen ernannt. Foto:
Tina Walzer]
Im September 1938 war das Münchner Abkommen geschlossen
worden. Daraufhin besetzten deutsche Truppen das tschechische Grenzgebiet, die
Synagoge von Hartmanitz wurde durch die NS-Behörden beschlagnahmt. Der
Profiteur, ein Tischler aus dem Nachbardorf, baute die Synagoge zur Werkstatt
um. Im Jahr 1948 wurde der Tischlerei-Betrieb konfisziert und verstaatlicht,
später durch einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb und schließlich durch
ein Reifenlager ersetzt. Ab den späten 1970er Jahren war das verwüstete Gebäude
leer. Tatsächlich blieb die Synagoge nur stehen, weil das kommunistische Regime
entlang der Grenze zum deutschen Nachbarn einen 20 Kilometer breiten
Todesstreifen einrichtete und die angrenzenden Ortsgemeinden völlig links liegen
ließ. Das Regime ging davon aus, daß in einem nächsten Krieg diese Zone als
erste zerstört würde, weshalb man dort auch nicht weiter investierte. Die im
Todesstreifen selbst gelegenen Dörfer wurden geschliffen. Zwei Kilometer nach
Hartmanitz begann der Eiserne Vorhang: Es war das tschechische Ende der Welt.
Die Dauerausstellung ist auf der ehemaligen Frauengalerie der
Synagoge untergebracht. Foto: Tina Walzer]
Nach der Samtenen Revolution wurde die Synagoge im Jahr 1991
an die jüdische Gemeinde Pilsen restituiert, die das Gebäude aus Geldmangel um
rund 60.000 Kronen weiterverkaufte; in der Folge wechselte es mehrmals den
Besitzer. 2002 konnte schließlich Michal Klíma aus Prag die Ruine erwerben. Sein
Ziel war die Rettung dieses einmaligen Kulturdenkmals, handelt es sich doch um
die höchstgelegene Synagoge Europas. Damals stand das Gebäude kurz vor dem
endgültigen Verfall. Klíma, seither privater Eigentümer der Synagoge, gründete
den Bürgerverein Denkmal Hartmanitz, um die nötigen finanziellen Mittel für die
sachgemäße Rekonstruktion bereitstellen zu können. Zu den Förderern zählten
neben dem tschechischen Finanzministerium und dem Deutsch-Tschechischen Fonds
vor allem private Förderer - eine ganze Reihe tschechischer Firmen, und auch
T-Mobile konnte als Sponsor gewonnen werden. Den weitaus größten Teil der
Renovierungskosten steuerte Klíma selbst bei. Im Mai 2006 konnte das Gebäude
wieder eröffnet werden. Neben kulturellen Veranstaltungen und Konferenzen finden
hier auch Hochzeitsfeierlichkeiten der (nichtjüdischen) Bevölkerung statt.
Personal wird vom Deutsch-Tschechischen Fonds bezahlt. Die Finanzierung des
langfristigen Erhaltes von Synagoge und Museum ist allerdings ungeklärt.
Als Stufen zum hinter der Synagoge angelegten Garten
mißbraucht, haben die Granittafeln mit den Zehn Geboten Zerstörung und Verfall
überdauert. Im Zuge der Renovierung konnten sie 2005 an ihren ursprünglichen
Platz zurückgebracht werden. Foto: Tina Walzer]
Heute beherbergt das Gebäude auch eine der besten
Dauerausstellungen, die die tschechische Republik bis dato zu bieten hat. Hier
richtete Klíma mit seinem Verein das „Museum des deutsch-tschechisch-jüdischen
Zusammenlebens im Böhmerwald" ein und thematisiert damit eines der heikelsten
Themen der tschechischen Öffentlichkeit. Selten hat man in Europa eine
professioneller gestaltete, informativere und berührendere Präsentation einer
zerstörten jüdischen Gemeinde und ihres engen Zusammenlebens mit der Umwelt
gesehen. Es ist das erste und einzige private jüdische Museum der tschechischen
Republik.
Die Überreste von Einbauten der alten Synagoge wurden
geborgen und sind im Dachgeschoß ausgestellt. Foto: Tina Walzer]
Hartmanitz ist ein Paradebeispiel für die Zwangsumsiedlungen
und Vertreibungen, die die tschechische Geschichte des 20. Jahrhunderts prägten.
Nicht nur die jüdische Gemeinde des Ortes wurde zerstört. Später, nach der
Vertreibung der Deutschen aus Hartmanitz im Zuge der Benes-Dekrete, wurde die
Ortschaft mit Tschechen aus Wolhynien, mit rumänischen Slowaken und Jugoslawen
neu besiedelt. Der Abbruch der personellen Kontinuität und die Zerschlagung der
alten Dorfstruktur sollte nun dem kommunistischen Regime das Funktionieren
seines Todesstreifens garantieren. Hier sollte niemand durchkommen, hier gab es
keine gewachsene Solidarität. Das alte Städtchen war tot. Erst im Jahr 2003
arbeiteten acht Hartmanitzer Kinder im Zuge des Schülerprojektes „Vertriebene
Nachbarn" dieses dunkle Kapitel der Lokalgeschichte auf und führten Interviews
mit Zeitzeugen durch. Die Fotosammlung Pavel Scheuflers zeigt historische
Aufnahmen des Gebietes mit Menschen, Gebäuden und Landschaft um 1900; ergänzt
wird diese Spurensuche durch eine Dokumentation der liquidierten Dörfer von
Blanka und Honza Reichardt. Tereza Bruchová hat die Ausstellungen im Museum der
Bergsynagoge Hartmanitz kuratiert.
Das Ehepaar Klíma in der Hartmanitzer Synagoge, Sommer 2007.
Ing. Michal Klíma ist Geschäftsführer von Economia, einem großen Prager
Zeitungsverlag. Seine Freizeit widmet er der Synagogengedenkstätte - eine im
Land der staatlich gelenkten Kultur und der Schrebergarten-Wochenenden unübliche
Eigeninitiative. Foto: Tina Walzer
Bergsynagoge Hartmanitz, Hartmanice,
342 01 Susice, Tschechische Republik.
Email: synagoga@hartmanice.cz
Tel. +420-723 953 426.
Nähere Informationen:
www.hartmanice.cz
Öffnungszeiten:
DI bis SO 9.00 Uhr – 18.00 Uhr. MO geschlossen.
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