Seine „Verlässlichkeit, Eignung und persönliche
Vertrauenswürdigkeit" stehe „außer Zweifel" und angesichts seiner
Geschäftsgebarung erfreue er sich eines guten Rufes. Dieses Zeugnis stellte das
Bundesministerium für Handel und Verkehr 1926 Albert Kende aus – einem der
führenden Wiener Kunsthändler und Auktionatoren in der Zeit von der
Jahrhundertwende bis 1938. Nach dem „Anschluss" Österreichs stand Kende, nun als
Jude verfolgt, vor den Ruinen seiner Existenz. Er wurde nicht nur seines
Unternehmens beraubt, sondern schließlich auch seines Lebens.
Albert Kende war am 20. Februar 1872 in Klausenburg (heute
Cluj) in Siebenbürgen geboren. Die Stadt hatte ursprünglich zu Österreich-Ungarn
gehört und war nach dem Ersten Weltkrieg an Rumänien gefallen. Kende war
zunächst ungarischer Staatsbürger, erwarb aber 1921 die österreichische
Staatsbürgerschaft.
Seine geschäftlichen Aktivitäten in Wien lassen sich bis in
das ausgehende 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Auktionskataloge aus den Jahren
ab 1895 belegen, dass er bereits in dieser Zeit mit der Versteigerung
hochkarätiger Kunst- und Kulturgüter befasst war. In seinen Auktionen wurden
nicht nur Werke der bildenden Künste angeboten, sondern etwa auch Handschriften
und Urkunden. Vor allem in der Zwischenkriegszeit kamen angesichts der
angespannten Wirtschaftslage oft komplette Nachlässe und Sammlungen unter den
Hammer. Nicht selten stammten sie aus dem Eigentum von Adeligen. So wurden 1931
Objekte „aus hocharistokratischem Besitz" versteigert, 1932 wurde die „Sammlung
Palais Schwarzenberg" angeboten, 1934 folgten Objekte „aus dem Besitz eines
hervorragenden Wiener Sammlers", der nicht namentlich genannt wurde, 1935 wurde
die „Sammlung der Königin Olga von Württemberg" versteigert. Immer wieder waren
auch Bestände aus anderen Kunst- und Antiquitätenhandlungen in den
Auktionskatalogen zu finden, so 1933 Antiquitäten und Gemälde der Firma Pollak &
Winternitz oder 1936 Bestände des Antiquitätengeschäfts A. Satori, wobei im
selben Jahr auch noch die Privatsammlung von L. und A. Satori unter den Hammer
kam.
Immer wieder gab es auch Hausversteigerungen, bei denen
gesamte Wohnungsinventare an Ort und Stelle zur Auktion gelangten. „Freiwillige
Versteigerung einer Wohnungseinrichtung" lautete dann die Ankündigung im
Katalog. So fand etwa in der Berggasse 19, wo Sigmund Freud lebte und arbeitete,
eine solche von Kende durchgeführte Hausversteigerung statt: Am 22. Jänner 1926
wurde in der Wohnung Nr. 9 die Sammlung von Prof. Dr. Isidor Singer versteigert.
Eineinhalb Monate vor dem „Anschluss" fand an vier aufeinander folgenden Tagen
eine weitere große Hausauktion statt, diesmal am Schwarzenbergplatz 6 / 3 / 1 im
3. Bezirk. Angekündigt wurde diese „150. Kunstauktion" unter dem Titel
„Kunstsammlung und vornehme Wohnungseinrichtung aus ungarischem Adelsbesitz".
Sie stammte, so weiß man, von der Baronin Clara Hadvany.
Albert Kende übte seine geschäftliche Tätigkeit an
verschiedenen Standorten in der Wiener Innenstadt aus, ehe er sich unter der
Adresse Kärntnerstraße 4 endgültig etablierte. Für die Zeit vor dem Ersten
Weltkrieg lässt sich zunächst der Betriebsort Spiegelgasse 8 nachweisen, wo
Kende damals wohnte. Ab 1909 wurden die Geschäfte während der Sommermonate auch
über eine Dependance in Karlsbad – im „Haus Fischer" am Schlossplatz –
abgewickelt.
Kendes Unternehmen befasste sich damals laut
Gewerbeberechtigung mit dem Ein- und Verkauf von Ölgemälden alter und moderner
Meister, von Miniaturen, Antiquitäten und Kunstgegenständen, und es führte, wie
erwähnt, schon damals Kunstauktionen durch. 1911 wurde der Betriebsort in die
Rotenturmstraße 9, dritter Stock, verlegt. In dem Gebäude, in dem Albert Kende
schließlich bis über den „Anschluss" hinaus wohnte, befand sich auch das
bekannte Kunstauktionshaus seines Bruders Samuel Kende.
In den folgenden Jahren verlegte Albert Kende den
Betriebsstandort noch mehrmals: 1912 in die Spiegelgasse 15 und 1918 in die das
Palais Wilczek in der Herrengasse 5, wobei sich der Auktionssaal schon damals in
der Kärntnerstraße 4 befand.
In der Zwischenkriegszeit besaß Kende phasenweise auch eine
Konzession für den Verlags-, Sortiments- und Antiquariatsbuchhandel, weil gemäß
seinen eigenen Angaben der Kunsthandel allein die Spesen nicht mehr deckte. Im
April 1931 verlegte Albert Kende den Standort seiner Kunsthandlung schließlich
endgültig in die Kärntnerstraße 4, also in die unmittelbare Nähe des
Stephansplatzes.
Über die persönlichen Verhältnisse des Albert Kende in der
Zeit vor dem „Anschluss" ist wenig bekannt. Er war verheiratet mit Alexandr(i)a
Kende, 1938 aber bereits verwitwet. Die Ehe scheint kinderlos geblieben zu sein.
Aus einer 1928 in der „Neuen Freien Presse" erschienen
Todesanzeige zum Ableben von Samuel Kende sind einige Details über die
Verwandtschaftsverhältnisse zu entnehmen. Demnach hatte Albert Kende zumindest
zwei Brüder und zwei Schwestern, die zum damaligen Zeitpunkt alle in Wien
lebten. Samuel Kende, geboren 1858 in Klausenburg, war Begründer und Inhaber des
bekannten Auktionshauses S. Kende in der Rotenturmstraße gewesen. Die Firma
wurde nach dem Tod Samuel Kendes von dessen Witwe, Melanie Kende, und Herbert,
einem der Söhne, fortgeführt. Der zweite Bruder war Josef Kende, eine prominente
Figur im Bereich des Verlags- und Antiquariatsbuchhandels in Wien. Die beiden
Schwestern waren Helene (Lene) Hlavacek und die Musikpädagogin Irma Zeller.
Letztere war mit dem ebenfalls als Musikpädagogen tätigen Guido Zeller von
Zellhain verheiratet.
Nach dem „Anschluss"
Als Jude musste auch Albert Kende nach dem „Anschluss" sein
gesamtes Vermögen der im Mai 1938 eingerichteten Vermögensverkehrsstelle bekannt
geben. Er kam dieser Verpflichtung am 15. Juli 1938 nach. In dem Formular
bezifferte er sein Betriebsvermögen mit knapp 5.000 RM. Bei den übrigen
Vermögenskategorien führte er verschiedene Wertpapiere und eine
Lebensversicherung an, die in seinem Eigentum befindlichen „Gegenstände aus
edlem Metall, Schmuck- und Luxusgegenstände, Kunstgegenstände und Sammlungen"
bewertete er pauschal mit 150 RM. Gleichzeitig gab er einen Schuldenstand von
insgesamt 3120 RM an – Darlehen bei Privatpersonen und Banken sowie eine
ausständige Steuerforderung der Israelitischen Kultusgemeinde Wien.
Im August 1938 forderte die Vermögensverkehrstelle Kende auf,
seine ausländischen Wertpapiere gemäß § 7 der Verordnung über die Anmeldung des
Vermögens von Juden vom 26. April 1938 binnen einer Woche der zuständigen
Reichsbankstelle in Wien anzubieten und auf deren Wunsch hin zu verkaufen. Des
Weiteren sollte er zwei weitere Verzeichnisse zu seinem Vermögensstand binnen
sechs Tagen nachreichen. Gemäß dieser zweiten, noch detaillierteren Aufstellung
bestanden die Aktiva aus 2100 RM Bargeld, einem Lagerbestand von 8000 RM, der
Geschäftseinrichtung im Wert von 500 RM und einer Hilfsbibliothek im Wert von
2500 RM, was einer Gesamtsumme von 13.100 RM entsprach. Unter Hinzurechnung der
einbringlichen Außenstände (3500 von 4800 RM) ergab sich ein Betrag von 16.600
RM, nach Abzug der Betriebsschulden ein Gesamtvermögen von knapp 5.000 RM. Bei
den Schulden führte Kende unter anderem ausständige Einkommen-, Erwerbs- sowie
Warenumsatzsteuern in der Gesamthöhe von 1700 RM an.
Der Lagerbestand umfasste Gemälde, Aquarelle, Kupferstiche,
Miniaturen, Lithographien, Antiquitäten und ostasiatische Kunst, die
Geschäftseinrichtung bestand aus Schränken, diversem Mobiliar, Teppichen,
Beleuchtungskörpern sowie Öfen, die Hilfsbibliothek vor allem aus
Nachschlagwerken und einer Kunstbibliothek. Die Außenstände betrafen auch Wiener
Kunsthandlungen beziehungsweise Antiquariate wie Dr. Fröhlich, Satori, Eugen
Primavesi, S. Kende und Josef Kende, Leitner und Hirschler, aber auch Adelige –
einen Grafen Razumofsky in Troppau (Chodowiecki) sowie die Barone Levetzow,
Laudon und Sokolovsky – sowie einen Major Budil.
Nach dem „Anschluss" wurde nicht nur die Liegenschaft
Kärnterstraße 4, die sich im Besitz einer Familie Fiehl befunden hatte,
„arisiert", sondern auch das Kunst- und Auktionshaus Albert Kende. Über die
genauen Umstände der Enteignung wissen wir wenig – der „Arisierungsakt" ist im
Bestand „Vermögensverkehrsstelle" im Österreichischen Staatsarchiv nicht mehr
auffindbar. Er soll im Jahr 1942 den Finanzbehörden übergeben worden sein.
Angesichts dessen lassen sich die Ereignisse nur schwer exakt rekonstruieren,
und es bleibt unklar, was aus den im März 1938 noch vorhandenen Lagerbeständen
geworden ist.
Einige Eckdaten können den beim Zentralgewerberegister der
Stadt Wien vorhandenen Unterlagen entnommen werden. Diesen zufolge war Ferdinand
Josef Nagler zum kommissarischen Verwalter bestellt worden. Nagler wurde zwar am
23. März 1939 dieser Funktion enthoben, jedoch knapp ein halbes Jahr später, am
9. September 1939, zum allein vertretungsbefugten „Abwickler" des Unternehmens
bestellt. Zu dieser Zeit war Albert Kende zumindest pro forma noch Eigentümer
des Betriebes. Erst am 4. Oktober 1940 wurde dieser auf einen gewissen Josef
Gruber übertragen, laut Handelsregister ein „Kaufmann in Wien". Die
Firmenbezeichnung, bisher „Albert Kende" wurde auf „Josef Gruber" abgeändert,
gleichzeitig der Abwickler Ferdinand Nagler im Firmenbuch gelöscht.
Ziemlich genau ein Jahr später, am 14. Oktober 1941, kam es
zu einer neuerlichen Änderung: Ferdinand Nagler war plötzlich wieder zur Stelle.
Gruber wurde im Firmenbuch gelöscht, Nagler als neuer Inhaber eingetragen. Seine
Gewerbescheine erhielt er im März beziehungsweise Mai 1942. Von der
Gewerbebehörde wurden ihm allerdings hinsichtlich seiner künftigen
Versteigerungstätigkeit gewisse Restriktionen auferlegt: „Gegenstände,
hinsichtlich deren Versteigerungs- oder Veräußerungsverbote bestehen, dürfen
nicht zur Versteigerung gebracht werden. (…) Weiters wird auf die
Verkaufsbeschränkungen aufmerksam gemacht, die in der Anordnung Nr. 17 der
Überwachungsstelle für Edelmetalle (Verkehr mit Gold, Altgold, Bruchgold und
anderen Edelmetallen) vom 24. Dezember 1938 (G. Bl. f. d. Land Österreich
[Gesetzblatt für das Land Österreich], Nr. 55 / 1939) und in der Anordnung V 22
der Überwachungsstelle für Waren verschiedener Art (Verkehr mit losen
geschliffenen Diamanten) vom 9. Januar 1939 (G. Bl. f. d. Land Österreich Nr.
135 / 1939) enthalten sind."
Die Daten, die sich zu Nagler und Gruber eruieren lassen,
sind dürftig. Josef Karl Gruber war am 26. Juli 1889 in Linz geboren. Er war
zwar seit Anfang der 1930er Jahre als Kaufmann in Wien tätig gewesen, allerdings
keineswegs im Bereich des Kunsthandels. Vielmehr besaß er Gewerbeberechtigungen
für den Gemischtwarenhandel im Großen und für eine Kaffeerösterei am Standort
Magazingasse 3 im 3. Bezirk. Wohnhaft war er im 18. Bezirk in Wien. Nach dem
„Anschluss" scheint plötzlich eine Wohnadresse in einem vornehmen Villenviertel
in Baden bei Wien auf – die Weilburgstraße 19.
Nach der Rücklegung der entsprechenden Gewerbe 1942 – die
genauen Umstände sind nicht bekannt – schien Gruber im Wiener Geschäftsleben
zunächst nicht mehr auf. Erst 1949 – er wohnte nun wieder im 3. Bezirk in Wien –
wurde ihm ein Gewerbeschein für den Großhandel mit Nahrungsmitteln ausgestellt.
Zuletzt, bis 1951, war er Gesellschafter der Firma „’Farina’. Großhandel mit
Nahrungs- und Genussmitteln Jancikovic & Co." Er starb am er starb am 13. Juli
1956.
Ferdinand Nagler war am 11. August 1898 in Wien geboren.
Geschäftliche Aktivitäten vor 1938 konnten aufgrund der verfügbaren Akten nicht
eruiert werden. In Nachkriegsdokumenten wird er einmal als „Kunsthistoriker"
bezeichnet. Obwohl offenbar ein Neuling in der Branche, war Naglers Einstieg in
das Kunsthandelsgeschäft während der NS-Zeit von nachhaltigem Erfolg gekrönt.
Während des Krieges spielte das „Kunst- und Auktionshaus Kärntnerstraße" eine
gewichtige Rolle in der Kunsthandelsszene, vor allem auch als Umschlagplatz für
entzogene Kunst- und Kulturgüter.
Genaue Erkenntnisse über den Umfang dieser Aktivitäten liegen
bislang nicht vor. Bekannt ist, dass ein Teil der Sammlung Ferdinand Bloch-Bauer
– noch unter dem Inhaber Josef Gruber – hier versteigert worden ist. Unter
anderem kamen zwischen dem 23. und dem 25. Juni 1941 mehr als 400 Objekte der
kostbaren Porzellansammlung unter den Hammer.
Auch die Sie Silbersammlung von Ernst Egger wurde hier
versteigert.
Im Rahmen eines Projekts der Kommission für
Provenienzforschung, des Dorotheums und der Anlaufstelle der Israelitischen
Kultusgemeinde in Wien unter Leitung von Leonhard Weidinger („Digitalisierung
der Wiener Auktionskataloge aus der NS-Zeit") werden nun auch die
Auktionskataloge des Auktionshauses Kärntnerstraße elektronisch erfasst.
Nicht nur über die „Ariseure" – auch über Albert Kendes
letzte Jahre in Wien wissen wir wenig. Aus den verfügbaren Akten ist zu
entnehmen, dass er nach 1938 seinen Wohnsitz von der Rotenturmstraße in den
zweiten Bezirk verlegen musste. Er zog zu seiner Schwester Irma Zeller in die
Weintraubengasse 30. Dem dünnen Akt der Finanzlandesdirektion im
Österreichischen Staatsarchiv liegt eines der wenigen bisher aufgefundenen
persönlichen Dokumente von Albert Kende bei – sein Mitte März 1941 verfasstes
Testament. Er hat es in der Phase der so genannten Frühjahrsdeportationen aus
Wien aufgesetzt. Es zeigt in erschütternder Weise die Verzweiflung eines durch
die politischen Umstände völlig gebrochenen Mannes und soll hier in ungekürzter
Fassung wiedergegeben werden.
„Wien, am 15. März 1941. Mein letzter Wille!
Bei vollem Bewusstsein, frei von jedem Zwange und
unbeeinflusst, bestimme ich für den Fall meines Ablebens in Wien oder auswärts
Folgendes:
1) Mein bescheidener Nachlass soll nach meinem Tode
bestmöglichst verkauft werden.
2) Erben meines ganzen Nachlasses. resp. des Erlöses aus
diesem, sind meine l. [liebe] Schwester Irma von Zeller und ihr Gatte Guido von
Zeller, wohnhaft: Wien, VI., Köstlergasse 16.
3) Aus diesem Erlös sind folgende drei Legate bar
auszubezahlen: a) RM 200.-, an meine l. Schwester Helene Hlavaćek, Baden b.
Wien, Weisselgasse Nr. 16, oder an deren Tochter Lilly Hlavaćek, Baden b. Wien.
b) RM 400.- an Frau Franziska Weiss, II., Weintraubengasse 30, T. 19. c) RM
400.- an Frl. Vally Hanke, Wien, XVI., Effingergasse 20. Diese drei Legate
gelten natürlich nur nach Maßgabe des vorhandenen Geldes für die verkauften
Sachen.
4) Die Kosten meiner sehr einfachen Beerdigung sind aus dem
Erlös zu tragen.
5) Sollte ich aus Wien fortmüssen, dann soll der Betrag von
RM 200.- an meine l. Schwester Helene Hlavaćek oder deren Tochter gleich nach
meiner Abreise bar ausbezahlt werden. Natürlich haben diese beiden dann nach
meinem Ableben keinerlei Ansprüche mehr an meine Verlassenschaft.
6) Ich bestimme ausdrücklich, dass außer den hier unter 2 – 4
angeführten Personen niemand anderer aus dem Erlös meiner Sachen auch nur eine
Mark erhalten darf, da keine andere Personen einen Anspruch darauf hat.
7) Ich hinterlasse keine Schulden.
8) Ich wünsche den Herzstich.
9) Die Beisetzung meiner Leiche oder m. Urne soll an der
Seite meiner sel. Frau am Zentral-Friedhof, IV. Tor, erfolgen.
10) Solle in meinem ehemaligen Geschäft irgendeine
Veränderung zu meinen Gunsten eintreten, dann bitte ich meinen l. Schwager
Guido, sich dieser Sachen anzunehmen und diese durchzuführen.
Ich bitte von meinem Ableben auch einige Bekannte zu
verständigen, i. b. Dr. Haydn, Dir. Pollak, Frl. Kulmann, Herrn Pelzl, Frl.
Hanke, Janaczek, Pamer, Kehldorfer etc.
Meiner l. Schwester Irma v. Zeller und ihrem l. Gatten Guido
v. Zeller danke ich für alle ihre Güte, Hilfe und Mühe nachträglich herzinnigst.
Allen meinen l. Verwandten und Bekannten, insbesonderes meiner l. Schwester
Helene, ihrer Tochter Lilly, m. Schwager Theodor, den Schwestern Hanke, Frau
Weiss, Kühne’s etc. rufe ich mit Dank für alles ein letztes Lebewohl zu!
Ich hoffe, dass Ihr meine sel. Gattin Alexandria u. mich in
guter Erinnerung bewahren werdet. Leget ab u. zu einige Blumen auf unser Grab.
Meine l. Schwester Irma u. ihren Gatten Guido küsse und grüße ich zum letzten
Male allerherzlichst. Der liebe Gott segne und beschütze Euch alle und gebe Euch
in Frieden noch viele Jahre Gesundheit, Glück, Freude und Zufriedenheit! Lebet
wohl, meine Lieben! Gott mit Euch!
Euer armer, unglücklicher, vollständig gebrochener alter
Albert Kende m. p.
Wien II., Weintraubengasse Nr. 30."
Weniger als zwei Jahre nach der Abfassung dieser
letztwilligen Verfügung war Albert Kende tot – gestorben am 3. Dezember 1942 im
Alter von 70 Jahren im Konzentrationslager Theresienstadt. Zum Zeitpunkt seiner
Deportation hatte sich sein Gesamtvermögen laut einem „Vermögensverzeichnis
nachstehender in die Ostgebiete evakuierter Juden" auf einen Bargeldbetrag von
50 RM reduziert. Am 14. Juli 1942, am selben Tag, an dem er – wohl im
Sammellager – dieses letzte Vermögensbekenntnis ausgefüllt hatte, war er nach
Theresienstadt deportiert worden.
Albert Kende wurde nach dem Krieg – auf Antrag seiner
Schwester Irma Zeller und mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen
in Wien vom 10. November 1946 – für tot erklärt. Es wurde festgestellt, dass er
am 8. Mai 1945 nicht mehr am Leben gewesen war. Sein Bruder, der Antiquariats-
und Verlagsbuchhändler Josef Kende, geboren am 6. Juni 1868, war bereits am 1.
April 1938 von den Nationalsozialisten mit dem so genannten „ersten
Prominententransport" in das Konzentrationslager Dachau deportiert und von dort
später nach Buchenwald verlegt worden. Er war dort am 24. Oktober 1938 als
vermutlich erster österreichischer Häftling ums Leben gekommen. Das berühmte,
von Samuel Kende gegründete Auktionshaus S. Kende in der Rotenturmstraße war
nach dem „Anschluss" ebenfalls „arisiert" worden – von dem Münchner Auktionator
Adolf Weinmüller. Die Inhaber, Melanie und Herbert Kende, konnten in die USA
flüchten.
Im November 1946 hatte Ferdinand Nagler gemäß der
Vermögensentziehungs-Anmeldungsverordnung die protokollierte Firma „Albert
Kende. Kunstauktionshaus und Antiquitätenhandel" in der Kärntnerstraße samt
Konzessions- und Mietrechten beim Magistratischen Bezirksamt für den ersten
Bezirk als entzogenes Vermögen angemeldet. Den Zeitpunkt der Entziehung datierte
er im Vordruck mit dem 19. März 1940. Der Wert der Vermögenschaft am 13. März
1938 war ihm nach eigenen Angaben nicht bekannt. Zum Vorbesitzer, Albert Kende,
vermerkte er: „unbekannt gestorben". Auch der Verbleib des Vorerwerbers, Josef
Gruber, war ihm „unbekannt". Nagler gab an, er habe das Unternehmen auf Basis
eines Kaufvertrags vom 17. Juli 1941 um 7.800 RM erworben. Unter der Rubrik
„allfällige Gegenleistung" merkte er an: „unbekannt, angeblich überschuldet".
Als Alleinerbin galt Albert Kendes Schwester Irma Zeller von
Zellhain, die 1946 wie schon während des Krieges in der Köstlergasse 16 im 6.
Bezirk lebte. Ihr Ehemann, Guido Zeller von Zellhain, hatte während der NS-Zeit
nicht zu den „rassisch" verfolgten Personen gehört. Durch diese „Mischehe" war
Irma Zeller vor der Deportation bewahrt geblieben. Guido Zeller war jedoch aus
politischen Gründen von den Nationalsozialisten verfolgt worden. Er hatte einer
legitimistischen Gruppierung angehört und war am 13. Februar 1943 festgenommen
worden. Das gegen ihn eingeleitete Verfahren wegen „Vorbereitung zum Hochverrat"
und „Feindbegünstigung" war am 1944 wegen Verhandlungsunfähigkeit vorläufig
eingestellt worden. Er war am 4. Jänner 1945 im Allgemeinen Krankenhaus in Wien
gestorben.
Ferdinand Nagler gab gegenüber den Behörden an, er habe sich
mit Irma Zeller wegen allfälliger Rückstellungsansprüche restlos geeinigt. Als
Beweis legte er eine mit 30. September 1946 datierte Erklärung von Irma Zeller
vor, in der diese bestätigte, dass sie von Nagler „vollauf schadlos gehalten"
worden sei und daher auf die Rückstellung des entzogenen Vermögens verzichte.
Die Hintergründe und Details dieses Vorgangs sind nicht bekannt.
Bei der Magistratsabteilung 69, die nach dem Krieg für die
Bestellung öffentlicher Verwalter für „arisierte" Unternehmen zuständig war,
wurde nach dem Krieg auch ein Akt zum Auktionshaus Kärntnerstraße 4 angelegt.
Die MA 69 konnte zur Causa lediglich feststellen, dass die Firma angeblich
überschuldet und von einem Josef Gruber „arisiert" worden sei. Diesem sei eine
Auflage von 4260 RM vorgeschrieben worden – wohl die so genannte
„Arisierungsauflage", die in vielen Fällen vom Käufer zusätzlich zum
eigentlichen Kaufpreis bezahlt werden musste und den Finanzbehörden zufloss.
Festgehalten wurde auch, dass in den verfügbaren Unterlagen aus der NS-Zeit eine
politische Beurteilung des Zweiterwerbers, Ferdinand Nagler, nicht enthalten sei
Eine Vera Pichler, Wien 1., Opernring 17, geboren 1902, die
einen Gewerbeschein für den Handel mit Antiquitäten und mit Gemälden besaß,
hatte sich um die öffentliche Verwaltung des Betriebes beworben. Zur Einsetzung
einer öffentlichen Verwaltung scheint es aber im Fall des Auktionshauses
Kärntnerstraße nicht gekommen zu sein. Genaue Angaben fehlen, denn der
eigentliche Akt über die öffentliche Verwaltung ist nicht mehr vorhanden. Gemäß
einer Notiz wurde er im Zuge eines vom Kunsthändler Friedrich Pfundmayer
angestrengten Ehrenbeleidigungsprozesses an das Strafbezirksgericht am Hernalser
Gürtel übermittelt.
Ferdinand Nagler war fast bis zu seinem Lebensende als
Kunsthändler und Auktionator in Wien tätig – bis in die späten 1960er Jahre am
Standort Kärntnerstraße 4 / Tür 8 - 10. Erst dann verlegte er den Betriebsort an
seine Wohnadresse, in die Kärntnerstraße 47 / Tür 5, und zuletzt, 1972, in seine
neue Wohnung in der Operngasse 32 / Tür 22. Dort war er allerdings nur mehr als
Kunst- und Antiquitätenhändler und nicht mehr als Auktionator tätig. Ende 1968
beziehungsweise 1973 legte Nagler seine Gewerbescheine zurück. Die Firma
„Ferdinand Nagler" in der Kärntnerstraße 4 wurde 1976 aus dem Handelsregister
gelöscht.
Mitte der 1970er Jahre war Nagler offenbar nicht mehr in
Wien, sondern in Mödling ansässig. Er starb am 2. Juli 1980 im
niederösterreichischen Edlitz.
1967 war Nagler im Zuge eines bei den deutschen
Wiedergutmachungsbehörden in Berlin anhängigen Verfahrens zur „Arisierung" des
Kunstauktionshauses Kärntnerstraße befragt worden. Er hatte wortreich und mit
demonstrativer Bereitwilligkeit Auskunft erteilt. Wie viele andere belastete
Kunsthändler argumentiert er, es habe primär das vormalige „Altreich" von den
„Arisierungen" und Entziehungen im Kunstbereich profitiert – womit er indirekt
jegliche Schuld von sich wies. Seine Ausführungen waren zwar insoweit
zutreffend, als im Zuge des so genannten „Führervorbehalts" und der
Zwangsablieferungen von Edelmetallen und Juwelen beträchtliche Werte ins
„Altreich" abgeflossen waren, doch hatten gleichzeitig die in der NS-Zeit in
Österreich tätigen Händler in kaum vorstellbarem Ausmaß von der „Arisierung" von
Sammlungen und der Enteignung und Auflösung von Kunsthandlungen in jüdischem
Eigentum profitiert. Dies alles blendete Nagler vollständig aus:
„Ich bin Inhaber des Kunstauktionshauses ‚Kärntnerstraße’ und
seit vielen Jahren ein in Österreich anerkannter Fachmann auf dem Gebiet der
Kunst und des Kunstgewerbes. Ich bin, da ich auch in der Zeit von 1938 bis 1945
Inhaber dieses Auktionshauses Kärntnerstraße war, auch in der Lage, über die
seinerzeitigen Anordnung[en] der nationalsozialistischen Behörden, insbesondere
der Gestapo, genaue Auskunft zu geben. In diesem Sinne ist auch meine
eidesstattliche Erklärung vom 2. April 1964 erfolgt und sie ist auch in diesem
Sinne auszulegen. Ich habe in dieser Erklärung ausdrücklich darauf hingewiesen,
dass mir die Anordnungen der nationalsozialistischen Behörden und die daraus
hervorgegangenen Gepflogenheiten bestens bekannt sind. In Kenntnis dieser
Anordnungen und Gepflogenheiten mussten sämtliche hochwertigen Güter,
insbesondere Gold-, Silber- und Schmucksachen sowie Kulturgüter und Sachen von
musealem Wert ‚ins Altreich’ verbracht werden. In diesem Zusammenhang stelle ich
fest, dass die Anordnungen bestanden haben und vor allem die aus diesen
Anordnungen hervorgegangenen in Wien praktizierten Gepflogenheiten (…) Ich war
nicht nur über die Anordnungen unterrichtet, ich vermutete nicht, dass die
wertvollsten Gegenstände nach Berlin gelangt sind, sondern ich weiß aus eigener
Kenntnis, dass diese Gegenstände (…) ins ‚Altreich’ gelangen mussten (…)."
Verwendete Archivquellen:
- Wirtschaftskammer Österreich (Wien), Archiv: Albert Kende;
Albert Kende & C0., Ferdinand Nagler.
- Österreichisches Staatsarchiv / Archiv der Republik (ÖStA /
AdR): 06, Vermögensverkehrsstelle (VVST), Vermögensanmeldungen, VA 11.666
(Albert Kende).
- Österreichisches Staatsarchiv / Archiv der Republik,
Finanzlandesdirektion (FLD), FLD-Akt Albert Kende; Transportakt 31 / 589 vom
14.7.1942, Ktn. 76.
- Magistrat der Stadt Wien, Zentralgewerberegister (Altes
Rathaus), Karteiblätter zu Josef Karl Gruber, Ferdinand Nagler und Adolf
Deutsch.
- Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), M. Abt. 119, A 41,
VEAV (Vermögensentziehungsanmeldungen), I / J – 1245 (Albert Kende / Ferdinand
Nagler).
- WStLA, M. Abt. 119, A 25 (öffentliche Verwalter), R 1510,
Nagler vorm. Kende.
- Israelitische Kultusgemeinde Wien, Matrikenamt.
Literatur und Online-Recherchen
- Sophie Lillie, Was einmal war. Handbuch der enteigneten
Kunstsammlungen Wiens, Wien 2003, S. 204.
- Tina Walzer / Stephan Templ, Unser Wien."Arisierung" auf
österreichisch, Wien 2001, S. 173 f.
- Homepage des Dokumentationsarchivs des österreichischen
Widerstandes (DÖW) (www.doew.at): Namentliche Erfassung der österreichischen
Holocaustopfer: Albert Kende, Josef Kende; Nicht mehr anonym: Gestapokartei
(Guido Zeller von Zellhain); Volltextsuche: Stichwort: Josef Kende.
- Datenbank des Zentralinstituts für Kunstgeschichte München
(http://www.zikg.eu) (betreffend Auktionen)
Mein besonderer Dank gilt Kurt Hientz (Magistrat der Stadt
Wien, Zentralgewerberegister), Christian Kucsera und Dr. Hubert Steiner
(Österreichisches Staatsarchiv), Dr. Gerhard Ungar (DÖW), Mag. Wolf-Erich
Eckstein (Matrikenamt der Israelitischen Kultusgemeinde Wien), den Archivarinnen
und Archivaren des Wiener Stadt- und Landesarchivs sowie Frau Mag. Rita Tezzele
(Archiv der Wirtschaftskammer Wien).
[1] Die Verfasserin dieses Beitrags arbeitet an
einem vom Zukunftsfonds der Republik Österreich geförderten Forschungsprojekt
mit dem Titel „Der Kunsthandel in Österreich während der NS-Zeit und seine Rolle
im nationalsozialistischen Kunstraub.“ Dieser Beitrag wird in einer etwas
erweiterten Version und versehen mit einem ausführlichen Anmerkungsapparat auf
der Homepage des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW)
veröffentlicht (www.doew.at, siehe dort unter
dem Stichwort: Themen).
[1] Siehe dazu:
Die „Arisierung“ des
Kunstantiquariats und Auktionshauses S. Kende durch Adolph Weinmüller,
in: „David“,
19. Jg., Nr. 69,
Juni 2006, S. 16-22. Der Artikel findet sich auch auf der Homepage des DÖW.
[1] Die Akten des Bezirksgerichts sind nicht
erhalten.
[1] Für die Ermittlung des Sterbedatums danke ich
dem Meldeamt der Gemeinde Mödling.
[1]
Landesarchiv Berlin, Archiv für Wiedergutmachung, Auskunft des Ferdinand Nagler,
26.5.1967, AfW, Bd. 28, S. 746-747.