Als vor mehr als achtzehn Jahren, im März 1990, der damalige
Oberrabbiner Rumäniens Dr. Moses Rosen in einem Interview für die Bukarester
deutsche Tageszeitung Neuer Weg sagte, es gäbe für die rumänischen Juden
nur noch zwei sichere Wege, um das Land zu verlassen – der eine führe zum
internationalen Flughafen Otopeni, der andere auf die Şoseaua Giurgiului, zum
Israelitischen Hauptfriedhof, wurde diese Äußerung Rosens von „neuen
freiheitlichen Stimmen" heftig kritisiert. Denn man meinte, dass nun, nach dem
Ende der Ceauşescu-Diktatur, „eine neue demokratische Ära" beginnen würde. Schon
bald danach wurde deutlich, dass diese „neue Freiheit" viele Gesichter hat, und
einige kannte man schon: jene der ehemaligen kommunistischen Nationalisten und
jene der alten, auferstandenen Rechtsradikalen, die sich nun in der politischen
Szene lautstark zurück meldeten. Und als kürzlich in der rumänischen Hauptstadt
der jüdische Friedhof in einem unvorstellbaren Ausmaß verwüstet wurde, erkannte
man, dass heute nicht einmal mehr dieser „zweite Weg" so „sicher" ist.
Zerstörte Grabmale auf dem jüdischen Hauptfriedhof in
Bukarest. Foto: Edi Kupferberg
Während der Hohen Feiertage – Rosch ha-Schana, Jom Kippur,
Sukkot und Simchat Tora – haben bisher nicht eindeutig identifizierte Täter den
Jüdischen Hauptfriedhof auf der Şoseaua Giurgiului 162 in Bukarest geschändet.
Das geschah, als für Gläubige der Besuch eines Friedhofs untersagt war. Dadurch
konnte der Tatbestand erst mit Verspätung festgestellt werden. Diesem
Verbrechen, das an die dunkelsten Zeiten des Faschismus erinnert, fielen 131
Grabmäler zum Opfer, darunter 53 Stelen aus Marmor und Granit von unersetzbarem
kunsthistorischen Wert, die teils völlig zerstört wurden.
Die Ermittlungen der hauptstädtischen Polizei und
Staatsanwaltschaft haben noch keine überzeugenden und eindeutigen Erkenntnisse
erbracht. Denn die bisherigen Ergebnisse der Untersuchungen sind widersprüchlich
und unglaubwürdig. So heißt es, dass vier Schüler einer benachbarten
Allgemeinschule, „Fünf- und Siebtklässer", drei von ihnen noch nicht vierzehn
Jahre alt, die 131 Grabmale zertrümmert hätten. Das war aber nicht ohne schwere
Hämmer möglich. Die Zerstörungsaktion wurde angeblich mit einem Handy gefilmt,
doch am darauffolgenden Tag wieder gelöscht, so dass diesbezüglich kein
Beweismaterial mehr vorhanden sei. Angeblich wollten „die Kinder" mit dem Handy
einen Hip-Hop-Film „drehen". Das habe sich – so die Pressemeldungen zu den
widersprüchlichen Angaben der vermeintlichen Täter – am 22. oder 23. Oktober
zugetragen. Einmal heißt es, „die vier Schüler" – die in der zentralen
Tageszeitung „România liberă", als „kleine Buben" bezeichnet werden – hätten
diesen Akt der Zerstörungswut vormittags zwischen 10 und 12 Uhr durchgeführt.
Dann wieder berichtet, dass die Friedhofschändung in der Nacht stattgefunden
haben soll.
Unbekannte Täter haben während der jüdischen Feiertage den
Hauptfriedhof in Bukarest verwüstet. Foto: Edi Kupferberg
Außerdem hatten die Täter auch Fenster des Verwaltungsbüros
eingeschlagen, die Inneneinrichtung verwüstet und die Wände mit Hassparolen
beschmiert. Der materielle Schaden beläuft sich auf schätzungsweise 1,2
Millionen Euro. Dem Ansehen des Landes, das Mitglied der Europäischen Union ist,
wird dadurch ein noch viel höherer Schaden zugefügt, der nur schwer abzuschätzen
ist.
Unter den geschändeten Gräbern und Grabsteinen befinden sich
auch die letzten Ruhestätten von Opfern des Holocaust und die Ehrenmale
jüdischer Soldaten und Offiziere, die einst für ihre rumänische Heimat gekämpft
hatten. Nun wäre ihre Heimat gefordert, die Würde der toten Helden wieder
herzustellen.
„Es fällt uns schwer", sagte Dr. Aurel Vainer, Vorsitzender
der Föderation Jüdischer Kultusgemeinden Rumäniens (FCER) und Abgeordneter im
rumänischen Parlament, „nach diesem entsetzlichen Verbrechen nicht an jene
politischen Kreise zu denken, die immer noch, als Ewiggestrige, Hass und
Feindschaft verbreiten, um so die Einwohner Rumäniens mit rassistischen und
religiösen Parolen gegeneinander aufzuhetzen."
Die Saat manch ungestraft gebliebener Provokationen aus
links- und rechtsradikalen Vereinen und Parteien, die seit Jahren in der
Öffentlichkeit unüberhörbar präsent sind, scheint aufgegangen zu sein. Das
trifft sowohl auf die kommunistischen Nationalisten zu, die es immer noch gibt,
als auch auf die faschistischen Bewegungen, die nun wieder marschieren dürfen.
Angst um die Zukunft lähmt die kleine jüdische Gemeinde Rumäniens, die von einst
850.000 auf 10.000 Personen geschrumpft ist. Doch wer heute wegschaut und die
Bedrohungen der Gegenwart nicht sehen will, kann auch die Gefahren der Zukunft
nicht erkennen. Denn, um mit Bertolt Brecht zu sprechen, „der Schoß ist
fruchtbar noch, aus dem das kroch".