Mittlerweile ist mehr als ein Jahr vergangen, seit am 27.
November 2007 im amerikanischen Annapolis unter der Schirmherrschaft von
Präsident George W. Bush die gemeinsame Erklärung von Israels
Ministerpräsidenten Ehud Olmert und Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas über
eine permanente Zwei-Staaten-Lösung der Medienöffentlichkeit präsentiert wurde.
„Zwei Staaten für zwei Völker", lautete die in Annapolis getroffene Formel. Bis
Ende 2008, so das in Annapolis formulierte Ziel, sollte zwischen Israel und
Palästina ein gemeinsames Abkommen zur Zwei-Staaten-Regelung unterzeichnet sein.
Das Zwei-Staaten-Modell
Von beiden Seiten wurde anerkannt, dass nur dieser Vorschlag
eine nachhaltige und tragfähige Lösung des Nahostkonflikts bringen würde. Auch
international wurde die Zwei-Staaten-Regelung als das Lösungsmodell angesehen.
Bereits im März 2002 war dieses Modell vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
in der Resolution 1397 bestätigt worden. Das Modell sieht vor, dass sich die
Territorialgrenzen des palästinensischen Staats im Großen und Ganzen an jenen
von 1967 orientieren, d.h. die im Juni 1967 von Israel besetzten
palästinensischen Gebiete der West Bank inklusive Ost-Jerusalems und des
Gaza-Streifens umfasst. Es besteht auch Einigkeit darüber, dass es einen
begrenzten Gebietstausch geben soll. Für eine detaillierte Grenzziehung zwischen
beiden Staaten konnte jedoch bisher keine Einigung erzielt werden. Gerade für
die Überlebensfähigkeit des Palästinensischen Staates ist diese Frage
vordringlich, um eine effektive Staatsgewalt über das Staatsgebiet ausüben zu
können. Dafür bedürfte es eines Staatsgebiets, das nicht von Enklaven,
Sicherheitszonen und Militäranlagen unter israelischer Kontrolle zerklüftet ist
und dessen einzelne Teile (West Bank, Gaza-Streifen, Ost-Jerusalem sowie etwaige
Gebiete, die heute in Israel liegen) durch Verbindungswege unter
palästinensischer Hoheit miteinander verbunden sind. Dennoch bleibt trotz aller
innenpolitischen Probleme, die sowohl Israel als auch Palästina betreffen, die
Zwei-Staaten-Lösung das anerkannte und angestrebte Modell.
Innenpolitische Turbulenzen
Nach dem Rücktritt des Vorsitzenden der Kadima-Partei und
israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert aufgrund von
Korruptionsermittlungen wurde Außenministerin Tzipi Livni zur neuen Vorsitzenden
gewählt und von Staatspräsident Shimon Peres mit der Regierungsbildung
beauftragt. Seitens der Fatah wurde die Ernennung von Livni zur neuen
Vorsitzenden der Kadima-Partei begrüßt. Nach rund vierwöchigen Verhandlungen
musste sie sich und der israelischen Öffentlichkeit jedoch eingestehen, dass es
ihr nicht gelungen war, eine neue Koalitionsregierung zustande zu bringen. Für
Februar 2009 stehen Neuwahlen in Israel auf dem Programm. Kadima mit Livni oder
Likud mit Benjamin Netanjahu – so heißt das politische Angebot im Februar 2009.
Niemand vermag momentan vorauszusagen, wer das Rennen machen wird.
Auf palästinensischer Seite steht Präsident Mahmoud Abbas,
der viel Energie und politisches Engagement in den Friedensprozess investiert
hat unter Druck, da aufgrund der langsamen Fortschritte des Friedensprozesses
die öffentliche Unterstützung für Abbas zurückgeht. Insbesondere der nicht
gestoppte Siedlungsbau und das Fehlen einer sichtbaren Verbesserung der
Situation in der West Bank sind für die Palästinenser enttäuschend. Gemäß dem
Palastinian Basic Law, das eine Art Verfassung für die Palästinensischen Gebiete
darstellt, endet die Amtszeit von Abbas als Präsident im Jänner 2009. Die
Positionen im Gazastreifen, wo die Hamas im Juni 2007 die Kontrolle übernommen
hatte, und in Ramallah, dem Sitz der palästinensischen Regierung, divergieren
sehr stark.
Darüber hinaus endet im Jänner 2009 die Amtszeit des
amerikanischen Präsidenten George W. Bush, der sich außenpolitisch vor allem mit
einer Lösung für den Nahostkonflikt profilieren wollte. Sein gewählter
Nachfolger, Barack Obama, hat bereits angekündigt, die amerikanische
Außenpolitik neu orientieren zu wollen, jedoch weiterhin einen speziellen Fokus
auf die Situation im Mittleren Osten und insbesondere auf den
israelisch-palästinensischen Konflikt zu legen und dieses Thema wieder zu einem
wichtigen Punkt auf der außenpolitischen Agenda der USA zu machen. Gerade aus
den genannten Gründen werden die ersten Monate des Jahres 2009 entscheidende
Weichenstellungen für die Zukunft des Nahostkonflikts mit sich bringen.
Das Treffen von Sharm el Sheikh
Fast genau ein Jahr nach Annapolis fand im ägyptischen Sharm
el Sheikh am 9. November 2008 eine Konferenz des Nahost-Quartetts, zu dem die
USA, die Europäische Union, die Vereinten Nationen und Russland gehören statt.
Israel und Palästinenser nahmen daran teil. Die israelische Außenministerin
Tzipi Livni und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zogen eine Bilanz der
Entwicklungen seit Annapolis. Zwar scheiterten Israel und die Palästinenser mit
der Absicht, einen Friedensvertrag bis zum Ende der Amtszeit von US-Präsident
George W. Bush auszuhandeln. Dennoch sind beide Seiten einander offensichtlich
näher gekommen, als die öffentlichen Erklärungen erwarten ließen. Livni sprach
von einem intensiven Prozess und ernsthaften Fortschritten.
Im Detail gaben Präsident Abbas und Außenministerin Livni
bekannt, dass es in zahlreichen Bereichen des Verhandlungsprozesses
Übereinstimmung gäbe. So wurde erstens die Bedeutung von kontinuierlichen,
ununterbrochenen direkten bilateralen Verhandlungen betont. Zweitens wurde als
Prinzip aufgestellt, dass nichts als übereingestimmt betrachtet wird, solange
nicht ein Gesamtabkommen erreicht wurde, und drittens wurde die Wichtigkeit
eines umfassenden Abkommens, das alle in Annapolis identifizierten Bereiche
umschließt, unterstrichen. Damit sollten Einzelabkommen in kleinen Bereichen
vermieden werden. Ferner einigte man sich in den Friedensgesprächen zwischen
Israel und den Palästinensern darauf, dass es künftig keine neuen Zieldaten,
Vorgaben oder Initiativen der internationalen Gemeinschaft mehr geben solle. Für
das Frühjahr 2009 wurde eine internationale Nahost-Folgekonferenz in Moskau
geplant.
Das Nahost-Quartett erneuerte beim Treffen den Appell, dass
alle relevanten Staaten und internationalen Organisationen bei der Entwicklung
der palästinensischen Wirtschaft mithelfen und insbesondere den
palästinensischen Behörden beim Aufbau effizienter Strukturen und Institutionen
Unterstützung leisten sollten. Negativer Höhepunkt des Treffens in Sharm el
Sheikh war das Platzen der lange vorbereiteten innerpalästinensischen
Versöhnungsgespräche, an denen auch die verfeindeten Gruppen Fatah und Hamas
teilnehmen sollten. Delegationen von zwölf Fraktionen sollten in Kairo
zusammenkommen, wobei sogar ein Treffen zwischen Palästinenserpräsident und
Fatah-Chef Mahmud Abbas, und Chaled Mechal, dem von Syrien aus operierenden
mächtigen Chef der "Auslands-Hamas", geplant war. Doch am Samstag teilte die
Hamas mit, dass sie die Konferenz boykottieren würde. Als Grund für die Absage
wurde seitens der Hamas angegeben, dass die Fatah im Westjordanland noch rund
500 politische Gegner, hauptsächlich Angehörige der Hamas, im Gefängnis
festhalte, während umgekehrt die Hamas im Gazastreifen Fatah-Leute freigelassen
habe. Die Fatah tat das als "inakzeptablen" Vorwand ab und warnte vor "sehr
gefährlichen" Konsequenzen.
Düstere Perspektiven
Trotz des Bekenntnisses des Gipfels von Sharm el Sheikh, den
Friedensprozess von Annapolis auch unter der neuen amerikanischen Führung
weiterzuführen, sind Zweifel an den Erfolgsaussichten durchaus angebracht. Mit
Skepsis könnte man feststellen, dass die Israelis ein Jahr lang mit einer
palästinensischen Regierung unter Präsident Abbas verhandelt haben, die nur ihr
halbes Volk vertritt, von der Hamas weiterhin nicht anerkannt wird und die schon
deshalb eine Friedenslösung bisher nicht verwirklichen konnte. Die Palästinenser
wiederum haben mit einer israelischen Regierung gesprochen, die aufgrund ihrer
innenpolitischen Probleme nur begrenzt handlungsfähig war. Auch sie hätte ein
Abkommen wohl nur schwer, oder gar nicht umsetzen können. Präsident Bush, der
vor einem Jahr mit dem von ihm initiierten Annapolis-Prozess einen
außenpolitischen Erfolg feiern wollte, gelang es am Ende seiner Amtszeit auch
nicht, effizient auf eine nachhaltige Lösung hinzuarbeiten. Nicht zu vergessen
ist in diesem Zusammenhang, dass das innerpalästinensische Zerwürfnis, wie sich
auch in Sharm el Sheikh gezeigt hat, immer tiefer wird. Ägypten als intensiver
Vermittler hat es nicht geschafft, die zerstrittenen Parteien Hamas und Fatah
zusammenzubringen. Zuletzt ist der Einfluss von Iran und Syrien gewachsen. Sie
sind im Nahost-Quartett gar nicht vertreten. So paradox es auf den ersten Blick
scheinen mag, so offensichtlich ist es auf den zweiten: sowohl Syrien als auch
der Iran haben ein Interesse daran, den Palästinakonflikt am Leben zu halten.
Fazit
Die Weiterführung des bisherigen Annapolis-Prozesses
erscheint unter diesen Vorzeichen wenig erfolgversprechend. Aufgrund des
steigenden Einflusses des Iran und Syriens scheint es unumgänglich, mit der
Hamas ins Gespräch zu kommen und damit die radikalen Palästinenser vom Einfluss
des Iran abzukoppeln. Daher ist es vordringlich, dass die EU, die USA und auch
Israel die innerpalästinensische Aussöhnung unterstützen. Die Hamas scheint zwar
auf den ersten Blick ein unattraktiver Partner zu sein, dennoch würde eine
künftige verstärkte Einbindung der Hamas in den Friedensprozess die Risiken
einer weiteren Ausgrenzung überwiegen. Dafür ist es aber notwendig, die
Gespräche über den rein israelisch-palästinensischen Konflikt hinaus auszudehnen
und insbesondere die Unterstützer der Hamas mit ins Boot zu holen. Syrien
unterhält enge Beziehungen zur Hamas und ist Heimat für Chaled Mechal, den Chef
der Auslands-Hamas. Gerade auch im Zusammenhang mit der Schaffung der
EU-Mittelmeerunion hat Syrien erste Signale ausgesandt, die Beziehungen zu den
arabischen Ländern, dem Westen und auch zu Israel verbessern zu wollen. Mit der
Einbeziehung Syriens und einer Verbesserung der Beziehungen zu Israel könnte
Druck auf die Hamas ausgeübt werden, sich ihrerseits innerpalästinensisch
auszusöhnen. Dies ist natürlich ein sehr optimistisches Szenario. Dennoch ist es
nicht unrealistisch, wenn man bedenkt, dass Frankreich mit einer vergleichbaren
Strategie Syriens Einfluss im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen im
Libanon ausgenutzt hat, um die Hisbollah zu einer Kooperation bei den Wahlen zu
bewegen.
Dem Nahost-Quartett muss es aber gelingen, Israel zu
überzeugen, dass seine längerfristige Sicherheit zum Großteil von einem stabilen
palästinensischen Staat abhängt. Allein auf die neue amerikanische Führung zu
setzen wird der falsche Weg sein. Es bedarf einer gemeinsamen Anstrengung aller
beteiligten Akteure, um den Friedensprozess wieder zurück auf Schiene zu
bringen. Dennoch sollte man heute nicht vergessen, dass gerade das erste Quartal
2009 mit vielleicht neuen handelnden Akteuren wegweisend für die weitere
Entwicklung des Friedensprozesses sein wird.