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Wien 2, Tempelgasse Nr. 3c

Erinnerungen 1943 – 1953, Teil 3

Hans GAMLIEL

An der Ecke zur Tempelgasse gab es eine Bäckerei. Als Heimbewohner mit Familie tat man gut daran, jene Bäckerei hin und wieder bei Einkäufen zu berücksichtigen, und zwar aus folgendem Grund: Viele der Frauen waren aus Vorkriegszeiten daran gewöhnt, selbst zu backen. Im Heim gab es dafür keine Möglichkeit. Sowie das Angebot der Lebensmittelgeschäfte an Zutaten wie Vanillinzucker oder Backpulver größer wurde stieg der Drang zum Selbstbacken. Deshalb war es von großem Vorteil, vom Bäcker selbst oder von dessen Frau als Kunde identifiziert zu werden. Eine Heimkundin fragte den Bäcker eines Tages, ob er ihr so gefällig wäre, einen von ihr gefertigten Teig, den man auf einem Blech zu ihm bringen würde, in seinem Ofen gegen Bezahlung mitzubacken? Obschon er für diese Gefälligkeit einen Obolus verlangte, willigte er mürrisch ein. Brachte man das Blech zu ihm, nannte er eine Zeit, zu welcher man das Backwerk abholen konnte. Dass hernach eine Seite ziemlich angebrannt war, musste man, wollte man wieder kommen, geflissentlich übersehen. Die Ware war immer angebrannt. Dorothea, die mittlerweile ebenfalls dazu übergegangen war, Kuchen selber zu fertigen und den rohen Teig auf einem Blech von Hans zum Bäcker bringen ließ, ärgerte sich regelmäßig, und mehr noch darüber, nicht reklamieren zu dürfen. Es hatte nämlich den Anschein, als ließe der Bäcker, aus Ärger darüber, dass man Kuchen nicht gleich bei ihm bestellte, die mitgebrachte Ware absichtlich anbrennen.

Schräg gegenüber der Bäckerei, ebenfalls in der Ferdinandgasse, befand sich ein Kolonialwarenladen. An dessen Eingang waren links und rechts ziemlich große emaillierte Reklametafeln angebracht, auf denen Namen der Waren aufgelistet standen, die man einst regelmäßig, heute aber der misslichen Lage wegen gar nicht oder bis auf weiteres nicht mehr kaufen konnte. Trat man in den Laden, dessen Inneres auch bei Tageslicht dunkel und düster war, umhüllte einen sofort eine süßliche, gewürzschwere Mischung unterschiedlichster Gerüche. Reis, Gries und verschiedene getrocknete Hülsenfrüchte wurden aus auf dem Boden stehenden Jutesäcken, aber auch aus anderen Behältnissen dargeboten. Je nachdem, in welchem Teil des Ladens man sich gerade befand, roch es aber auch nach Petroleum, Schmierseife und anderem. Den Laden betrieb eine ältere, allein stehende Frau, deren Aussehen jener herrlichen von Wilhelm Busch kreierten Figur der Witwe Bolte sehr nahe kam. Julius Meinl, die bekannteste, alteingesessene Delikatessenfirma war ebenfalls in der Praterstrasse präsent. Bis Ende der Vierzigerjahre war das Einkaufen in diesem Laden aber nur jenen vorbehalten, die Geld besaßen. Selten kam es vor, dass auch Dorothea dort einkaufen ging. Bei Meinl war alles frischer, exklusiver, schöner aber auch wesentlich teurer als in anderen Läden. So klein dieser in der Praterstrasse gelegene Laden war, schien er sowohl vom Warenangebot und der Auswahl, wie sonderbarerweise auch von Kaufwilligen überfüllt. Stets war bestens geschultes, freundliches Personal in ausreichender Anzahl zugegen, welches in firmeneigene, hellbraune Uniformmäntel gekleidet jeden zuvorkommend bediente. Bei Meinl als Verkäufer oder Lehrling engagiert zu werden waren viele bestrebt. Man hatte nur dann eine Chance, wenn man einen erstklassigen Schulabschluss vorweisen konnte, sowie eine betriebsinterne Prüfung bestand. Selbst danach wurde unter den vielen Bewerbern noch gründlich ausgesiebt. Hatte jemand den Zuschlag der Anstellung bekommen, konnte er oder sie sich fast "von" nennen, denn das Personal von Meinl stand im beruflichen Ansehen weit über anderem Verkaufspersonal, was sich auch im Verdienst bemerkbar machte. Dreißig bis fünfzig Prozent aller Kunden, wenigstens die im Heim lebenden, ließen anschreiben, was auf Pump einkaufen hieß. Dies war machbar, wenn man dem Ladenbetreiber halbwegs bekannt war und man tat es, sobald man knapp bei Kassa war - wann war man es nicht? So wurstelten sich viele von einem zum anderen Monat durch. Usus war es, jene Geschäfte zu umgehen, bei denen man längere Zeit mit der Bezahlung der Schulden in Rückstand geraten war. Gelang es nicht, die vorrangigen Schulden zeitgerecht zu begleichen, durfte man mit Sicherheit den Pfändungsbeamten erwarten. Manche gerieten dadurch in einen Kreislauf von Schulden machen und bezahlen, aus welchem ihnen erst Jahre später auszubrechen gelang.

Neben Tee, seltener Kaffee und dem herrlichen Wiener Hochquellwasser trank man bei Gamliels sehr gerne Himbeersaft. Besonders fein und vor allem prickelnd schmeckte der Sirup, spritzte man ihn mit Sodawasser auf. Sodawasser war in dicke Glasflaschen abgefüllt und nur über Gasthäuser im Gassenverkauf erhältlich. Die Flaschen standen unter einem starken Kohlesäuredruck und waren deshalb mit einem speziellen Metallverschluss, einen ebensolchen Auslass und einem Hebel versehen. War Dorothea danach oder wollte sie den Kindern Freude bereiten, wurde Hans - wer sonst? - eine solche Flasche von einem Gasthaus holen geschickt. Ehe der Wirt Hans die Flasche über die Schank hinweg reichte verabsäumte er nie, sich mittels kurzem, sehr schnell ausgeführten Schlag auf den Hebelmechanismus davon zu überzeugen, dass der Flascheninhalt unter genügend starkem Druck stand. Dann schoss ein kurzer Wasserstrahl von der Flasche ins Spülbecken. Erst danach überreichte er sie ihm. Einmal, als Hans wieder eine solche Siphonflasche holen musste, herrschte im Gasthaus Stossbetrieb. Des turbulenten Geschäftsgang wegen überreichte der Wirt diesmal Hans die Flasche, ohne den Probeschlag ausgeführt zu haben. Hans nahm die Flasche entgegen und verließ rascher als er eingetreten war das Lokal. Schon lange hatte er gehofft, eigentlich darauf gewartet, dass der Wirt besagte Kontrolle einmal auslassen möge und diesmal war der Fall eingetreten. Hans hatte nichts weiter im Sinne gehabt, als die Kontrolle selbst auszuführen. Er machte sich daran, die Praterstrasse langsam zu überqueren. Langsam deshalb, weil er den Mechanismus noch kontrollieren wollte. Daher konzentrierte er sich wesentlich mehr auf die Ausführung seines Vorhabens als auf den Verkehr auf der Hauptstrasse. Er kämpfte, einerseits mit dem beachtlichen Gewicht der Flasche, andererseits damit, diese mit einer Hand so zu halten, dass er endlich, mit der anderen den Schlag auf den Mechanismus ausführen konnte. Der Weg zum Heim war kurz. Er geriet in Zeitnot, denn die Probe wollte er unbedingt noch ausführen. Endlich schlug er auf den Hebel und fühlte sich danach für einen kurzen Augenblick mächtig. Ein starker, aber viel längerer Strahl als sonst beim Wirt, schoss aus der Siphonflasche. Hans hatte die Flasche mit dieser auch den Ausfluss nicht nach unten sondern aufwärts gehalten, weshalb der Strahl halbhoch in Richtung Straßenmitte hin zielte. Er hatte den Hebelmechanismus eindeutig zu lange gedrückt, und der lange Wasserstrahl traf einen just im selben Augenblick mit einer Beiwagenmaschine daher fahrenden Motorradfahrer mitten ins Gesicht. Der Fahrer erschrak und verriss seine Maschine derart, dass er eine Strecke in Schlangenlinien weiter fuhr. Dann, als er sein Gefährt wieder unter Kontrolle gebracht hatte, wendete er und machte sich daran, dem nicht weniger erschrockenen, nun davon laufenden Knaben nachzufahren. Sowohl der erschreckte Motorradfahrer wie auch Hans hatten ungemein großes Glück, dass jener mit seinem Gefährt nicht in einen der damals noch in der Strasse stehenden Kandelaber hinein krachte. Hans, der den Strahl vom Verlassen der Flasche bis hin zum erschreckten Antlitz des Motorradfahrers verfolgt hatte, war, als er das Malheur erkannte, wie vom Blitz getroffen. Einen Augenblick lang blieb er erstarrt stehen, um im Moment darauf möglichst rasch davon zu laufen. Außer Atem und keuchend erreichte er das rettende Heim. Seiner erstaunten Mutter die Flasche in die Hände drückend, versuchte er in unverständlichen Wortfetzen sein Hasten zu erklären und sich zugleich in den Kasten zu zwängen und darin zu verstecken. Der Motorradfahrer hatte wohl gesehen, wohin Hans gelaufen und in welchem Haus er verschwunden war und fuhr durch das offen stehende Tor in den Hof hinein. Dorothea vernahm eine brüllende Männerstimme, begab sich zum Fenster und sah hinunter. Sie versuchte den zu Recht aufgebrachten Mann zu besänftigen. Nach einigem Hin- und Her wandte er sich ab, startete die Maschine und fuhr mit heftigem Kopfschütteln davon. Erst nach einer Weile wagte Hans sein Versteck zu verlassen und über das Vorgefallene zu berichten. Er war fest davon überzeugt, nichts dafür zu können. Von ihm aus gesehen hatte alleine der Wirt, seiner Nachlässigkeit wegen, Schuld am Vorgefallenen.

Mit der Zeit konnte man in Wien an vielen von Ruinen und Schuttbergen frei gewordenen Plätzen neue Bauten entstehen sehen. Vorrangig wurden Wohnhäuser errichtet, die meisten von der Gemeinde Wien, „Gemeindebauten" genannt. Die entstandenen Wohnungen wurden von der Gemeinde nach einem von ihnen erstellten Modus an Bedürftige vergeben. Dorothea trachtete schon die längste Zeit danach, mit den Kindern und Onkel Paul aus dem Heimzimmer in eine Wohnung zuziehen. Finanziell war es ihnen nie und nimmer möglich, eine Wohnung zu erstehen. Daher verfasste Dorothea Eingabe über Eingabe an alle zuständigen Institutionen und an so genannte "Macher", bis hin zum Bundeskanzler und Bundespräsidenten, um auf ihre missliche Lage und Bedürftigkeit hinzuweisen. Die Wohnungsvergabe hing aber, wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen, davon ab, welcher Gesinnung und Partei man zuzuordnen war. Da hatten Dorothea und Onkel Paul die wohl schlechtesten Karten zur Hand. Beide waren sie Mitglieder der KPÖ gewesen und somit alle Eingaben um Zuteilung einer Gemeindewohnung von vornherein, vergebliches Mühen und andauernde Leerläufe.

Aber war es nicht aus vielerlei Gründen und in weit verbreiteter Weltanschauung damals naheliegend und verständlich, dass sie zu den Kommunisten tendierten? Hatte sie nicht die Sowjetarmee vom Hitlerjoch befreit gehabt? Hatten nicht die Sowjets Onkel Paul, trotz zehn Jahre dauernder Emigration (und dies in Sibirien) sein Überleben ermöglicht? Und befand sich das Obdachlosenheim nicht ausgerechnet in der Leopoldstadt, welche sowjetische Besatzungszone und zugleich eine Hochburg der KPÖ Wien war? Daher war Russlands Staatschef Stalin sowohl für Onkel Paul wie auch für Dorothea ihr Befreier. Hätten sie damals schon gewusst, dass der auch von ihnen Umjubelte ihrem Peiniger Hitler an Grausamkeit um nichts nachstand - das Schicksal war ihnen gnädig und ließ sie die Wahrheit über Stalin erst viel später erfahren, dann aber völlig anders über ihn denken und urteilen. Industriebetriebe, die in der sowjetischen Zone angesiedelt und noch intakt waren, wurden von den Russen baldigst aktiviert und selbstverständlich von russischen Direktoren geleitet. Durch diese Ankurbelung fanden viele Wiener Beschäftigung und die KPÖ einigen Zulauf. In einem solchen Betrieb hatte Dorothea, die fünf Fremdsprachen in Wort und Schrift perfekt beherrschte seit geraumer Zeit eine Anstellung als Chefdolmetscherin und Sekretärin gefunden. Auch Onkel Paul arbeitete im südlichen Wien, ebenfalls in einem von den Russen geführten Betrieb, in seinem erlernten Beruf als Buchhalter.

Das Parteilokal der KPÖ befand sich zuerst in der Praterstrasse Nr. 24 und wurde einige Zeit später in das Haus 54 verlegt, in welchem Johann Strauss den Donauwalzer komponiert hatte. Besonders die neue, junge Generation wurde von der KPÖ umworben, für die sie viele Veranstaltungen organisierte. Hin und wieder lud die KPÖ zu wunderbaren "Bunten Abenden" ein, durch welche die damals bekannten Conferenciers wie Max Lustig, Else Rambausek oder Richard Eybner führten und in denen häufig Ensembles der Rotarmisten atemberaubende und zugleich artistische Tanzvorführungen zeigten oder der Chorleiter Sergei Jaroff mit seinen Don Kosaken herrliche und mitreißende aber auch zu Herzen gehende melancholische Gesänge zum besten gab. Es gab auch Spiele, Feste und Ferienlager, die gerne besucht und benutzt wurden. Eine Abteilung der Jungkommunisten war die "Junge Garde". Diese trug Uniformen mit blauen Leinenhemden und entsprechendem Emblem auf der Brusttasche. Dazu hatte man rote Halstücher umgebunden, von denen zwei Enden durch einen geflochtenen Lederknopf gezogen waren, der das Tuch fixierte. Hans bewunderte am meisten den Ledergürtel der Knaben. Am Gürtel faszinierte Hans der runde Metallverschluss, auf dem eine Lilie eingestanzt war und der mit einfachem Handgriff zu handhaben war. Um dieser Abteilung anzugehören, war Hans zu jung. Was aber viel gewichtiger gegen seine Zugehörigkeit sprach, war die gewaltige Abneigung seiner Mutter allen gegenüber, die Uniformen trugen, auch wenn es sich dabei um kommunistische handelte. Fanden derlei Veranstaltungen, oft im weitläufigen Pratergelände statt, wurde Hans damit beauftragt, "Moretti-Eislutscher" zu verkaufen. Dazu wurde ihm eine Holzkiste mit Lederriemen umgehängt, in der die beliebten Eislutscher kühl lagerten. Hans hatte am Verkauf Spaß und brachte die leergekaufte Kiste samt dem erzielten Erlös bereits vor dem Ende der Veranstaltung retour. Zwei Jahre nach Hans wurde Erika eingeschult. Ihre Volksschule befand sich ebenfalls im zweiten Bezirk, in der Kleinen Sperlgasse. Ihr Schulweg war halb so lang wie jener von Hans. Beide Kinder waren von ihrer Mutter angewiesen worden, nach Unterrichtschluss auf dem kürzesten Weg nach Hause zu kommen, es sei denn, sie gingen zur Ausspeisung in die Leopoldsgasse. Während Hans mit der Pünktlichkeit nie Probleme hatte, schaffte es seine Schwester trotz kürzeren Schulwegs nur selten, pünktlich daheim zu erscheinen. Übermäßig lange Verspätungen waren bei ihr die Regel. Dabei tat sie nichts anderes, als mit gleichgesinnten Kolleginnen am Nachhauseweg zu tratschen und dabei Unmengen an Gehpausen einzulegen. Darüber konnte sich Mutter sehr ängstigen und ärgern, was Erika mit regelmäßigem Hausarrest büßen musste.

Hans wurde während all seine Schulzeiten kein einziges Mal antisemitisch angepöbelt. Dabei wohnte er in einem typischen Wiener Proletariarbezirk, zudem im Judenbezirk, der so genannten "Mazzesinsel". Vielleicht kam es deshalb niemals vor, weil weder er noch Erika ein jüdisches Aussehen hatten – wenn es ein solches überhaupt gibt? Ihr Judentum war ihnen eigentlich nur dann bewusst, wenn sie sich im Heim aufhielten. Freunden und Fremden gegenüber verschwiegen sie grundsätzlich ihre Glaubenszugehörigkeit. Selbst der Umstand, dass sie während des christlichen Religionsunterrichtes Parallelklassen aufsuchen mussten, schürte bei keinem Mitschüler Neugier. Ausgerechnet in der Tempelgasse, wo alle Gassenbewohner von der Existenz des jüdischen Heimes Kenntnis hatten, kam es seltsamerweise hie und da vor, von Jugendlichen als "Saujude" beschimpft zu werden. Zur Entlastung solcher Jugendlicher muss beigefügt werden, dass sie dies nur taten, wenn sie mit Knaben des Heimes, also Juden, Fußball spielten und die Judenbuben als

Sieger vom Platz gingen. Erwachsene waren eher zurückhaltend mit dem Gebrauch von derlei Schimpfwörtern. So kurze Zeit nach dem Krieg hatten doch viele Bedenken und Angst, vielleicht als Sympathisant der letzten Machthaber angesehen oder gar erkannt zu werden. Kamen dennoch jene oder ähnliche Schimpfwörter über deren Lippen, konnte man sicher sein, dass Alkohol dafür ausschlaggebend war.

Der jüdisch-türkische Tempel war mittlerweile von einer Baufirma vollends abgetragen worden. Da, wo so lange die Ruine gestanden hatte, war ein großer freier Platz entstanden, der vom Heim bis zur Ferdinandstrasse reichte und von den wenigen Heimknaben sofort zum Spielplatz auserkoren wurde. Nach und nach gesellten sich Knaben aus Nachbarhäusern zu ihnen, und so wie ein paar beisammen waren, wurde Fußball gespielt. Aus dem Boden ragten noch viele Ziegelbruchstücke und Steinbrocken, und mancher der Knaben holte sich beim Stolpern über solche Hindernisse ein blutiges Knie oder zog sich eine Verstauchung zu. Mangels eines echten aber unerschwinglichen Lederfußballes verwendeten sie ein "Fetzenlaberl". Dieses wurde von einer den Knaben wohlgesinnten Mutter aus Stofffetzen zu einem Knäuel zusammen genäht und liebend gerne als Fußballersatz verwendet. Den

Zweck, damit ins Tor zu schießen, erfüllte es allemal. Die Torbreite wurde mittels Steinen oder abgelegten Kleidungsstücken markiert und war einigermaßen erkennbar. Auseinandersetzungen unter den Knaben gab es, wenn es um die An- oder Aberkennung eines Treffers ging, welcher knapp über den Torwart hinweg erzielt worden schien, aber von den Gegenspielern nicht so akzeptiert wurde, weil von ihnen aus gesehen, das "Laberl", weit über das Tor geschossen worden war. Bevor sich die Streitereien darüber, ob es ein oder kein Treffer war, in die Länge zu ziehen begannen, einigten sich die Spieler darauf, dass der sich um den erzielten Treffer geprellt wähnenden Spieler einen Penalty zugesprochen erhielt. Wie immer der Schuss dann ausfiel, es wurde sofort weiter gespielt.

Seitdem Mutter und Onkel Paul berufsbedingt ganztägig außer Haus waren, blieben Hans und Erika tagsüber auf sich selbst angewiesen. Deshalb wurden die Kinder angehalten, verschiedene Hausarbeiten zu übernehmen. Dazu gehörte Betten machen, kehren, Fenster putzen und anderes mehr. Es war selbstverständlich, dass beide die aufgetragenen Arbeiten so gut sie es ihrem Alter gemäss vermochten ausführten.

Hans Gamliel wurde am 25. Dezember 1940 in Subotica, nahe der serbisch-ungarischen Grenze in der Vojvodina geboren. Seine Mutter Dorothea (1918 - 1983) stammte väterlicherseits aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie. 1938 war sie vor den Nationalsozialisten mit Eltern, Geschwister und weiteren Verwandten aus Wien nach Serbien geflüchtet. Dort lebten sie auseinander gerissen bei verschiedenen serbischen Familien versteckt im Untergrund. Ein Grossteil der Familienangehörigen wurde jedoch aufgestöbert, deportiert und in Vernichtungslagern des Dritten Reiches ermordet. 1945 kehrte Dorothea Gamliel mit Sohn Hans und der um zwei Jahre jüngeren Tochter Erika, dabei vielerlei Hindernisse überwindend, über Umwege nach Wien zurück. Im Obdachlosenheim der Israelitischen Kultusgemeinde im 2. Bezirk fanden sie für die nächsten Jahre ein Zimmer. Ab Anfang der 1960er Jahre, arbeitete Hans aufgrund besserer Berufs-Chancen im Gastgewerbe häufig in der Schweiz, wohin er 1984 nach Grub im Kanton Appenzell Ausserrhoden zu seiner Frau übersiedelt ist und noch heute dort lebt. Im Gedenken an seine leidgeprüfte Mutter und seinen ermordeten Vorfahren schrieb Hans Gamliel in den letzten zehn Jahren seine Familiengeschichte und Kindheitserinnerungen auf. Dabei erzählt er die Geschichte in der dritten Person. Ein Jahr seiner Kindheit 1948/49 verbrachte er auf Vermittlung der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde bei einer jüdischen Familie in der Stadt Basel.

 

 

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