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Rekonstruktion der Synagoge in Floridsdorf
Bob MARTENS
Die Sammlung computergestützter
Rekonstruktionen von Wiener Synagogen wurde mit der Diplomarbeit von Fritz
Schmidt1
nun um Floridsdorf erweitert. Es überrascht nicht, dass die
Rahmenbedingungen im vorstädtischen Umfeld anders gelagert waren als in den
innerstädtischen Bezirken.2
Zum Zeitpunkt der Errichtung (1875-77; 390 Sitzplätze) befanden sich erst an
drei anderen Standorten Synagogenbauten: Seitenstettengasse 4 (1825-26; 500
Sitzplätze), Tempelgasse 3 (1853-58; über 2.000 Sitzplätze) und Turnergasse
22 (1871-72; 800 Sitzplätze). Der Synagogen-„Bauboom" setzte erst um die
Jahrhundertwende ein. Danach standen insgesamt über 20 Tempelbauten in Wien
zur Verfügung. Die Art und Weise, wie der Floridsdorfer Tempel aus dem
Stadtbild verschwand, folgt bemerkenswerterweise nicht dem Schema der
Zerstörungen vom 10. November 1938. So geht aus einem Bericht der
Historikerkommission3
hervor, dass kurz vor den Novemberpogromen die Synagoge an das Deutsche Rote
Kreuz überantwortet worden war. Die Bedingung, das Gebäude in eine
Sanitätsstation umzubauen, wurde dennoch nicht umgesetzt. Anstatt dessen
folgte eine Nutzung als Magazin. Im Frühjahr 1945 wurde das Gebiet rund um
die Synagoge stark von Fliegerbomben getroffen. Eine Devastierung der Bauten
war die Folge.
Da Floridsdorf erst 1904 nach Wien
eingemeindet wurde, war für die Bewilligung der Planeinreichung die „K.u.K.
Bezirks Hauptmannschaft Korneuburg" zuständig. Wurde der Floridsdorfer
Tempel zunächst vom Minjan-Verein verwaltet, so administrierte ab 1880 die
Israelitische Kultusgemeinde Floridsdorf. Nach der Eingemeindung übernahm
die IKG Wien ab 1907 deren Agenden.
Wenn man sich auf den Weg in Richtung des ehemaligen
Standortes macht, so ist festzuhalten, dass die Synagoge an die damalige
Schindlergasse grenzte, heute Freytaggasse. Die Orientierung der
Hauptfassade gegen Osten stand dem Zutritt über das Vestibül im Wege, und so
wurde der Tempel über einen Gang hofseitig erschlossen. Nachdem weitere
Bauten der IKG auf dem angrenzenden Grundstück errichtet worden war, konnte
der Zutritt über die Holzmeistergasse erfolgen. Dies erklärt auch, weshalb
diese Gasse oft als Standort angegeben wird. 4

Außenansicht der Synagoge Floridsdorf
(Eingangstor ehemalige Schindlergasse – heute: Freytaggasse). Abbildungen
mit freundlicher Genehmigung B. Martens
Ebenso schwierig zu beantworten ist
die Frage, wer für diesen Bau verantwortlich zeichnete. Martin Paul 5
gibt M. Scheffner als Planer an. Hingegen wurden die Planunterlagen von Joh.
Schäffer signiert.6
Es ist anzunehmen, dass Schäffer als ausführender Baumeister mitgewirkt hat,
jedoch verweist Moses Rosenmann, der letzte Rabbiner der Floridsdorfer
Synagoge, auf den Entwurf des Architekten Andreas Streit. Interessanterweise
wird der Synagogenbau in den Streit’schen Biografien7
nicht angeführt, was darauf schließen lässt, dass er den Tempel nicht als
sein Werk anerkannte.
Die verfügbaren Planunterlagen
enthielten keine Angaben über die hofseitige Fassade. Ebenso sind manche
Details im Interieur bloß als Absichtserklärung zu verstehen. Insgesamt
zeichnet sich diese Synagoge durch eine gewisse Bescheidenheit aus, welche
sich wohl auch aus den verfügbaren finanziellen Mitteln erklären lässt.
Beispielsweise wurden keine Turmaufbauten oder sonstigen architektonischen
Elemente zwecks Steigerung der visuellen Aufmerksamkeit eingesetzt.

Vogelflugperspektive. Abbildung mit
freundlicher Genehmigung B. Martens
In der Tat ist es auffallend, dass die Baulichkeit in der
Außenwirkung kaum noch als Sakralbau ausgemacht werden konnte. Straßenseitig
traten dennoch hohe Fassadenfenster in Erscheinung, die mit Säulenkapitellen
dekoriert waren. Auch wenn die angebrachten Gebetstafeln wohl als
unübersehbares Merkmal eine Rolle erfüllten, so waren sie aus einer gewissen
Entfernung wohl kaum noch wirksam. So gesehen ist es nicht verwunderlich,
dass anscheinend keine Postkarte angefertigt wurde. Auch (Innenraum-)
Aufnahmen konnten trotz intensivster Recherchen nicht ausfindig gemacht
werden. Lediglich auf Flugbildern ergab sich die Möglichkeit, die
Baulichkeit als solche zu identifizieren.

Hoffassade ohne Anbau. Abbildung mit
freundlicher Genehmigung B. Martens
Zur Architektur lässt sich bemerken, dass es sich um eine
dreischiffige Baustruktur mit Frauenemporen handelte. Im Parterre waren
gemäß Längsschnitt Säulenpaare mit korinthischem Kapitell angedacht; ab der
Emporendecke wurde eine eigene Symbolik mit einer kugelförmigen Verzierung
der Kapitelle, welche in den mit den Außenfenstern korrespondierenden
Rundbögen endet, eingesetzt. Der Innenraum war hauptsächlich über diese
Befensterung mit Tageslicht versorgt. Ob in der Decke des Mittelschiffes
eine Oberlichte zur zusätzlichen Beleuchtung des Betraumes angebracht wurde,
kann nur vermutet werden: Im Einreichplan wird diesbezüglich eine Andeutung
gemacht.

Blick in den Hauptraum. Abbildung mit
freundlicher Genehmigung B. Martens
Wie die meisten Synagogen jener Epoche war auch der
Floridsdorfer Tempel unbeheizt. Um im Winter, vor allem für die täglichen
Dienste mit geringer Personenzahl, einen beheizten Raum zur Verfügung
stellen zu können, wurde 1905 ein Wintertempel errichtet. Gleichzeitig wurde
mittels dieses Zubaues ein bequemerer Aufgang in die Frauengalerie
ermöglicht.

Blick in den Hauptraum von der Galerie.
Abbildung mit freundlicher Genehmigung B. Martens
Interessanterweise wird im Tätigkeitsbericht der IKG Wien
(1952/54) 8
die Synagoge erwähnt, da bereits 1949 ein Bauantrag für den Wieder– bzw.
Neubau des Tempels eingereicht worden war. Da jedoch eine Bausperre verhängt
worden war, konnte die Baubewilligung nicht erteilt werden. Die Sperre
könnte auf die Verbreiterung der Schindlergasse zurückzuführen sein. In der
nunmehrigen Freytaggasse wurde ein Personalwohnheim des Krankenhauses
Floridsdorf errichtet. Die Neubautätigkeit in der Holzmeistergasse 12
vollzog sich im Zeitraum 1982-84.
1 Schmidt, Fritz: Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge
in der Holzmeistergasse 12 im 21. Wiener Gemeindebezirk. Diplomarbeit
TU-Wien 2008.
2 Genée, Pierre: Wiener Synagogen 1825-1938. Wien: Löcker
Verlag 1987.
3 Duizend-Jensen, Angelika Shoshana: Jüdische Gemeinden,
Vereine, Stiftungen und Fonds. Veröffentlichungen der Österreichischen
Historikerkommission. Wien: R. Oldenbourg Verlag 2002.
4 Paul, Martin: Technischer Führer durch Wien. Wien:
Verlag Gerlach & Wiedling 1910.
5 Genée, Pierre: „Die Synagoge der Vorstadtgemeinde
Florisdorf". In: DAVID - Jüdische Kulturzeitschrift, Jg. 4 (1992), Heft 13,
S. 20.
6 Rosenmann, Moses: „Materialien zur Geschichte der
Entstehung des Kultusgemeindebezirkes Wien XXI. (Floridsdorf)". In: Die
Wahrheit. Österreichische Wochenschrift für jüdische Interessen.
Veröffentlichungen der Union deutschösterreichischer Juden, (1927), Heft
39/40, 26.9.1927, S. 27.
7 http://www.azw.at/www.architektenlexikon.at/de/634.htm
8 Die Tätigkeit der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. 1952/54. Wien:
Verlag der Israelitischen Kultusgemeinde Wien 1955.
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