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Assimilierung als Traum, als Narrenparadies.
Max Liebermann: Eine deutsch-jüdische Künstlerkarriere
(1847 - 1935)
Felice Naomi WONNENBERG
Max Liebermann, einer der bekanntesten jüdisch-deutschen
Maler der Jahrhundertwende, wandelte sich im Laufe seines Lebens von einem
Vertreter des Realismus zu einem Avantgardisten des Impressionismus in
Deutschland. Immer wieder als Anti-Nationalist und Jude angefeindet, wurde
er auf dem Höhepunkt seiner Karriere schließlich Präsident der Akademie der
Künste in Berlin. 1933 vertrieben ihn die Nazis aus seinem Amt.

Max Liebermann, Die Birkenallee. Mit
freundlicher Genehmigung Liebermann Haus Berlin.
Bei Betrachtung dieses Gartenbildes könnte man an das
unbeschwerte Dasein eines großbürgerlichen deutschen Würdenträgers denken.
Aber aus heutiger Sicht gibt es noch eine zweite Rezeptionsebene von
Liebermanns Gartenbildern: Der Aufenthalt im Paradies seiner Ferienvilla am
See war für den Künstler ein Rückzug. Auf der Website des Jewish Museum New
York schreibt Mason Klein, der die dortige große Liebermann-Retrospektive
2006 kuratierte:
„Liebermann fühlte den zunehmenden Druck der [...]
komplexen nationalistischen Stimmung in Deutschland in der Zeit um den
Ersten Weltkrieg, und er zog sich immer häufiger in sein Landhaus am Ufer
des Wannsees zurück". 1
Nun verwandelt sich die Darstellung der scheinbar
paradiesischen Umgebung in unserer Wahrnehmung. Ist hier also nicht Unschuld
und Unbeschwertheit thematisiert? Hat der Altmeister vielmehr – ähnlich
seinem Zeitgenossen Paul Gauguin - eine Zivilisationsflucht versucht?
Liebermann selbst schreibt in einem Brief, er hätte sich am liebsten
„Scheuklappen anlegen mögen", und der New Yorker Kurator kommentiert: „Die
Kultiviertheit und Schönheit, die diese Gemälde durchdringen sind trügerisch
und zeigen nicht die zunehmende Bedrohung, die das deutsche Judentum in
dieser Zeit befiel." Wird uns also der schöne Schein gezeigt, nicht die
echte Unbeschwertheit?
Liebermann sah sich selbst in der jüdischen Tradition
verwurzelt, wie aus der Kurzbiographie, die er als Teil seines Abiturs
verfasste, hervorgeht. Manche Biographen versuchen Liebermanns jüdische
Identität abzuwerten, wenn sie bemerken, Liebermann habe sich nicht koscher
ernährt. Aber jüdische Identität ist vielseitig und die Einhaltung der
religiösen Speisevorschriften keine Messlatte dafür, ob sich ein Jude
jüdisch fühlt. Eine erste Konfrontation mit der Fremdwahrnehmung seiner
Person als Jude hatte der Maler bereits 1879 erleben müssen. In seinem
Gemälde „Der 12-jährige Jesus im Tempel" hatte er, noch ganz in seiner
realistischen Phase, den jungen Jesus als ärmlich gekleideten Jungen mit
dunklen Locken dargestellt, der sich in einem ernsthaften und gleichwertigen
Gedankenaustausch mit den Schriftgelehrten im Tempel befindet. Er
gestikuliert, und die Rabbiner lauschen ihm interessiert. Wenn man sich die
Lebenssituation eines historischen Jesus vorstellt, so wäre eine derartige
Darstellung durchaus nachvollziehbar, und aus heutiger Sicht würde man von
einem Maler, der im Stil des Realismus malt, keine Schönung der harten
Wirklichkeit erwarten. Unter Liebermanns Zeitgenossen löste das Bild jedoch
einen Skandal aus, der sogar in einer Diskussion im Bayrischen Landtag
gipfelte. Es wurde als blasphemisch und „anti-christlich" bewertet und
Liebermann als „Jude" wurde das Recht abgesprochen, ein „heiliges" Thema so
realistisch, so „hässlich" darzustellen. Wenn wir den Realismus als beherzte
Stellungnahme für sozial Schwächere sehen, erscheinen die Proteste von
konservativ-christlicher Seite engstirnig und beschränkt. Umso erstaunlicher
war die Reaktion Liebermanns darauf. Der sonst überaus humorvoll-selbstbewußte
Mann ließ sich durch die Proteste von seiner künstlerischen Position
abbringen und übermalte das Bild, „arisierte" Jesus geradezu, verwandelte
ihn in einen Jüngling mit ordentlich gekämmtem, goldblondem Haar und
übermalte ärmliche Kleidung und bloße Füße des jungen Zimmermanns aus
Betlehem. In der Ausstellung des Jewish Museum New York wurde das Bild in
der übermalten Version gezeigt. Lediglich eine Bleistiftskizze, die als
Vorstudie diente, lässt den Originalzustand erahnen. Liebermann jedenfalls
beschloss angesichts der Diskussionen um sein Jesus-Gemälde, biblischen
Szenen nie mehr darzustellen.
Doch auch im weiteren Verlauf seiner Karriere musste er
sich immer wieder rechtfertigen. 1905 wurde er aufgrund seiner Hinwendung
zum französischen Impressionismus als „antinational" verteufelt. Zu Beginn
des Ersten Weltkrieges fertigte Liebermann dann, ganz seinem Selbstbild als
stolzer Deutscher folgend, Lithographien an, die zum Krieg ermutigen
sollten. Erst im Verlauf des Krieges stellte sich bei Liebermann, wie bei so
vielen Deutschen, jüdischen wie nicht-jüdischen, Ernüchterung ein, und in
späteren Jahren bereute er seine patriotische Kriegseuphorie. So wechselten
Anfeindungen und Ehrungen einander im Leben Liebermanns ab. Am Ende seiner
Karriere war der Künstler überhäuft mit Auszeichnungen, die in seiner
Ernennung zum Präsident der Preußischen Akademie der Künste ihren Höhepunkt
fanden. Doch der Aufstieg des Dritten Reiches beendete 1933 seine Karriere
endgültig. In einem Brief schrieb Liebermann 1935, seinem Todesjahr: „Wir
[die deutschen Juden, Anm. d. A.] waren gezwungen, aus unserem schönen
Traum der Assimilierung aufzuwachen." 2
Ein anderer deutscher Jude, Professor Bernard Zondak, formulierte es noch
härter: „Wir Juden lebten in Deutschland wie in einem Narrenparadies".3
Assimilierung als Traum, ein Garten
als Flucht ins Paradies, in die Isolation, ein hortus conclusus, ein
Narrenparadies - Liebermanns Garten, heute ein Liebermann Museum, entführt
uns in diesen schönen Trug. Der Garten scheint paradiesisch mit seinen
Blumenrabatten und den Blättern der Bäume, die im Wind spielen. Der
benachbarte malerische See, von dem der Wind herüberweht, ist der Wannsee.
Nur wenige Jahre nach Liebermann wurde er zum Namengeber einer Konferenz -
einem kurzen Zusammenkommen in einem ebenso zauberhaften Anwesen wie dem
Liebermannschen, eines Morgens, 1942. Jene Villa der Konferenz ist nur ein
paar Häuser weit entfernt, sie liegt in der gleichen Strasse: Am Großen
Wannsee. Auf einigen der Gartenbilder Liebermanns sieht man hinter zarten
Kulissen der im Wind bewegten Blätter die benachbarten Villen
durchschimmern. Wer heute das „Haus der Wannsee-Konferenz" besucht, findet
sich in einer fast märchenhaften Szenerie wieder. Die Dokumente des Grauens
liegen im Inneren des schönen Gebäudes, in der historischen Ausstellung
ausgebreitet. Hier wurde das seit Menschengedenken ungeheuerlichste
Verbrechen, die sogenannte Endlösung besiegelt - und darauf Cognac
getrunken, wie Adolf Eichmann in Jerusalem lakonisch aussagte. Jene
Nachbarvilla am Wannsee wurde Ort des grauenhaften Beschlusses, der als
„Konferenz zur Endlösung der Judenfrage in der Villa am Wannsee" in die
Geschichte einging. Eine Ironie des Schicksals - die Villa war sogar vom
gleichen Architekten wie die Villa der Liebermanns gebaut, Paul Baumgarten.
Liebermanns Villa, 1942 der jüdischen Familie bereits geraubt, wurde zur
Unterbringung der Konferenzteilnehmer missbraucht.4
Heute ist das Wochenendhaus des Malers ein
Liebermann-Museum geworden, und man sieht die Besucher in heiterer und
gelöster Stimmung von Bild zu Bild schlendern. Doch mir wurden diese sanften
Blütenblätter-Gemälde unheimlich: Denn auf einem anderen Blatt steht die
Familiengeschichte der Liebermanns. Max Liebermann trat 1933 als Präsident
der Akademie der Künste zurück. Er wollte lieber in Ehren und von sich aus
demissionieren, ehe die Nazis seine unmittelbar bevorstehenden Entlassung
durchführen konnten. Er verstarb 1935 hochbetagt, seine Witwe Martha blieb
im Stadthaus der Familie zurück. Dieses befand sich in unmittelbarer
Nachbarschaft zum Brandenburger Tor. So hatte Liebermann 1933 von zu Hause
aus den Fackelzug der Nationalsozialisten dort durchziehen gesehen und den
berühmten Satz ausgesprochen: „Ick kann gar nich so viel fressen, wie ick
kotzen möchte." Als er zwei Jahre später auf dem jüdischen Friedhof
beigesetzt wurde, erwiesen ihm von den vielen, die in seinem gastlichen Haus
jahrelang ein- und ausgegangen waren, gerade einmal 35 Trauergäste die
letzte Ehre. Während die Tochter sich ins Exil retten konnte, blieb seine
Witwe Martha in Berlin zurück: Sie wollte das Grab ihres Mannes nicht im
Stich lassen. 1942 schrieb sie ihren Abschiedsbrief. Er ist heute im
Jüdischen Museum Berlin ausgestellt. Martha Liebermann hatte den
Deportationsbescheid erhalten. Hoffnung und Kraft versagten ihr. Sie nahm
sich, wie rund viertausend andere Berliner Juden, mit dem damals gängigen
Schlafmittel Veronal das Leben.

Marta Liebermanns letzter Brief. Mit
freundlicher Genehmigung Jüdisches Museum Berlin.
1
http://www.thejewishmuseum.org/site/pages/exhibitions_detail.php?id=1747
2 So wird der Maler in der Dauerausstellung des Jüdischen
Museums Berlin zitiert.
3 So in der Ausstellung des Holocaust Museums Yad Vashem,
Jerusalem zu lesen.
4 Barbara C. Glibert im Katalog "Max Liebermann", Skirball Cultural
Center, Seite 55.
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