Bund oder Land?
Ein weiteres Jahr im Streit um die Erhaltung des jüdischen
Friedhofes Währing
Tina WALZER
Im Jänner 2001 verpflichtete sich Österreich mit dem
sogenannten Washingtoner Abkommen gegenüber den österreichischen Israelitischen
Kultusgemeinden sowie der Regierung der U.S.A. dazu, einen Beitrag zur Sanierung
und laufenden Pflege aller jüdischen Friedhöfe in Österreich zu leisten. An der
Frage, wer „Österreich" ist, scheiden sich seither die Geister.
Trotz Laubfalls blieb auch im Winter das Dickicht am
jüdischen Friedhof Währing undurchdringlich, November 2006. Foto: Tina Walzer]
Der Zustand der österreichischen jüdischen Friedhöfe ist
bekannt, ebenso der damit verbundene unaufschiebbare Handlungsbedarf. In der
Landeshauptleute-Konferenz von April 2002 wurde die heikle Thematik der
Verantwortlichkeit für die Umsetzung dieser Zusage angesprochen, aber nicht
gelöst. Seither wird anhand des jüdischen Friedhofes Währing darüber diskutiert.
Nachdem im ersten Halbjahr 2006 zunächst ein
Verhandlungserfolg erzielt schien (DAVID berichtete darüber, Heft 69, Juni
2006), als der damalige Wiener Finanzstadtrat Sepp Rieder im Februar die
Einrichtung einer Stiftung angekündigt hatte, drehte sich der Wind wieder. Zwar
entschied der Zukunftsfonds der Republik Österreich im März, ein Signal zu
setzen, um auf die Notwendigkeit einer Lösung für den jüdischen Friedhof Währing
hinzuweisen. Auf Initiative von Kurt Scholz finanzierte er ein Forschungsprojekt
zur Aufarbeitung der NS-Geschichte des Areals und zur Inventarisierung des
Grabsteinbestandes, sowie die Durchführung von Schulprojekten. Ende Juni 2006
aber bezog der Wiener Bürgermeister, Michael Häupl, in einer Sitzung des Wiener
Landtags Stellung und machte klar, daß er den ersten Schritt zur Umsetzung einer
Lösung nach wie vor vom Bund erwarte, und daß er Rieders Vorschlag nicht
unterstützte.
Der Orkan „Kyrill" knickte im Jänner 2007 Bäume. Einer von
ihnen fiel auf das älteste Gräberfeld und zertrümmerte wertvolle Grabsteine.
Foto: Tina Walzer]
Im September 2006 berichtete für Bloomberg News Manuela
Hoelterhoff, die Pulitzer-Preisträgerin und Kulturchefin der Nachrichtenagentur.
Für den Rest des Jahres 2006 blieb es dann still. Die Durchführbarkeit der
Inventarisierung schien durch den schlechten Pflegezustand des Friedhofes
gefährdet – Grabsteine waren unter meterhohem Dornengestrüpp kaum zugänglich,
und es fand sich keine Stelle bereit, für eine Rodung des Areals aufzukommen.
Nur dank des unermüdlichen Einsatzes einer Handvoll privat organisierter
freiwilliger Helfer konnten die Inventarisierungsarbeiten überhaupt durchgeführt
werden. Ihnen sei an dieser Stelle für ihre enthusiastische, geduldige und
phantastisch tatkräftige Hilfe gedankt!
Am 17. Jänner 2007 richtete der Orkan „Kyrill" schwere
Schäden auf dem Friedhof an. In der darauffolgenden Woche luden Klubobfrau Maria
Vassilakou und Gemeinderat Marco Schreuder von den Grünen Wien unter dem Titel „Stadtexpertinnengespräch"
zu einem runden Tisch ins Rathaus. Die IKG Wien, der Wiener
Restitutionsbeauftragte Kurt Scholz, das Bundesdenkmalamt, der Nationalfonds der
Republik Österreich und die bilaterale US- Botschaft in Wien folgten der
Einladung und diskutierten über mögliche Schritte zur Rettung des jüdischen
Friedhofes Währing. Der Präsident der IKG Wien, Ariel Muzicant, berichtete über
das Projekt, im Gebäude der ehemaligen Aufbahrungshalle ein Bethaus
einzurichten. Nach der Übersiedlung des Maimonides-Zentrums aus der
Bauernfeldgasse in den Neubau im Prater soll für die jüdischen Bewohner der
näheren Umgebung weiterhin ein Betraum zur Verfügung stehen.
Vorher – Nachher: Durch das Stadtgartenamt gerodeter Weg auf
dem Friedhof. Daneben ein ungerodetes Gräberfeld, Juli 2007 Foto: Tina Walzer]
Am 2. März 2007 verabschiedete der Wiener Gemeinderat mit den
Stimmen von SPÖ, ÖVP und Grünen einen Resolutionsantrag an den Bund, in dem ein
Kompromiß angeboten wurde: Die Stadt Wien wolle Sofortmaßnahmen zur Beseitigung
der Sturmschäden ergreifen, und im Zuge dessen möge auch der Bund seine
Verantwortung aus dem Washingtoner Abkommen wahrnehmen und in Verhandlungen um
einen langfristigen Erhalt des Kulturjuwels eintreten. Nationalratspräsidentin
Barbara Prammer forderte zur gleichen Zeit die Einsetzung einer Arbeitsgruppe
mit Vertretern aus Bund, Ländern und Gemeinden, die eine gesamtösterreichische
Lösung vorbereiten sollte. Am 5. März veröffentlichte das Nachrichtenmagazin
„Profil" eine Hintergrundgeschichte von Marianne Enigl mit dem Titel „Schandmale.
Einer der historisch bedeutendsten Friedhöfe Österreichs, der Währinger jüdische
Friedhof in Wien, verfällt seit Jahren. Die Politik fühlt sich bisher nicht
zuständig". Am 21. März zog die Wiener Stadtzeitung „Falter" nach, Martina
Stemmer titelte „Vergessene Ewigkeit".
Im Laufe des Frühjahres erarbeiteten Schüler der Höheren
Graphischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt mit Peter Bauer, des Gymnasiums
Friesgasse mit Johann Bittner, der Sir Karl Popper-Schule für Hochbegabte mit
Klaus Peters und des Gymnasiums Haizingergasse mit Vera Bauer Ausstellungs- und
Fotoprojekte.
Im Mai bekam der Friedhof viel Aufmerksamkeit.
Nationalratspräsidentin Barbara Prammer besuchte mit der Generalsekretärin des
Österreichischen Nationalfonds, Hannah Lessing, den Friedhof. Auch große
internationale Medienöffentlichkeit war mit einem Mal vorhanden: ABC Australia
brachte in der Sendereihe „Foreign Correspondent" eine Geschichte von Mark
Corcoran unter dem Titel „Digging up the Past", der US-Sender Bloomberg
Television sendete in der Kultursendung „Muse" einen Beitrag von Barbara Rafaeli.
Katinka Novotny gestaltete für „Orientierung" im ORF einen Bericht, dem später
noch ein englischer auf CNN folgte.
Sommerlicher Dschungel auf dem jüdischen
Friedhof Währing. Die meisten Grabsteine sind unter dem Bewuchs vollständig
verschwunden, Juli 2007. Foto: Tina Walzer]
Tatsächlich dauerte es noch bis Ende Juni, bevor konkrete
Sicherungs- und Säuberungsmaßnahmen in Angriff genommen wurden, und dabei hatte
auch der Zufall seine Hand im Spiel. Am 21. Juni bereitete der Grüne Gemeinderat
Schreuder eine Anfrage an die Wiener Umweltstadträtin, Ulli Sima, für die in der
darauffolgenden Woche angesetzte Gemeinderatssitzung vor. Am selben Tag, nur
wenige Stunden später, tobte erneut ein heftiger Sturm über der Stadt. Viele
Bäume in ganz Wien, so auch auf dem Friedhof wurden beschädigt. Der Friedhof war
unzugänglich geworden, jedes Betreten wegen der in den Baumkronen
hängeggebliebenen Baumteile lebensgefährlich.
Alle geplanten Führungen mußten aus sicherheitstechnischen
Gründen abgesagt werden. Doch bereits am Montag, den 25. Juni begann das Wiener
Stadtgartenamt mit Sicherungsmaßnahmen. Ulli Sima konnte am Mittwoch in der
Gemeinderatssitzung auf die laufenden Arbeiten verweisen und berichtete von
120.000.- Euro Kosten, die die Stadt dafür aufbringen werde. Es war wie ein
Wunder: Tatsächlich wurden in den folgenden zehn Tagen unter großem technischem
Aufwand die Wege auf dem Areal wieder verkehrssicher gemacht.
Blick vom Friedhofseingang nach Osten über
bereits gereinigte Gräbergruppen, Oktober 2007. Foto: Tina Walzer]
Am 8. Juli 2007, einem prachtvollen Sommer-Sonntag, trat um
halb acht Uhr früh eine Gruppe freiwilliger Helfer von Angehörigen der
diplomatischen Missionen der USA in Wien an. Mein besonderer Dank gilt den
Freiwilligen, den Unterstützern, und vor allem auch Sonny, der diese
beeindruckende Aktion möglich gemacht hat: In privater Initiative stellten sie
alle ihre Freizeit zur Verfügung, um bei der Freilegung weiterer Grabsteine für
die Inventarisierung des Zukunftsfonds-Projektes zu helfen. Fabriksneue
Gartengeräte, Werkzeug und Zubehör brachten sie selbst mit. Binnen 7 Stunden
gelang es den Helfern, mehrere hundert Grabstellen freizulegen. In den nächsten
Tagen waren die österreichischen Tageszeitungen voll: „Peinlich und beschämend"
(Kurier), „Entwicklungshilfe made in USA" (Standard), „Kann keine Rede von
Rettung sein" (Die Presse), „Jüdischer Friedhof als kulturelles Erbe für Wien
nicht interessant?" und „Stadt und Bund reagieren nicht: Freiwillige sollen
Friedhof retten" (beide Kronen Zeitung). Täglich erschienen neue Artikel. Die
Aufregung war groß. Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, die sich gerade zu
einem Staatsbesuch in Israel aufhielt, erklärte die Durchführung eines
Vorprojektes zur Erhebung von Sanierungsbedarf und –kosten zu ihrem Ziel. Das
Bundeskanzleramt sicherte Unterstützung zu. Auch die Arbeiter des Wiener
Stadtgartenamtes nahmen ihre nach der Wegesicherung abgebrochenen Arbeiten
wieder auf und begannen nun, systematisch Gräbergruppen freizuschneiden. Reihe
für Reihe wurde bodengleich gerodet. Bald war der älteste Teil des Areals kaum
wiederzuerkennen, aufgeräumt und gepflegt. Doch war nicht klar, bis wohin die
Arbeiten führen sollten.
Eine Friedhofsführung des Bundesdenkmalamtes anläßlich
des„Internationalen Tages des Denkmales" am 23. September 2007 beförderte dann
die Entscheidung über das weitere Vorgehen; das Stadtgartenamt stellte seine
Arbeiter für weitere zehn (!) Wochen ab. Letztendlich konnten diese fast die
gesamte Friedhofsfläche freilegen. An dieser Stelle sei Herrn Brechelmacher und
seinen Kollegen für ihren unermüdlichen, engagierten Einsatz gedankt. Mein Dank
geht - last, not least - auch an den Wiener Stadtgartenamtsdirektor, Rainer
Weisgram, der all das möglich gemacht hat.
Auf politischer Ebene fand Ende August eine erste Sitzung zur
Konkretisierung des Vorprojektes im Parlamentsgebäude statt, zu der die
Nationalratspräsidentin eingeladen hatte. Neben ihrem Büro waren das
Bundeskanzleramt, das Außenamt, das Bundesdenkmalamt, der Nationalfonds, die IKG
Wien, die Stadt Wien sowie die Autorin vertreten. Ein Ergebnis war die
Feststellung, daß ohne Rodung und anschließende gärtnerische Betreuung des
Areals weder ein Vorprojekt noch andere Arten von Arbeiten dort durchführbar
sind, sodaß man sich auf die prioritäre Sicherung der Bewuchspflege einigte. Der
Präsident der IKG Wien, Ariel Muzicant, sprach die Hoffnung aus, daß
gleichzeitig mit Einzel-Maßnahmen zum jüdischen Friedhof Währing auch eine
grundsätzliche Willenskundgebung, wer langfristig für die Instandhaltung dieses
Friedhofes, aber auch aller anderen jüdischen Friedhöfe in Österreich
Verantwortung und Zuständigkeit übernehmen werde, erfolgt. Die dritte
Nationalratspräsidentin Eva Glawischnig-Piesczek brachte im Petitionsausschuss
des Palaments einen Antrag ein.
Der Steinrestaurator Klaus Wedenig setzte im
September 2007 diese zwei prominent, direkt am Eingang, gelegenen Grabstellen
wieder instand. Nachkommen hatten die Konservierung des Grabmals von David
Raffalovich beauftragt, er selbst sanierte auf eigene Kosten das Nachbargrab.
Foto: Tina Walzer]
Im September fanden dann Gespräche im Bundesdenkmalamt statt,
um Details des Vorprojektes abzuklären. Das Bundesdenkmalamt ergriff zudem bei
der Bewuchspflege die Initiative und regte die Beauftragung eines Garten- und
Landschaftsarchitekten mit der Erstellung eines sogenannten Parkpflegewerkes,
also eines Konzeptes zur langfristigen Bewuchsgestaltung und –pflege, das sowohl
religiösen Vorgaben gerecht werden als auch das historische Erscheinungsbild
rekonstruieren soll, an. Im November brachte Manuela Hoelterhoff eine
Fortsetzung ihrer Geschichte: „Vienna‘s Jewish Cemetery Goes to Ruin as
Politicians Babble" bei Bloomberg News.
Seither heißt es bis auf Weiteres Warten - Warten auf
politische Grundsatz-Entscheidungen, Warten auf die Entscheidung: Wer zahlt? Im
Augenblick ist, dem Vernehmen nach, die Bundesregierung am Zug. In der
Ministerratssitzung vom14. November 2007 kam das Thema „Umsetzung des Punktes 8
– Jüdische Friedhöfe – des Washingtoner Abkommens"auf die Tagesordnung. Man
kündigte an, Gespräche zu Finanzierungsfragen führen zu wollen - „zu einem
geeigneten Zeitpunkt". Immerhin.
Rechtlich verbindliche Verpflichtungen zur Sicherstellung der
so dringend notwendigen kontinuierlichen Bewuchspflege, aber auch zur Rettung
akut gefährdeter Grabmonumente auf dem jüdischen Friedhof Währing mochten bisher
weder die österreichische Bundesregierung noch das Land Wien freiwillig
eingehen, wohl um damit nicht einen Präzedenzfall zu schaffen, aus dem sich die
Lösung der Zuständigkeitsfrage auch für alle anderen jüdischen Friedhöfe
Österreichs ableiten ließe. Der jüdische Friedhof Währing braucht trotzdem
sofortiges Handeln. Das Tempo, in dem der Verfall dieses einzigartigen
österreichischen Kulturdenkmals voranschreitet, ist beängstigend. Gerade deshalb
müssen langfristige Lösungen gefunden werden - zuverlässig und sachgerecht
sollten sie sein.
Zurück
|