Bis auf den letzten Platz besetzt war die ehemalige Synagoge
St. Pölten am Sonntag Abend, dem 7. September 2008. Etwa 180 Gäste aus Wien und
St. Pölten lauschten den Glückwünschen und Grußadressen des Botschafters des
Staates Israel Dr. Dan Ashbel, des Landesrats von NÖ Mag. Wolfgang Sobotka und
der St. Pöltener Vizebürgermeisterin Susanne Kysela, von Sektionschef Dr. Peter
Kowalski (BMWF) und dem Generalsekretär der IKG Wien, Mag. Raimund Fastenbauer.
Das Institut für jüdische Geschichte Österreichs feierte sein 20-jähriges
Bestehen und ist damit eines der Zeichen der geänderten Haltung der Republik
Österreich seit dem „Waldheim-Jahr" 1986. Sie führte zur Anerkennung der
jüdischen als Teil der eigenen Geschichte und zur Auseinandersetzung mit der
aktiven Beteiligung Österreichs an den Verbrechen des Nationalsozialismus, der
beinahe alle jüdischen Gemeinden zum Opfer fielen. Auch der Standort des
Instituts, die niederösterreichische Landeshauptstadt, war bis 1940 Heimat einer
überaus aktiven und lebendigen jüdischen Gemeinde. Als die größte der 15
niederösterreichischen Kultusgemeinden mit etwa 850 Mitgliedern betrieb sie ein
reges kulturelles Leben mit Literatur- und Sportvereinen, dem Bund jüdischer
Frontsoldaten, Frauenverein und mehreren Kinder- und Jugendgruppen des
zionistischen Betar. Die prächtige Synagoge, 1912 erbaut und nur aus Furcht vor
der Zerstörung „arischen" Eigentums in der Nachbarschaft verschont geblieben,
zeugt noch heute von selbstbewusster Religionsausübung und ästhetischem
Geschmack.
Marion und Louis Rabinowitsch mit Martha Keil und dem Bild
der St. Pöltener Synagoge. Foto: Bohdan Hanushevsky
Die Ausstellung
Zur Erinnerung an diese vitale Gemeinde installierte das
Institut auf der Frauengalerie und dem Chor die Dauerausstellung „Bei uns war
ein wirklich jüdisches Leben" Die Kultusgemeinde St. Pölten und ihre
Vernichtung. Sechzehn Tafeln zeigen das Leben der St. Pöltener jüdischen
Gemeinde in allen seinen Facetten: Die Gründung, Zerstörung und Renovierung der
Synagoge, Freundschaften und Antisemitismus, Vereinsleben, jüdische Soldaten im
Ersten Weltkrieg und die bittere Geschichte der NS-Zeit bis zur Vertreibung
aller jüdischen St. Pöltener/innen und der Ermordung von 310 Menschen. Nur
wenige kehrten zurück, eine Gemeinde entstand nicht mehr. Die Wiener Grafikerin
Renate Stockreiter gestaltete die Tafeln in den vielfältigen Farben der
Wandmalereien der Synagoge, die von orange über rostbraun, fliederfarben und
olivgrün bis zu einem kräftigen Blau reichen. Als durchgängiges Leitmotiv macht
ein grafisch gestalteter Davidstern „auf den ersten Blick" mit dem Inhalt der
jeweiligen Tafel vertraut: Zuerst intakt in leuchtenden Farben wird er
zunehmende verzerrt, zerkratzt, gebrochen und schließlich beinahe völlig
aufgelöst. Eingeleitet mit einem persönlichen Zitat und durch zahlreiche
Fotographien illustriert, werden die wichtigsten Bereiche und Zeitabschnitte der
jüdischen Geschichte der Stadt nahegebracht. In Rücksicht auf die zahlreichen
jugendlichen Besucher sind die Texte knapp und sehr persönlich gehalten.
Auf den Spuren des Großvaters
Für die Eröffnung der Ausstellung gelang eine Anknüpfung an
die Blütezeit der Gemeinde: Bis 1921 wirkte nämlich Philipp Wolf Rabinowitsch
als Kantor in der Synagoge, dessen hervorragende Stimme und Gesangstechnik,
verbunden mit Herz und Jiddischkeit, allen älteren Überlebenden in lebendiger
Erinnerung geblieben war. Seine Enkel Marion, Louis und Phil mit seiner Frau
Marilyn reisten extra für diesen Abend aus Boston an. Marion Rabinowitz erzählte
von ihrer jahrelangen vorsichtigen Annäherung an St. Pölten und von ihrem
österreichisch geprägten Familienleben. Die vier Kinder von Philipp Wolf
Rabinowitsch, darunter Marions und Louis’ Vater Emil, hatten das musikalische
Talent ihres Vaters geerbt und sangen im Kinderchor der Synagoge. Auch in den
USA – die Familie wanderte aus materieller Not schon 1925 aus – sangen die
Eltern österreichische Volkslieder und kochten österreichische Küche – Marion
schilderte die Zubereitung von Schwammerlsauce mit Semmelknödel. Mit schöner
Altstimme sang sie uns dann das Eingangsgebet „Wie lieblich sind deine
Wohnungen" (Psalm 84, 2), nach der Melodie ihres Großvaters – er hatte sie in
den Ritus seiner Synagoge in Boston übernommen. Emil Rabinowitsch, als Knabe
selbst noch Sänger im St. Pöltener Kinderchor seines Vaters, hatte Zeit seines
langen Lebens – er wurde 96 Jahre alt – eine Ansichtskarte der Synagoge auf
seiner Kommode stehen. Zu meiner großen Freude überreichten mir Marion und die „boys"
eine schön gerahmte Kopie dieser Karte – sie ziert nun den Vorraum des
Instituts. Die ehemalige Synagoge St. Pölten ist zwar glücklicher Weise erhalten
und schön renoviert, doch ist sie ohne ihren einstigen Inhalt des Gebets und der
Gemeinschaft nur noch eine Hülle. Sie lebt von den Erinnerungen der Überlebenden
und dem Gedenken an eine vitale und liebenswerte Gemeinde. Ich hoffe, dass die
Ausstellung zahlreiche Besucher findet und als erstes Angebot eines zukünftigen
„Lernorts" insbesondere für Schülerinnen und Schüler dienen wird.