Theatrum Sefardicum
Repräsentative Bilder und elaborierte
Epitaphien aus Hamburg
Michael HALÉVY
Unter prunkvoll verzierten Grabplatten,
Sarkophagen und Pyramidalgräbern, gerühmt in bewegenden Eulogien und mit
kunstvollen ein- oder zweisprachigen Epitaphien in hebräischer,
portugiesischer oder spanischer Sprache, die von messianischer Hoffnung, von
Sehnsucht nach Erlösung und vom enganho und desenganho, den
Täuschungen und Ent-Täuschungen der eitlen Welt erzählen: Die Hahamim
und Talmidei Hahamim sowie die Stützen der Portugiesengemeinde –
Rabbiner, Kantoren, Gemeinde-Älteste und Kaufleute – so schlafen sie ihren
letzten Schlaf, in effektvoll in Stein gehauenen theatralischen
Arrangements, beweint von Engeln, Putti, Eroten und Grazien, die Draperien
halten; beschützt von Engeln und Vögeln, Lämmern und gegenständigen Löwen
unter Kronen.

Putti, Eroten oder Engel schmücken sehr
häufig sefardische Grabsteine. Foto mit freundlicher Genehmigung: Jürgen
Faust, Amt für Denkmalschutz, Hamburg
Unübersehbar setzen packende
biblische Szenen, die besonders zwischen 1660 und 1760 in Hamburg,
Glückstadt, Ouderkerk und Curaçao beliebt waren, den Vornamen des
Verstorbenen eindrucksvoll in Szene. Familienwappen mit Sturmhaube und
Marquishelm verweisen auf eine vielleicht auch nur angebliche, durch einen
Taufpaten erworbene aristokratische Herkunft, dazu phantasievoll
illustrierte Familiennamen wie Chaves (Schlüssel), Lobo (Wolf)
oder Ferro (Anker) ,
üppig dekorierte Blumenkörbe oder
Blumenvasen, wie sie in der holländischen Sepulkralkunst so beliebt waren:
Rankengebinde und weinlaubumrankte Säulen, Palmwedel, Kränze, Blumensträuße,
Fruchtornamente, Knospenbündel und Trauben, die Weisheit,
Fruchtbarkeit und Israel symbolisieren; und seltener ein aufgezogener
Parochet oder ein ausgebreiteter Königsmantel mit Bekrönung, vermutlich ein
Hinweis auf den dänischen Wappenmantel bzw. das Wappenzelt.
Mütter halten zärtlich und
fürsorglich ihre Kinder an die Brüste; der Knochenmann kämpft vergebens mit
der himmlischen Macht um einen Sterbenden,
und auf dem kastenförmigen Grabstein
eines
Mitglieds der Beerdigungsbruderschaft künden
Totenschädel, Schaufel, Tau und Leiter vom Ehrenamt des Verstorbenen.

Joseph im Brunnen. Foto mit freundlicher
Genehmigung: Jürgen Faust, Amt für Denkmalschutz, Hamburg
Überall vanitas oder
memento mori-Motive wie Totenschädel (mit oder ohne gekreuzte Knochen),
Stundenglas, Engel- und/oder Fledermausflügel, geschnittene Rosen
oder gefällte Bäume, als Relief dekorativ
in eine Kartusche gesetzt als Zeichen für plötzlichen und zu frühen Tod oder
als Strafe Gottes. All das sind Bilder und Bildprogramme, die seit jeher
unbestreitbar Teil jüdisch-kulturellen Lebens gewesen sind, von der
Synagogenmalerei der Antike bis zur jüdisch-katalanischen Buchmalerei des
Mittelalters und den kostbar dekorierten jüdischen Heiratsverträgen des 17.
und 18. Jahrhunderts. Beeinflusste der Amsterdamer Buchdruck die Grabkunst
der ‹Portugiesen› im 17. Jahrhundert, so übte gewiss auch die Hamburger und
Altonaer Buchmalerei des 18. Jahrhunderts einen nicht geringen Einfluss auf
die Grabkunst der portugiesischen und deutschen Juden aus. Als Beleg dafür
mag das dekorative Titelblatt der berühmten Amsterdamer Haggadah aus dem
Jahre 1695 dienen, das von Hamburger und Altonaer Künstlern kopiert wurde.
Mit aller Macht versuchten die ins
normative Judentum zurückgekehrten Portugiesen, sich eine jüdische
Vergangenheit zurechtzulegen und Traditionen regelrecht zu erfinden. Unter
den großen portugiesischen Familien Amsterdams und Hamburgs wurde es Mode,
Genealogien und Familienchroniken zu erstellen oder in Auftrag zu geben.
Vielleicht ist der dekorative Stamm- oder Lebensbaum auf sefardischen
Gräbern, die außer in Ouderkerk nur in Hamburg nachgewiesen sind, als
Neuanfang nach der Rückkehr ins Judentum zu verstehen und als Versprechen
auf ein neues jüdisches Leben. Vor allem aber zeugen sie vom Stolz der
ex-conversos und Neu-Juden, die häufig erst über dramatische Umwegen den
Weg ins normative Judentum gefunden haben.

Totenkopf mit Knochenmann. Foto mit
freundlicher Genehmigung: Jürgen Faust, Amt für Denkmalschutz, Hamburg
Ein außergewöhnlicher Stammbaum, der große Ähnlichkeit
mit dem aus dem iberischen Buchdruck bekannten ‹Weisheitsbaum› (arbor
scientiae) aufweist, befindet sich auf dem Grabstein des Gideon Abudiente,
Vater des berühmten Grammatikers und Verfassers des messianischen
Predigtbuches ‹Fin de los Días› (Glückstadt/Hamburg 1666), Mose
Gideon Abudiente. In die weit verzweigten Äste eines Baumes sind neben
rätselhaften Einzelbuchstaben und Vögeln die Namen seiner sieben Kinder
gehängt: Imanuel, Netanel, Pahdiel, Abraham, Simson, Ester und Mose.
Wenig verwunderlich also, dass die herausragende
gesellschaftliche Stellung der portugiesischen Großkaufleute und Residenten
ostentativ auch in der von der italienischen Renaissance beeinflussten
Sepulkralkunst gezeigt wurde, vor allem in Amsterdam. Prunkten die
Portugiesen anfangs mit der Opulenz des Steines (Größe, Material), wie es
uns eindrucksvoll das Grabmal des 1623 in Amsterdam verstorbenen
Seidenhändlers Yishak Franco Medeyros zeigt, so trat diese allmählich
zugunsten einer raffiniert inszenierten bildlichen Dekoration in den
Hintergrund. Dieser Wandel war vor allem den Beziehungen der Portugiesen mit
der kalvinistischen und lutherischen Gesellschaft geschuldet, die diese
Kunst virtuos einsetzte, um religiöse Reformen sichtbar voranzutreiben.

Stamm- oder Lebensbaum. Foto mit
freundlicher Genehmigung: Jürgen Faust, Amt für Denkmalschutz, Hamburg
Der aufmerksame Betrachter macht also mit einer Kunst
Bekanntschaft, die bewusst und kunstvoll mit der ‹jüdischen
(Neu-)Erfahrung› spielte, die über mehrere Generationen ja auch eine ‹neu-christliche›
war. Die Grabsteine der ‹Portugiesen› erzählen die Geschichte einer
über hundert Jahre währenden Anpassungs- und Akkulturationsbemühung an das
normative Judentum und an die christliche Mehrheitsgesellschaft. Sie sind
bewegender Ausdruck einer neuen visuellen Sensibilisierung, bedingt durch
ein Leben in einer kalvinistischen oder lutherischen Welt. Als Neu-Juden
waren sie gezwungen, sich mit den kulturellen und sozialen Strömungen ihrer
Zeit auseinanderzusetzen und eine neue visuelle Sensibilität, die besonders
durch den Buchdruck christlicher und jüdischer Drucker gefördert wurde zu
entwickeln. Die vielfach geäußerte These jedoch, die bildreichen Grabsteine
der Portugiesen in der sefardischen Diaspora des Westens seien Ausdruck der
christlichen Vergangenheit der ersten Gemeindemitglieder – die ersten
bildlichen Darstellungen erscheinen jedoch erst in der zweiten Hälfte des
17. Jahrhunderts – kann so nicht aufrecht erhalten werden.
Michael Halévy ist Sprachwissenschaftler
und arbeitet unter anderem am Institut für die Geschichte der deutschen
Juden in Hamburg
Zurück
|