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Über die Notwendigkeit von Online-Dokumentationen
jüdischer Friedhöfe1
Nathanael RIEMER
Zur Bedeutung jüdischer Friedhöfe
Bet Almin (Haus der Ewigkeit), Bet Haim (Haus der
Lebenden) und „der Gute Ort", wie die Friedhöfe im Judentum genannt werden,
stellen eine der wichtigsten Einrichtungen der jüdischen Gemeinde eines
Ortes oder Gemeindeverbandes dar.2 Denn der Halacha zufolge,
welche das Verhalten und Leben des Individuums und Kollektivs in Regelwerken
festlegt, darf ein Friedhof nicht aufgegeben werden: Die Ruhestätte des
toten Körpers wird als ewiges persönliches Eigentum des Toten betrachtet,
welcher auch nicht durch die Gemeinde verkauft werden darf. Wie Abraham dem
biblischen Bericht zufolge (Gen. 23) für die verstorbene Sara die Höhle
Machpela kaufte, so ist es eine der Hauptsorgen jüdischer Gemeinden nach
ihrer Gründung, einen Begräbnisplatz zu
erwerben, dessen dauerhafter Besitz die notwendige Kontinuität der Totenehre
gewährleisten kann.3 Die Berücksichtigung dieser Tradition führte
dazu, dass jüdische Friedhöfe – sofern sie nicht durch Schändungen und
Enteignungen zerstört wurden – als herausragende Zeugnisse die jeweiligen
Einflüsse und Veränderungen in der jüdischen Geschichte und Kultur über
Jahrhunderte hinweg lesbar machen. So verraten die Inschriften der
Grabsteine nicht nur, wer die hier Ruhenden sind und welche Wertschätzung
sie genossen haben, sondern geben auch wichtige Informationen über ihre
Familienangehörigen preis. Aufgrund der Möglichkeit, mit Hilfe dieser
Informationen genealogische, soziale und historische Zusammenhänge
rekonstruieren zu können, sollten die jüdischen Friedhöfe in Europa – wie
andere Denkmäler auch – als kulturelles Erbe der Gesamtgesellschaft
geschützt werden. Dass dies trotz vielseitiger Beteuerungen nicht
selbstverständlich ist, zeigen sowohl offizielle Reaktionen auf
Friedhofsschändungen als auch die vielerorts nachlässig betriebene oder zum
Teil vollständig fehlende Denkmalpflege.4 Dabei ist der
mangelhafte Bestandsschutz ein historisches Problem, welches als Folge der
Schoa zwangsläufig entstehen musste, da die Mitglieder der jüdischen
Gemeinden vertrieben und ermordet wurden und somit weder eine Chewra
Kadischa (Beerdigungsbruderschaft) noch ein Gemeindegremium sich mit diesem
Problem befassen könnte. Insofern müsste – ungeachtet der erfolgten
Rückübertragungen dieser Denkmäler an die Landesverbände jüdischer Gemeinden5
– das größte Bemühen um ihren Erhalt aus der Öffentlichkeit kommen.
Notwendigkeit der Bestandspflege und Dokumentarisierung
der Denkmäler
Wer einmal bedeutende historische Bauwerke gesehen hat,
die – wie zum Beispiel beim Wiener Stephansdom oder beim Kölner Dom – aus
Sandstein oder anderen weichen Gesteinsarten errichtet wurden, wird die
fortwährenden Restaurierungs- und Dokumentationsmaßnahmen begrüßen. Denn
Emissionen und Witterungseinflüsse bedrohen die zahlreichen filigranen
Steinmetzarbeiten – und bei ausbleibenden Reparaturen letztlich die Existenz
dieser Denkmäler. Vor diesen Umwelteinflüssen bleiben auch die Grabsteine
der jüdischen Friedhöfe nicht verschont, nur mit dem Unterschied, dass die
politische Öffentlichkeit das Problem verunsichert zu ignorieren versucht
und die gesellschaftlichen Unterstützervereine der obigen Bauwerke – Unser
Stephansdom und Kölner Dombauverein – in der Regel fehlen. Gerade bei den
jüdischen Friedhöfen ist der Schaden nicht abzuschätzen, da die Verwitterung
die Inschrift der Grabsteine unleserlich macht. Als Folge davon können
Gräber oft nur noch dann identifiziert werden, wenn sich Belegpläne erhalten
haben oder entsprechende Beschreibungen rechtzeitig angefertigt wurden. Bei
der Dokumentation jüdischer Friedhöfe, welche in den letzten Dekaden vor
allem im westlichen Teil Deutschlands6 und einigen Städten
Österreichs7 durchgeführt worden ist, zeigte sich, dass ein
großer Teil dieser Grabstein- Inschriften verloren gegangen ist oder kaum
noch rekonstruiert werden kann. Die immensen Schäden durch wiederholte
Friedhofsschändungen,8 bei Sturmböen umgestürzte Bäume9
sowie Befall durch Moos machen die vollständige Dokumentation zu einer
dringlichen Aufgabe, welche nur noch durch gemeinsames Engagement sowie
pragmatische Zusammenarbeit politischer Entscheidungsträger,
wissenschaftlicher Einrichtungen, Drittmittel vergebender Stiftungen,
gemeinnütziger Vereine und der jüdischen Gemeinden bewältigt werden kann.
Aufgrund der zahlreichen Belegplätze werden die für die allgemeine
Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts außerordentlich bedeutenden
europäischen Friedhöfe (z.B. Amsterdam, Berlin-Weissensee, Warschau, Wien)
nur noch dann gerettet werden können, wenn sie in nächster Zukunft als
nationale und internationale Aufgabe (etwa als Weltkulturerbe) erklärt und
dann tatsächlich auch innerhalb kurzer Zeit bearbeitet werden.10
Aufgrund der großen Anzahl der Friedhöfe ausgelöschter bevölkerungsstarker
Gemeinden ergibt sich in den Teilen Ost-Mitteleuropas eine ganz andere
Situation, auf die hier nicht eingegangen werden soll.
Online-Dokumentationen jüdischer Friedhöfe in Deutschland
Neben den zahlreichen Dokumentationsprojekten, welche bis
2007 zum Teil in einfachen Broschüren, zum Teil in hochwertigen
Text-Bild-Publikationen zugänglich gemacht wurden, sind 2007/2008 gleich
drei breitangelegte, im Folgenden vorzustellende Dokumentationsprojekte
jüdischer Friedhöfe in Deutschland Online gegangen. Für die aufgrund des
Bildmaterials sowie der hebräischen Schriftzeichen überaus anspruchsvolle
Dokumentation dieser Denkmäler kann es keinen wünschenswerteren Ort als das
Internet geben. Denn der unumstrittene Vorteil einer Internetpublikation
umfangreicher historischer Quellen ist darin zu suchen, dass neu
hinzukommende Daten sukzessive ergänzt und mit anderen Informationen
verknüpft werden können. Schließlich muss es ein besonderes Anliegen sein,
diese bedeutenden Zeugnisse jüdischer Kultur als Teil
geisteswissenschaftlicher Forschung über den Bereich der Fachleute hinaus
auch der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich zu machen.11 Dabei
versteht sich von selbst, dass die Online-Dokumentation angesichts der sich
auch in den nächsten Jahrzehnten rapiden und zum Teil unüberschaubaren
Entwicklung des Internets 2.0 die klassische Buchdokumentation nicht
vollständig ersetzen kann.12 Vielmehr muss – ähnlich wie bei
Digitalisierungsprojekten von Handschriften und Büchern – Sorge für eine
dauerhafte Konservierung der Daten und Forschungsergebnisse getragen werden.
Die Vorstellung der drei Online-Projekte möchte grundsätzlich auf das für
solche umfassenden Vorhaben notwendige Engagement, auf die bei hebräischen
Schriftzeichen relevanten technischen Herausforderungen, sowie auf die
Problematik der Dokumentation historischer Quellen aufmerksam machen. Dabei
wird deutlich, dass aufgrund der unterschiedlichen Herangehensweisen der
Bearbeiter, der gewählten Datenbanktechnik und Darstellungsweise jedes der
Projekte Vorzüge aufweist. Sowohl die internationale Forschung als auch die
an Familiengeschichte Interessierten fordern innerhalb der modernen
Wissenschaftslandschaft eine Wiedergabe der Daten in englischer Sprache – es
handelt sich dabei um ein Desiderat, welches aufgrund begrenzter
finanzieller Mittel leider keines der Projekte zu leisten vermag.
Jüdische Friedhöfe in Hessen – Online-Dokumentation des
Hessischen Landesamts
Die Online-Dokumentation jüdischer Friedhöfe des
Hessischen Landesamts ist von den drei Projekten das Vorhaben mit der
längsten Vorgeschichte. Seit 1983 hat die Kommission für die Geschichte der
Juden in Hessen eine umfassende Dokumentation von etwa 70 der nahezu 350
jüdischen Friedhöfe mit etwa 17.000 Grabsteinen erstellt.13 Die
im Rahmen dieses zunächst durch die Stiftung Volkswagenwerk, später durch
das Land Hessen finanzierten Projektes erhobenen Daten werden sukzessive in
das Landesgeschichtliche Informationssystem Hessen (LAGIS) des Hessischen
Landesamts eingebunden. Das Land Hessen und die politischen Gemeinden
betrachten es als ihre Aufgabe, „die jüdischen Friedhöfe zu erhalten und zu
pflegen. An vielen Orten bemühen sich seit Jahren auch Vereine, Initiativen
und engagierte Einzelpersonen mit Erfolg um die Erhaltung und Erforschung
der jüdischen Friedhöfe."14 Obwohl zu einzelnen Friedhöfen
bereits Buchpublikationen (u.a. Alsbach, Hanau) existieren, ist eine
vollständige Printpublikation der 70 bereits erfassten sowie der rund 280
noch zu bearbeitenden Friedhöfen kaum zu verwirklichen. Aus diesem Grund
haben sich die Projektinitiatoren für eine öffentlich zugängliche Datenbank
entschieden. Die „erweiterte Suche" über die Datenbank ermöglicht unter
anderem die Suche nach Geburts- und Sterbedaten, Beruf beziehungsweise
Position der Verstorbenen in der Gemeinde, Material, Abmessungen und Zustand
der Grabsteine.15
Suchmaske der Online-Dokumentation Jüdische Friedhöfe in
Hessen
Eine gezielte Suche mit hebräischen Schriftzeichen ist
nicht vorgesehen. Dafür enthält die graphisch und technisch schön gelöste
Darbietung über eine Registertechnik unter anderem die hebräische Inschrift,
eine deutsche Übersetzung, Kurzbiographien mit Nachweisen über
Verwandtschaftsbeziehungen der Verstorbenen sowie verwendete Archivquellen.
Die Darstellung der Schwarz-Weiß-Fotos der Grabsteine erfolgt in
verschiedenen Auflösungen, welche in einer vergrößerten Ansicht geladen
werden können. Als Pluspunkt der mit einer MySQL-Datenbank und
PHP-Oberfläche arbeitenden Darstellungstechnik können Pläne über die
geographische Lage des Friedhofs in Hessen sowie ein Lageplan des Steins
innerhalb des Friedhofs gelten.16 Für den interessierten Laien,
der mit der Fachliteratur nicht vertraut ist, ist die Einbindung einer
Kurzbeschreibung des Friedhofes sowie einer Übersichtsdarstellung zur
Geschichte der jüdischen Gemeinde geplant.
Hebräische Grabsteinepigraphik – Online-Dokumentation des
Steinheim-Instituts
Um die Erschließung zahlreicher jüdischer Friedhöfe im
deutschsprachigen Raum hat sich seit den 1980er Jahren Prof. Dr. Michael
Brocke (Duisburg) besonders verdient gemacht, der in beispielhafter Weise
die Bearbeitungen zahlreicher jüdischer Friedhöfe anregte, diese betreute
und immer wieder auf die Bedeutung dieser Denkmäler hinwies.17
Auf seine Initiative geht auch die Entstehung der Online-Dokumentation
„Hebräische Grabsteinepigraphik" am Salomon Ludwig Steinheim-Institut
zurück.18 Dieses umfassende Projekt ging mit den etwa 6400
Inschriften des aschkenasischen Teils des jüdischen Friedhofs in
Hamburg-Altona ins Netz, dessen von 2000-2006 erfolgte Erfassung durch die
Hermann Reemtsma-Stiftung, die Stiftung Denkmalpflege Hamburg sowie die
Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius finanziert wurde. Auch die nächste
große mit zahlreichen Mitarbeitern bewältigte Online-Dokumentation „Jüdische
Friedhöfe in der euregio rhein-maas-nord", in der seit September 2007 42
Friedhöfe auf deutscher und sieben auf niederländischer Seite der
Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, konnte bereits auf Vorarbeiten
zurückgreifen.19 Gefördert wurde das Projekt im Rahmen einer
vielversprechenden Initiative unter dem Titel „Aufbau eines euregionalen
Netzwerkes zwecks Erforschung regionaler Geschichte" von der Euregio
Rhein-Maas-Nord, der Provinzregierung in Limburg und der Landesregierung
Nordrhein-Westfalen.20 Durch die Entscheidung des
Steinheim-Institutes, für die Online-Präsentation das auf
geisteswissenschaftliche Fragestellungen abgestimmte
Textverarbeitungsprogramm TUSTEP zu verwenden,21 lässt die
Datenbank aufgrund der guten Suchoptionen in hebräischer Sprache unter
judaistischen Gesichtspunkten kaum Wünsche offen.22 Die Suche
nach den Grabsteinen verlangt zunächst die Auswahl der Friedhöfe, nach deren
Bestätigung der Nutzer auf eine Maske gelangt, deren zwei Eingabefelder die
Suche mit einer Und-Oder-Ohne-Verknüpfung ermöglicht.
Suchmaske der Online-Dokumentation Hebräische
Grabsteinepigraphik
Der für Fachleute attraktiven Lösung mit TUSTEP steht die
umständliche Handhabung des Programms sowie die gelegentlich
unübersichtliche Graphik gegenüber, die an die Frühzeit der
Computerentwicklung erinnert. Dafür enthält die Ergebnisliste unter anderem
die hebräische Inschrift, eine deutsche Übersetzung, einen kritischen
Kommentar zur Inschrift, die Beschreibung des Steins und Angaben zu
Archivquellen mit Verweisen auf verwandtschaftliche Beziehungen. Die
Bilddokumentation mit Schwarz-weiß-Fotos ist etwas klein geraten, so dass
der Text anhand der Abbildung nicht immer nachvollzogen werden kann.23
Wünschenswert wäre – vor allen Dingen für den interessierten Laien – eine
Kurzbeschreibung des Friedhofes sowie eine Übersichtsdarstellung über die
Geschichte der jüdischen Gemeinde.24
Jüdische Friedhöfe in Brandenburg – Online-Dokumentation
der Universität Potsdam
Das letzte der drei Onlineprojekte ist am Institut für
Jüdische Studien der Universität Potsdam angesiedelt und das jüngste der
drei Unternehmen.25 Die 36 jüdischen Friedhöfe in Brandenburg,
auf denen sich Grabsteine erhalten haben, befinden sich in unterschiedlichem
Zustand.26 Da die Potsdamer Online-Dokumentation sich nicht nur
an die Fachwelt, sondern auch an interessierte Laien richtet, wird dem
Besucher zunächst die Geschichte der jüdischen Gemeinde, die den jeweiligen
Friedhof einrichtete, vorgestellt. Ebenso sollen Kurzbeschreibungen über die
Entwicklung und den Zustand des Friedhofes eine Orientierung ermöglichen.
Diese Informationen werden durch Lagepläne, Beleglisten mit
unterschiedlichen Sortierungen sowie Erläuterungen zu den hebräischen
Abkürzungen und Angaben über die verwendeten Archivmaterialien ergänzt. Die
nach Open Source-Prinzipien angelegte MySQL-Datenbank mit PHP-Oberfläche
wurde durch die Zentrale Einrichtung für Informationsverarbeitung und
Kommunikation (ZEIK) der Universität Potsdam eingerichtet.27 Über
die Unterseite „Suche über alle Steine" gelangt der Betrachter auf die
Suchmaske, in der zunächst die Auswahl der Friedhöfe erfolgt. Gesucht werden
kann sowohl nach den bürgerlichen als auch den jüdischen Namen, Geburts-
beziehungsweise Heimatort sowie Geburts- und Sterbedaten. Ferner sind eine
Freitextsuche über weitere Inhalte – und last not least – mit den
entsprechenden Zeichensätzen eine Suche in den hebräischen Inschriften
möglich.
Suchmaske der Online-Dokumentation Jüdische Friedhöfe in
Brandenburg
Sofern aus den Grabmalen und den Archivalien eindeutige
Verwandtschaftsbeziehungen, Berufe und Funktionen ersichtlich sind, werden
diese ebenfalls angegeben. Im Anschluss folgt eine Vorschau der Fotos von
den beschrifteten Seiten des Grabsteines, die der Betrachter auch in einer
höheren Auflösung abrufen kann.28 Die hebräische Inschrift sowie
eine deutsche Übersetzung werden als Synopse – Zeile für Zeile –
gegenübergestellt und ihre Referenzen auf Stellen der Bibel in Kommentaren
erläutert. Ferner gibt die Ergebnisseite die deutsche Inschrift wieder und
verweist auf archivalisches Quellenmaterial.
Parallel zur Dokumentation der Friedhöfe – momentan
stehen die von Schwedt und Guben vor dem Abschluss – werden ausführliche
Darstellungen zur jüdischen Geschichte der einzelnen Gemeinden erarbeitet.29
Diese Forschungsarbeiten basieren auf den umfangreich vorhandenen
Archivmaterialen und verknüpfen diese Informationen mit den Daten der
Grabsteininschriften.
Fazit
Da schädliche Umwelteinflüsse und Schändungen die
Grabsteine jüdischer Friedhöfe zerstören und ihre Inschriften unleserlich
machen, ist es unbedingt notwendig, möglichst zügig sowohl den Erhalt der
Denkmäler zu gewährleisten als auch ihre besonders gefährdeten Quellentexte
zu retten, bevor sie endgültig verloren gehen. Einige städtische Gemeinden
bemühen sich erfolgreich, die Anlagen gut zu pflegen und mutwillig
beschädigte Steine wieder instandzusetzen. In anderen Fällen haben die
Kommunen noch nicht verstanden, dass vor allem der nachlässige Umgang mit
Friedhofszerstörungen für Außenstehende geradezu peinlich wirkt. Gerade im
Hinblick auf Delikte blockiert oft die Angst der Ortskommunen, durch
negative Schlagzeilen in den Fokus der Medien zu geraten, jegliche Raison im
Umgang mit Rechtsradikalismus und lässt zahlreiche Gelegenheiten
verstreichen, diesem Phänomen entschieden entgegenzutreten. So werden
regelmäßig und in kurzen Abständen auftretende Zerstörungen trotz
eindeutiger Hinweise nicht wahrgenommen und „randalierende jugendliche"
Täter als „unpolitisch" eingestuft. Dabei kann sich eine Ortsgemeinde doch
auch dadurch auszeichnen, dass sie es als eine Selbstverständlichkeit
betrachtet, umgeworfene Grabsteine wiederaufzurichten und so das eigene
Ansehen wie auch die Ehre der hier Ruhenden wiederherzustellen. Es drängt
sich auf, bei dieser Arbeit Schüler und Eltern einzubinden, um die jüdische
Geschichte des Ortes nicht länger als Teil einer „fremden Kultur", sondern
als spannenden Aspekt der eigenen Lokalgeschichte zu betrachten. Wenn
mehrere Generationen von Schülern freiwillig mit den eigenen Händen den
Friedhof instandsetzen helfen, besteht die Hoffnung, dass die Öffentlichkeit
ihm als „Haus der Lebenden" und ehrwürdiges Denkmal Schutz gewährleistet.
Bei aller Notwendigkeit der Denkmalpflege, welche ohne vielfältige
Beteiligung der Gesellschaft nicht möglich ist, besteht bei der
nichtjüdischen Auseinandersetzung mit jüdischen Friedhöfen und oft nur noch
als Museen, Gedenk- und Begegnungsstätten dienenden Synagogen die Gefahr,
dass das Judentum als „totes" museales Phänomen wahrgenommen wird. Dieses im
Zuge der „Vergangenheitsbewältigung" im westlichen Nachkriegsdeutschland
entstandene Bild gilt es durch Multiplikatoren aus der Wissenschaft und den
jüdischen Gemeinden zu korrigieren. Gefordert sind hier insbesondere die
Judaistik/Jüdischen Studien als Geisteswissenschaft, nicht nur „la science
pour la science" zu betreiben, sondern verstärkt Zeugnisse ständig präsenter
jüdischer Alltagskultur zu erklären und erworbenes Wissen wieder in die
Gesellschaft einfließen zu lassen.
1 Für wichtige Hinweise habe ich zu danken Prof. Dr. Oded
Schechter (Chicago), Prof. Dr. Michael Brocke (Duisburg), Prof. Dr. Otto
Volk (Marburg) sowie insbesondere meinen Kolleginnen Dr. Brigitte
Heidenhain, Dr. Sigrid Senkbeil (beide Potsdam), Rebekka Denz (FU Berlin)
und Emily Link.
2 Zur inzwischen nahezu unüberschaubaren
Forschungsliteratur über die Sepulkralkultur des Judentums vgl. die
Bibliographie von Wiesemann, Falk: Sepulcra judaica. Bibliographie zu
jüdischen Friedhöfen und zu Sterben, Begräbnis und Trauer bei den Juden von
der Zeit des Hellenismus bis zur Gegenwart. Essen 2005.
3 Vgl. zu den halachischen Aspekten jüdischer Friedhöfe
Roth, Ernst: Zur Halacha des jüdischen Friedhofs. In: Udim. Zeitschrift der
Rabbinerkonferenz in der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. von der
Rabbinerkonferenz. (1974) IV, S. 97-119; [Fortsetzung] (1974/75) V, S.
89-124. Gotzmann, Andreas: Die religionsgesetzlichen Grundlagen des
jüdischen Friedhofes. In: Deutsche Kunst und Denkmalpflege. 48 (1990) I, S.
61-72.
4 Oft treten im Umgang mit jüdischen Friedhöfen Fragen
auf, welche Roth in der Situation der 1970er Jahre mit Hilfe von Responsen
zu beantworten versucht: „Darf ein jüdischer Friedhof gepflegt werden?" Vgl.
dazu Roth IV, S. 115, 118; Roth V, S. 115, 116, 117, 120; „Darf ein
Grabstein entfernt werden, um ihn in einer Werkstatt zu restaurieren)?" Vgl.
Roth V, S. 115, 116, 117, 120; „Dürfen Pflanzen angepflanzt werden oder
müssen Pflanzen entfernt werden?" Vgl. Roth IV, S. 117; „Wann darf ein
Friedhof nicht betreten werden?" Roth V, S. 119; "Das Grab als Besitz der
Toten. Seine Ehre und Ruhe sollte nicht verletzt werden." Roth IV, S. 101;
Roth V, S. 92.
5 In den wenigen europäischen Städten Europas, in denen
es nach der Shoah zu Neugründungen gekommen ist, sind die kleinen jüdischen
Gemeinden mit dieser Aufgabe überfordert. Darüber hinaus ist es
selbstverständlich, dass die Mitglieder einer z.B. in den 1990er Jahren
gegründeten Gemeinde aufgrund ihrer Herkunft oder dringenden sozialen
Aufgaben kaum Beziehungen zu den oft letzten öffentlich sichtbaren
Zeugnissen der Vorkriegsgemeinden aufbauen konnten.
6 Vgl. u.a. Brocke, Michael; Müller, Christiane E.: Haus
des Lebens. Jüdische Friedhöfe in Deutschland. Leipzig 2001; Honigmann,
Peter: Dokumentation jüdischer Grabinschriften in der Bundesrepublik
Deutschland. In: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden
(1993) 1, S. 267-273; die Verweise der „Internetseiten Alemania Judaica":
http://www.alemannia-judaica.de/juedische_friedhoefe.htm (22.7.2008);
„Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland.
Sammlungen Friedhofsdokumentation":
http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/FRIEDHOF/ALLGEM/index.html
(28.7.2008) sowie die folgenden Literaturangaben des Beitrages.
7 Reiss, Johannes: Jüdische Friedhöfe. Zeugen -
Urkunden – Dokumente. In: Mitteilungen der Grazer Morgenländischen
Gesellschaft (2000) 9, S. 58-71. Reiss geht u.a. hier auf die Situation der
Dokumentation jüdischer Friedhöfe in Österreich ein.
8 Jansen, Frank: Jüdische Friedhöfe. Jede Woche ein
Angriff. Zwischen 2002 und 2006 mehr als 230 Einrichtungen geschändet.
Zentralrat der Juden fordert Bundesregierung zum Handeln auf. In:
Tagesspiegel vom
17.11.2007 unter
http://www.zentralratdjuden.de/de/article/1498.html (22.7.2008); Rückelein,
Hedwig: „Die grabstain, so vil tausent guldin wert swein". Vom Umgang der
Christen mit jüdischen Friedhöfen im Mittelalter und am Beginn der Neuzeit.
In: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden (1995) 5,1 S.
11-45; Zippan, Claudia: Grabschändungen im Kontext christlicher Kultur. In:
Jahrbuch für Antisemitismusforschung 10 (2001), S. 13-35; Neiss, Marion:
Friedhofsschändungen in Deutschland. Ein Überblick. In: Jahrbuch für
Antisemitismusforschung. 10 (2001), S. 55-66.; Unsere Maßnahmen zur
Bekämpfung der Friedhofsschändungen in Deutschland. Hrsg. vom
Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens e.V. Berlin 1929.
9 Walzer, Tina: Bund oder Land? Ein
weiteres Jahr im Streit um die Erhaltung des jüdischen Friedhofes Währing.
In: DAVID - Jüdische Kulturzeitschrift. (Dezember 2007), Heft 75, S. 56-59.
Und ein Beispiel, wie ein solches Problem bewältigt werden kann, beschreibt
Sulzgruber, Werner: Aktion Kulturdenkmal Jüdischer Friedhof Wiener Neustadt.
Zur Geschichte des jüdischen Friedhofs in Wiener Neustadt. In DAVID -
Jüdische Kulturzeitschrift (April 2008), Heft 76, S. 28-31; Werner,
Hansjürgen: Eine Stein-Zeit-Geschichte. Der „Gute Ort" der Kinder von
Zehdenick. Blieskastel 2003. Werner zeigt, wie der verwüstete Friedhof von
Zehdenick durch mehrere Generationen von Schülern einer Schule in
Brandenburg wieder hergerichtet wurde.
10 So würde der Erhalt des etwa 115 500 Belegplätze
umfassenden Friedhofes Berlin-Weiseensee ca. 40 Millionen Euro kosten.
http://www.zentralratdjuden.de/de/article/721.html: Zukunft.
Informationsblatt des Zentralrats der Juden in Deutschland - in Deutsch und
Russisch. 5 (30.9.2005 - 26 Elul 5765) 9. Vgl. zu diesen Initiativen zuletzt
Walzer, Tina: Die jüdischen Friedhöfe in Hamburg-Altona, Berlin-Weissensee
und Wien-Währing auf dem Weg zum UNESCO-Weltkulturerbe? In: DAVID - Jüdische
Kulturzeitschrift (September 2008), Heft 78, S. 32-35.
11 Vgl. unter anderem die ,,Empfehlung der Europäischen
Kommission zur Digitalisierung und Online-Zugänglichkeit kulturellen
Materials und dessen digitaler Bewahrung":
http://www.dl-forum.de/deutsch/foren/25_1332_DEU_HTML.htm (22.7.2008) sowie
„Nestor - Das deutsche Kompetenznetzwerk zur digitalen
Langzeitarchivierung": http://www.langzeitarchivierung.de/ (22.7.2008).
12 Aufgrund des oft begrenzten Budgets oder der Anzahl
von Friedhöfen mit hohen Belegzahlen können umfassende Buchpublikationen
seitens der drei Projekte kaum alleine geleistet werden.
13 Die Angaben wurden der Homepage des Projektes
entnommen. „Jüdische Friedhöfe in Hessen – Projektbeschreibung. Hrsg.
Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde":
http://web.uni-marburg.de/hlgl/lagis/juf.html (22.7.2008) Die Übersetzung
der Inschriften erfolgte im Wesentlichen durch die Judaistin Christa
Wiesner.
14 Ebenda.
15 „Jüdische Friedhöfe in Hessen – Projektbeschreibung.
Hrsg. Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde":
http://web.uni-marburg.de/hlgl/lagis/juf_xs.html (22.7.2008).
16 Die technische Umsetzung des Onlineprojektes erfolgte
seitens des Hochschulrechenzentrums der Philipps-Universität Marburg.
17 Vgl. unter vielen anderen Publikationen Brocke,
Michael: Erbe und Aufgabe. Jüdische Friedhöfe in der Bundesrepublik
Deutschland. In: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 92
(1984), S. 67–76; Brocke, Michael: Grenzsteine des Lebens. Auf jüdischen
Friedhöfen am Niederrhein. Duisburg 1988.; Brocke, Michael; Müller,
Christiane E.: Haus des Lebens. Jüdische Friedhöfe in Deutschland. Leipzig
2001.
18 „Epidat – Epigraphische Datenbank des Salomon Ludwig
Steinheim Instituts": In:
http://www.steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/epidat (22.7.2008).
Mitarbeiter der verschiedenen Friedhofsprojekte waren u.a. Dan Bondy, Gil
Hüttenmeister, Nathanja Hüttenmeister, Katrin Nele Jansen, Thomas Kollatz
(Datenbank), Christiane E. Müller, Aubrey Pomerance, Martina Strehlen.
19 Brocke, Michael; Pomerance, Aubrey; unter Mitarbeit
von Barbara Mattes: Steine wie Seelen. Der alte jüdische Friedhof Krefeld.
Steine und Inschriften. 2. Bde. Krefeld 2003.
20 Aufgrund der überaus langen Web-Adresse gebe ich nur
die Hauptseite des Projektes an. Die Auflistung der Teilprojekte findet sich
unter „Netwerk & Projecten. Aufbau eines euregionalen Netzwerkes zwecks
Erforschung regionaler Geschichte":
http://www.d-nl.net/historie/interreg2006_08 (22.7.2008)
21 „TUSTEP ist ein Werkzeug zur wissenschaftlichen
Bearbeitung von Textdaten (auch solchen in nicht-lateinischen Schriften),
wie es vor allem in den Geisteswissenschaften benötigt wird. TUSTEP ist ein
Produkt des Zentrums für Datenverarbeitung der Universität Tübingen. Es ist
seit mehr als 30 Jahren im Einsatz". „Tübinger System von
Textverarbeitungs-Programmen": http://www.zdv.uni-tuebingen.de/tustep/
(22.7.2008). Wie aus den Angaben der Initiative International Tustep User
Group hervorgeht, wurden mit TUSTEP u.a. solche renommierten Projekte wie
z.B. das Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm bewältigt.
„International Tustep User Group": http://www.itug.de/ (22.7.2008).
22 Zur technischen Umfeld der mit epi.dot und TUSTEP
entwickelten Datenbank Kollatz, Thomas: Inventarisation und Dokumentation
jüdischer Friedhöfe mit TUSTEP, in: Historical Social Research 29 (2004) 2,
S.180-188. Vgl. ferner „Epidat – Epigraphische Datenbank des Salomon Ludwig
Steinheim Instituts":
http://www.steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/epidat?info=edv (22.7.2008).
23 Dass zu verschiedenen Friedhöfe beziehungsweise
Grabsteinen keine Fotos vorhanden sind, hängt wahrscheinlich mit ihrem
Erhaltungszustand zusammen, so dass die Ermittlung der Daten offensichtlich
nur noch mit Hilfe früherer Bearbeitungen möglich war.
24 Da Internetseiten sowie Onlineprojekte kontinuierlich
geändert und überprüft werden, geht der Autor des Artikels davon aus, dass
die bei einzelnen Friedhöfen noch fehlende Fotodokumentationen sowie die
angemerkten Desiderate sukzessive ergänzt werden beziehungsweise ergänzt
werden können.
25 „Jüdische Friedhöfe in Brandenburg":
http://www.uni-potsdam.de/juedische-friedhoefe/ (22.7.2008). Das Projektteam
besteht momentan aus Dr. Brigitte Heidenhain, Lina-Mareike Dedert und
Nathanael Riemer (Projektkoordination).
26 Etwa 40 weitere, nur noch als Fläche nachweisbare
Friedhöfe in Brandenburg sind während der Schoa und nach dem Krieg zerstört
und abgeräumt worden. Auf ihnen befinden sich keine vollständigen Grabsteine
mehr. Vgl. Brocke, Michael; Ruthenberg, Eckehart; Schulenburg, Kai (Hrsg.):
Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue
Bundesländer, DDR und Berlin). Berlin 1994; Weißleder, Wolfgang: Der Gute
Ort. Jüdische Friedhöfe im Land Brandenburg. Potsdam 2002.
27 An dieser Stelle sei besonders Gabriele Grabsch und
Gerhard Gräning für die zahlreichen konstruktiven Vorschläge sowie die
exzellente Zusammenarbeit herzlich gedankt!
28 Bei einzelnen Grabsteinen müssen noch die Fotos mit
der deutschen Inschrift (Wriezen) sukzessive eingearbeitet werden.
29 Bislang veröffentlicht wurden Heidenhain, Brigitte: Juden in Wriezen.
Ihr Leben in der Stadt von 1677 bis 1940 und ihr Friedhof. Potsdam 2007.
Eine ähnliche Publikation der Autorin über die Geschichte der jüdischen
Gemeinde in Schwedt/Oder ist in Vorbereitung.
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