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Über die Notwendigkeit von Online-Dokumentationen jüdischer Friedhöfe1

Nathanael RIEMER

Zur Bedeutung jüdischer Friedhöfe

Bet Almin (Haus der Ewigkeit), Bet Haim (Haus der Lebenden) und „der Gute Ort", wie die Friedhöfe im Judentum genannt werden, stellen eine der wichtigsten Einrichtungen der jüdischen Gemeinde eines Ortes oder Gemeindeverbandes dar.2 Denn der Halacha zufolge, welche das Verhalten und Leben des Individuums und Kollektivs in Regelwerken festlegt, darf ein Friedhof nicht aufgegeben werden: Die Ruhestätte des toten Körpers wird als ewiges persönliches Eigentum des Toten betrachtet, welcher auch nicht durch die Gemeinde verkauft werden darf. Wie Abraham dem biblischen Bericht zufolge (Gen. 23) für die verstorbene Sara die Höhle Machpela kaufte, so ist es eine der Hauptsorgen jüdischer Gemeinden nach ihrer Gründung, einen Begräbnisplatz zu erwerben, dessen dauerhafter Besitz die notwendige Kontinuität der Totenehre gewährleisten kann.3 Die Berücksichtigung dieser Tradition führte dazu, dass jüdische Friedhöfe – sofern sie nicht durch Schändungen und Enteignungen zerstört wurden – als herausragende Zeugnisse die jeweiligen Einflüsse und Veränderungen in der jüdischen Geschichte und Kultur über Jahrhunderte hinweg lesbar machen. So verraten die Inschriften der Grabsteine nicht nur, wer die hier Ruhenden sind und welche Wertschätzung sie genossen haben, sondern geben auch wichtige Informationen über ihre Familienangehörigen preis. Aufgrund der Möglichkeit, mit Hilfe dieser Informationen genealogische, soziale und historische Zusammenhänge rekonstruieren zu können, sollten die jüdischen Friedhöfe in Europa – wie andere Denkmäler auch – als kulturelles Erbe der Gesamtgesellschaft geschützt werden. Dass dies trotz vielseitiger Beteuerungen nicht selbstverständlich ist, zeigen sowohl offizielle Reaktionen auf Friedhofsschändungen als auch die vielerorts nachlässig betriebene oder zum Teil vollständig fehlende Denkmalpflege.4 Dabei ist der mangelhafte Bestandsschutz ein historisches Problem, welches als Folge der Schoa zwangsläufig entstehen musste, da die Mitglieder der jüdischen Gemeinden vertrieben und ermordet wurden und somit weder eine Chewra Kadischa (Beerdigungsbruderschaft) noch ein Gemeindegremium sich mit diesem Problem befassen könnte. Insofern müsste – ungeachtet der erfolgten Rückübertragungen dieser Denkmäler an die Landesverbände jüdischer Gemeinden5 – das größte Bemühen um ihren Erhalt aus der Öffentlichkeit kommen.

Notwendigkeit der Bestandspflege und Dokumentarisierung der Denkmäler

Wer einmal bedeutende historische Bauwerke gesehen hat, die – wie zum Beispiel beim Wiener Stephansdom oder beim Kölner Dom – aus Sandstein oder anderen weichen Gesteinsarten errichtet wurden, wird die fortwährenden Restaurierungs- und Dokumentationsmaßnahmen begrüßen. Denn Emissionen und Witterungseinflüsse bedrohen die zahlreichen filigranen Steinmetzarbeiten – und bei ausbleibenden Reparaturen letztlich die Existenz dieser Denkmäler. Vor diesen Umwelteinflüssen bleiben auch die Grabsteine der jüdischen Friedhöfe nicht verschont, nur mit dem Unterschied, dass die politische Öffentlichkeit das Problem verunsichert zu ignorieren versucht und die gesellschaftlichen Unterstützervereine der obigen Bauwerke – Unser Stephansdom und Kölner Dombauverein – in der Regel fehlen. Gerade bei den jüdischen Friedhöfen ist der Schaden nicht abzuschätzen, da die Verwitterung die Inschrift der Grabsteine unleserlich macht. Als Folge davon können Gräber oft nur noch dann identifiziert werden, wenn sich Belegpläne erhalten haben oder entsprechende Beschreibungen rechtzeitig angefertigt wurden. Bei der Dokumentation jüdischer Friedhöfe, welche in den letzten Dekaden vor allem im westlichen Teil Deutschlands6 und einigen Städten Österreichs7 durchgeführt worden ist, zeigte sich, dass ein großer Teil dieser Grabstein- Inschriften verloren gegangen ist oder kaum noch rekonstruiert werden kann. Die immensen Schäden durch wiederholte Friedhofsschändungen,8 bei Sturmböen umgestürzte Bäume9 sowie Befall durch Moos machen die vollständige Dokumentation zu einer dringlichen Aufgabe, welche nur noch durch gemeinsames Engagement sowie pragmatische Zusammenarbeit politischer Entscheidungsträger, wissenschaftlicher Einrichtungen, Drittmittel vergebender Stiftungen, gemeinnütziger Vereine und der jüdischen Gemeinden bewältigt werden kann. Aufgrund der zahlreichen Belegplätze werden die für die allgemeine Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts außerordentlich bedeutenden europäischen Friedhöfe (z.B. Amsterdam, Berlin-Weissensee, Warschau, Wien) nur noch dann gerettet werden können, wenn sie in nächster Zukunft als nationale und internationale Aufgabe (etwa als Weltkulturerbe) erklärt und dann tatsächlich auch innerhalb kurzer Zeit bearbeitet werden.10 Aufgrund der großen Anzahl der Friedhöfe ausgelöschter bevölkerungsstarker Gemeinden ergibt sich in den Teilen Ost-Mitteleuropas eine ganz andere Situation, auf die hier nicht eingegangen werden soll.

Online-Dokumentationen jüdischer Friedhöfe in Deutschland

Neben den zahlreichen Dokumentationsprojekten, welche bis 2007 zum Teil in einfachen Broschüren, zum Teil in hochwertigen Text-Bild-Publikationen zugänglich gemacht wurden, sind 2007/2008 gleich drei breitangelegte, im Folgenden vorzustellende Dokumentationsprojekte jüdischer Friedhöfe in Deutschland Online gegangen. Für die aufgrund des Bildmaterials sowie der hebräischen Schriftzeichen überaus anspruchsvolle Dokumentation dieser Denkmäler kann es keinen wünschenswerteren Ort als das Internet geben. Denn der unumstrittene Vorteil einer Internetpublikation umfangreicher historischer Quellen ist darin zu suchen, dass neu hinzukommende Daten sukzessive ergänzt und mit anderen Informationen verknüpft werden können. Schließlich muss es ein besonderes Anliegen sein, diese bedeutenden Zeugnisse jüdischer Kultur als Teil geisteswissenschaftlicher Forschung über den Bereich der Fachleute hinaus auch der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich zu machen.11 Dabei versteht sich von selbst, dass die Online-Dokumentation angesichts der sich auch in den nächsten Jahrzehnten rapiden und zum Teil unüberschaubaren Entwicklung des Internets 2.0 die klassische Buchdokumentation nicht vollständig ersetzen kann.12 Vielmehr muss – ähnlich wie bei Digitalisierungsprojekten von Handschriften und Büchern – Sorge für eine dauerhafte Konservierung der Daten und Forschungsergebnisse getragen werden. Die Vorstellung der drei Online-Projekte möchte grundsätzlich auf das für solche umfassenden Vorhaben notwendige Engagement, auf die bei hebräischen Schriftzeichen relevanten technischen Herausforderungen, sowie auf die Problematik der Dokumentation historischer Quellen aufmerksam machen. Dabei wird deutlich, dass aufgrund der unterschiedlichen Herangehensweisen der Bearbeiter, der gewählten Datenbanktechnik und Darstellungsweise jedes der Projekte Vorzüge aufweist. Sowohl die internationale Forschung als auch die an Familiengeschichte Interessierten fordern innerhalb der modernen Wissenschaftslandschaft eine Wiedergabe der Daten in englischer Sprache – es handelt sich dabei um ein Desiderat, welches aufgrund begrenzter finanzieller Mittel leider keines der Projekte zu leisten vermag.

Jüdische Friedhöfe in Hessen – Online-Dokumentation des Hessischen Landesamts

Die Online-Dokumentation jüdischer Friedhöfe des Hessischen Landesamts ist von den drei Projekten das Vorhaben mit der längsten Vorgeschichte. Seit 1983 hat die Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen eine umfassende Dokumentation von etwa 70 der nahezu 350 jüdischen Friedhöfe mit etwa 17.000 Grabsteinen erstellt.13 Die im Rahmen dieses zunächst durch die Stiftung Volkswagenwerk, später durch das Land Hessen finanzierten Projektes erhobenen Daten werden sukzessive in das Landesgeschichtliche Informationssystem Hessen (LAGIS) des Hessischen Landesamts eingebunden. Das Land Hessen und die politischen Gemeinden betrachten es als ihre Aufgabe, „die jüdischen Friedhöfe zu erhalten und zu pflegen. An vielen Orten bemühen sich seit Jahren auch Vereine, Initiativen und engagierte Einzelpersonen mit Erfolg um die Erhaltung und Erforschung der jüdischen Friedhöfe."14 Obwohl zu einzelnen Friedhöfen bereits Buchpublikationen (u.a. Alsbach, Hanau) existieren, ist eine vollständige Printpublikation der 70 bereits erfassten sowie der rund 280 noch zu bearbeitenden Friedhöfen kaum zu verwirklichen. Aus diesem Grund haben sich die Projektinitiatoren für eine öffentlich zugängliche Datenbank entschieden. Die „erweiterte Suche" über die Datenbank ermöglicht unter anderem die Suche nach Geburts- und Sterbedaten, Beruf beziehungsweise Position der Verstorbenen in der Gemeinde, Material, Abmessungen und Zustand der Grabsteine.15

Suchmaske der Online-Dokumentation Jüdische Friedhöfe in Hessen

Eine gezielte Suche mit hebräischen Schriftzeichen ist nicht vorgesehen. Dafür enthält die graphisch und technisch schön gelöste Darbietung über eine Registertechnik unter anderem die hebräische Inschrift, eine deutsche Übersetzung, Kurzbiographien mit Nachweisen über Verwandtschaftsbeziehungen der Verstorbenen sowie verwendete Archivquellen. Die Darstellung der Schwarz-Weiß-Fotos der Grabsteine erfolgt in verschiedenen Auflösungen, welche in einer vergrößerten Ansicht geladen werden können. Als Pluspunkt der mit einer MySQL-Datenbank und PHP-Oberfläche arbeitenden Darstellungstechnik können Pläne über die geographische Lage des Friedhofs in Hessen sowie ein Lageplan des Steins innerhalb des Friedhofs gelten.16 Für den interessierten Laien, der mit der Fachliteratur nicht vertraut ist, ist die Einbindung einer Kurzbeschreibung des Friedhofes sowie einer Übersichtsdarstellung zur Geschichte der jüdischen Gemeinde geplant.

Hebräische Grabsteinepigraphik – Online-Dokumentation des Steinheim-Instituts

Um die Erschließung zahlreicher jüdischer Friedhöfe im deutschsprachigen Raum hat sich seit den 1980er Jahren Prof. Dr. Michael Brocke (Duisburg) besonders verdient gemacht, der in beispielhafter Weise die Bearbeitungen zahlreicher jüdischer Friedhöfe anregte, diese betreute und immer wieder auf die Bedeutung dieser Denkmäler hinwies.17 Auf seine Initiative geht auch die Entstehung der Online-Dokumentation „Hebräische Grabsteinepigraphik" am Salomon Ludwig Steinheim-Institut zurück.18 Dieses umfassende Projekt ging mit den etwa 6400 Inschriften des aschkenasischen Teils des jüdischen Friedhofs in Hamburg-Altona ins Netz, dessen von 2000-2006 erfolgte Erfassung durch die Hermann Reemtsma-Stiftung, die Stiftung Denkmalpflege Hamburg sowie die Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius finanziert wurde. Auch die nächste große mit zahlreichen Mitarbeitern bewältigte Online-Dokumentation „Jüdische Friedhöfe in der euregio rhein-maas-nord", in der seit September 2007 42 Friedhöfe auf deutscher und sieben auf niederländischer Seite der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, konnte bereits auf Vorarbeiten zurückgreifen.19 Gefördert wurde das Projekt im Rahmen einer vielversprechenden Initiative unter dem Titel „Aufbau eines euregionalen Netzwerkes zwecks Erforschung regionaler Geschichte" von der Euregio Rhein-Maas-Nord, der Provinzregierung in Limburg und der Landesregierung Nordrhein-Westfalen.20 Durch die Entscheidung des Steinheim-Institutes, für die Online-Präsentation das auf geisteswissenschaftliche Fragestellungen abgestimmte Textverarbeitungsprogramm TUSTEP zu verwenden,21 lässt die Datenbank aufgrund der guten Suchoptionen in hebräischer Sprache unter judaistischen Gesichtspunkten kaum Wünsche offen.22 Die Suche nach den Grabsteinen verlangt zunächst die Auswahl der Friedhöfe, nach deren Bestätigung der Nutzer auf eine Maske gelangt, deren zwei Eingabefelder die Suche mit einer Und-Oder-Ohne-Verknüpfung ermöglicht.

Suchmaske der Online-Dokumentation Hebräische Grabsteinepigraphik

Der für Fachleute attraktiven Lösung mit TUSTEP steht die umständliche Handhabung des Programms sowie die gelegentlich unübersichtliche Graphik gegenüber, die an die Frühzeit der Computerentwicklung erinnert. Dafür enthält die Ergebnisliste unter anderem die hebräische Inschrift, eine deutsche Übersetzung, einen kritischen Kommentar zur Inschrift, die Beschreibung des Steins und Angaben zu Archivquellen mit Verweisen auf verwandtschaftliche Beziehungen. Die Bilddokumentation mit Schwarz-weiß-Fotos ist etwas klein geraten, so dass der Text anhand der Abbildung nicht immer nachvollzogen werden kann.23 Wünschenswert wäre – vor allen Dingen für den interessierten Laien – eine Kurzbeschreibung des Friedhofes sowie eine Übersichtsdarstellung über die Geschichte der jüdischen Gemeinde.24

Jüdische Friedhöfe in Brandenburg – Online-Dokumentation der Universität Potsdam

Das letzte der drei Onlineprojekte ist am Institut für Jüdische Studien der Universität Potsdam angesiedelt und das jüngste der drei Unternehmen.25 Die 36 jüdischen Friedhöfe in Brandenburg, auf denen sich Grabsteine erhalten haben, befinden sich in unterschiedlichem Zustand.26 Da die Potsdamer Online-Dokumentation sich nicht nur an die Fachwelt, sondern auch an interessierte Laien richtet, wird dem Besucher zunächst die Geschichte der jüdischen Gemeinde, die den jeweiligen Friedhof einrichtete, vorgestellt. Ebenso sollen Kurzbeschreibungen über die Entwicklung und den Zustand des Friedhofes eine Orientierung ermöglichen. Diese Informationen werden durch Lagepläne, Beleglisten mit unterschiedlichen Sortierungen sowie Erläuterungen zu den hebräischen Abkürzungen und Angaben über die verwendeten Archivmaterialien ergänzt. Die nach Open Source-Prinzipien angelegte MySQL-Datenbank mit PHP-Oberfläche wurde durch die Zentrale Einrichtung für Informationsverarbeitung und Kommunikation (ZEIK) der Universität Potsdam eingerichtet.27 Über die Unterseite „Suche über alle Steine" gelangt der Betrachter auf die Suchmaske, in der zunächst die Auswahl der Friedhöfe erfolgt. Gesucht werden kann sowohl nach den bürgerlichen als auch den jüdischen Namen, Geburts- beziehungsweise Heimatort sowie Geburts- und Sterbedaten. Ferner sind eine Freitextsuche über weitere Inhalte – und last not least – mit den entsprechenden Zeichensätzen eine Suche in den hebräischen Inschriften möglich.

Suchmaske der Online-Dokumentation Jüdische Friedhöfe in Brandenburg

Sofern aus den Grabmalen und den Archivalien eindeutige Verwandtschaftsbeziehungen, Berufe und Funktionen ersichtlich sind, werden diese ebenfalls angegeben. Im Anschluss folgt eine Vorschau der Fotos von den beschrifteten Seiten des Grabsteines, die der Betrachter auch in einer höheren Auflösung abrufen kann.28 Die hebräische Inschrift sowie eine deutsche Übersetzung werden als Synopse – Zeile für Zeile – gegenübergestellt und ihre Referenzen auf Stellen der Bibel in Kommentaren erläutert. Ferner gibt die Ergebnisseite die deutsche Inschrift wieder und verweist auf archivalisches Quellenmaterial.

Parallel zur Dokumentation der Friedhöfe – momentan stehen die von Schwedt und Guben vor dem Abschluss – werden ausführliche Darstellungen zur jüdischen Geschichte der einzelnen Gemeinden erarbeitet.29 Diese Forschungsarbeiten basieren auf den umfangreich vorhandenen Archivmaterialen und verknüpfen diese Informationen mit den Daten der Grabsteininschriften.

Fazit

Da schädliche Umwelteinflüsse und Schändungen die Grabsteine jüdischer Friedhöfe zerstören und ihre Inschriften unleserlich machen, ist es unbedingt notwendig, möglichst zügig sowohl den Erhalt der Denkmäler zu gewährleisten als auch ihre besonders gefährdeten Quellentexte zu retten, bevor sie endgültig verloren gehen. Einige städtische Gemeinden bemühen sich erfolgreich, die Anlagen gut zu pflegen und mutwillig beschädigte Steine wieder instandzusetzen. In anderen Fällen haben die Kommunen noch nicht verstanden, dass vor allem der nachlässige Umgang mit Friedhofszerstörungen für Außenstehende geradezu peinlich wirkt. Gerade im Hinblick auf Delikte blockiert oft die Angst der Ortskommunen, durch negative Schlagzeilen in den Fokus der Medien zu geraten, jegliche Raison im Umgang mit Rechtsradikalismus und lässt zahlreiche Gelegenheiten verstreichen, diesem Phänomen entschieden entgegenzutreten. So werden regelmäßig und in kurzen Abständen auftretende Zerstörungen trotz eindeutiger Hinweise nicht wahrgenommen und „randalierende jugendliche" Täter als „unpolitisch" eingestuft. Dabei kann sich eine Ortsgemeinde doch auch dadurch auszeichnen, dass sie es als eine Selbstverständlichkeit betrachtet, umgeworfene Grabsteine wiederaufzurichten und so das eigene Ansehen wie auch die Ehre der hier Ruhenden wiederherzustellen. Es drängt sich auf, bei dieser Arbeit Schüler und Eltern einzubinden, um die jüdische Geschichte des Ortes nicht länger als Teil einer „fremden Kultur", sondern als spannenden Aspekt der eigenen Lokalgeschichte zu betrachten. Wenn mehrere Generationen von Schülern freiwillig mit den eigenen Händen den Friedhof instandsetzen helfen, besteht die Hoffnung, dass die Öffentlichkeit ihm als „Haus der Lebenden" und ehrwürdiges Denkmal Schutz gewährleistet. Bei aller Notwendigkeit der Denkmalpflege, welche ohne vielfältige Beteiligung der Gesellschaft nicht möglich ist, besteht bei der nichtjüdischen Auseinandersetzung mit jüdischen Friedhöfen und oft nur noch als Museen, Gedenk- und Begegnungsstätten dienenden Synagogen die Gefahr, dass das Judentum als „totes" museales Phänomen wahrgenommen wird. Dieses im Zuge der „Vergangenheitsbewältigung" im westlichen Nachkriegsdeutschland entstandene Bild gilt es durch Multiplikatoren aus der Wissenschaft und den jüdischen Gemeinden zu korrigieren. Gefordert sind hier insbesondere die Judaistik/Jüdischen Studien als Geisteswissenschaft, nicht nur „la science pour la science" zu betreiben, sondern verstärkt Zeugnisse ständig präsenter jüdischer Alltagskultur zu erklären und erworbenes Wissen wieder in die Gesellschaft einfließen zu lassen.

1 Für wichtige Hinweise habe ich zu danken Prof. Dr. Oded Schechter (Chicago), Prof. Dr. Michael Brocke (Duisburg), Prof. Dr. Otto Volk (Marburg) sowie insbesondere meinen Kolleginnen Dr. Brigitte Heidenhain, Dr. Sigrid Senkbeil (beide Potsdam), Rebekka Denz (FU Berlin) und Emily Link.

2 Zur inzwischen nahezu unüberschaubaren Forschungsliteratur über die Sepulkralkultur des Judentums vgl. die Bibliographie von Wiesemann, Falk: Sepulcra judaica. Bibliographie zu jüdischen Friedhöfen und zu Sterben, Begräbnis und Trauer bei den Juden von der Zeit des Hellenismus bis zur Gegenwart. Essen 2005.

3 Vgl. zu den halachischen Aspekten jüdischer Friedhöfe Roth, Ernst: Zur Halacha des jüdischen Friedhofs. In: Udim. Zeitschrift der Rabbinerkonferenz in der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. von der Rabbinerkonferenz. (1974) IV, S. 97-119; [Fortsetzung] (1974/75) V, S. 89-124. Gotzmann, Andreas: Die religionsgesetzlichen Grundlagen des jüdischen Friedhofes. In: Deutsche Kunst und Denkmalpflege. 48 (1990) I, S. 61-72.

4 Oft treten im Umgang mit jüdischen Friedhöfen Fragen auf, welche Roth in der Situation der 1970er Jahre mit Hilfe von Responsen zu beantworten versucht: „Darf ein jüdischer Friedhof gepflegt werden?" Vgl. dazu Roth IV, S. 115, 118; Roth V, S. 115, 116, 117, 120; „Darf ein Grabstein entfernt werden, um ihn in einer Werkstatt zu restaurieren)?" Vgl. Roth V, S. 115, 116, 117, 120; „Dürfen Pflanzen angepflanzt werden oder müssen Pflanzen entfernt werden?" Vgl. Roth IV, S. 117; „Wann darf ein Friedhof nicht betreten werden?" Roth V, S. 119; "Das Grab als Besitz der Toten. Seine Ehre und Ruhe sollte nicht verletzt werden." Roth IV, S. 101; Roth V, S. 92.

5 In den wenigen europäischen Städten Europas, in denen es nach der Shoah zu Neugründungen gekommen ist, sind die kleinen jüdischen Gemeinden mit dieser Aufgabe überfordert. Darüber hinaus ist es selbstverständlich, dass die Mitglieder einer z.B. in den 1990er Jahren gegründeten Gemeinde aufgrund ihrer Herkunft oder dringenden sozialen Aufgaben kaum Beziehungen zu den oft letzten öffentlich sichtbaren Zeugnissen der Vorkriegsgemeinden aufbauen konnten.

6 Vgl. u.a. Brocke, Michael; Müller, Christiane E.: Haus des Lebens. Jüdische Friedhöfe in Deutschland. Leipzig 2001; Honigmann, Peter: Dokumentation jüdischer Grabinschriften in der Bundesrepublik Deutschland. In: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden (1993) 1, S. 267-273; die Verweise der „Internetseiten Alemania Judaica": http://www.alemannia-judaica.de/juedische_friedhoefe.htm (22.7.2008); „Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland. Sammlungen Friedhofsdokumentation": http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/FRIEDHOF/ALLGEM/index.html (28.7.2008) sowie die folgenden Literaturangaben des Beitrages.

7 Reiss, Johannes: Jüdische Friedhöfe. Zeugen - Urkunden – Dokumente. In: Mitteilungen der Grazer Morgenländischen Gesellschaft (2000) 9, S. 58-71. Reiss geht u.a. hier auf die Situation der Dokumentation jüdischer Friedhöfe in Österreich ein.

8 Jansen, Frank: Jüdische Friedhöfe. Jede Woche ein Angriff. Zwischen 2002 und 2006 mehr als 230 Einrichtungen geschändet. Zentralrat der Juden fordert Bundesregierung zum Handeln auf. In: Tagesspiegel vom 17.11.2007 unter http://www.zentralratdjuden.de/de/article/1498.html (22.7.2008); Rückelein, Hedwig: „Die grabstain, so vil tausent guldin wert swein". Vom Umgang der Christen mit jüdischen Friedhöfen im Mittelalter und am Beginn der Neuzeit. In: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden (1995) 5,1 S. 11-45; Zippan, Claudia: Grabschändungen im Kontext christlicher Kultur. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 10 (2001), S. 13-35; Neiss, Marion: Friedhofsschändungen in Deutschland. Ein Überblick. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung. 10 (2001), S. 55-66.; Unsere Maßnahmen zur Bekämpfung der Friedhofsschändungen in Deutschland. Hrsg. vom Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens e.V. Berlin 1929.

9 Walzer, Tina: Bund oder Land? Ein weiteres Jahr im Streit um die Erhaltung des jüdischen Friedhofes Währing. In: DAVID - Jüdische Kulturzeitschrift. (Dezember 2007), Heft 75, S. 56-59. Und ein Beispiel, wie ein solches Problem bewältigt werden kann, beschreibt Sulzgruber, Werner: Aktion Kulturdenkmal Jüdischer Friedhof Wiener Neustadt. Zur Geschichte des jüdischen Friedhofs in Wiener Neustadt. In DAVID - Jüdische Kulturzeitschrift (April 2008), Heft 76, S. 28-31; Werner, Hansjürgen: Eine Stein-Zeit-Geschichte. Der „Gute Ort" der Kinder von Zehdenick. Blieskastel 2003. Werner zeigt, wie der verwüstete Friedhof von Zehdenick durch mehrere Generationen von Schülern einer Schule in Brandenburg wieder hergerichtet wurde.

10 So würde der Erhalt des etwa 115 500 Belegplätze umfassenden Friedhofes Berlin-Weiseensee ca. 40 Millionen Euro kosten. http://www.zentralratdjuden.de/de/article/721.html: Zukunft. Informationsblatt des Zentralrats der Juden in Deutschland - in Deutsch und Russisch. 5 (30.9.2005 - 26 Elul 5765) 9. Vgl. zu diesen Initiativen zuletzt Walzer, Tina: Die jüdischen Friedhöfe in Hamburg-Altona, Berlin-Weissensee und Wien-Währing auf dem Weg zum UNESCO-Weltkulturerbe? In: DAVID - Jüdische Kulturzeitschrift (September 2008), Heft 78, S. 32-35.

11 Vgl. unter anderem die ,,Empfehlung der Europäischen Kommission zur Digitalisierung und Online-Zugänglichkeit kulturellen Materials und dessen digitaler Bewahrung": http://www.dl-forum.de/deutsch/foren/25_1332_DEU_HTML.htm (22.7.2008) sowie „Nestor - Das deutsche Kompetenznetzwerk zur digitalen Langzeitarchivierung": http://www.langzeitarchivierung.de/ (22.7.2008).

12 Aufgrund des oft begrenzten Budgets oder der Anzahl von Friedhöfen mit hohen Belegzahlen können umfassende Buchpublikationen seitens der drei Projekte kaum alleine geleistet werden.

13 Die Angaben wurden der Homepage des Projektes entnommen. „Jüdische Friedhöfe in Hessen – Projektbeschreibung. Hrsg. Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde": http://web.uni-marburg.de/hlgl/lagis/juf.html (22.7.2008) Die Übersetzung der Inschriften erfolgte im Wesentlichen durch die Judaistin Christa Wiesner.

14 Ebenda.

15 „Jüdische Friedhöfe in Hessen – Projektbeschreibung. Hrsg. Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde": http://web.uni-marburg.de/hlgl/lagis/juf_xs.html (22.7.2008).

16 Die technische Umsetzung des Onlineprojektes erfolgte seitens des Hochschulrechenzentrums der Philipps-Universität Marburg.

17 Vgl. unter vielen anderen Publikationen Brocke, Michael: Erbe und Aufgabe. Jüdische Friedhöfe in der Bundesrepublik Deutschland. In: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 92 (1984), S. 67–76; Brocke, Michael: Grenzsteine des Lebens. Auf jüdischen Friedhöfen am Niederrhein. Duisburg 1988.; Brocke, Michael; Müller, Christiane E.: Haus des Lebens. Jüdische Friedhöfe in Deutschland. Leipzig 2001.

18 „Epidat – Epigraphische Datenbank des Salomon Ludwig Steinheim Instituts": In: http://www.steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/epidat (22.7.2008). Mitarbeiter der verschiedenen Friedhofsprojekte waren u.a. Dan Bondy, Gil Hüttenmeister, Nathanja Hüttenmeister, Katrin Nele Jansen, Thomas Kollatz (Datenbank), Christiane E. Müller, Aubrey Pomerance, Martina Strehlen.

19 Brocke, Michael; Pomerance, Aubrey; unter Mitarbeit von Barbara Mattes: Steine wie Seelen. Der alte jüdische Friedhof Krefeld. Steine und Inschriften. 2. Bde. Krefeld 2003.

20 Aufgrund der überaus langen Web-Adresse gebe ich nur die Hauptseite des Projektes an. Die Auflistung der Teilprojekte findet sich unter „Netwerk & Projecten. Aufbau eines euregionalen Netzwerkes zwecks Erforschung regionaler Geschichte": http://www.d-nl.net/historie/interreg2006_08 (22.7.2008)

21 „TUSTEP ist ein Werkzeug zur wissenschaftlichen Bearbeitung von Textdaten (auch solchen in nicht-lateinischen Schriften), wie es vor allem in den Geisteswissenschaften benötigt wird. TUSTEP ist ein Produkt des Zentrums für Datenverarbeitung der Universität Tübingen. Es ist seit mehr als 30 Jahren im Einsatz". „Tübinger System von Textverarbeitungs-Programmen": http://www.zdv.uni-tuebingen.de/tustep/ (22.7.2008). Wie aus den Angaben der Initiative International Tustep User Group hervorgeht, wurden mit TUSTEP u.a. solche renommierten Projekte wie z.B. das Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm bewältigt. „International Tustep User Group": http://www.itug.de/ (22.7.2008).

22 Zur technischen Umfeld der mit epi.dot und TUSTEP entwickelten Datenbank Kollatz, Thomas: Inventarisation und Dokumentation jüdischer Friedhöfe mit TUSTEP, in: Historical Social Research 29 (2004) 2, S.180-188. Vgl. ferner „Epidat – Epigraphische Datenbank des Salomon Ludwig Steinheim Instituts": http://www.steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/epidat?info=edv (22.7.2008).

23 Dass zu verschiedenen Friedhöfe beziehungsweise Grabsteinen keine Fotos vorhanden sind, hängt wahrscheinlich mit ihrem Erhaltungszustand zusammen, so dass die Ermittlung der Daten offensichtlich nur noch mit Hilfe früherer Bearbeitungen möglich war.

24 Da Internetseiten sowie Onlineprojekte kontinuierlich geändert und überprüft werden, geht der Autor des Artikels davon aus, dass die bei einzelnen Friedhöfen noch fehlende Fotodokumentationen sowie die angemerkten Desiderate sukzessive ergänzt werden beziehungsweise ergänzt werden können.

25 „Jüdische Friedhöfe in Brandenburg": http://www.uni-potsdam.de/juedische-friedhoefe/ (22.7.2008). Das Projektteam besteht momentan aus Dr. Brigitte Heidenhain, Lina-Mareike Dedert und Nathanael Riemer (Projektkoordination).

26 Etwa 40 weitere, nur noch als Fläche nachweisbare Friedhöfe in Brandenburg sind während der Schoa und nach dem Krieg zerstört und abgeräumt worden. Auf ihnen befinden sich keine vollständigen Grabsteine mehr. Vgl. Brocke, Michael; Ruthenberg, Eckehart; Schulenburg, Kai (Hrsg.): Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer, DDR und Berlin). Berlin 1994; Weißleder, Wolfgang: Der Gute Ort. Jüdische Friedhöfe im Land Brandenburg. Potsdam 2002.

27 An dieser Stelle sei besonders Gabriele Grabsch und Gerhard Gräning für die zahlreichen konstruktiven Vorschläge sowie die exzellente Zusammenarbeit herzlich gedankt!

28 Bei einzelnen Grabsteinen müssen noch die Fotos mit der deutschen Inschrift (Wriezen) sukzessive eingearbeitet werden.

29 Bislang veröffentlicht wurden Heidenhain, Brigitte: Juden in Wriezen. Ihr Leben in der Stadt von 1677 bis 1940 und ihr Friedhof. Potsdam 2007. Eine ähnliche Publikation der Autorin über die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Schwedt/Oder ist in Vorbereitung.

 

 

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